Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganz verkehrte Wesen fort.
Novalis
Dietzsch: In einem seiner
letzten Gedichtbände –
Das Neue
Reich (1928) – veröffentlichte Stefan George das Gedicht
GEHEIMES DEUTSCHLAND. In
Strophe 5 heißt es:
Da in den
äussersten nöten / Sannen die Untern voll sorge / Holten die
Himmlischen gnädig / Ihr lezt geheimnis.. sie wandten / Stoffes
gesetze und schufen / Neuen raum in den raum … Wäre das –
zeitgeschichtlich betrachtet – als eine Assoziation, gar
Antizipation des sog. Dritten Reichs zu verstehen?
Riedel: Eine solche, immer
wieder versuchte, sozusagen ›soziologistische‹ Engführung im
Verstehen von poetischem Material würde auch hier Wesentliches
verkennen bzw. frei imaginieren.
Ist doch schon die Entstehungsgeschichte jenes Textes unklar. Sie
hängt aber mit Georges Weg der Dichtung zusammen, der zu einem
bestimmten Zeitpunkt, nämlich um 1900 sich tatsächlich auch mit der
politischen Situation der Zeit überkreuzt. Wenn sich George hier
für den Ausdruck ›geheim‹ entscheidet, dann eben als Gegenentwurf
zu ›öffentlich‹ bzw. ›offiziell‹. Das ›geheime‹ Deutschland ist
immer dem offiziellen, öffentlichen entgegengesetzt und das war um
1900 für George das ›zweite‹ Reich, das Bismarck-Reich. Bismarck
war (wie George) ursprünglich Rheinländer, genauer: Rheinhesse,
aufgewachsen in der Atmosphäre der süddeutschen Mittelstaaten,
deren politische Vision – seit der 1848er Revolution – aber die
großdeutsche Lösung für den sich auflösenden Deutschen Bund (von
1815) war. Dagegen stand dann aber der preußische Machtpolitiker
Bismarck.
Kurzum: Man kann das Gedicht
Geheimes Deutschland, wie es jetzt
vorliegt, wie es entstanden ist in einer vermutlich langen
Inkubationszeit, nicht verstehen ohne die Wendung, die George nach
1900 nimmt. Er hat noch 1902 ein Gedicht gegen Bismarck –
Der Preuße - in einer
Lesung im Salon Lepsius in Berlin vorgetragen, er hat dieses
Bismarck-Gedicht immer bei sich getragen, bis zuletzt in Minusio,
seinem Sterbeort am Luganer See. Da hieß es:
In des ehrwürdig römischen Kaisertumes /
Sandgrube dieses reich gebaut, als mitte / Die kalte stadt von
heer- und handelsknechten / Und herold wurdest seelloser jahrzehnte
/ Von habgier feilem sinn und hohlem glanz?
Er hat diesen Text aber nie publiziert, obwohl es ein Zeitgedicht
ist und in die Reihe der Zeitgedichte gepasst hätte, mit denen
Der siebente Ring (1907)
eröffnet wird.
Dietzsch: Ist also jenes
Gedicht kaum in die geistige Genealogie des Dritten Reichs
einzufügen, begreifen wir es aber umso mehr als einen seiner
dramatischsten Abgesänge auf jenes allem Deutschen widerstehenden
›Gegenreich‹. Als Stauffenberg im Bendlerblock füsiliert wurde, da
war von ihm als sein letztes Wort zu hören: »Es lebe das Geheime
Deutschland!«
Riedel: Mit der Konzeption
des ›geheimen Deutschland‹ unterscheidet sich George ja gerade von
aller Pauschalkritik am und des ›Deutschen‹ schlechthin. Er würde
niemals gegen ›die Deutschen‹ klagen (wie noch Nietzsche), sondern
immer nur gegen die, die – wirklich oder vermeintlich – ihre Zeit
imperial repräsentieren oder sich national für repräsentativ
halten. Gegen diese Deutschen und deren ›Deutschland‹ hat George
seine Kritik an den deutschen Verhältnissen ausgesprochen. Er war
der Auffassung, dass die Deutschen ein zutiefst leidendes Volk in
ihrer Geschichte gewesen sind. Das meint nicht nur die religiöse
Spaltung, die auf deutschem Boden durch die Reformation entstand –
mönchezank [Stefan George]
– und die anschließenden provinzialisierenden Glaubenskriege. Auf
diesem Wege ist den Deutschen dann jeglicher europäische Gedanke
ausgetrieben worden und um 1900 war sozusagen ein
nationalpolitischer Höhepunkt in dieser Fehlentwicklung erreicht.
Das preußisch-deutsche Reich, der mit Bismarcks Name verbundene
Nationalstaat militärisch-industrieller Prägung wurde mit
Attributen einer großen Vergangenheit geschmückt, die zum bloßen
Reliquienkult verkamen. Was einmal geschichtliche Wahrheit war, das
universelle Kaisertum des Heiligen Römischen Reiches deutscher
Nation, geriet zur Lebenslüge. George, der den Bismarck-Staat im
Namen eines ›geheimen Deutschland‹ bekämpfte, das die auf diesem
Geschichtsboden entstandene Überlieferung von Antike, Christentum
und Humanismus bis hin zur Klassik in sich schloss, sah nun am
Ausgang seines Lebens einen neuen Usurpator aufsteigen, der selber
auch eine deutsche Fehlentwicklung beklagte und sich (in einem
Brief an Artur Dinter, v. 25. Juli 1928) als »Kämpfer für ein
anderes Deutschland« bekannte.
Dietzsch: Man muss also
genau zwischen dem ›anderen Deutschland‹ und dem ›geheimen
Deutschland‹ unterscheiden.
Riedel: Das ›andere‹ ist
der Gegenbegriff zum ›geheimen Deutschland‹. Das aber ist ein
Schlüsselwort konservativer Bismarck-Opponenten, um das zur Sprache
zu bringen, was durch den modernen Nationalstaat verschwiegen
wurde: den europäischen Grundzug deutscher Vergangenheit, ein
Verschiedenes von gleicher Art, das über die Jahrhunderte hinweg
geistig identitätsstiftend wirkte. Das ist der Gedanke des
Universalen, auf dem die Reihe der mittelalterlichen Kaiser
aufbaute, die die Herrschaft nicht um der Herrschaft willen
anstrebten, sondern die diese Herrschaft zu beglaubigen suchten
durch die Kaiserkrönung in Rom. Das aber war keine historisierende
Staffage, sondern die Idee, das Geistige und das Mächtige zu einer
neuen Synthese zu bringen. Aus Rom kommt dann eben nicht bloß – wie
im alten römischen Reich – ein neuer Cäsar, sondern ein Neues
Recht, dem die Idee der Gewaltenteilung innewohnt. Damit ist aber
eine neue europäische Verfassungskultur befördert.
Das ›andere‹ Deutschland ist später entstanden – inmitten des
europäischen Bürgerkrieges. Bei dieser Zukunftsidee – gewissermaßen
einer ›Gegenzukunft‹ – überspringen ihre jeweiligen
Wortführer die geschichtliche Lage bzw. das Herkommen Deutschlands.
Die linksextreme Seite versprach sich von der sozialen Revolution,
dass Unterschiede unter Menschen und Völkern einmal vollständig
verschwinden und eine natürliche Verbrüderung Aller eintreten
würde. Die extremistische Rechte wollte ebenfalls als ›das Andere‹
diese natürliche Verbrüderung, allerdings für nur eine einzige
Gruppe, das sogenannte ›eigene‹ Volk erreichen.
Und so bleibt die – lange unverstanden gebliebene - Tat des
George-Schülers Stauffenberg bzw. dessen geistiger Hintergrund für
uns hierbei ein tragisches wie hoffnungsvolles Symbol für das
Hochhalten dieser europäischen Dimension im Deutschen.
Dietzsch: Worin sehen Sie
diese
europäische
Dimension in Georges Gedicht?
Riedel: Zunächst: Es ist zu
begreifen als europäischer Warnruf. Ein Ruf allerdings, der sich
nicht bloß gegen politische Partikularitäten (preußisch-deutscher
Provenienz) richtet, sondern gegen den die alteuropäische Kultur
ruinierenden Vomarsch einer industriell-imperialen Moderne. Sie
implizierte Verwahrlosung von Erde, Geist und Politik. Das, was Max
Weber die
Entzauberung der
Welt nannte, ist auch der eigentliche Hintergrund jenes Gedichts
von George.
Wo hinter massloser
wände / Hässlichen zellen ein irrsinn / Grad erfand was schon
morgen / Weiteste weite vergiftet / Bis in wüsten die reitschar /
Bis in jurten den senn.
George wurde dafür sensibilisiert u. a. im Umkreis
von französischen Dichtern der Moderne. Die empfanden sich als
Außenseiter der damaligen modernen Erwerbs- und
Wohlstandsgesellschaft. Sie trafen sich sehr privat in kleinen
Salons, wo sie sich ihre Gedichte vorlasen und über Zeit und
Ewigkeit diskutierten. Von hier hatte George den Einfall, dass
befreiende Gedanken niemals aus offiziellen Milieus kommen können,
sondern nur aus gewissermaßen geheimen Zirkeln. In ihnen allein
kann, im Geheimen, auch etwas Reines entstehen.
Man könne beispielsweise, so Georges Wahrnehmung, von der
europäischen Seele nur etwas wahrnehmen, wenn man sie – wie am
Anfang bei den Orphikern - ›singen‹ ließe. Und George hat sie
›singen‹ gehört bei den französischen Nachbarn. Vor allem bei
Mallarmé! Das hängt mit der Auffassung Georges vom Primat des
Lyrischen (das Dichterische überhaupt) zusammen. Man muss hier
George bis auf Platon zurückführen. Der war ja der Auffassung, es
werde nicht besser mit der Einsicht in die Natur der Dinge, ehe
nicht die Philosophen herrschen oder die Herrscher philosophieren.
Das leisten weder Dichter, die als Tragödienschreiber bloß immer
über die heillosen Weltzustände jammern, noch die Epiker, die
ständig aufs Neue Kriege und kriegerische Auseinandersetzungen
darstellen. Allein die Lyriker verfügen über eine authentische
Stimme des Wahren. Die bleiben dann auch dem platonischen
Staatsverband erhalten (anders als die Dichter). Denn bleiben muss
der Gesang vom Göttlichen im und durch den Menschen. Das eben kann
nur der Eidetiker, der schaut und im Schauen singt.
Und umgekehrt sahen die jungen Dichter aus dem Pariser Kreis um
Mallarmé (1890) in Stefan George, der ja als einziger Deutscher
dazugehörte, den neuen Sänger des – vorerst noch geheimen – ›wahren
Deutschland‹. Er ist ihnen der geistige Bote eines anderen
Deutschlands als des Macht-Deutschlands, das die Franzosen jüngst
unterworfen hatte.
Dietzsch: So ist also die
Idee eines George-Kreises entstanden aus der (französischen)
Wahrnehmung von George als Dichter des – noch – geheimen
Deutschland?
Riedel: Von dort her kamen
die ersten Impulse. Die Kreisbildung setzte in der uns bekannten
Form dann ein nach der Ablehnung Hugo v. Hofmannsthals, gemeinsam
eine neue Dichter-Herrschaft und ein
Reich des Geistes zu gründen.
In allmählicher Abkehr auch vom Mallarmé-Kreis sucht nun George
Vorbilder im eigenen Lande und er gibt der Italiensehnsucht nach,
die einst deutsche Herrscher und dann Gelehrte, Künstler, Denker
von Winckelmann über Goethe, Lessing, Herder bis hin zu Nietzsche
nach dem Süden zog, um sich vor nördlich nebelhaften Albträumen zu
retten.
Dietzsch: Wie ist nun
Stauffenberg in den Bann des ›geheimen‹ Deutschland geraten?
Riedel: Vom ›geheimen‹
Deutschland spricht der Kreis seit 1910. Es war Karl Wolfskehl, der
diese Wendung in den
Jahrbüchern
für die geistige Bewegung geprägt hatte. Von Anfang an
musste sie gegen die Kontamination mit dem Patriotismus geschützt
werden. Gegen ihre Einvernahme im Dienst deutsch-nationaler
Massenbewegung, besonders im Ersten Weltkrieg, hat sich aus dem
Kreis vor allem der Hölderlin-Herausgeber Norbert v. Hellingrath
(er dann auch ein frühes Opfer des Krieges) verdient gemacht. In
seinem Text
Hölderlin und die
Deutschen nennt er die Deutschen überraschend »Volk
Hölderlins‹, weil es zutiefst im deutschen Wesen liegt, dass sein
innerster Glutkern unendlich weit unter der Schlackenkruste ... nur
in einem geheimen Deutschland zutage tritt.«
Nach dem Krieg (1923) werden Stefan George die Brüder Stauffenberg
vorgestellt. Einer aus dem Kreis, der Marburger
Literaturwissenschaftler Max Kommerell, wird der Mentor von Claus
Graf Stauffenberg. Im darauffolgenden Frühjahr 1924 reisen einige
Mitglieder des Kreises zusammen mit den Stauffenberg-Brüdern nach
Italien. In Palermo besuchen sie den Palazzo Reale, wo der
Hohenstaufer Friedrich II. – der ›erste Europäer‹ (Nietzsche) –
seine Kindheit verbrachte, und den Dom, wo er nach langer,
turbulenter Regierungszeit seine letzte Ruhestätte fand. Hier
legten sie, wahrscheinlich einer Inspiration Kantorowiczs folgend,
einen Kranz nieder mit der Inschrift
Seinen Kaisern und Helden / Das Geheime
Deutschland.
Dietzsch: War diese
Begegnung also viel mehr als eine juvenile – und bald
vorübergehende – Vorbildsuche?
Riedel: Claus Graf
Stauffenberg jedenfalls bleibt in intensivem Kontakt mit dem
Meister. Ein Briefwechsel beginnt und es kommt erneut zu
persönlichen Begegnungen; von einem solchen Treffen in Berlin ist
auch eine (die einzige) Fotografie überliefert, die sie in
Schüler-Lehrer-Pose zeigt.
Nach dem Abitur (1926) entscheidet sich Claus für die
Offizierslaufbahn bei der Reichswehr. Als Soldat besucht er
mehrmals im Jahr George und nimmt an Dichterlesungen des Kreises
teil. Die wichtigste Begegnung findet nach dem Erscheinen von
Georges letztem Gedichtband
Das
neue Reich statt. Das war Herbst 1928 im Berliner Atelier
des Bildhauers Thormaelen. Zum Vortrag kamen Kommerells
Wiedergeburts-Dialoge,
etwas von Hölderlin und Goethe, sowie dann der Meister selber mit
Die Winke, Burg
Falkenstein und schließlich
Geheimes Deutschland. Kurz danach
verließ Kommerell den Kreis, Stauffenberg musste den Kontakt zu ihm
abbrechen. Der neue Mentor aus dem Kreis wurde der Bildhauer Frank
Mehnert (er starb 1943). Ihm stand er dann 1934 Modell für eine
Büste.
Inzwischen machen die drei Stauffenbergs Karriere: Alexander wird
Geschichtsprofessor, Berthold geht an den Internationalen
Gerichtshof nach Den Haag und Claus wird Hauptmann im Generalstab.
Sie dienen insgeheim dem
inneren
Staat, wie George im Anschluss an eine platonische
Unterscheidung zwischen ›wirklicher‹ und ›idealer‹ Bürgerverfassung
das ›geheime Deutschland‹ nennt.
Dietzsch: Ein Jahr vor dem
Attentat nahm Stauffenberg Kontakt zu einem in Athen lehrenden
Georgeaner auf, dem Germanistikprofessor R. Fahrner. Der hatte nach
Gundolfs überraschendem Tod (1931) kurzfristig dessen Heidelberger
Ordinariat übernommen, wurde aber wegen oppositioneller Tätigkeit
schnell wieder entlassen. In den Gesprächen dieser beiden letzten
in Deutschland verbliebenen bedeutenden George-Schüler haben wir so
etwas wie ein politisches Testament aus dem Geiste Georges
vorliegen.
Riedel: Im
Nationalsozialismus war eine Lebensform vorgeschrieben, vor der
Stefan George immer gewarnt hatte: eine glaubensförmige
Weltanschauungsdiktatur, die Ersetzung von natürlich Gewachsenem
durch künstlich Organisiertes, gewaltsame Unterwerfung, geistlose
Herrschaftsimitationen.
Die Gespräche mit Fahrner betrafen angesichts kommender
europäischer Umbrüche dreierlei: dass menschliche Existenz im Staat
ohne Bindung an Transzendentes nicht gedeihen könne, dass eine
Einigung europäischer Völker tatsächlich gelingen könne, und
schließlich, dass eine instrumentale Vernunft (Technik, Industrie)
ihre Funktion als Mittel nicht mit dem Zweck des Menschen ineins
setzen dürfe. Diese Verschwörergruppe sah nach dem Sturz Hitlers
und dem Ende des Krieges erstmals lange nicht dagewesene
Möglichkeiten zu großen, nicht national-selbstsüchtigen
Veränderungen.
Im Juni 1944 hatte Stauffenberg an Fahrner die programmatische
Aufgabe übertragen, einen
Aufruf
an das deutsche Volk zu verfassen, der Grundzüge einer neuen
grundgesetzlichen Ordnung im zerstörten Reich vermitteln sollte.
Dieser Text spielte dann noch eine Rolle in Goerdelers Prozess vor
dem Freisler-Tribunal. Zum Abschied übergab Fahrner an Stauffenberg
einen Siegelring mit der Inschrift Finis Initium, ganz nach Georges
Dichterbekenntnis (aus
Der Stern
des Bundes):
Ich bin ein
end und ein beginn.
Die Arbeit Fahrners mündete in ein
›Glaubensbekenntnis‹, mit dem Stauffenberg die geistig ganz
unterschiedlichen Oppositionskreise auf einen kleinsten gemeinsamen
Nenner verpflichten wollte. Es heißt da:
»1. Wir glauben an die Zukunft der Deutschen.
2. Wir wissen im Deutschen die Kräfte, die ihn berufen, die
Gemeinschaft der abendländischen Völker zu schönerem Leben zu
führen.
3. Wir bekennen uns in Geist und Tat zu den großen Überlieferungen
unseres Volkes, das durch die Verschmelzung hellenistischer und
christlicher Ursprünge im germanischen Wesen das abendländische
Menschentum schuf.«
Dietzsch: Ein
›altfränkischer‹ Text, gerade auch wenn man ihn mit Ernst Jüngers
Friedensschrift aus demselben Jahr vergleicht. Zumal es im
Glaubensbekenntnis noch
einen weiteren Satz gab, in dem es heißt: »4. Wir wollen eine Neue
Ordnung, die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht ...
verachten aber die Gleichheitslüge und fordern die Anerkennung der
naturgegebenen Ränge.«
Riedel: Die meisten
Hitler-Gegner außerhalb einer parlamentarischen Parteienkultur
waren Patrioten innerhalb der Grenzen der Bismarckschen
Reichsgründung, ohne sich wie Stauffenberg mit George auf
universelle Wirkungszusammenhänge einer vornationalen
Reichstradition zu berufen. Deshalb auch dieser Bekenntnisvorbehalt
in Satz 4 angesichts anzustrebender Rechtsgleichheit. Stauffenberg
war namentlich mit dieser Schlusswendung nicht recht
einverstanden.
Man wird das alles – mit George übrigens – als zu wenig von
südlichem Atem belebt finden, die Deutschen seien eben – fern ihrem
›geheimen Deutschland‹ –, wie der Meister in
Burg Falkenstein schrieb,
selten heimisch bei sich und stets
ohne Freude und Freiheitsdrang zu Werke gegangen.
Dietzsch: Man wird also
Stauffenbergs poetisch-lyrischem Handlungsüberschuss ein Defizit an
politischer Urteilskraft beruhigt nachsehen können?
Riedel: Was können, so
hatte der junge Stauffenberg gefragt, dem öffentlich handelnden
Menschen Dinge und Tatsachen sein, wenn er doch erst durch den
Dichter sehend und für ihren Anblick sensibel wird? Denn indem der
Dichter Verborgenes zur Sprache bringt, vertieft er die Anschauung
und weckt die geistige Sensibilität der ihm Nächsten aus seinem
Umkreis, damit sie selber Wahres von Schein, Lebendiges von Totem
unterscheiden lernen und das Geheimnis der Überlieferung gewahren.
Darin besteht der Schlüssel zum Verständnis des Gedichts
Geheimes Deutschland, an
dessen Ende der Dichter die Dazugehörigen als ›Brüder‹ anredet:
Wer denn · wer von euch brüdern /
Zweifelt · schrickt nicht beim mahnwort / Dass was meist ihr
emporhebt / Dass was meist heut euch wert dünkt / Faules laub ist
im herbstwind / Endes- und todesbereich: ... / Wunder undeutbar für
heut / Geschick wird des kommenden tages.