Ulrich Schödlbauer

Frau

»Und die Pointe?« fragte die junge Schülerin. »Bist du«, sagte die Frau und schubste den Filzschreiber auf die Ablage. »Das verunsichert mich jetzt«, wisperte die Schülerin, ihre Stimme klang zugleich laut und leise, hart und verhalten. »Ich sehe das mit der Sexualität etwas anders, ich lehne Kinder grundsätzlich ab, ich weiß wirklich nicht, wofür sie gut sind, aber der Schlamassel, den sie anrichten, den sehe ich. Trotzdem finde ich es natürlich gut, wenn sie sich wehren und für ihre Welt kämpfen, die von euch zerstört wird.« »Grundsätzlich bin ich auf deiner Seite«, sagt die Frau, »obwohl ich nicht der Auffassung bin, dass Kinder ganz und gar abzulehnen sind. Wo sollen sie denn herkommen? Ich habe immer dafür gekämpft, dass Minderheiten ihren Sex ausleben sollen und nicht dafür leiden müssen, dass sie in der Minderheit sind, obwohl ich grundsätzlich nichts gegen Minderheiten habe, im Gegenteil. Beim Sex zum Beispiel, aber ich höre jetzt besser auf. Meine hoffnungslos veralteten Auffassungen…« »Nein«, flötet die Schülerin, »das ist schon sehr interessant, was Sie da sagen. Ich meine, wenn ich eine Frau mittleren Alters wäre, würde ich wahrscheinlich ebenso argumentieren, vielleicht auch nicht, ganz genau weiß ich das noch nicht. Aber die Anforderungen an meine Generation sind nun einmal andere.« »Man macht es euch aber auch schwer«, sagt die Frau, »ich meine, selbst ich … auch ich mache es euch schwer. Dabei will ich es euch leicht machen, mein Leben lang wollte ich doch nichts anderes, als es euch leicht zu machen. Aber es ist wahr, ich will euch auch ziehen, eine Riege starker Frauen, ich will als Erzieherin nicht zurückweichen, wieso sollte ich, da braucht es eine gewisse Härte, aber nicht aus Übermut, nicht aus Übermut, eher aus Demut. Nur weil ich mich zu meinem Geschlecht bekenne, heißt das ja nicht, dass ich jedes andere für mich ablehne, das nicht, aber vorsichtig müssen wir sein. Schließlich will frau das eigene Geschlecht auch nicht ablehnen und das müsste sie dann doch, oder? Das Geschlecht darf nicht zu sein, kein geschlossener Kreislauf, man muss sich offenhalten, sonst wird es ganz schnell zur Falle und wer will das schon?« »Davon kenne ich eine ganze Reihe«, haspelt die Schülerin, »das ist ja das Schreckliche. Kinder sollten nicht sein. Kinder sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie schon da sind, sie dürfen eigentlich nicht gemacht werden, das verstößt gegen das Gleichheitsprinzip.« »Du meinst, das verstößt…?« »Irgendwie schon. In einer Welt, in der alle gleich sind, kriegen alle Kinder oder keine. Und ich meine ›alle‹. Aber wenn sie einmal da sind…« »… sind sie doch auch süß, nicht wahr?« »Wie können Sie so etwas nur sagen? Kinder erben die Welt, sie gehört ihnen sie haben jedes Recht, uns zu sagen wo’s langgeht, keiner hat einen Funken Recht, ihnen etwas zu verweigern, und sei es das eigene Leben. Ist das nicht furchtbar? Ich meine, ich kann nichts dafür, dass sie da sind, ich kann auch nichts dagegen machen, ich bin ihnen ausgeliefert, wo immer ich hinschaue. Nur die Erwachsenen schlafwandeln, als ginge sie das alles nichts an. Dabei will ich doch erst einmal selbst leben, einfach so, zum Spaß. Ist das verkehrt? Ich finde nicht, dass es verkehrt ist. Für mich jedenfalls fühlt es sich richtig an. Wie macht man das, selbst leben, wenn man keine Rechte hat?« »Aber du hast doch Rechte.« »Rechte? Jemand drückt mir etwas in die Hand und sagt: Da hast du Rechte. Was ist das denn? Sind das Rechte? Rechte habe ich nur, wenn ich alle Rechte habe. So sehe ich das. Ich habe aber kein Recht an etwas, das mir gar nicht gehört. Die Welt gehört den Erwachsenen, okay, dafür legen sie sich krumm, ich könnte mir natürlich ausmalen, dass ich das einmal erbe, also jetzt nicht ich, sondern meine Generation. Aber wenn die Welt den Kindern gehört, und nicht nur ihnen, sondern auch all den Ungeborenen, dann sieht die Sache noch einmal anders aus. Wie kann ich etwas weitergeben, was ich durch mein bloßes Dasein verbrauche, zum Beispiel, indem ich ein- und ausatme oder mich von A nach B bewege? Das sind so einfache Dinge und sie sind zum Verrücktwerden. Vom Essen rede ich erst gar nicht. Eure Generation verprasst die Welt, das erzählen alle, aber meine tut es doch auch, und höchstwahrscheinlich wird, wenn wir damit fertig sind, nichts mehr übrig sein und die nach uns Kommenden werden nichts mehr erben. Das ist eine ziemlich grässliche Vorstellung und ich weiß nicht genau, wie ich mich dazu verhalten soll. All diese Schülerdemos sind ja ganz lustig, ich meine, die bringen es jetzt auch nicht. Nicht wirklich, meine ich, aber vielleicht täusche ich mich da.«

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