Ulrich Schödlbauer

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Aus der Zweiundvierzigsten drängt eine Demonstration ins Blickfeld, Fac ten Chek muss das Auge beschatten, um die Plakate zu erkennen. Nein, er kennt sie nicht. Sollte er sie kennen? Pappschilder, handgemalt, schwer zu entziffern. Wenig effizient. Mit Liebe gemalt … oder mit Hass, mit irgendetwas, das wie Herzblut aussieht und schnell eintrocknet. Auch Nichtwissen ist eine Form des Wissens, und nicht die leiseste … eine Weise, sich die Erde untertan zu machen. ›Das sagt mit jetzt nichts‹ – wer hat das gesagt? Wer alles zusammenzählte, was Menschen ›nichts sagt‹, der hielte den Schlüssel zur Welt in seinen Händen ... er müsste nur noch ans Schloss … Fac ten Chek … Was ist das für ein Geschrei? Ach-du-Schreck? Be-sen-weg? Entfernt Vertrautes, dicht unter der Oberfläche des Bewusstseins zusammengezogen, mischt sich hinein, mischt mit, so kommt es ihm vor, es kommt ihm vor, das kommt vor, das soll vorkommen, eine Art Verschiebung ist da im Gang.

Aus dem Gebrüll dringen Silben:

Fact-’n-check, F’ac-ten-check, Fac-Ten-Chek, Fak-ten...

Jede Variante ergibt einen Sinn. Gut oder nicht: Sinn bleibt Sinn. Welcher Sinn gilt? Welcher gilt hier und jetzt? Welcher hat die älteren Rechte? Wer macht sie geltend?

Ho-Chi-Minh –

Blinzelnd sieht er sich um. Niemand beachtet ihn, kaum jemand unterzieht sich der Mühe, dem Demonstrationszug mit der Aufmerksamkeit zu begegnen, die sich seine Organisatoren vermutlich versprochen haben, nur in Fac ten Cheks Ohren zischt es: Enttarnt!

Wurde er enttarnt? Wenn ja, von wem? Mit welchen Mitteln? Wer denunziert ihn? Warum jetzt? Wissen die Demonstranten, auf wen sie losgelassen wurden? Wenn es ein Geheimnis der Straße gibt, dann dieses: dass sie missbraucht wird. Kalte Verachtung steigt in ihm auf, die lange gelegen hatte, jubelnde, Parolen brüllende, in Vierer- und Sechserketten marschierende Jugend, unwissend und hochmütig, selig in sich selbst und bereit, den Nächstbesten zusammenzutreten, sobald jemand auf ihn zeigt.

Wer zeigt auf ihn? Wer hat ihn zur Zielscheibe erkoren? Wer erlaubt sich dieses barbarische Späßchen? Wo bleibt die Organisation? Wer bewahrt ihn vor denen da? Wer beschützt ihn im Angesicht des Prangers, der Pfiffe, der Schläge, der Steinwürfe, der Selbstbezichtigungen, der Fesseln, des Abtransports?

Wie es scheint: niemand. Es ist also soweit. Alles, was er jemals im Lager gelernt hat, drängt in seinen Körper und treibt ihn vorwärts. Schlaff, unauffällig, die Augen auf den Asphalt geheftet, Fuß vor Fuß. Nach rechts hin öffnet sich die Straße, ein paar Schritte, fast ohne Atem, und er hat es geschafft.

 

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