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In Hanoi gelandet, ließ sich Fac ten Chek beim Minister melden. Den Termin erhielt er, wie nicht anders erwartet, umgehend. Aus langer Erfahrung wusste er, dass die Protokolle seiner New Yorker Gespräche bereits fertig getippt und gelesen auf dem Schreibtisch des hohen Genossen lagen. Das Angebot der Partner hatte Fac ten Chek nicht wirklich überrascht. Auf jeden Fall war es ihm gelungen, die Überraschung vor allen Parteien, sich selbst eingeschlossen, lückenlos zu verbergen – folglich gab es sie nicht. Er war beeindruckt: Ganz gut fasste dieser altväterliche Ausdruck seine augenblickliche Seelenlage zusammen.
Als eine Runde Reisschnaps in den Konferenzraum getragen wurde, wusste er: etwas Großes stand an. Es lag nicht am Getränk, sondern an der Art, wie man es servierte und wie sich ihre Augen verengten, als er das Glas hob. Er hatte mit Russen gesoffen und kein Gegenüber konnte sich der gegründeten Erwartung hingeben, dadurch seine Aufmerksamkeit zu schwächen oder sein Pflichtgefühl auszuhebeln. Dennoch stand, in ebenso unübersehbaren wie unsichtbaren Versalien, quer durch den Raum das Wort ILLUSION.
Wessen Illusion? Zu dieser Runde besaß nur Zutritt, wer zum Club der Illusionslosen gehörte: Das galt als ausgemacht und gehörte sich so. Fac ten Chek wäre nach allem, was er erlebt hatte, sehr erstaunt und ein wenig ungehalten gewesen, hätte einer der Anwesenden aus Überzeugung oder Versehen das Lob der Freiheit angestimmt oder die amerikanische Verfassungspräambel zitiert – Bibelworte gingen schon eher, da gab es manchen gepfefferten Spruch, auf den man anstoßen konnte, auch ließ sich gelegentlich ein Mao-Wort einmischen, ohne dass es den Gesprächspartnern auffiel.
Wessen Illusion? Auf ihren Karten, vor seinen zusammengekniffenen Augen von diskreten Mitarbeitern auf übergroße Bildschirme projiziert, schrumpfte Saigon, sein Saigon, zu einem Neben-Business, einem winzigen Aktivitätsknäuel im Grenzbereich statistischer Irrelevanz, fast vergleichbar dem heimischen Sonnensystem am Rande der ausufernden Galaxis. Dort kannte er sich aus, dort war er zu Hause. Von dort zogen sich Linien zu den klassischen Schleusenpunkten der reichen Welt, an denen die Verteilung auf die gewohnten Zielgebiete erfolgte. Er brauchte nur die Augen zu schließen, um Namen, Zahlen, Umschlagplätze, technische Schwierigkeiten mitsamt ihren Lösungen, Bestechungsketten, überzeugte Mitwisser und -täter in Politik und Medien, Ermittler, Gegner, Feinde und Gönner des Unternehmens Revue passieren zu lassen, dessen Fäden in seiner Hand zusammenliefen.
»Ich lerne«, grunzte er und strich sich über die Handfläche. Das Ganze kam ihm vor, als hätten sich die fiebernden Hirne tausender spielesüchtiger Freaks zusammengeschlossen, um, vorerst virtuell, den Planeten zu einem gigantischen Weltraumbahnhof umzurüsten: Wer gab sich mit so etwas ab?
»Ein alter Bekannter.«
Sein Finger legte sich auf einen der hot spots, an denen imaginäre Besucherströme, bestehend aus Millionen von Individuen, aufeinandertrafen, um entlang markierter Routen auszuschwärmen und eine Reihe von Zielregionen anzusteuern, deren Mehrzahl in den Augen des erfahrenen Organisators gegenwärtig nahezu uneinnehmbaren Festungen glich.
Eine Weile sagte er nichts. Sein zusammengekniffenes Auge durchflog, gleichsam im Zeitraffer, einen akribisch geplanten Menschheits-Aufbruch, dem offenbar, das war das Verzweifelte daran, sein galaktisches Ziel abhanden gekommen war. Die enttäuschten und verstörten Massen würden jeden Einzelnen, jede Gruppierung überrennen, die es wagen sollten, sich ihnen in den Weg zu stellen. Stärkeren Widerständen würden sie ausweichen. Sie würden sich teilen, sie einschließen, ihrer Wirkung entkleiden und die Trümmer gleichgültig hinter sich lassen. War es grausame Kriegstaktik, verbrannte Erde zu hinterlassen, so bestand die luzide Taktik dieses Projekts darin, Infrastrukturen zu verbrennen – weltweit.
Ein Projekt, keine Illusion: durchgeplant für eine Reihe von Jahren, mit präzisen Ziel- und Zeitangaben versehen, ausgestattet mit Kooperationsvorgaben, Budgets, Renditeplänen, mit Listen von Geldgebern und -empfängern, von Finanziers und Söldnern, dahinter Namenkolonnen ohne Ende. Eine Reihe von Chiffren, soviel stand fest, erschloss sich ihm erst, wenn seine Unterschrift unter einer Handvoll bereitliegender Dokumente trocknete.
»Wie heißt das Projekt?«
Ein Plakatständer wurde hereingerollt. In gestochenen, die Aura von Hochglanz-Prospekten verströmenden Lettern las Fac ten Chek: ›ILLUSION‹.
Sie lieben den Kitsch, dachte er fast traurig, was kann man da machen?
Am besten, man hält sich an ihre Regeln.