Die innerparteiliche Diskussion im Zusammenhang mit den Veränderungen in der DDR

Anfang 1988 veränderte sich die Situation in der DDR schlagartig: Die hysterische Reaktion der DDR-Führung auf die Rosa Luxemburg-Demonstration, die nachfolgenden Verhaftungen und Ausweisungen von Dissidenten legten mit einem Mal die Reformunfähigkeit der SED und ihre Ablehnung der Politik Gorbatschows bloß. Vor diesem Hintergrund kam es mitunter zu heftigen innerparteilichen Diskussionen in der SPD. Im Sommer 1987 mußte z.B. bereits öffentlich festgestellt werden, daß die Meinung aus der Fraktion und der Partei, die deutsche Teilung müßte auf Dauer bejaht werden, nicht mit den Beschlüssen der Fraktion übereinstimmt. Die Sozialdemokraten hielten die »Deutschen nicht für so gefährlich, daß sie nicht den natürlichen Wunsch haben dürften, den jedes Volk in sich hat ... wieder unter einem gemeinsamen Dach zu sein.« (Büchler 1987) »Die SPD ist eine Partei, die für die Selbstbestimmung in aller Welt eintritt und deshalb selbstredend auch in der DDR.« (Büchler 1987) Eine lange, quälende Diskussion setzte ein, mit viel Kompromissen und Papieren.

Es kam – grob gesagt – zum Zusammenprall zweier unterschiedlicher Konzeptionen: Die eine, ausgehend vom Prinzip der Solidarität, einem sozialdemokratischen Grundwert an sich, forderte mehr Abstand zur SED und ein Zugehen auf die reformwilligen und systemkritischen Kräfte. Die andere, innerparteilich als »gouvernementaler Ansatz« umschrieben, sah, ausgehend vom Friedensmotiv, die Fortsetzung des Dialogs mit der SED als der herrschenden Kraft in der DDR vor. Es ging schon damals um einen zentralen Punkt sozialdemokratischer Identität. Rückblickend muß man feststellen, daß dieser Dissens 1988 geklärt hätte werden müssen, was jedoch unterblieb. Es gab Formelkompromisse und Versuche in beide Richtungen, die in sich kein schlüssiges Gesamtkonzept erkennen ließen.

Als Ende April die Gazetten nach einer fraktionsinternen Sitzung Meinungsunterschiede in der SPD in Fragen Deutschlandpolitik und Unmut über Kontakte zur SED meldeten, wurde der Streit auch publik. Und als der deutschlandpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion in einer Pressekonferenz Ende 1988 ein deutsch-deutsches Forum über alle Fragen des Verhältnisses beider Staaten und den Reformprozeß in Osteuropa forderte und feststellte, »daß die Deutschen eines Tages wieder zusammenleben würden« (FAZ vom 16.1.1989), war es bereits für eine gemeinsame deutschlandpolitische Linie zu spät, die an die Tradition der Partei hätte anknüpfen können, die seit den 50er Jahren für die Einheit aller Deutschen stand.

Die Entwicklung in der DDR gewann ihre eigene Dynamik und ging andere Wege. Trotzdem hätte man jetzt noch das Steuer herumreißen und auf den Gang der Dinge Einfluß gewinnen können. Doch die sich abzeichnende Wende im Ostblock und somit auch in der DDR überraschte die SPD genauso wie die Parteien der Regierungskoalition.

Gesichert konnte man allerdings im Frühsommer 1989 sagen: »Der Kommunismus alter Prägung ist tot« (DDR und Medien 1989, S.8), und klar war auch, was Hans-Jochen Vogel am 23.4.1989 sagte: »Demokratie und Meinungsvielfalt sind ansteckend. Nein, der Geist der Freiheit kann man nicht mehr in die Flasche zurückbringen.«

Der weitere Gang der Dinge zwang die Fraktion und die Partei bald in immer heftigere Diskussionen sich auf die sich überstürzenden Realitäten einzustellen. Die im parteiinternen Jargon so genannten »Zweistaatler« wehrten sich heftig gegen den von der DDR-Bevölkerung immer massiver geforderten Einigungsprozeß. Der Berliner Parteitag vom Dezember 1989 zeigte nochmals exemplarisch die zwei Grundströmungen in der SPD deutlich in den Reden von Willy Brandt und Oskar Lafontaine. In der Entschließung zur Deutschlandpolitik setzte sich die Strömung um Lafontaine mit ihrer Forderung nach konföderativen Strukturen in Deutschland durch. Dieses Papier verhinderte später, daß die SPD dem überwältigenden Mehrheitswillen der DDR-Bevölkerung nach rascher Einheit Rechnung tragen konnte. Die Fraktion drängte in ihrer Mehrheit, nach Art. 23 GG zu verfahren, während der Parteivorstand diesen Weg zuerst ablehnte und dann diese Möglichkeit doch einräumte. Aber damit war praktisch das Kind schon in den Brunnen gefallen, die SPD hinkte der Entwicklung weiter hinterher.

Die wichtigsten Voraussetzungen für einen Einigungsprozeß hat die SPD seit dem Dortmunder Parteitag 1966 als offensive Politik ständig vorangetrieben: Das waren die Rüstungskontrolle und die Abrüstung und die gesicherte Grenze Polens (Oder-Neiße). Der andere wichtige dritte Punkt, der ebenso logisch und unverzichtbar für die Akzeptanz der Völkergemeinschaft für einen Einigungsprozeß war, nämlich daß die Deutschen nicht sozusagen freischwebend zwischen den großen Blöcken sein konnten, wurde von großen Teilen der SPD nicht erkannt. Bis zuletzt haben Bezirksparteitage Resolutionen verfaßt, die gegen eine Mitgliedschaft eines geeinten Deutschland in der NATO waren. Die Mehrheit der Deutschlandpolitiker ging jedoch unbeirrt von diesen drei Voraussetzungen aus und sah dies als Voraussetzung, um die Einheit Deutschlands möglich zu machen. Die SPD verlor durch das Taktieren und zu starke Zusammenarbeit mit der SED an Vertrauen in der DDR. Es entstand immer mehr der Eindruck, dass die SPD für eine Zwei-Staaten-Lösung sei. Der Hintergedanke war bei diesen Politikern, dass eine Zwei-Staaten-Lösung besser für den Frieden in Europa sei als ein deutscher Einheitsstaat. Der Weg zur Wahlniederlage war damit vorgezeichnet, trotz der überaus wichtigen und erfolgreichen Bemühungen der SPD, den Einigungsprozeß für die DDR-Bevölkerung sozial gerecht (Sozialunion) in die Wege zu leiten, umweltpolitisch (Umweltunion) effektiv zu gestalten und die Eigentumsfrage besser zu klären.

Die Vorschläge waren gut gemeint, aber dennoch oft realitätsfremd. Das Vertrauen der DDR-Bürger – gerade in den alten Stammländern der SPD – war durch die Politik der letzten paar Jahre verlorengegangen.

Trotzdem bleibt, dass ohne die Vertragspolitik mit den ehemaligen Ostblockstaaten, die von der CDU/CSU bekämpft worden ist, es sicher zu keinem Friedensprozess (KSZE) in Europa und zur Einheit Deutschlands gekommen wäre.

 

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