Renate Solbach
Penelopes Ausfahrt


Des Herzens Brandung an Skylla
und der grausen Charybdis erprobt.
Gestrandet am Ufer des Landes
Soledad.
Fern vom Sirenengesang der Welt.

Sie entsteigt den Gezeiten,
hebt verwundert den Blick.
Streift das Meer von den Gliedern,
den wellenverwöhnten, steht auf
und wagt sich auf sandigen Grund.

Den Gang durch dies Eiland.
Suchend, verlangend, ist es das ihre?
Kalypso, Nausikaa, Kirke.
Keine erwartet sie hier.
Frauen wie sorgsam geschnürte Perlen.

Ihr Gang durch dies Eiland.
Sichtend, verwerfend ist es das ihre.
Der Wald wirft keine Schatten mehr.
Nur der Wind in der siebenjährigen Haut,
leis tönt er, klagend.

 

In Ermangelung eines Gartens

I

Es gibt keine Gärten auf Ithaka –
kein Hermes am Wegrand
kein Pan unter blühendem Oleander –
nichts, was den Blick hält.

Kein Bild des Gatten
am Busen gehegt,
vielbesungen durchstreift er die Meere.

Kein Spiegel,
der den Argwohn zerstreut,
unverhüllt füllt er die Leere –

(Stunden, in der Handtasche verkramt.
Der Alte kommt nicht nach Haus.
Was für Geschichten...
welch Kunde, ihr Turteltäubchen!)

es ermangelt der Idee.

II

Lautlos fügen sich Bilder.
Gewebt in Teppiche,
den Tauben verfüttert,
dem Wind erzählt, der
– den Elementen verschwistert –
ehern die Wellen peitscht, an die Gestade –

(So treiben es die alten Frauen.
So treibt es die Legende hervor.)

verdämmernde Tage,
vom Mond verhimmelt die Nächte.

Was bleibt?

III

Kostbare Funde Erinnerung
knollenförmig verwaltete Leere
reckt Wurzeln hinab in früheste Zeit:
Traumstoff
zwischen die Ufer gespannt
sieben Faden tief inmitten der Nacht.

Niemand lockt dich ins fremde Land.
Lacht erst die Windsbraut
über dem unbestellten Feld
scharlachfarben wehn ihre Tücher –
gebieterisch ihr Folge mir nach!
wispert Männer- und Frauenlos –

(Hatten wir nicht ein Leben geplant?
Im Warten weilend meint Leben im Aufschub.
Das geplante vergeht anstatt.)

– was bleibt ist Material.

*

Die Idee eines Gartens verschmerzt nicht
das zerronnene Paradies.
Verführt vom Tod, erinnert es sich mit Eifer.
Überwölbende Rede weitet sich nicht zum Gesang.

Am Ende formt sich die Kunde allein.
Niemand folgt.

 

Gangarten


Auf Entdeckungsfahrt
in einem Land ohne Arg.
Die alten Karten
taugen nicht mehr.

Wirf sie weg!

Kein Ort keine Zeit
gewährt dir den Eintritt.
Wie Staub durch die Ritzen
kommst du hinein.

Verflüchtige dich!

Die seltsame Art zu reisen,
taut das vereiste Meer in dir,
jede Welle wirft dich
immer sichrer an Land.

Lass dich ein!

 

Aufgelesen am Quai der Lügen –

verwildert verwaist
trifft das beschnittene Lid
der Schatten des Horizonts.
Vorhut nahender Ferne.

Pleiaden ziehen
vorbei, immer vorbei in rhythmischer Hast.
Vermutung lastet im Raum.
Bleischwer die silbenen Ketten.

Hebt sich der Schleier
bruchstückhaft leise
erbleicht der geronnene Blick.
Strandgut der ersten Stunde.

 

Kassandra

Es geschah...
wie es immer geschieht...
Wissend nicht noch unwissend
noch, erlesen vom trüben Sinn,
rüttelt das Gitter am Tor:
Zerbrich mich!

Greift unbegriffen die Hand,
greift inmitten der Lanzen,
greift ins Leere der Nacht, greift
nicht Wachen noch Schlafen.

Ein Drittes nur
tritt vertrieben hinzu, von dunklen Gedanken erhellt.

Nicht der Tag, nicht die Nacht,
nicht das Auge, das Licht
die Finsternis leuchtet –
gespenstischer Schein –
das Feuer, die Funken stiebt es hinaus,
den beißenden Rauch zu vertreiben.

Gehetzte Hunde, mit Schaum vorm Gesicht,
quellen die Worte
hervor nicht zurück
zur Qual, entschlossen zu bleiben.

 

Il Paradiso

Als sich die Worte versagten,
den Sinn gewendet ins Unverstehen,
hüllten wir uns in Kleider aus Haut.
Die Seele bevölkert vom Traumgetier
warf einen langen Schatten.

Am Abend lockte
der Abgrund hinter der Wolkengestalt
ins Innre der Knochenschale gesenkt
unendlich dehnbar –
schnellte empor und zurück.

Wechselnde Hüllen
im Kommen und Gehen
Tag uns zu geben und Nacht
streiften wir über und ab.
Nur der Tod saß wie angegossen.