Reinhard Düßel
Identität oder Ausflug zu Fuß

Immer so weiter geht es ohnehin nicht. Früher oder später nicht einmal mehr anders. Dies, so war gesagt worden, beunruhige (vgl. Verf, Dazwischen, IABLIS 2004).  Die Notwendigkeit, die hier weniger im Spiel ist als mit uns spielt, blieb rätselhaft. Wir sind beunruhigt, müssen es aber nicht sein und erschrecken dann doch darüber, wenn wir es nicht sind.

Ein beunruhigtes Weitergehen ist eines in ein Verschwimmen hinein. Mehr oder weniger wussten wir immer schon, dass sich alles verändert und vergeht. Das kam aber später. Die Dinge und wir selber waren dies und das, so und so, und dann auch noch veränderlich und vergänglich. Nun ist alles Veränderliches und Vergängliches und danach erst dies und das und so und so. Veränderlichkeit und Vergänglichkeit als Immergleiches überschatten Unterschiede und Konturen. Diese sind zu einem Nachgeordneten geworden und verblassen. Damit verblasst auch der Unterschied, den es macht, ob wir dies tun oder das, ob wir überhaupt etwas tun oder vielmehr nichts.

Veränderlichkeit und Vergänglichkeit sind zuerst substantivisch überhaupt nicht da. Erlebt und erfahren wird, dass Dinge sich verändern. Etwas ist da, es ist so und so, es verändert sich, irgendwann einmal vergeht es. Veränderlichkeit und Vergänglichkeit sind adjektivisch da, als Attribute, die sich in eine Reihe mit anderen stellen. Geleugnet wird nicht, dass man sie, anders als alle anderen, in jede Attributreihe einfügen könnte. Diese Möglichkeit ist aber nicht präsent als Prinzip. Sofern der Zusammenhang, in dem eine Sache besprochen wird, dies erfordert, fügt man die Attribute der Veränderlichkeit und Vergänglichkeit hinzu, ohne davon ein besonderes Aufheben zu machen. Man fügt sie hinzu, um einer bestimmten Wahrnehmung oder Erfahrung gerecht zu werden. Man fügt sie gerade nicht als Attribute hinzu, von denen man schon weiß, bevor man mit der Sache eine Erfahrung gemacht hat. So sind sie, diese Attribute, immer wieder anders, nicht Varianten eines Prinzipiellen.

Veränderlichkeit und Vergänglichkeit, so in den Blick gerückt, sind Veränderlichkeit und Vergänglichkeit so und so. Sie verweisen nicht über die besondere Sache hinaus. Zwischen den Sachen und damit am Fortschauen, Fortdenken, Fortgehen von einer zur andern, kommen Veränderlichkeit und Vergänglichkeit nicht vor. Der Horizont ist in jede Richtung offen.

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Bei dieser Schwebelage bleibt es nicht. Schon die Tatsache, dass wir müde werden, drängt über sie hinaus. Es geht zwischen den Dingen nur weiter bis wir einschlafen oder anderweitig nicht mehr können. Auch bleibt uns, wenn wir von einer Sache zu einer andern fortgehen, das gleichzeitige Fortgehen zu einer dritten verwehrt. Zu ihr könnten wir danach fortgehen. Es mag aber sein, dass sie dann nicht mehr da ist oder nicht mehr so, wie sie vorher war. Der Horizont ist doch nicht in jede Richtung offen. Zwischen den Sachen sind wir selber, aber nicht wie ein Schweben, das alle umgreift oder umgreifen könnte, sondern eher wie ein Weg, der irgendwo beginnt, einiges berührt, umgreift, zurücklässt, und irgendwo endet. Wir sind ein Weg. Das heißt nicht, wir seien auf dem Weg oder unterwegs. Das mögen wir auch sein, aber darauf kommt es hier nicht an. Vor allem sind wir jeweils ein Weg und nicht zwei oder mehr. Da wir jeweils dieser sind, können wir kein anderer sein. Die Frage, ob wir jeweils ein anderer hätten sein können, gehört ebenfalls nicht hierher. Immer sind wir dieser eine Weg, der wir eben geworden sind. Wären wir ein anderer, so wären wir eben der nicht. Der wäre dann nicht.

Dies gilt entsprechend für alles und jedes. Für die anderen und die Sachen sind wir diejenigen und dasjenige, zwischen dem sie sind. Auch sie sind jeweils ein so und so bestimmter Weg mit einem Anfang und einem Ende. Die Wege, die einige von ihnen sind, und der Weg, der wir sind, berühren sich, kreuzen sich, verschmelzen für eine Weile, lösen sich wieder voneinander. Jeder Weg ist auf unterschiedliche Weise Anfang oder Mitanfang von anderen, in weit größerem Maße noch Anfang oder Mitanfang der besonderen Verfasstheit von anderen. Das Ende von keinem ist das Ende von allen. Zum Ende von jedem gehört, dass es rundherum weitergeht.

Die Schwebelage wird in dem Maße Erinnerung, in dem die Veränderlichkeit und Vergänglichkeit der Dinge aufhört, besonderes Charakteristikum des einzelnen Dings zu sein und beginnt, auf andere zu verweisen. Die Veränderlichkeit und Vergänglichkeit des einen steht damit für die von anderem, schließlich von allem. Der nach allen Richtungen hin offene Horizont des Schwebens, dessen Offenheit im Fehlen dieses Verweisens gründete, hat sich geschlossen.

Aus den verstreuten und in dieser Verstreutheit bezuglosen Attributen, die gelegentlich als je besondere zu je Besonderem hinzutraten ohne voneinander zu wissen, ist ein universales Attribut, genauer noch, ist das universale Attribut schlechthin geworden. Alles ist, unabhängig davon, was und wie es sonst ist, veränderlich und vergänglich. Als in diesem Sinne universales Attribut hat ›Veränderlichkeit und Vergänglichkeit‹ aufgehört, Attribut zu sein. Sie ist dasjenige geworden, zu dem alle anderen Attribute hinzutreten. Alles ist Veränderliches und Vergängliches, das darüber hinaus noch durch weitere Attribute so und so bestimmt ist. Alles und jedes ist eine je bestimmte Konkretisierung, Verwirklichung, Verkörperung – die genauere Bestimmung des hier passenden Begriffs lassen wir zunächst offen – von Veränderlichkeit und Vergänglichkeit.

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In der Schwebelage entspricht der verstreuten Präsenz von Veränderlichkeit und Vergänglichkeit die Kompaktheit der Dinge und Unterschiede. Auch in ihr gibt es Veränderungen, Entstehen und Vergehen. Die Welt der Schwebelage ist nicht starr. Als Hinzutretendes oder Hinzugetretenes werden Veränderung, Entstehen und Vergehen hier jedoch immer wieder aufgefangen durch ein ihnen letztendlich Vorgängiges, zu dem sie früher oder später eben hinzutreten, um dann erneut von einem Vorgängigen aufgefangen zu werden. Veränderung und Vergänglichkeit als immer wieder Aufgefangenes nennen wir Rhythmus. Die Welt der Schwebelage ist eine rhythmische Welt, in der am Ende doch alles seinen Gang geht.
 
Rhythmen können, wie man weiß, mehr oder weniger weit ausschwingen und auch wechseln. Eine Feinbeschreibung der Schwebelage müsste zwischen mehr oder weniger dramatischen Varianten unterscheiden. Am Ende wird es wohl so sein, dass jeder eine besondere Variante durchlebt und diese dann als Erinnerung für das steht, was die Schwebelage als erlebte ist. Gemeinsam ist allen Varianten die Gewissheit, dass Veränderlichkeit und Vergänglichkeit doch immer wieder aufgefangen werden, wie weit der Rhythmus des Auffangens auch ausschwingen oder wie oft er seinen Charakter auch ändern mag. Solange diese Gewissheit anhält, befinden wir uns in der Schwebelage.

Wird die Gewissheit fragil, so hat deren Auflösung begonnen. Besonders dann, wenn die durchlebte Variante der Schwebelage eher eine dramatische mit einem weit ausschwingenden Rhythmus war, wenn das Auffangen oft länger ausblieb als erwartet, um dann, wie auch nicht anders erwartet, doch einzutreten, gibt es allerdings eine Zone der Unentschiedenheit. Das Auffangen könnte etwa zunächst immer etwas länger ausbleiben, so dass diese Steigerung des Ausschwingens als Charakteristikum des vorhandenen Rhythmus gesehen wird. Bleibt es dann länger aus, als es je ausblieb, und ist die Steigerung des Ausbleibens überproportional groß, so könnte auch dies für eine Weile noch auf einen erneuten Rhythmuswechsel hindeuten. Die Fakten sprechen irgendwann für sich. Immer aber bleibt es möglich, mit einer Art Doppelstrategie fortzufahren. Faktisch gilt die Schwebelage als vorüber. Die Möglichkeit aber, dass es in einer anderen, umgreifenden, das Alltägliche übersteigenden Zeitdimension dennoch erneut zu einem Auffangen kommen könnte, wird nicht ausgeschlossen. Vorstellungen, Programme, Hoffnungsbilder, die in irgendeinem Sinne mit der Gedankenfigur einer Wiederkehr arbeiten, knüpfen hier an.
   
Gelten Veränderlichkeit und Vergänglichkeit nicht als vorgängig immer schon aufgefangen, so kehrt am Ende nichts mehr in sich selber zurück. Rhythmen gibt es auch außerhalb der Schwebelage. Sie sind aber insular, verstreut, nicht Ausgestaltungen des umgreifend Rhythmischen schlechthin. Sie sind etwas anderes.

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Ist das Auffangen das letztinstanzlich Vorgängige, so gibt es in oder an jedem Unterschiedenen eine Repräsentation des vorgängig Auffangenden. Durch dieses ist es vorgängig immer schon festgehalten. Eben daran, an diesem vorgängigen Festgehaltensein in ihm, halten wir es fest. Freilich können wir das nur, wenn wir es, das vorgängige Festgehaltensein in einem Unterschiedenen, bereits zu fassen bekommen haben. Da wir uns aber nur Sorgen um das Verschwimmen von Unterschieden zu machen haben, die gegeben, vorhanden, so oder so gefasst sind, können wir dies ohne weitere Klärung voraussetzen. Der Klärungsbedarf beginnt mit dem Verschwimmen. Innerhalb der Schwebelage setzt an diesem Punkt der beschriebene Rhythmus des Auffangens ein. Die Gewissheit, dass es immer wieder zu einem Auffangen kommen wird, speist sich dabei aus der Repräsentation des vorgängig Auffangenden, die wir bereits fest im Griff haben. Jedes sich einstellende Auffangen ist ein antwortendes Echo, in dem sich die Präsenz des letztinstanzlich Auffangenden immer und immer wieder zeigt.

Ist dagegen, wie außerhalb der Schwebelage der Fall, Veränderlichkeit und Vergänglichkeit das Vorgängige, ist alles und jedes Konkretisierung, Verkörperung oder auch Ausgestaltung von Veränderlichkeit und Vergänglichkeit, so müsste man, wollte man die gewählte Redeweise beibehalten, in jedem Unterschiedenen eine Repräsentation eben diese Vorgängigen annehmen, eine Repräsentation von Veränderlichkeit und Vergänglichkeit also. Oder kann man diese Redeweise hier überhaupt nicht beibehalten? Es könnte ja sein, dass nicht jedes Vorgängige, sondern nur das Vorgängige in der Bestimmtheit eines vorgängigen Auffangens repräsentiert sein kann. Veränderlichkeit und Vergänglichkeit müssten dann an oder in dem, dessen Vorgängiges sie sind, auf andere Weise da sein.

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Wiederum beginnen wir mit dem Verschwimmen von Unterschiedenem, das so und so gegeben, vorhanden oder gefasst war. Da wir am Punkte des Aufbrechens der Schwebelage außer dieser nichts kennen, nehmen wir es weiterhin als gegeben an, das Verschwimmende über die Repräsentation des vorgängigen Auffangens in diesem dennoch im Griff zu haben. Wir versuchen, auf dieser Grundlage einen Rhythmus des Auffangens in Gang zu bringen. Das auffangende Echo aber bleibt aus. Gelegentlich vermeinen wir, eines zu vernehmen, doch es kommt zu keinem Auffangen. Das Verschwimmen beschleunigt sich. Nun endlich bemerken wir, dass unsere Hand leer ist. Wir haben uns auf ein Phantom verlassen, auf eine Erinnerung vielleicht. Dieses Verschwimmende hatten wir von Anfang an nie im Griff. Die Grundlage für den Rhythmus des Auffangens, um den wir uns bemühten und nach wie vor bemühen, war nie gegeben. Je angestrengter wir das Echo des vorgängigen Auffangens erwarten, desto mehr beschleunigt sich das Verschwimmen. Endlich geben wir auf. Wenn es für dieses Verschwimmen einen Rhythmus des Auffangens gibt, dann keinen auf der Grundlage eines vorgängig Auffangenden.

Worauf sollte er sonst aufruhen? Es wird jedenfalls ein Vorgängiges sein müssen. Am Punkte der Auflösung der Schwebelage gibt es nur ein Vorgängiges, eben Veränderlichkeit und Vergänglichkeit. Nur darauf könnte ein Rhythmus des Auffangens aufruhen, der das Verschwimmen hier zum Stehen bringt.

Der Punkt der Auflösung der Schwebelage ist der Augenblick, in dem wir unserer, und auch der Dinge sonst, als Weg gewahr werden. Statt eines Schwebens, das alles umgreift, nach allen Richtungen und Zeitrichtungen hin, zumindest der Möglichkeit nach, sind wir, auch der Möglichkeit nach, nur ein Ausflug zu Fuß, von dem wir überdies nicht mehr zurückkehren.

Das sind wir in jedem Augenblick. Mit der Schwebelage geht auch das kleine Schweben zu Ende, das man Verweilen nennt. Dies vielleicht setzt uns am meisten zu. Mit dem kleinen Schweben wären wir zurechtgekommen. Die Offenheit der Richtungen und Zeitrichtungen, das Hin und Her, das Vorwärts und Zurück, vor allem eben das Zurück, hätten wir auch da gehabt. Auch erscheint uns das vorherige, unaufgebrochene Schweben im Rückblick ohnehin als sehr anstrengend. Im Verweilen also hätten wir uns gut einrichten können. Aber es bricht immer wieder auf noch bevor es richtig dazu kommt. Auch die anderen und die paar Dinge, an denen wir vorbeikommen, sind Weg. Stoff für unendliche Variationen und Geschichten. Manche träumen noch in der Schwebelage. Manche zelebrieren das Schweben im Kleinen, zelebrieren es wenigstens, da es ja nicht gelingt.

Was liegt da voraus und wie ist es da? Das eine wurde schon gesagt. Voraus liegen Veränderlichkeit und Vergänglichkeit. Alles und jedes, jeder Weg also, das wurde ebenfalls schon gesagt, ist Konkretisierung dieses Vorausliegenden. Die Rede war auch, vorläufig, von Verwirklichung und Verkörperung. Am wenigsten mit hinderlichen Vorstellungen beladen ist der Begriff der Konkretisierung. Veränderung und Vergänglichkeit als Möglichkeit, die sich in den Wegen verwirklicht, nähme diesem Vorausliegenden gerade den Stachel. Wenn überhaupt irgendetwas, dann sind Veränderlichkeit und Vergänglichkeit, als Vorausliegende, die unablässige Atrophie von Möglichkeiten. Wege aufgefasst als Verkörperungen brächten das Vorausliegende in die Nähe eines an Gehalten schwangeren Schwebens. Als Atrophie des Möglichen ist dieses Vorausliegende aber gerade auch ein fortgesetztes Verrinnen von Gehalten. Der Begriff der Konkretisierung ist mit beidem vereinbar. Er geht gerade von einem Zerrinnen und Zerfließen aus, das aber nicht nichts ist, sondern für eine Weile durchaus etwas zu sein vermag, nur eben nicht für sich allein. Damit entspricht er dem Insularen der auffangenden Rhythmen, die wir zu verstehen suchen.

Lassen wir es also dabei. Das Vorausliegende der Wege, des Verschwimmenden mithin am Punkte des Aufbrechens der Schwebelage, ist Veränderlichkeit und Vergänglichkeit. Es ist da als Konkretisiertes.

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Unablässig endet etwas. Rundherum geht es weiter. Das Ende aller Wege, von allem, allen und jedem also, ist so. Vorstellungen von einem Ende ohne ein Rundherum, das weiterginge, gehören noch in die Schwebelage. Sie gehören zu den Effekten, die sich an der Innenseite ihrer Grenze im Augenblick ihres Aufbrechens einstellen.

Das umgreifende Schweben feiert dort noch einmal sein Allumgreifen und verschwindet dann. Ist kein Allumgreifen mehr, so hört alles auf zu sein, aber nur als Umgriffenes.

Alles im Sinne eines substantivischen Alles hört auf zu sein. Dieses nämlich, das substantivische Alles, hängt an einem Umgreifenden und verschwindet mit diesem. Indem alles als Umgriffenes verschwindet, bleibt es dennoch. Nur ist es nicht mehr Umgriffenes. Innerhalb der Schwebelage, an dem Punkt, an dem diese noch ist und schon nicht mehr ist, an der Innenseite ihrer Grenze im Augenblick ihres Aufbrechens eben, stell sich dies umgekehrt dar. Innerhalb der Schwebelage ist nichts, das nicht Umgriffenes wäre. Sein heißt dort Umgriffensein. Mit dem Schwinden des Umgreifens wird alles mit einem Schlage zum Nichtumgriffenen und damit zunichte. Dies freilich nur, solange man am verschwindenden Umgreifenden als Konstitutivum des Seienden festhält.

Die Vorstellung eines Endes von allem mit einem Schlage ist Effekt der Bemühung, dieses Festhalten mit der Einsicht zu verbinden, dass geschwunden ist, woran festgehalten werden soll. Sie ist, in diesem Sinne, Nostalgie.

Die schreibt sich fort als sich in sich selber verbeißende Bestürzung. Bestürzt sind wir darüber, dass der Ausflug zu Fuß, der wir sind, ohne Bang enden wird. Nicht in der gleichen Weise, aber ähnlich, bestürzt uns auch der fehlende Bang im Ende der andern und des anderen, an denen und an dem wir vorüberkommen. Es ist uns da bei weitem zu still im Saal. In dieser Stille wiederum lässt sich eine Frage nicht verbergen, auf die wir uns lieber nicht eingelassen hätten. Was ist es wohl, das wir vermissen? Was wäre es denn, das uns unsere Bestürzung nehmen könnte? Auf welchen Bang warten wir? Da wir darüber bestürzt sind, dass es nach unserem Tode ohne uns weitergeht, könnte der uns beruhigende Bang doch wohl nur darin bestehen, dass ohne uns nichts weitergeht, dass mit uns also alles untergeht. Dies aber ist noch bestürzender als das, worüber wir zunächst bestürzt sind. Unsere Bestürzung ist selbstbezüglich geworden. Wir sind bestürzt darüber, von etwas bestürzt zu sein, von dem wir uns nur durch Bestürzendes befreien könnten. Die zweite Bestürzung löst die erste aber keineswegs von selber auf.

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Da hilft nur Alltag. In diesem sind wir von einem bestimmten Lebensalter an darum bemüht, jede Art von Bang zu vermeiden. Ganze Zweige des Finanzgewerbes leben davon. Je nach Sozialordnung gibt es Institutionen die uns dabei unterstützen. So gut es irgend geht suchen wir Vorsorge dafür zu treffen, damit es weitergeht, wenn wir nicht mehr sind. Wir meinen damit alle Angelegenheiten, die ganz oder teilweise auf uns zurückgehen und ohne unser Zutun nicht auskommen, vor allem aber solche, in denen das Wohlergehen anderer von uns abhängt. Zum Alltag gehört auch die Sorge dafür, dass es weitergeht, wenn wir wegen Krankheit oder aus andern Gründen einmal eine Zeitlang nicht so können wie wir wollen. Gelegentlich gehören zum Alltag auch das Gefühl übermäßiger Angebundenheit und der Wunsch, dass es doch einmal für eine Weile ohne uns weiterginge. Wer allerdings in eine Lage gerät, in der alles ohne ihn geht und weitergeht, ist darüber wohl eher bestürzt als erfreut, und dies auch dann, wenn es nicht mit größeren Entbehrungen verbunden ist. Wenn es ohne uns geht, ist uns das, die genannte Einschränkung vorausgesetzt, gelegentlich schon Recht. Geht es dagegen ganz ohne uns, und dies heißt, geht es nicht zumindest eine Spur auch durch uns, so ist das etwas anderes. Hier knüpfen wir an.

Als Weg, oder eben Ausflug zu Fuß, so war gesagt worden, sind wir Mitanfang. Andere, Wege wiederum im hier gemeinten Sinne, sind durch uns. Keiner ist durch uns allein, viele aber wären ohne uns nicht. Weit mehr noch wären ohne uns nicht so wie sie sind. Alle, für die wir Mitanfang sind, sind wiederum Mitanfang für andere. Und so geht es weiter. Wir müssen das nicht weiter ausmalen. Wollten wir es aber weiter ausmalen, so müssten wir konkret werden und von einigem erzählen, das durch uns wurde oder durch uns wurde wie es ist, und dann von anderem, das wiederum durch dieses wurde oder so und so wurde. Nähmen wir uns vor, ins Detail zu gehen, so müssten wir mit dem Augenblick unserer Geburt beginnen, oder noch früher, und dann nacheinander jeden Augenblick unseres Lebens erzählen. In jedem unserer Augenblicke nämlich wurde und wird etwas durch uns oder wurde und wird durch uns etwas anders. Das Reizvolle an so einem Projekt wäre, dass wir darin so wie wir uns das zunächst vorstellen überhaupt nicht vorkämen. Es kämen nur andere vor, andere und anderes, andere Wege, um es weiterhin zusammenfassend zu sagen, in ihrem Entstehen und Anderswerden. Wir wären darin die Leerstelle, ohne die all das nicht wäre wie es ist.

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Sind wir also etwa der Unterschied, den wir machen? Um ein Besser oder Schlechter geht es dabei zunächst nicht. Das Englische making a difference ist in diesem Punkte elliptisch. Irgendeinen Unterschied machen wir auf jeden Fall, und dies unablässig. Wollten wir uns verstehen oder beschreiben, so müssten wir diesen verstehen oder beschreiben. Im Detail.

Statt von dem Unterschied zu reden, den wir machen, und den jedes macht, könnten wir auch von Konkretisierung reden. Als Mitanfang konkretisieren wir anderes. Da nichts durch uns allein ist, konkretisieren wir Vorausliegendes. Dieses ist jeweils Veränderliches und Vergängliches. Es ist bereits so und so, wird aber durch uns und anderes anders. Nur als Vorausliegendes betrachtet nennen wir es Veränderlichkeit und Vergänglichkeit.

Genau genommen können wir es so allerdings nicht betrachten. Wir unterstellen damit einen Standpunkt außerhalb. Das Vorausliegende hat für uns aber kein Außen. Wir sind nur innen. Vorausliegend ist deshalb immer nur Veränderliches und Vergängliches. Veränderlichkeit und Vergänglichkeit meint die Grenze, an der wir uns verlieren, wenn wir dieses Vorausliegende im Ganzen zu denken suchen. Veränderliches und Vergängliches so und so kommt jeweils von dieser Grenze her. Es ist konkretisierte Veränderlichkeit und Vergänglichkeit.

Konkretisiertes ist bestimmt durch anderes. Umgekehrt ist jede Konkretisiertheit selber bestimmend für die Konkretisiertheit von anderem. Jedes ist durch anderes konkretisiert und anderes konkretisierend. Der Ausdruck Konkretisierung sucht beides in einem zu denken. Jedes ist Konkretisierung von Veränderlichkeit und Vergänglichkeit, indem es an der Konkretisierung von anderem beteiligt ist. Konkretisierung von Veränderlichkeit und Vergänglichkeit ist es aber auch, indem es durch anderes konkretisiert wurde.

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Die Rede war von unterschiedlichen Rhythmen des Auffangens. Offenbar haben wir die nötig. Wenn wir etwas nötig haben, können wir um Hilfe rufen. Der Rhythmus, der auf dem Warten auf ein Echo basiert, macht dies zum Modell. Oft genug bleibt das Echo freilich aus. Immense Apparate aus Bildern, Worten, Begriffen und anderem wurden konstruiert, um damit Mauern zu bauen, die ein verlässliches Echo garantieren. Der andere Rhythmus ist eher für Fußgänger. Das Bemühen um ein Auffangen besteht hier darin, vor allem darauf zu achten, woran wir auf unserem Ausflug zu Fuß vorüberkommen. Das Verschwimmen verliert sich dann. Es sei denn, ein irrlaufendes Echo von einer der vielen Mauern, die allenthalben – verfallen oft, aber noch massiv genug – herumstehen, käme dazwischen. Zu rechnen ist mit Irrläufern immer.