Immer so weiter
geht es ohnehin nicht. Früher oder später nicht einmal mehr
anders. Dies, so war gesagt worden, beunruhige (vgl. Verf,
Dazwischen, IABLIS
2004). Die Notwendigkeit, die hier weniger im Spiel ist als
mit uns spielt, blieb rätselhaft. Wir sind beunruhigt, müssen es
aber nicht sein und erschrecken dann doch darüber, wenn wir es
nicht sind.
Ein beunruhigtes Weitergehen ist eines in ein Verschwimmen hinein.
Mehr oder weniger wussten wir immer schon, dass sich alles
verändert und vergeht. Das kam aber später. Die Dinge und wir
selber waren dies und das, so und so, und dann auch noch
veränderlich und vergänglich. Nun ist alles Veränderliches und
Vergängliches und danach erst dies und das und so und so.
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit als Immergleiches überschatten
Unterschiede und Konturen. Diese sind zu einem Nachgeordneten
geworden und verblassen. Damit verblasst auch der Unterschied, den
es macht, ob wir dies tun oder das, ob wir überhaupt etwas tun oder
vielmehr nichts.
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit sind zuerst substantivisch
überhaupt nicht da. Erlebt und erfahren wird, dass Dinge sich
verändern. Etwas ist da, es ist so und so, es verändert sich,
irgendwann einmal vergeht es. Veränderlichkeit und Vergänglichkeit
sind adjektivisch da, als Attribute, die sich in eine Reihe mit
anderen stellen. Geleugnet wird nicht, dass man sie, anders als
alle anderen, in jede Attributreihe einfügen könnte. Diese
Möglichkeit ist aber nicht präsent als Prinzip. Sofern der
Zusammenhang, in dem eine Sache besprochen wird, dies erfordert,
fügt man die Attribute der Veränderlichkeit und Vergänglichkeit
hinzu, ohne davon ein besonderes Aufheben zu machen. Man fügt sie
hinzu, um einer bestimmten Wahrnehmung oder Erfahrung gerecht zu
werden. Man fügt sie gerade nicht als Attribute hinzu, von denen
man schon weiß, bevor man mit der Sache eine Erfahrung gemacht hat.
So sind sie, diese Attribute, immer wieder anders, nicht Varianten
eines Prinzipiellen.
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit, so in den Blick gerückt, sind
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit so und so. Sie verweisen nicht
über die besondere Sache hinaus. Zwischen den Sachen und damit am
Fortschauen, Fortdenken, Fortgehen von einer zur andern, kommen
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit nicht vor. Der Horizont ist in
jede Richtung offen.
*
Bei dieser Schwebelage bleibt es nicht. Schon die Tatsache, dass
wir müde werden, drängt über sie hinaus. Es geht zwischen den
Dingen nur weiter bis wir einschlafen oder anderweitig nicht mehr
können. Auch bleibt uns, wenn wir von einer Sache zu einer andern
fortgehen, das gleichzeitige Fortgehen zu einer dritten verwehrt.
Zu ihr könnten wir danach fortgehen. Es mag aber sein, dass sie
dann nicht mehr da ist oder nicht mehr so, wie sie vorher war. Der
Horizont ist doch nicht in jede Richtung offen. Zwischen den Sachen
sind wir selber, aber nicht wie ein Schweben, das alle umgreift
oder umgreifen könnte, sondern eher wie ein Weg, der irgendwo
beginnt, einiges berührt, umgreift, zurücklässt, und irgendwo
endet.
Wir sind ein Weg.
Das heißt nicht, wir seien auf dem Weg oder unterwegs. Das mögen
wir auch sein, aber darauf kommt es hier nicht an. Vor allem sind
wir jeweils
ein Weg und
nicht zwei oder mehr. Da wir jeweils
dieser sind, können wir kein anderer
sein. Die Frage, ob wir jeweils ein anderer hätten sein können,
gehört ebenfalls nicht hierher. Immer sind wir dieser eine Weg, der
wir eben geworden sind. Wären wir ein anderer, so wären wir eben
der nicht.
Der wäre dann nicht.
Dies gilt entsprechend für alles und jedes. Für die anderen und die
Sachen sind wir diejenigen und dasjenige, zwischen dem sie sind.
Auch sie sind jeweils ein so und so bestimmter Weg mit einem Anfang
und einem Ende. Die Wege, die einige von ihnen sind, und der Weg,
der wir sind, berühren sich, kreuzen sich, verschmelzen für eine
Weile, lösen sich wieder voneinander. Jeder Weg ist auf
unterschiedliche Weise Anfang oder Mitanfang von anderen, in weit
größerem Maße noch Anfang oder Mitanfang der besonderen
Verfasstheit von anderen. Das Ende von keinem ist das Ende von
allen. Zum Ende von jedem gehört, dass es rundherum
weitergeht.
Die Schwebelage wird in dem Maße Erinnerung, in dem die
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit der Dinge aufhört, besonderes
Charakteristikum des einzelnen Dings zu sein und beginnt, auf
andere zu verweisen. Die Veränderlichkeit und Vergänglichkeit des
einen steht damit für die von anderem, schließlich von allem. Der
nach allen Richtungen hin offene Horizont des Schwebens, dessen
Offenheit im Fehlen dieses Verweisens gründete, hat sich
geschlossen.
Aus den verstreuten und in dieser Verstreutheit bezuglosen
Attributen, die gelegentlich als je besondere zu je Besonderem
hinzutraten ohne voneinander zu wissen, ist ein universales
Attribut, genauer noch, ist das universale Attribut schlechthin
geworden. Alles ist, unabhängig davon, was und wie es sonst ist,
veränderlich und vergänglich. Als in diesem Sinne universales
Attribut hat ›Veränderlichkeit und Vergänglichkeit‹ aufgehört,
Attribut zu sein. Sie ist dasjenige geworden, zu dem alle anderen
Attribute hinzutreten. Alles ist Veränderliches und Vergängliches,
das darüber hinaus noch durch weitere Attribute so und so bestimmt
ist. Alles und jedes ist eine je bestimmte Konkretisierung,
Verwirklichung, Verkörperung – die genauere Bestimmung des hier
passenden Begriffs lassen wir zunächst offen – von Veränderlichkeit
und Vergänglichkeit.
*
In der Schwebelage entspricht der verstreuten Präsenz von
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit die Kompaktheit der Dinge und
Unterschiede. Auch in ihr gibt es Veränderungen, Entstehen und
Vergehen. Die Welt der Schwebelage ist nicht starr. Als
Hinzutretendes oder Hinzugetretenes werden Veränderung, Entstehen
und Vergehen hier jedoch immer wieder aufgefangen durch ein ihnen
letztendlich Vorgängiges, zu dem sie früher oder später eben
hinzutreten, um dann erneut von einem Vorgängigen aufgefangen zu
werden. Veränderung und Vergänglichkeit als immer wieder
Aufgefangenes nennen wir
Rhythmus. Die Welt der Schwebelage ist
eine rhythmische Welt, in der am Ende doch alles seinen Gang
geht.
Rhythmen können, wie man weiß, mehr oder weniger weit ausschwingen
und auch wechseln. Eine Feinbeschreibung der Schwebelage müsste
zwischen mehr oder weniger dramatischen Varianten unterscheiden. Am
Ende wird es wohl so sein, dass jeder eine besondere Variante
durchlebt und diese dann als Erinnerung für das steht, was die
Schwebelage als erlebte ist. Gemeinsam ist allen Varianten die
Gewissheit, dass Veränderlichkeit und Vergänglichkeit doch immer
wieder aufgefangen werden, wie weit der Rhythmus des Auffangens
auch ausschwingen oder wie oft er seinen Charakter auch ändern mag.
Solange diese Gewissheit anhält, befinden wir uns in der
Schwebelage.
Wird die Gewissheit fragil, so hat deren Auflösung begonnen.
Besonders dann, wenn die durchlebte Variante der Schwebelage eher
eine dramatische mit einem weit ausschwingenden Rhythmus war, wenn
das Auffangen oft länger ausblieb als erwartet, um dann, wie auch
nicht anders erwartet, doch einzutreten, gibt es allerdings eine
Zone der Unentschiedenheit. Das Auffangen könnte etwa zunächst
immer etwas länger ausbleiben, so dass diese Steigerung des
Ausschwingens als Charakteristikum des vorhandenen Rhythmus gesehen
wird. Bleibt es dann länger aus, als es je ausblieb, und ist die
Steigerung des Ausbleibens überproportional groß, so könnte auch
dies für eine Weile noch auf einen erneuten Rhythmuswechsel
hindeuten. Die Fakten sprechen irgendwann für sich. Immer aber
bleibt es möglich, mit einer Art Doppelstrategie fortzufahren.
Faktisch gilt die Schwebelage als vorüber. Die Möglichkeit aber,
dass es in einer anderen, umgreifenden, das Alltägliche
übersteigenden Zeitdimension dennoch erneut zu einem Auffangen
kommen könnte, wird nicht ausgeschlossen. Vorstellungen, Programme,
Hoffnungsbilder, die in irgendeinem Sinne mit der Gedankenfigur
einer
Wiederkehr arbeiten,
knüpfen hier an.
Gelten Veränderlichkeit und Vergänglichkeit nicht als vorgängig
immer schon aufgefangen, so kehrt am Ende nichts mehr in sich
selber zurück. Rhythmen gibt es auch außerhalb der Schwebelage. Sie
sind aber insular, verstreut, nicht Ausgestaltungen des umgreifend
Rhythmischen schlechthin. Sie sind etwas anderes.
*
Ist das Auffangen das letztinstanzlich Vorgängige, so gibt es in
oder an jedem Unterschiedenen eine Repräsentation des vorgängig
Auffangenden. Durch dieses ist es vorgängig immer schon
festgehalten. Eben daran, an diesem vorgängigen Festgehaltensein in
ihm, halten wir es fest. Freilich können wir das nur, wenn wir es,
das vorgängige Festgehaltensein in einem Unterschiedenen, bereits
zu fassen bekommen haben. Da wir uns aber nur Sorgen um das
Verschwimmen von Unterschieden zu machen haben, die gegeben,
vorhanden, so oder so gefasst sind, können wir dies ohne weitere
Klärung voraussetzen. Der Klärungsbedarf beginnt mit dem
Verschwimmen. Innerhalb der Schwebelage setzt an diesem Punkt der
beschriebene Rhythmus des Auffangens ein. Die Gewissheit, dass es
immer wieder zu einem Auffangen kommen wird, speist sich dabei aus
der Repräsentation des vorgängig Auffangenden, die wir bereits fest
im Griff haben. Jedes sich einstellende Auffangen ist ein
antwortendes Echo, in dem sich die Präsenz des letztinstanzlich
Auffangenden immer und immer wieder zeigt.
Ist dagegen, wie außerhalb der Schwebelage der Fall,
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit das Vorgängige, ist alles und
jedes Konkretisierung, Verkörperung oder auch Ausgestaltung von
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit, so müsste man, wollte man die
gewählte Redeweise beibehalten, in jedem Unterschiedenen eine
Repräsentation eben diese Vorgängigen annehmen, eine Repräsentation
von Veränderlichkeit und Vergänglichkeit also. Oder kann man diese
Redeweise hier überhaupt nicht beibehalten? Es könnte ja sein, dass
nicht jedes Vorgängige, sondern nur das Vorgängige in der
Bestimmtheit eines vorgängigen Auffangens repräsentiert sein kann.
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit müssten dann an oder in dem,
dessen Vorgängiges sie sind, auf andere Weise
da sein.
*
Wiederum beginnen wir mit dem Verschwimmen von Unterschiedenem, das
so und so gegeben, vorhanden oder gefasst war. Da wir am Punkte des
Aufbrechens der Schwebelage außer dieser nichts kennen, nehmen wir
es weiterhin als gegeben an, das Verschwimmende über die
Repräsentation des vorgängigen Auffangens in diesem dennoch im
Griff zu haben. Wir versuchen, auf dieser Grundlage einen Rhythmus
des Auffangens in Gang zu bringen. Das auffangende Echo aber bleibt
aus. Gelegentlich vermeinen wir, eines zu vernehmen, doch es kommt
zu keinem Auffangen. Das Verschwimmen beschleunigt sich. Nun
endlich bemerken wir, dass unsere Hand leer ist. Wir haben uns auf
ein Phantom verlassen, auf eine Erinnerung vielleicht. Dieses
Verschwimmende hatten wir von Anfang an nie im Griff. Die Grundlage
für den Rhythmus des Auffangens, um den wir uns bemühten und nach
wie vor bemühen, war nie gegeben. Je angestrengter wir das Echo des
vorgängigen Auffangens erwarten, desto mehr beschleunigt sich das
Verschwimmen. Endlich geben wir auf. Wenn es für dieses
Verschwimmen einen Rhythmus des Auffangens gibt, dann keinen auf
der Grundlage eines vorgängig Auffangenden.
Worauf sollte er sonst aufruhen? Es wird jedenfalls ein Vorgängiges
sein müssen. Am Punkte der Auflösung der Schwebelage gibt es nur
ein Vorgängiges, eben
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit. Nur darauf könnte ein
Rhythmus des Auffangens aufruhen, der das Verschwimmen hier zum
Stehen bringt.
Der Punkt der Auflösung der Schwebelage ist der Augenblick, in dem
wir unserer, und auch der Dinge sonst, als Weg gewahr werden. Statt
eines Schwebens, das alles umgreift, nach allen Richtungen und
Zeitrichtungen hin, zumindest der Möglichkeit nach, sind wir, auch
der Möglichkeit nach, nur ein Ausflug zu Fuß, von dem wir überdies
nicht mehr zurückkehren.
Das sind wir in jedem Augenblick. Mit der Schwebelage geht auch das
kleine Schweben zu Ende, das man
Verweilen nennt. Dies vielleicht setzt
uns am meisten zu. Mit dem kleinen Schweben wären wir
zurechtgekommen. Die Offenheit der Richtungen und Zeitrichtungen,
das Hin und Her, das Vorwärts und Zurück, vor allem eben das
Zurück, hätten wir auch da gehabt. Auch erscheint uns das
vorherige, unaufgebrochene Schweben im Rückblick ohnehin als sehr
anstrengend. Im Verweilen also hätten wir uns gut einrichten
können. Aber es bricht immer wieder auf noch bevor es richtig dazu
kommt. Auch die anderen und die paar Dinge, an denen wir
vorbeikommen, sind Weg. Stoff für unendliche Variationen und
Geschichten. Manche träumen noch in der Schwebelage. Manche
zelebrieren das Schweben im Kleinen, zelebrieren es wenigstens, da
es ja nicht gelingt.
Was liegt da voraus und wie ist es da? Das eine wurde schon gesagt.
Voraus liegen Veränderlichkeit und Vergänglichkeit. Alles und
jedes, jeder Weg also, das wurde ebenfalls schon gesagt, ist
Konkretisierung dieses Vorausliegenden. Die Rede war auch,
vorläufig, von
Verwirklichung und
Verkörperung. Am wenigsten mit hinderlichen Vorstellungen
beladen ist der Begriff der
Konkretisierung. Veränderung und
Vergänglichkeit als Möglichkeit, die sich in den Wegen
verwirklicht, nähme diesem Vorausliegenden gerade den Stachel. Wenn
überhaupt irgendetwas, dann sind Veränderlichkeit und
Vergänglichkeit, als Vorausliegende, die unablässige Atrophie von
Möglichkeiten. Wege aufgefasst als Verkörperungen brächten das
Vorausliegende in die Nähe eines an Gehalten schwangeren Schwebens.
Als Atrophie des Möglichen ist dieses Vorausliegende aber gerade
auch ein fortgesetztes Verrinnen von Gehalten. Der Begriff der
Konkretisierung ist mit beidem vereinbar. Er geht gerade von einem
Zerrinnen und Zerfließen aus, das aber nicht nichts ist, sondern
für eine Weile durchaus etwas zu sein vermag, nur eben nicht für
sich allein. Damit entspricht er dem Insularen der auffangenden
Rhythmen, die wir zu verstehen suchen.
Lassen wir es also dabei. Das Vorausliegende der Wege, des
Verschwimmenden mithin am Punkte des Aufbrechens der Schwebelage,
ist Veränderlichkeit und Vergänglichkeit. Es ist da als
Konkretisiertes.
*
Unablässig endet etwas. Rundherum geht es weiter. Das Ende aller
Wege, von allem, allen und jedem also, ist so. Vorstellungen von
einem Ende ohne ein Rundherum, das weiterginge, gehören noch in die
Schwebelage. Sie gehören zu den Effekten, die sich an der
Innenseite ihrer Grenze im Augenblick ihres Aufbrechens
einstellen.
Das umgreifende Schweben feiert dort noch einmal sein Allumgreifen
und verschwindet dann. Ist kein Allumgreifen mehr, so hört alles
auf zu sein, aber nur als Umgriffenes.
Alles im Sinne eines substantivischen
Alles hört auf zu sein. Dieses
nämlich, das substantivische
Alles, hängt an einem Umgreifenden und
verschwindet mit diesem. Indem alles als Umgriffenes verschwindet,
bleibt es dennoch. Nur ist es nicht mehr Umgriffenes. Innerhalb der
Schwebelage, an dem Punkt, an dem diese noch ist und schon nicht
mehr ist, an der Innenseite ihrer Grenze im Augenblick ihres
Aufbrechens eben, stell sich dies umgekehrt dar. Innerhalb der
Schwebelage ist nichts, das nicht Umgriffenes wäre. Sein heißt dort
Umgriffensein. Mit dem Schwinden des Umgreifens wird alles mit
einem Schlage zum Nichtumgriffenen und damit zunichte. Dies
freilich nur, solange man am verschwindenden Umgreifenden als
Konstitutivum des Seienden festhält.
Die Vorstellung eines Endes von allem mit einem Schlage ist Effekt
der Bemühung, dieses Festhalten mit der Einsicht zu verbinden, dass
geschwunden ist, woran festgehalten werden soll. Sie ist, in diesem
Sinne, Nostalgie.
Die schreibt sich fort als sich in sich selber verbeißende
Bestürzung. Bestürzt sind wir darüber, dass der Ausflug zu Fuß, der
wir sind, ohne
Bang enden
wird. Nicht in der gleichen Weise, aber ähnlich, bestürzt uns auch
der fehlende
Bang im Ende
der andern und des anderen, an denen und an dem wir vorüberkommen.
Es ist uns da bei weitem zu still im Saal. In dieser Stille
wiederum lässt sich eine Frage nicht verbergen, auf die wir uns
lieber nicht eingelassen hätten. Was ist es wohl, das wir
vermissen? Was wäre es denn, das uns unsere Bestürzung nehmen
könnte? Auf welchen
Bang
warten wir? Da wir darüber bestürzt sind, dass es nach unserem Tode
ohne uns weitergeht, könnte der uns beruhigende
Bang doch wohl nur darin bestehen,
dass ohne uns nichts weitergeht, dass mit uns also alles untergeht.
Dies aber ist noch bestürzender als das, worüber wir zunächst
bestürzt sind. Unsere Bestürzung ist selbstbezüglich geworden. Wir
sind bestürzt darüber, von etwas bestürzt zu sein, von dem wir uns
nur durch Bestürzendes befreien könnten. Die zweite Bestürzung löst
die erste aber keineswegs von selber auf.
*
Da hilft nur Alltag. In diesem sind wir von einem bestimmten
Lebensalter an darum bemüht, jede Art von
Bang zu vermeiden. Ganze Zweige des
Finanzgewerbes leben davon. Je nach Sozialordnung gibt es
Institutionen die uns dabei unterstützen. So gut es irgend geht
suchen wir Vorsorge dafür zu treffen, damit es weitergeht, wenn wir
nicht mehr sind. Wir meinen damit alle Angelegenheiten, die ganz
oder teilweise auf uns zurückgehen und ohne unser Zutun nicht
auskommen, vor allem aber solche, in denen das Wohlergehen anderer
von uns abhängt. Zum Alltag gehört auch die Sorge dafür, dass es
weitergeht, wenn wir wegen Krankheit oder aus andern Gründen einmal
eine Zeitlang nicht so können wie wir wollen. Gelegentlich gehören
zum Alltag auch das Gefühl übermäßiger Angebundenheit und der
Wunsch, dass es doch einmal für eine Weile ohne uns weiterginge.
Wer allerdings in eine Lage gerät, in der alles ohne ihn geht und
weitergeht, ist darüber wohl eher bestürzt als erfreut, und dies
auch dann, wenn es nicht mit größeren Entbehrungen verbunden ist.
Wenn es ohne uns geht, ist uns das, die genannte Einschränkung
vorausgesetzt, gelegentlich schon Recht. Geht es dagegen ganz ohne
uns, und dies heißt, geht es nicht zumindest eine Spur auch durch
uns, so ist das etwas anderes. Hier knüpfen wir an.
Als Weg, oder eben Ausflug zu Fuß, so war gesagt worden, sind wir
Mitanfang. Andere, Wege wiederum im hier gemeinten Sinne, sind
durch uns. Keiner ist durch uns allein, viele aber wären ohne uns
nicht. Weit mehr noch wären ohne uns nicht so wie sie sind. Alle,
für die wir Mitanfang sind, sind wiederum Mitanfang für andere. Und
so geht es weiter. Wir müssen das nicht weiter ausmalen. Wollten
wir es aber weiter ausmalen, so müssten wir konkret werden und von
einigem erzählen, das durch uns wurde oder durch uns wurde wie es
ist, und dann von anderem, das wiederum durch dieses wurde oder so
und so wurde. Nähmen wir uns vor, ins Detail zu gehen, so müssten
wir mit dem Augenblick unserer Geburt beginnen, oder noch früher,
und dann nacheinander jeden Augenblick unseres Lebens erzählen. In
jedem unserer Augenblicke nämlich wurde und wird etwas durch uns
oder wurde und wird durch uns etwas anders. Das Reizvolle an so
einem Projekt wäre, dass wir darin so wie wir uns das zunächst
vorstellen überhaupt nicht vorkämen. Es kämen nur andere vor,
andere und anderes, andere Wege, um es weiterhin zusammenfassend zu
sagen, in ihrem Entstehen und Anderswerden. Wir wären darin die
Leerstelle, ohne die all das nicht wäre wie es ist.
*
Sind wir also etwa der Unterschied, den wir machen? Um ein Besser
oder Schlechter geht es dabei zunächst nicht. Das Englische
making a difference ist in
diesem Punkte elliptisch. Irgendeinen Unterschied machen wir auf
jeden Fall, und dies unablässig. Wollten wir uns verstehen oder
beschreiben, so müssten wir diesen verstehen oder beschreiben. Im
Detail.
Statt von dem Unterschied zu reden, den wir machen, und den jedes
macht, könnten wir auch von Konkretisierung reden. Als Mitanfang
konkretisieren wir anderes. Da nichts durch uns allein ist,
konkretisieren wir Vorausliegendes. Dieses ist jeweils
Veränderliches und Vergängliches. Es ist bereits so und so, wird
aber durch uns und anderes anders. Nur als Vorausliegendes
betrachtet nennen wir es
Veränderlichkeit und
Vergänglichkeit.
Genau genommen können wir es so allerdings nicht betrachten. Wir
unterstellen damit einen Standpunkt außerhalb. Das Vorausliegende
hat für uns aber kein Außen. Wir sind nur innen. Vorausliegend ist
deshalb immer nur Veränderliches und Vergängliches.
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit
meint die Grenze, an der wir uns verlieren, wenn wir dieses
Vorausliegende im Ganzen zu denken suchen. Veränderliches und
Vergängliches so und so kommt jeweils von dieser Grenze her. Es ist
konkretisierte Veränderlichkeit und Vergänglichkeit.
Konkretisiertes ist bestimmt durch anderes. Umgekehrt ist jede
Konkretisiertheit selber bestimmend für die Konkretisiertheit von
anderem. Jedes ist durch anderes konkretisiert und anderes
konkretisierend. Der Ausdruck
Konkretisierung sucht beides in einem
zu denken. Jedes ist Konkretisierung von Veränderlichkeit und
Vergänglichkeit, indem es an der Konkretisierung von anderem
beteiligt ist. Konkretisierung von Veränderlichkeit und
Vergänglichkeit ist es aber auch, indem es durch anderes
konkretisiert wurde.
*
Die Rede war von unterschiedlichen Rhythmen des Auffangens.
Offenbar haben wir die nötig. Wenn wir etwas nötig haben, können
wir um Hilfe rufen. Der Rhythmus, der auf dem Warten auf ein Echo
basiert, macht dies zum Modell. Oft genug bleibt das Echo freilich
aus. Immense Apparate aus Bildern, Worten, Begriffen und anderem
wurden konstruiert, um damit Mauern zu bauen, die ein verlässliches
Echo garantieren. Der andere Rhythmus ist eher für Fußgänger. Das
Bemühen um ein Auffangen besteht hier darin, vor allem darauf zu
achten, woran wir auf unserem Ausflug zu Fuß vorüberkommen. Das
Verschwimmen verliert sich dann. Es sei denn, ein irrlaufendes Echo
von einer der vielen Mauern, die allenthalben – verfallen oft, aber
noch massiv genug – herumstehen, käme dazwischen. Zu rechnen ist
mit Irrläufern immer.