Reinhard Düßel
Die Sache mit dem Elterngeld:
Meditationen über das Unheimliche

Falls es denn greifen sollte, dieses Gesetz, und sicher ist dies freilich nicht, recht unwahrscheinlich sogar, eigentlich kaum zu befürchten, was einfach nur bedeutet, dass es ganz so schlimm doch nicht steht, ‒ falls es also greifen sollte, dennoch, so wird das Feuilleton der Zwanziger Jahre Stoff haben für eine Debatte mehr.

Woran sie sich genauer hängen wird, ist nicht abzusehen. Es wird aber dieses Gesetz gegeben haben. Für Paare im passenden Alter und mit sattem Doppeleinkommen wird es hinausgeworfenes Geld gewesen sein, im Jahr 2007 und danach kein Kind gehabt zu haben. Dies ist fast ein Zitat, entnommen der medialen Vorbereitung lange vor der ersten Lesung. Wenn es gegriffen haben sollte, wird eine statistisch signifikante Anzahl von Paaren das Geld nicht hinausgeworfen haben. Es wird eine Generation von dann ungefähr Zwanzigjährigen geben, die ihre Existenz dem finanziellen Anreiz verdanken, den zu setzen sich die große Koalition des Jahres 2005 kurz nach ihrer Gründung eiligst durchgerungen hat.

Wie wird man sie nennen, diese Generation? Ein Nostalgiker mit Interesse für die Geschichte des Automobilbaus könnte auf die Idee kommen, augenzwinkernd von der S-Klasse zu sprechen. Nach Gesprächen mit weniger zum geistvoll Doppeldeutigen geneigten Kollegen könnte davon bleiben, dass man sie, Bedenklichkeiten hin oder her, jedenfalls als subventioniert bezeichnen müsse. Ein paar Bürotüren weiter könnten daraus Elemente eines Diskurses über eine existenziell subventionierte Generation entstehen, ausgesponnen vielleicht zu einem Diskurs über eine Politik der existenziellen Subvention, die man – damals, um die Jahrtausendwende herum – einer Politik der bloßen Subvention entgegengestellt habe. Existenziell, so könnte man präzisieren, seien Subventionen, die etwas zur Existenz brächten, bloße Subventionen dagegen solche, die Existierendem, das schwächle, die Weiterexistenz oder ein qualitativ verbessertes Existieren ermöglichten. Zum Zwecke der einfacheren Verständigung könnte man sich schließlich darauf einigen, die besagte Generation kurz als Generation S zu bezeichnen und es fortan dabei belassen.

Elterngeld bekommen, wie man weiß, nicht nur Paare mit sattem Doppeleinkommen. Auch Paare mit durchschnittlichen oder mageren Einkommen bekommen etwas. Nicht einmal Familien, deren Einkommen sich in der Nähe der Armutsgrenze oder jenseits dieser Grenze bewegen, gehen leer aus. Wer weniger verdient, bekommt freilich weniger. Wer weniger verdient, benötigt zur Fortpflanzung vom Staate keinerlei Anreiz. Das sagen die Statistiken. Und das ist es ja, woran sich der Gesetzgeber abmüht: Sozialrealpolitik.

Auch in der Gesetzgebung zeigt sich Genie darin, den Schein, hier den sozialer Taktlosigkeit und Verquertheit, zu durchdringen und geradeaus zum Sein sachlicher Notwendigkeiten fortzuschreiten.

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Das Szenario wird das einer von Anfang an in Parallelwelten lebenden Gesamtgeneration sein. Wie der Stern allein, anderswo, nicht die S-Klasse ausmacht, so das Elterngeld allein nicht die Generation S. Es muss Anreiz zur Fortpflanzung gewesen sein, zumindest darf es nur und ausschließlich so gerechtfertigt gewesen sein. Nur wer sagen kann, die Berliner Republik habe es sich etwas kosten lassen, die Eltern zur Fortpflanzung zu bewegen, und nicht etwa, um ihnen finanziell unter die Arme zu greifen, denn das hätten sie im Prinzip nicht nötig gehabt, darf sich zur Generation S rechnen. Wer das nicht kann, gehört zu der einen oder anderen Parallelgeneration, etwa zur Generation Hartz IV oder auch, die Kinder von Angehörigen der Bundeswehr könnten sich so nennen, der Generation Afghanistan.

Es wird sich, aber das versteht sich von selbst, um eine digital bestens behauste Generation handeln. Die Bedeutung der verführenden Hand des Familienministeriums für das eigene Vorhandensein wird ihr nicht verborgen bleiben. Wer sollte sie auch verbergen wollen? Falls es gegriffen hat, das Gesetz, und das ist hier ja vorausgesetzt, so wird es etwas geben, auf das man in Wahlkämpfen als familienpolitische Großtat pochen kann. Es wird möglicherweise sogar in aller Munde sein, als Ausdruck des Mutes zum Neuen, beispielsweise, oder was immer im Blick auf aktuelle Umfragewerte gerade passend sein mag.

Ob es da aber alle haben wollen? Um das Jahr 2020 herum, wenn es bei der Generation S zu Pubertieren beginnt, könnte plötzlich die Frage im Raum stehen, was eigentlich gewesen wäre, wenn die große Koalition das Gesetz nicht durch die Instanzen gebracht hätte. Sie könnte überall dort im Raum stehen, ausgesprochen oder auch nicht, wo die Jugendlichen der Generation S mit ihren Eltern, oder auch umgekehrt, reden.

So wie es in aller Munde wäre, als familienpolitische Großtat, wäre das Gesetz selber schon die Antwort. Die Generation S gebe es nur, weil das Gesetz nicht gescheitert sei. Wäre es gescheitert, so gäbe es niemanden, der fragt.

Solange die Generation S bei all dem nur in der dritten Person vorkommt, bleibt es windstill. Um das Jahr 2020 herum wird sie allerdings Ich sagen und sich als das Du, um das es geht, angesprochen fühlen. Wir also wären nicht, so wird sie fragen, wenn die große Koalition uns nicht gewollt hätte? Sind wir also etwa die Kinder der großen Koalition und nicht die unserer Eltern?

Mit welchen Sprachregelungen wird man in den Familien versuchen, damit zurecht zu kommen? Wer wird es fertig bringen, dem Sohn oder der Tochter ins Gesicht zu sagen, ohne finanziellen Anreiz aus Berlin wären er oder sie überhaupt nicht auf der Welt? Bei uns wird man wohl eher sagen, war es anders. Hilfreich sei es schon gewesen, das Elterngeld, man habe sich damit die eine oder andere Freude machen können, oder man habe es, auch das könnte es geben, auf ein Konto eingezahlt und seitdem mehr daraus gemacht, eine gute Grundlage für den Start ins wirkliche Leben, etwa fürs Studium, entscheidend aber sei es nicht gewesen.

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Unwahrscheinlich ist, dass der Mangel an sozialem Takt ohne Folgen bleibt. So könnte es bei denen, die nicht mit einem besonderen finanziellen Anreiz zur Fortpflanzung bedacht werden, zu der ökonomistischen Erleuchtung kommen, auf die so manch ein Prophet zappelig wartet. Spielerisch die quasi-direkte Proportionalität von Einkommenshöhe und staatlicher Bezuschussung erkundend, könnte es dem einen oder anderen wie Schuppen von den Augen fallen. Das also sei das marktgerechte Verhalten des eigenverantwortlichen Bürgers, zu dem allerorten aufgerufen werde! So einfach sei es im Grunde! Als potentiell sich Fortpflanzender befinde man sich in Deutschland in einem Verkäufer-Markt. Um nicht länger gegen die gewünschten Gepflogenheiten zu verstoßen, werde man sich entsprechend verhalten und die Preise ein wenig hochtreiben. Das geschehe, man lerne, indem man die Ware knapp halte.

So etwas könnte sich herumsprechen. Die Geburtenrate bliebe, mit ein wenig Glück, vielleicht so wie sie ist. Nur eben käme weniger Nachwuchs von den so genannten bildungsfernen Schichten und mehr von den anderen.

Die Hoffnungsträger selber, die potentiellen Eltern der Generation S, könnten das Projekt ebenfalls verpatzen. Beginnen könnte es auch hier beim spielerischen Erkunden online. Versunken in die Lockungen des Angebots und damit befasst, die ganz persönliche Strategie zur optimalen Nutzung herauszufinden, könnte jemand eine leise Stimme hören, die immer schon da gewesen ist, nur eben nicht gut zu hören. Angebot sei Angebot, sagt eine geschniegelt kumpanöse Schmeichelstimme im Vordergrund, und wer seine Chancen nicht nutze, den bestrafe das Leben. Also doch, ich habe es gewusst, ich habe mich nicht getäuscht, sagt die leise Stimme dahinter, so also tickst du.

Es wäre nicht schmeichelhaft. Dies auch, weil sie so neu und unbekannt nicht wäre, diese Stimme. Das gibt es ja, dass etwas überall da ist, aber versteckt im Rauschen. Wird es einmal irgendwo wahrgenommen, aus welchem Grund auch immer, so kommt es aus dem Rauschen hervor, und dies auch retrospektiv. So jedenfalls verhält es sich mit dieser Stimme. Sie ist überall da, wo der Markt schreit, dies eben als Hintergrund seines Schreiens. Den produziert das Schreien selber. Die beiden Stimmen sind die zwei Seiten ein- und derselben Stimme. Der Markt schreit, nicht selten auch personalisiert dezent. Als Innenseite oder Rückseite seines Schreiens spricht diese andere Stimme. Ob du wohl wirklich so bist? Greifst du da wirklich zu? Ist es wirklich das, was du willst? Also doch. Na gut. Wir haben mehr.

Nicht immer ist sie triumphierend im Ton. Meistens eher nicht. Es scheint, dass sie nicht selten sogar traurig ist. Einen Popanz wollen wir aus ihr nicht machen. So manches Marktschreien wäre, wie jeder weiß, lieber still.

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Fast ist es so wie nach der oft zitierten Stelle von Augustinus mit der Zeit. Jeder weiß, was sie ist, solange man nicht danach fragt, dann aber nicht mehr. Jeder weiß auch, weshalb man Kinder hat oder will. Geht es aber darum, es darzulegen, so wird es rätselhaft.

An auflistbaren Gründen fehlt es nicht. Bis in die nicht allzu ferne Vergangenheit, und auch heute noch anderswo, musste und muss man sich um solche Auflistungen nicht selber bemühen. Sie waren mehr oder weniger sozial vorgegeben. Man will Kinder, weil man das Alter erreicht hat, in dem auch die Vorfahren Kinder wollten. Auch die Vorstellung, niemanden zu haben, der am eigenen Grab steht und danach Sorge dafür trägt, dass dort, was für ein Dort das auch immer sein mag, bei uns und auch bei allen dort, deren Zukunft wir waren, ab und zu etwas ankommt, ein Wort, ein Gedanke, eine Erinnerung, wäre schwer zu ertragen. Wer es vorzieht, sich nüchterner zu geben, mag auch nur vom eigenen Alter reden und davon, dass es nicht gut sei, dann allein dazustehen.

Das alles, so oder so formuliert, mythisch, religiös, volkswirtschaftlich, betriebswirtschaftlich oder einfach nur vorsorgend pragmatisch, ist es also, und doch auch wieder nicht. Was auch immer man auflistet, es wird dabei nicht bleiben. Kinder habe oder wolle man aus diesen Gründen, den je und je genannten eben, aber, so wird man immer hinzufügen, natürlich nicht nur deshalb. Kein Auflisten ohne diesen Vorbehalt. Dies gilt für jede wie immer auch verlängerte Liste. Zwar mag es immer Gründe geben, die uns noch nicht eingefallen sind. Der Vorbehalt aber verweist nicht auf einen später nachzuliefernden oder im Prinzip immerhin nachlieferbaren Abschluss unserer Liste. Er verweist darauf, dass es uns bei keiner solchen Auflistung so recht wohl in unserer Haut ist. Je subtiler wir unser Gefüge von Gründen ausarbeiten, desto unabweisbarer wird eine Art Spaltung zwischen unserem Gedankenwerk und uns selber. Die Gründe, die wir ausführen, und die Kinder, die wir wollen oder haben, Kinder mit Gesichtern und Namen, gehören unterschiedlichen Welten an, wobei wir das Gefühl haben, es habe damit seine Richtigkeit.

So umhegen wir unsere Liste, einschließlich der Gründe, die wir möglicherweise noch hinzufügen werden, schließlich mit einer Klammer. Am Ende, so mögen wir dann sagen, wollen oder haben wir Kinder, weil sie uns fehlen oder gefehlt haben.

Wie verhält es sich mit diesem Fehlen aber bei Menschen, die keine Kinder wollen oder sich nicht entschließen können, welche zu haben? Vermutlich verhält es sich bei nahezu jedem anders. Es wird nicht sinnvoll sein, hier mit raschen Verallgemeinerungen aufzuwarten. Das Ergebnis wäre erneut eine Spaltung der genannten Art. Wir könnten die Gesichter von Menschen, die keine Kinder wollen, nicht mit unseren Worten zusammenbringen, und wiederum hätten wir das Gefühl, dem sei gut so. Einige Unterscheidungen lassen sich freilich doch formulieren.

Es könnte sein, dass dieses Fehlen, das da ist, wenn keine Kinder da sind, bei den einen da ist und bei den anderen nicht. Es muss also nicht so sein, dass es eigentlich bei allen da ist und seine Abwesenheit eine erklärungsbedürftige Ausnahme. Die Möglichkeit, dass dem nicht so sei, müssen wir offenlassen, dies ausdrücklich und prinzipiell. Täten wir es nicht, so deklarierten wir Menschen, die keine Kinder wollen, zu fehlfunktionierenden Maschinen im Dienste von Dawkins' selbstsüchtigem Gen und alle anderen zu ebenso bediensteten Maschinen, die brummen wie sie sollen. Dies auszuschließen ist eine ethische Frage, keineswegs also eine Frage der Empirie oder empiriebezogener Theoriebildung.

Es könnte auch sein, dass dieses Fehlen nicht so spezifisch ist, wie es zu sein scheint. Zwar wäre es nicht da, wo Kinder sind, doch es wäre auch nicht da, wo anderes ist. Es gab und gibt vielerlei Tätigkeiten und Karrieren, die Ehe- und Kinderlosigkeit fordern oder aus denen beides sich von selber ergibt. Hier sogleich von Ersatz zu reden, wäre vorschnell.

Noch haben wir das genannte Fehlen nicht zureichend genug verstanden. Es könnte sein, dass es mehrere Wege gibt, ihm zu entsprechen. Ein Leben mit Kindern wäre dann der Weg, der den meisten Menschen naheliegt. Es gäbe auch andere. Noch bis in die jüngste Vergangenheit war die Karriere eines Oxford Don mit Familie und Kindern nicht vereinbar. Freilich gibt es in Oxford nicht fern von den Colleges eine wohlbekannte Straße, heute als Wohngegend sehr begehrt, deren Entstehung erkennen lässt, dass nicht bei allen Oxford Dons das eine das andere aufwog. Nach einer anderen Richtung hin geben Wagners Alberich und dessen Verzicht auf Liebe als Preis für die Macht, dies aber aus enttäuschter Liebe, zu denken. Übersichtlich ist hier überhaupt nichts und vermutlich sehr wenig fein säuberlich und dauernd zu unterscheiden. An der Möglichkeit aber, dass jenem Fehlen mehr als nur Eines zu entsprechen vermag, ist festzuhalten.

Schließlich könnte es auch sein, dass jemandem Kinder nicht weniger fehlen als denen, die sich entschließen, Kinder zu haben, dieses Fehlen aber gegen ein anderes abgewogen wird, dem man sich auf keinen Fall auszusetzen gewillt ist, aber gerade durch Kinder ausgesetzt zu sein befürchtet. Man entschließt sich deshalb zunächst einmal eher nicht für Kinder. Aus so einem hinausgeschobenen Entschließen wird faktisch oder auch ausdrücklich der Entschluss, sich lieber dem Fehlen von Kindern auszusetzen als jenem anderen Fehlen, das weniger erträglich zu sein scheint als dieses.

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Man solle wissen, so das Familienministerium bei der Verkündigung des Gesetzentwurfs zum Elterngeld, dass es dem Staat nicht gleichgültig sei, wenn eine Familie sich für Kinder entschließe. Gerade wenn ein Kind komme und damit die Ausgaben stiegen, bräche der Betreuung wegen ein Einkommen weitgehend weg und das Familieneinkommen gehe gravierend zurück. Dem wolle das Gesetz abhelfen.

Anknüpfungspunkt und Strategie könnten deutlicher nicht sein. Das Gesetz macht sich daran, in die Abwägung einzugreifen, von der eben die Rede war. Im Stile von Clausewitz konzentriert es die Mittel auf die Gruppe, deren Fortpflanzungsverhalten die Statistik verdirbt. Da es die so genannten Bildungsnahen mit gehobenem Einkommen sind, klotzt es dort. Eine Verwendung der Mittel zur Verbesserung der Infrastruktur zur Kinderbetreuung hätte nicht diesen Klotzeffekt, wäre weniger Clausewitz, weniger auf einen Durchbruch bei dieser einen Gruppe hin angelegt. Gehobene Einkommen kommen, wenn es ernst wird, mit der Kinderbetreuung ohnehin zurecht. Es geht auch nicht um Bedürfnisse oder irgendein Zurechtkommen. Immerhin hat es auch bisher schon Paare mit gehobenem Einkommen gegeben, die sich für Kinder entschlossen haben und bestens zurechtgekommen sind. Es geht, wie gesagt wurde, um einen Eingriff in die genannte Abwägung, und die hat, so sieht es wohl das Gesetz, mit faktischen Befürchtungen hier und jetzt zu tun, wenn auch weitgehend mit imaginären.

Aber da ist eben diese zweite Stimme. Es wäre auch ohne das gegangen. Ob du dich wohl umschaust? Die Mittel sind knapp. Was man dir mehr gibt, muss man anderen, die es nötig hätten, weniger geben. So ist das eben. Ausgetüftelter hättest du es nicht machen können. So wie du eben bist, haben wir keine Wahl. Da die Statistik von dir und deinesgleichen Kinder will, bleibt uns nur soziale Verquertheit. Wir gratulieren!

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Mit Kindern sieht vieles anders aus, eigentlich alles. Proportionen und Eigenart des Wesentlichen und des Unwesentlichen verschieben sich. Es muss nicht drastisch sein, doch sie verschieben sich. Das eine tritt zurück, das andere mehr hervor, manches gerät in den Schatten, anderes wird erstmals sichtbar, auch die Tonlage der Farben und die Schärfe der Kontraste verändern sich. Um das Fehlen zu beschreiben, das ist, wo keine Kinder sind, kann man hier anknüpfen.

Proportionen und Eigenart des Wesentlichen und des Unwesentlichen, so müsste man genauer sagen, verschieben sich eigentlich immer. Starr blieben sie nur im Kunstlicht geschlossener Räume ohne Tag und Nacht. Die gibt es auch. Das Hineingeraten in solche Räume, oder deren Hereinbrechen, wäre aber noch einmal ein anderes Szenario. Wiederum ein anderes, wichtiger hier, ist das innere Beiseitetreten von diesem Verschieben hinweg. Dieses geht dann weiter, den Beiseitegetretenen aber nichts mehr an. »Was ist wesentlich? Was ist unwesentlich?«, so fragt man dort draußen, oder auch, wie Nietzsche es formuliert, »Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern?« Es ist, in der Sprache Nietzsches, der Aufenthaltsort des letzten Menschen.

Die Erfahrung, dass Proportionen und Eigenart des Wesentlichen und Unwesentlichen nicht starr sind, hat etwas Befreiendes. Jeder geht da hindurch. Hinaus und weiter sucht sich jeder den Weg, der sich eben findet. Wer nicht auf den seitlich hinaus gerät, durchlebt erst einmal seine Geniezeit und versucht es mit dem Gebären von Sternen. Am Chaos, das man nach Nietzsche für dieses Unterfangen noch in sich haben müsse, scheint es nicht zu fehlen. So kommt es denn zu einem beschwingten Herumbasteln am ehedem bedrückend Ehrwürdigen. Ein paar Sternlein kommen dabei meist schon heraus. Auch hüpfen sie, immer wieder an- und herumgeschubst, wohl eine Weile umher. Keiner aber bringt es zum Tanzen.

Freilich sind Sterne, die sich herumschubsen lassen, am Ende heimeliger. Nur strahlen sie eben nicht. Eine Zeitlang lässt sich dem durch allerlei Feuerwerk abhelfen. Ein Strahlen wird aber doch nicht daraus. Darauf aber hatte man hinausgewollt. Bestrebt, zusammen mit dem Heimeligen auch diesem ursprünglichen Hinauswollen gerecht zu werden, konzentriert sich das Basteln mehr und mehr auf die Inszenierung von Feuerwerken. Die werden immer monumentaler, subtiler, in ihrer Art gelegentlich sogar geistreich. Das geht nicht ohne Mühe. Es ist weit mehr als nichts. Das Basteln findet so seine Schwere und innere Berechtigung. Ein Weg wird zurückgelegt. In der anfänglichen Beschwingtheit ist man nicht stecken geblieben. Darauf kann man bestehen. Auch ist, da immer das nächste Feuerwerk ansteht, zum Blinzeln, der vorwiegenden Beschäftigung des letzten Menschen, keine Zeit. Heimeligkeit und inneres Chaos haben zusammengefunden. Bei Bedarf steht der letzte Mensch, der in der Tat etwas anderes ist und von all dem nichts ahnt, als Adressat eines kathartischen Rituals der Verachtung bereit. Daran kann man sich gewöhnen.

Weshalb aber tanzen sie nicht, die erbastelten Sterne? Sollte es am Basteln selber liegen? Heute eher auftrumpfend, bezeichnet dieses den Unterschied zum Ingenieursmäßigen, dem Bauen nach einer Blaupause. Verschieben sich Konturen und Eigenart des Wesentlichen und Unwesentlichen, so ist nichts abzupausen. Die Rede von einer Blaupause dieser Verschiebung, jeder weiß es, klappert. Wahrhaftiger noch ist da die Rede vom spielenden Kind. Die erspart immerhin das Peinliche der Heiserkeit, mit der jedes Brüllen, auch das eines Löwen, zu rechnen hat, wenn es beim Brüllen bleibt. Das spielende Kind aber braucht die Stube, die es vor Spielverderbern, allgemeiner, vor Spielverderbnissen, bewahrt. Der Löwe, der bekanntlich Kamel war, bevor er zu brüllen begann, erweist sich als Nostalgiker des Kamelkindes im Stall, das vom Kameltreiber draußen, der ihm den behaglichen Stall bereitete, noch nichts wusste.

Damit wären wir wieder beim Heimeligen. Die Sterne könnten zum Tanzen gerade benötigen, was die Stube fernhält. Ohne die gibt es aber weder ein Basteln noch ein Spielen. Ginge es hier um die Ausarbeitung von Kategorien, so müssten wir uns nun daran machen, mit einiger Weitläufigkeit die Kategorie der Stube auszuarbeiten. Einiges wenigstens im Umriss.

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Das Spielen des Kindes unterscheidet sich von erratischem Verhalten durch Regelhaftigkeit. Vom Ernst unterscheidet es sich durch die Flüssigkeit der Regeln. In jedem Augenblick kann es in ein anderes Spiel überwechseln oder auch jedes bereits formulierte Spiel verlassen. Ins Erratische gerät es damit nicht. Durch Wiederholung oder Teilwiederholung des transitorisch Erratischen wird daraus die Regel eines möglichen neuen Spiels. Durch Anschlussregeln kann sich dies weiter konturieren. Das Spielen kann aber auch sogleich zu anderen Möglichkeiten fortfließen, so dass neue Spiele immer wieder nur aufscheinen. Irgendwann konturiert sich dann doch ein neues Spiel oder das Fließen mündet für einige Zeit wieder in ein bestehendes und vertrautes Spiel ein.

Möglich bleibt all dies nur, es wurde schon gesagt, solange sich nichts spielverderberisch einmischt. Garantiert wäre dies nur, wenn es überhaupt kein Draußen gäbe, das sich einmischen könnte. Sorglos spielen in diesem Sinne könnte nur das Universum im Ganzen, sofern es denn ein spielendes Kind wäre. Nietzsches Metapher bezieht sich wohl auch, anknüpfend an Heraklit, eben darauf.

Die Erfahrung, dass Proportionen und Eigenart des Wesentlichen und des Unwesentlichen nicht fix seien, kann man auch als Berührung mit dem Punkt beschreiben, in dem Wesentliches und Unwesentliches sich verzweigen. Die Berührung findet von innen, von der Seite des Verzweigtseins und Verzweigens her statt. Solange sie sich auf dieser Seite hält, wird erfahren, dass Wesentliches und Unwesentliches sich nicht so verzweigen müssen wie sie sich verzweigt haben und verzweigen. Erfahren wird die Möglichkeit des Fortfließens zu immer neuen Möglichkeiten des sich Verzweigens. In der Flüssigkeit der Regeln, nach denen das Kind spielt, findet diese Erfahrung ihre Entsprechung. Jedes Spiel entspricht einer bestimmten Verzweigung des Wesentlichen und des Unwesentlichen. Jedes Fließen von einem Spiel ins andere dem Fortfließen von einer Verzweigung in eine andere.

Der Punkt der Verzweigung ist aber gedoppelt. Es gibt auch die abgewandte Seite, auf der Wesentliches und Unwesentliches nicht verzweigt und unterschieden sind. Von dort kommt das Verzweigen her, zwar nicht als so und so verfasstes, wohl aber in seinem Genötigtsein zur Verzweigung und zur fortgesetzten Revision seiner Verfasstheit. Alles ist dort wesentlich und alles ist unwesentlich. Es ist die Region des Unvertrauten, die durch Verzweigung des Wesentlichen und Unwesentlichen erst vertraut gemacht werden muss. Wird der Punkt nach dieser Seite hin transparent, und damit auch von ihr her durchlässig, so ist es mit dem Spielen vorbei. Bestehen kann das Spielen mithin nur, solange Transparenz und Durchlässigkeit abgeblockt bleiben, eben in der Stube.

Genauer gedacht, ist der Punkt der Verzweigung des Wesentlichen und des Unwesentlichen der Punkt der Rückkehr von seiner abgewandten Seite her ins Innere. Spielverderberisches ist für ihn konstitutiv. Verzweigungen, die von der abgewandten Seite her oder auf diese hin vorgenommen werden, haben Konsequenzen, die sich immer nur ein Stückweit übersehen lassen. Kaum je auch sind alle, die sich übersehen lassen, wünschenswert. Was dies für das Unübersehbare bedeutet, mit dem eher früher als später aber doch zu rechnen ist, lässt sich erahnen.

Das Vornehmen von Verzweigungen außerhalb der Stube führt in Verstrickungen, bringt schmutzige Hände, macht schuldig. Spielen ist Handeln geworden. Möglich bleibt es als Spielen nur im Abgeschirmten, durch ein Handeln, das hier und da Stuben erbaut.

Die Metaphorik der tanzenden Sterne wäre im Bereich des Handelns wenig angebracht. Wenn sich aber für eine Weile einmal Verstrickungen lösen und das Absehbare sich nicht oder nur wenig stößt, entspricht das vielleicht einem tanzenden Stern.

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In der Unvermeidbarkeit von Verstrickungen erfahren wir unsere Endlichkeit. Unendlichkeitserfahrungen gehören zur Spiel- und Bastelstube. Dort auch gedeihen, je nach Verfasstheit der Stube, Unendlichkeitsphantasien und Unendlichkeitsprojekte aller Art. Handelnd dagegen kommt es darauf an, Weisen des Umgangs mit unserer Endlichkeit zu finden oder zu erfinden.

Da wir alle, so oder so, von irgendeiner Stube her ins Handeln geraten, neigen wir dazu, die Stube immer wieder als Ressource zur Bewältigung dieser Aufgabe zu benutzen. Wir bemühen uns darum, aus dem Spielen etwas zu extrahieren, das kein Spielen mehr sein soll, aus Unendlichkeitsphantasien, beispielsweise, nüchtern Projekthaftes. Wir begeben uns, nicht selten in den Mauern schützender Institutionen, hypothetisch zurück in den Spiel- und Bastelraum, um von dort aus dann doch mit Blaugepaustem aufzuwarten.

Ganz ohne das geht es wohl nicht. Von einiger Bedeutung für die Signatur eines Zeitalters aber ist es, ob solchen Blaupausen und insbesondere den Apparaten gegenüber, die sie produzieren und umsetzen, ein unhinterschreitbares Minimum an Ironie und Distanz gewahrt wird, nach Möglichkeit sogar im Innern derer, die daran beteiligt sind. Hier wenigstens, wenn überhaupt irgendwo, besteht Grund zum Optimismus. Aus der Erfahrung des Handelns selber nämlich, und es gibt wohl kaum eine Erfahrung, die man als universaler ansehen könnte, ergibt sich eine nicht zu überbrückende Ironie allem gegenüber, das an Unendlichkeitsphantasien anknüpft. Ironisch, als Orientierung, Bild, Symbolik, Festausstattung, bleibt es wohl zugelassen, drängt es sich aber als Leitung und Sinngebung des Lebens auf, so wie es täglich gelebt wird, und anders wird das Leben ja eben nicht gelebt, so steht immer die Gewissheit entgegen, ganz so ernst könne das alles wohl doch nicht gemeint sein.

Wurzel dieser Ironie ist die Interpretation oder gegebenenfalls auch Reinterpretation der Frage nach dem Umgang mit unserer Endlichkeit, die sich aus der Erfahrung des Handelns ergibt. Die nämlich erweist jedes Verständnis dieser Frage, das Vorstellungen des Übersteigens und Überwindens variiert, als stubengebunden. Nicht um ein Übersteigen oder Überwinden unserer Endlichkeit kann es gehen, so die Erfahrung des Handelns, sondern darum, auf Augenhöhe mit ihr zu gelangen.

Damit sind wir, worauf wir hinauswollten. Die Rede war von einem Fehlen und davon, dass es noch nicht so recht verstanden sei. Die Erfahrung des Handelns, davon gehen wir nun aus, ist eine universale und alle anderen gleichsam immer wieder unterlaufende Erfahrung. Wir erfahren darin unsere Endlichkeit. Damit müssen wir umgehen. Hieraus ergibt sich ein Fehlen, dem wir durch die Suche nach Formen des Umgangs mit unserer Endlichkeit zu entsprechen suchen. Aus der Erfahrung des Handelns ergibt sich auch das genannte Verständnis dessen, was eine Form des Umgangs mit unserer Endlichkeit sein kann und was sie nicht sein kann. Auch dieses Verständnis schlägt, in kritischer oder ironischer Distanznahme zu Projekten, die damit nicht vereinbar sind, immer wieder durch. Positiv gewendet, jenseits all dieser Distanznahmen, versuchen wir dem Fehlen, um das es hier geht, zu entsprechen, indem wir nach Formen suchen, die es uns erlauben, mit unserer Endlichkeit auf Augenhöhe zu gelangen.

Diese Suche ist weitgehend eine des gelebten Alltags. Auch ist festzuhalten, dass es diese Suche gab und gibt, seit Menschen die Erfahrung des Handelns machen. Das Bemühen, mit der erfahrenen Endlichkeit auf Augenhöhe zu gelangen, wird mithin nicht etwas sein können, das nur in Ausnahmefällen gelang und gelingt. So etwas wie ein elementares Gelingen wird man eher als Regel denn als Ausnahme betrachten müssen.

Worauf wir hinauswollten, ergibt sich damit von selbst. Zu den Erfahrungen unserer Endlichkeit gehört jedenfalls das Gewahrwerden der Tatsache, dass wir uns nicht selber auf die Welt gebracht haben. Das Fehlen, welches da ist, wo keine Kinder sind, und nicht mehr da, wenn Kinder da sind, bezieht sich auf diese Facette unserer Endlichkeit.

Das heißt nicht, dass es ohne dieses Fehlen überhaupt kein Fehlen mehr gäbe. Auch befinden wir uns ohne dieses Fehlen längst nicht gänzlich auf Augenhöhe mit unserer Endlichkeit. Das Fehlen besteht fort. Es ist aber anders geworden. Inmitten des Fehlens gibt es ein Moment der erreichten Augenhöhe, der Fülle.

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Wie aber verhält es sich nun mit der Abwägung, in die einzugreifen das Elterngeld bemüht ist? Was wird abgewogen? Welches andere Fehlen, das Kinder mit sich brächten, könnte sich dem Fehlen entgegenstellen, das nicht mehr ist, wo sie sind?

Die Sozialrealpolitik des Elterngeldes verteidigend, könnte sich der Gesetzgeber selber auf das Unvermeidliche außerhalb der Stube berufen. Sicherlich, könnte er sagen, direkte Proportionalität von Einkommen und Transfereinkommen verstoße gegen das klassische Prinzip der Sozialpolitik, das auf indirekter Proportionalität bestehe. Nur durch direkte Proportionalität aber lasse sich mit den verfügbaren Ressourcen das gewünschte Ziel erreichen.

Nur so also, eben deshalb, weil die Adressaten, an die sich die Maßnahme vorwiegend richte, so seien wie sie eben seien. Ob sie sich darin wohl wiedererkennen?
Natürlich könnte es auch sein, dass die soziale Verquertheit dieser Maßnahme, indem sie sich auf die Zwänge auf der anderen Seite des Verzweigungspunktes beruft, einige Stubenfenster nach dorthin aufstößt. Sind wir denn so? könnten einige fragen. Sind wir denn spielende Kinder?

Was sich daraus am Ende ergäbe und wie die Statistik der Geburten aussähe, bliebe abzuwarten. Das Feuilleton der Zwanziger Jahre könnte auf die Debatte um die Generation S verzichten müssen. Vielleicht gäbe es an ihrer Stelle, oder zusammen mit ihr, eine andere. Sie könnte Respekt-Debatte heißen.