Vorwort

Die Unruhe, die der prognostizierte Bevölkerungsrückgang – dem die Schrumpfung der ›wirtschaftlich aktiven Bevölkerungsteile‹ nur vorausgeht, da bekanntlich auf das Alter der Tod zu folgen pflegt – in einer Reihe entwickelter Länder hervorruft, ist keine heilsame Unruhe und wird es nicht sein. Das liegt zum einen daran, dass keine Heilmittel außerhalb des staatlichen Interventionismus in Sicht sind, der sich auf diesem Feld auch dann von selbst verböte, wenn das herrschende ökonomische Dogma ihn nicht ohnehin verteufelte. Zum anderen liegt es daran, dass sie wie geschaffen wirkt, jene öffentliche Zone zwischen informierter Panikbereitschaft und routinierter Begütigung aufleuchten zu lassen, die im Ruf steht, den traditionellen Glauben an die Vorsehung durch Kompetenz ersetzt zu haben. ›Schrumpfende‹ und ›alternde‹ Gesellschaften sind ein Gegenstand der Neugier, solange sie im Kommen sind. Doch diese Neugier hängt zu sehr mit den Prioritäten und Sekundaritäten der Lebensplanung und -führung, mit der Tag- und Nachtseite der eigenen Existenz zusammen, als dass sie den freien analytischen Blick erleichterte. Pro-domo-Reden, schlecht getarnte Weinerlichkeit, trotzige Rechtfertigungen von Lebensentscheidungen, die zum Teil Jahrzehnte zurückliegen, begleiten einen Alarm, der von den Rentenversicherungsträgern als den individuellen Zukunftsgaranten ausgelöst wurde und der sich nicht mehr abstellen lässt. Wer will im Ernst Arbeitsplätze schaffen, die schon bald niemand besetzen wird? Eine merkwürdige Frage, nicht nur für Ökonomen. Ob es gelingt, die Kinderzahl bei Akademikerinnen zu steigern, scheint, damit verglichen, eine eher akademische Frage zu sein. Anreize schaffen ist eine schöne Tätigkeit für Subventionspolitiker, bei schrumpfender oder anders interessierter Klientel – in diesem Fall der betuchteren Glieder der Gesellschaft – schwindet das Interesse auch wieder. Was länger zu bleiben scheint, ist die Frage nach der Potenz von Gesellschaften, denen die Nachhaltigkeit auf einem ihrer wichtigsten Felder zu entgleiten droht. Die deutsche in ihrem bizarren Drang nach Spitzenleistungen aller Art auf Feldern, auf denen ein wenig Normalität nicht das Schlechteste wäre, steht im Kreise der Nachbarn zusätzlich auf dem Präsentierteller: der radikale Wandel, der ihr, von den Statistikern geweissagt, bevorsteht, hat etwas Unwirkliches, etwas im Wortsinn nicht Vorstellbares. Doch die Zahlen sind unerbittlich, der Weg ins Altenheim ist mit guten Vorsätzen hinreichend gepflastert, um eine Begehung des Geländes durch leidlich unabhängige Gutachter zu rechtfertigen, auch wenn die Folgen- und Kostenabschätzungen noch in vollem Gang sind.

Klimawandel in der Gesellschaft – das bedeutet mehr als die obligate Diskussion über Fruchtbarkeitsraten und Ausländeranteile. Es bedeutet, dass das, was wir bis heute Gesellschaft nennen und von dem wir wissen, dass es sowohl eine historische als auch eine theoretische Ordnungsgröße darstellt, möglicherweise neu durchdacht werden muss. Schon die Frage, ob sich die neuen europäischen Realitäten den liebgewonnenen Begriffen von Gesellschaft fügen, während die ›natürlichen Gemeinschaften‹ diffundieren und eine transnationale EU die Staaten mutieren lässt, führt an Grenzen, die vor wenigen Jahren noch gar nicht wahrnehmbar waren. Die ›Weltgesellschaft‹, daran dürfen sich nicht nur Ökonomen gewöhnen, scheint sich just zu der Zeit in ein theoretisches Nichts aufzulösen, die sie heraufzuführen gedachte.

Mai 2006