Schnipsel»Je
einförmiger die Körperbilder wurden, desto ernster
wurden sie von den Menschen als Hinweis auf die Persönlichkeit
genommen.«
(Richard
Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die
Tyrannei der Intimität, Frankfurt/M. 1983, S. 191)
»Sich
kleiden, um zu handeln, läuft in gewisser Weise darauf hinaus,
nicht zu handeln, sondern das Sein des Tuns ostentativ zu bekunden,
ohne die Widrigkeiten wirklichen Tuns auf sich zu nehmen.«
(Roland Barthes, Rhetorik des Signifikats: Die
Welt der Mode, in: Die Sprache der Mode, Frankfurt/M. 1985, S. 257)
»In
der Geschichte der Kleidung und der Mode spiegeln sich die
Wünsche, die geistigen, politischen und sozialen Ideen einer
Epoche – Mode ist damit zugleich als Kommunikations- und
Identitätsträger charakterisiert.«
(Christine Elise Mani, Jeanne Mammen – Eine
Berlinerin aus Paris, in: Garçonnes à la Mode im
Berlin und Paris der Zwanziger Jahre, hrsg. von Stephanie Bung und
Margarete Zimmermann, Göttingen 2006, S. 36)
»In
beiden Illustrationen sind die Frauen in hochmodischer Kleidung mit
kurzen Haarschnitten oder mit auffälligen Hüten
charakterisiert – sie tragen ihre moderne Haltung gleichsam
durch ihr modisches Auftreten zur Schau. Diese Verbindung von neuen
Lebensidealen und neuer Mode ist durchgängig in den
Zeitschriften zu beobachten...«
(Adelheid Rasche, Der männliche
Blick, in: Garçonnes à la Mode im Berlin und
Paris der Zwanziger Jahre, hrsg. von Stephanie Bung und Margarete
Zimmermann, Göttingen 2006, S. 122)
Der
Spiegel als Denkzeichen»Das
geschäftige Zentrum der Berliner Konfektionsanfertigung befand
sich seit etwa 1880 am Hausvogteiplatz im Zentrum Berlins. An den
Treppenstufen, die von der U-Bahn zum Hausvogteiplatz
hinaufführen, prangte früher Reklame, heute sind
Namen und Daten einiger bis 1939 am Hausvogteiplatz ansässiger
Modefirmen wie Gerson, Manheimer und Hertzog dort eingeschrieben,
Firmen, die entscheidend zum Entstehen der
Berliner Konfektion
und ihrem hohen internationalen Ansehen beitrugen. Dazwischen weisen
Stufen ohne Inschrift auf nicht mehr ermittelbare Namen hin. Das im
Jahr 2000 von dem Künstler Rainer Görß
geschaffene
Denkzeichen Modezentrum
soll mit den Mitteln der Skulptur daran erinnern, dass die Enteignung
und Zerstörung dieser Unternehmen, von denen fast achtzig
Prozent in jüdischem Besitz waren, durch die
Nationalsozialisten 1933 Tod und die Deportierung zahlreicher Menschen
bewirkte sowie das Ende einer florierenden Branche und auch das Ende
von Berlin als Stadt der Mode. Mit der Installation auf dem Platz, dem
sogenannten
Reflexum, assoziiert man die
verspiegelten Wände einer Umkleidekabine. In den sich drei
gegenüberstehenden Spiegeln erblickt man sowohl sich selbst
als auch die umliegenden Gebäude und, an der Basis der
Spiegel, die Inschrift, die Aufschluss über die Geschichte des
Platzes gibt. Der Spiegel als klassisches Medium der Modebranche ist
als Bindeglied zwischen Betrachter und Architektur, zwischen Gegenwart
und Vergangenheit gedacht.«
(Christine Elise Mani, Jeanne Mammen – Eine
Berlinerin aus Paris, in: Garçonnes à la Mode im
Berlin und Paris der Zwanziger Jahre, hrsg. von Stephanie Bung und
Margarete Zimmermann, Göttingen 2006, S. 29f.)
Der
Spiegel als ›klassisches Medium der Modebranche‹
ist in seiner alltäglichen Funktion die Verbindung zwischen
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. ›Die Person, die ich
war, die ich bin und die ich sein könnte.‹ Der
Spiegel in der Umkleidekabine zeigt die durch probeweise angelegte
Kleidung verwandelte Person. ›Die könnte ich
sein.‹ Der Kauf kommt nur zustande, wenn das durch die
Anprobe erzeugte Bild einen positiven Wechsel auf die Zukunft
ausstellt. Wichtig also ist – neben der
ausgeklügelten Beleuchtung in ›guten‹
Geschäften, die auf das setzen, was sie Qualität
nennen, im Gegensatz zu denen, die von vorneherein auf Masse
spekulieren und die ›reine Gier‹ erzeugen
– der Spiegel. Was zeigt er? Eine Wunschperson? Wie und von
wem erzeugt? Ist jeder Kauf der Versuch der Kontaktaufnahme zu tief
verborgenen Wunschvorstellungen von der eigenen Person oder die
Exekution aktueller gesellschaftlicher Bilder?
Problemlagen,
sich in Lebens- und Denkstile verwandelnd»Der
Wechsel der Moden ist Ausdruck dieses raschen Wechsels der
Wertgefühle, den Simmel mit dem der Beleuchtung
vergleicht.«
(Elisabeth
Lenk, Die Ambivalenz der Mode, in: Silvia Bovenschen (Hg.), Die Listen
der Mode, Frankfurt/M. 1986, S. 421)
In
dem 1986 erschienenen, von Silvia Bovenschen herausgegebenen Sammelband
Die Listen der Mode berichtet die Herausgeberin im
Vorwort zweierlei, das mir wichtig erscheint: zum einen, dass
über das Thema Mode immer in Krisenzeiten, also in Zeiten des
Umbruchs oder des grundlegenden Wandels geforscht und geredet werde.
Zum anderen, dass die Beiträge des Bandes sich inhaltlich auf
die Aspekte der Bekleidung beschränken. Sie nennt
dafür zwei Gründe. Der erste ist, dass sich die neuen
auf ältere Texte bezögen, in denen fast
ausschließlich dieser Aspekt beleuchtet werde. Einfaches
Lesen der ausgewählten Texte zeigt, dass nur eine sehr
oberflächliche Betrachtungsweise dieser Begründung
statt geben kann, da die Einbettung in den gesellschaftlichen Kontext
und Analyseergebnisse, die – je nachdem – mehr oder
weniger über den ›eigentlichen‹ Kontext
der Kleidermode hinausweisen, nirgendwo fehlen. Die Wahl der
Auszüge spielt der Behauptung der Herausgeberin in die
Hände. Kaum eine dieser ›Modetheorien‹,
die sich in so manchem Fall als modische Reprisen erweisen, versteht
sich nicht als im- oder explizite Gesellschafts- oder
Zivilisationskritik. Nicht selten gewinnt man den Eindruck, dass es
sich um eine Verschiebung des Schauplatzes handelt. Will
heißen: über Mode kann direkter oder spielerisch,
also ohne ernste Folgen, gesagt werden, was man ansonsten lieber
›unbeleuchtet‹ lässt, um sich nicht in
die Nesseln zu setzen. Es ist eben alles eine Frage der Einkleidung.
Die
zweite Begründung lautet in ihren Worten: »Zudem
wird durch diese Spezifikation die Gefahr einer inflationären
Überdehnung des Mode-Begriffs vermieden, einer
Überdehnung, der jede Veränderung unserer Lebenswelt
zu einem Datum der Mode wird, bis schließlich der Begriff
Mode synonym mit dem der Veränderung selbst ist und jegliche
Aussagekraft verliert.« Angesichts der
›Karriere‹ so manchen Begriffes eine sicher
zutreffende Überlegung. Trotzdem scheint es mir wichtig, hier
anzusetzen. Hat nicht der Wandel selbst sich verändert? Oder
vielleicht besser der Motor des Wandels, seine
›qualitas‹? Verändert in einer Weise,
die es sinnvoll erscheinen lässt, sowohl was Lebensweisen als
auch was Theorien angeht oder den sogenannten Fortschritt von Theorien,
von einem Wandel in Form von wechselnden Moden zu sprechen? Mode also
als das Formprinzip des Wandels, das sich mehr und mehr auf alle
Bereiche ausgedehnt hat. Eine heutzutage sicher als performativ
bezeichnete List der in dem Band aufgeführten Theorien sind
die vielfach anzutreffenden Definitionen der Mode als Synonym
für Veränderung, Wechsel, Wandel oder das Neue in
Permanenz. Ein interessanter Befund im Hinblick auf die
Reformgesellschaft, die ihren Akteuren abverlangt, die
Veränderung in Permanenz zu leben, zu denken und
gutzuheißen, also sie erträglich (tragbar) zu
gestalten. Zuspitzung auf die Gegenwart heißt Wechsel statt
Tradition, das hat schon Simmel herausgearbeitet. In die Sprache der
Medien übersetzt: Design bestimmt das Bewusstsein und die
Gesellschaft dient diesem Bewusstsein als Laufsteg. Will man Sennetts
Analysen in
Verfall und Ende des öffentlichen
Lebens Glauben schenken, handelt es sich dabei um
ein Prinzip, das so neu auch wieder nicht ist, neu sind dann die Worte
und Weisen der Beschreibung.
Eine Gesellschaft,
die sich als in jeder Hinsicht ›mobile‹ versteht,
ist ständig unterwegs an einen Ort, den es heute so noch nicht
gibt, der aber immer schon vorbedacht sein will und mit den Zumutungen
der Vergangenheit zurechtkommen muss, da
›Fortschritt‹ – wie das Wort sagt
– der Schritt von etwas weg zu einem anderen hin ist, ohne
dass es selber eine Auskunft darüber gibt, wie die interne
Balance von Gewinn und Verlust jeweils aussieht.
Vielleicht
wird in einer solchen Gesellschaft die ›Mode‹ mit
all ihren Implikationen zur Konstanz im Wechsel oder anders
ausgedrückt zum Versuch das Unmögliche zu leben. Mode
als alltägliche und lebenstaugliche Verwirklichung der Utopie.
Mode ist nicht zyklisch oder fortschrittsgerichtet, sondern beides.
Eine eigene Form. Selbst mimetisch.
›Modetheorien‹ selbst (im doppelten Sinne)
verdecken ein Problem: das der defizienten Beschreibung von Kultur.
Mode
und ModerneWo liegt der Unterschied,
oder, genauer gefragt, worin liegt das Gemeinsame, das ein
flüchtiger Blick konstatiert? Meine Tochter trägt mit
Inbrunst die aktuelle, der Mode der Siebziger Jahre nachempfundene
Kleidung und wähnt sich im Gegensatz zu mir, die diese
›alten Formen‹ abgelegt hat –, modern.
Ein junger Kollege aus dem Fach verwirft die Arbeiten älterer
Kollegen als Theorien von gestern. Bei seinen neueren Forschungen
bezieht er sich fast ausschließlich auf Arbeiten von Roland
Barthes oder Walter Benjamin – Arbeiten aus einem anderen
›Gestern‹, das sich bei näherem Hinsehen
rasch vervielfacht.
Neue Varianten gewinnen? Neue
Akzente setzen? Auf Erfolgsmodelle setzen? Sich auf Modelle beziehen,
die den Nimbus des Modernen tragen wie eine Nobelmarke?
Mode
als individuelle AneignungMode entspricht
den Aneignungsformen in demokratischen Verhältnissen durch
ihre ambivalente oder paradoxe Verfassung, die Simmel herausgearbeitet
hat. Sie signalisiert die Einordnung in eine Gruppe, das
gewünschte Zugehörigkeitsgefühl und die
Absetzung gegen andere und so den individuellen Faktor.
Die
Übernahme von Moden entspricht auch einem Bedürfnis
des Menschen nach ›Ganzheitlichkeit‹, das die
Ausrichtung am Allgemeinen in einem geschlossenen Wertesystem, sei es
metaphysisch, religiös, politisch, ersetzt. Sie wird unter
bestimmte Begriffe gestellt, die alle Lebens- und Arbeitsbereiche
durchdringen und dabei eklektisch verfahren (können). Entweder
wird ein Prinzip (oder Stoff) als für alle Bereiche relevant
eingeführt und propagiert oder unter einen Begriff werden die
unterschiedlichsten auch aus ganz verschiedenen Kulturen stammenden
Praktiken subsummiert.
Das verändert das
Lebensgefühl und Einstellungen bis hin zur Wahrnehmung von
Farben und Formen. So werden dann nicht mehr nur Produkte verkauft,
sondern Einstellungen und Beurteilung lebensweltlicher
Zusammenhänge über das Lebensgefühl
gesteuert.
Die Klimadebatte als ein neueres
Beispiel. Dabei meine ich nicht ihre sachliche Bedeutung, das
wäre ein anderes Kapitel. Am 4. 3. 2007 schrieb die
Süddeutsche
Zeitung: »In ein paar Jahre wird es in bestimmten
Kreisen schick sein, nicht mehr nach Spanien, Indien oder sonstwohin zu
fahren, sondern an die Ostsee.«
Nimmt man
die Klimawarnungen ernst, dann wäre das eine
vernünftige Handlungsweise. Aber es läuft nicht
einfach über die Vernunft, sondern über das
Lebensgefühl oder besser Lebensdesign, mit dessen Hilfe man
sich, nachdem die Klassengesellschaft offiziell und im
Lebensgefühl abgeschafft ist, innerhalb der Gesellschaft
formiert. Aber auch das ›Ende‹ der Klassen
verdankt sich Denkstilen, denen sich andere entgegenstellen, von denen
der eine eine Zeitlang ›in Mode‹ ist,
während der andere im Schatten weiter existiert und auf seine
Stunde wartet: von der ›Erlebnisgesellschaft‹
à la Schulz zum ›Prekariat‹ als der
neuen Klasse gibt es keinen Fortschritt, wohl aber einen Wechsel des
Theorie- und, in der Folge, Wahrnehmungsdesigns.
Der
wissenschaftliche GangBei
geisteswissenschaftlichen Theorien geht es selten um Falsifizierung,
meistens darum, ›an der Zeit zu sein‹. Das zeigt
sich zum Beispiel, wenn bestimmte Fragen von der neueren Theorie gar
nicht mehr beantwortet werden können oder sowohl Fragen als
auch Antworten ›sinnlos‹ oder unsinnig sind. (Ein
schönes Beispiel bietet die ›lange‹
Dominanz des ›Sprachparadigmas‹ in der
Philosophie und den von ihr beeinflussten Disziplinen.)
Bestimmte
Begriffe darf man in den Geisteswissenschaften (die
Literaturwissenschaft bietet da ausgezeichnete Beispiele) heute nicht
mehr benutzen, wenn man als ›auf der Höhe der
Zeit‹ – will heißen der Forschung
– gelten will. ›Das ist Theorie der 50er, 60er
Jahre undsoweiter.‹
In diesen
Fächern aber gibt es nur sehr bedingt
›Fortschritt‹ wie ihn die Technik bietet, von der
dieser Begriff umstandslos übernommen ist. Das, was hier als
Fortschritt bezeichnet wird, müsste oftmals eher unter dem
Rubrum gewandelter gesellschaftlicher, politischer,
ökonomischer Einstellungen verzeichnet werden, da ein
einheitlicher Maßstab fehlt, an dem Rück- oder
Fortschritt quantitativ und qualitativ gemessen werden
könnten. Es bedeutet oft genug einfach Adaption und Aufgreifen
von Theorien, die durch bestimmte Konstellationen zu leitenden oder
›herrschenden‹ geworden sind. Eine Tatsache, die
sich nicht unbedingt einem sachlichen oder denkerischen Fortschreiten
verdankt. Die Übernahme vollzieht sich in vergleichbarer Weise
wie die Übernahme oder Durchsetzung – ein Wort, das
für Theorien angewandt wird: ›sie hat sich
durchgesetzt‹ – von Moden. Theorien weisen sich
oft dadurch als modern oder ›an der Zeit‹ aus,
dass sie Gesinnungen und Lebenseinstellungen, also Gruppenwerten
entsprechen. Dominiert eine solche Gruppe, dann sind die von ihr
bevorzugten Theorien ›an der Zeit‹. Die '68er
oder allgemeiner die ›links‹ sozialisierten und
infizierten Jahrgänge der Reformära wären da
ein eindrückliches Beispiel. Vom sachlichen Gehalt her sind
die von ihnen propagierten oder adaptierten Theorien, nimmt man sie
genauer unter die Lupe, keineswegs immer ›links‹
im Sinne politischer Einstellungen. Sie gelten als
›links‹, da sie von ›den
Linken‹ positiv aufgenommen wurden. Also ein ebenso
äußerliches Kriterium wie der Versuch, sich durch
das Mitmachen einer Kleidermode eine
›Identität‹ zu geben.
Kurrente
Geschichten,häufig
Misserfolgsgeschichten, die der Entlastung – und sogar
Rechtfertigung – herrschender Auffassungen dienen, da sie den
Misserfolg auf die Schultern einzelner Gruppen oder Menschen legen.
Allgemein Geschichten, die ›reale‹ Praktiken
schildern anstelle programmatischer Normhandlungen. Als
pars
pro toto sind sie politisch unbrauchbar, es sei denn, sie
dienen dazu, eine Trendwende / einen neuen Reformschub zu
unterstützen.
In den kurrenten Geschichten
der massendemokratischen Mediengesellschaft hat die Mode die Stelle der
Propaganda eingenommen – in Form sistierter
›Überzeugungsarbeit‹. Eine
repräsentative Schicht, an der man sich orientieren muss, um
auf der Höhe der Zeit zu sein, Aussicht auf Erfolg zu haben,
dem Fortschritt Genüge zu tun usw., wird gleich mit erzeugt.
Ihre Vertreter erscheinen als Autoritäten aus
›Gründen‹. Dabei ist das Verfahren
zirkulär. Ein Idol wird mit dem üblichen
Medienaufwand aufgebaut. Das enorme Einkommen, das mit dieser erzeugten
Popularität einhergeht, weist die Person als erfolgreich aus.
Damit ist sie eine Autorität für alle, die nach
ähnlichen Zielen unterwegs sind. Lediglich der Umstand der
Herstellung oder Erzeugung wird verschwiegen und allen vorgegaukelt,
wenn man nur entsprechend an sich arbeite, dieselben Einstellungen
habe, sich so verhalte, dieselben Klamotten trage und auf eine
bestimmte Weise auftrete, dann sei es möglich, dasselbe zu
erreichen wie die
happy few. Welche
gesellschaftlichen Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit
das funktioniert?
Die Gesellschaft ist in
ständiger Bewegung begriffen. Während ich diese
Überlegungen anstelle, entnehme ich den Medien (Beispiel:
Deutschland
sucht den Superstar), dass auch das Herstellen, das nicht
mehr zu verheimlichen ist, gar nicht mehr verheimlicht werden soll. Es
wird öffentlich thematisiert und funktionalisiert –
nicht selten im Sinne einer zynischen Vernunft, um den Ausdruck von
Peter Sloterdijk zu verwenden.
Ikonographien,
Sprachregelungen, Festschreibungen sind die logische Folge. Wer sich
ihnen entzieht, ist gesellschaftlich obsolet (reaktionär,
revanchistisch oder einfach nicht auf der Höhe der Zeit.)
FilmBeispiele
dafür, dass die Bewegungen der Mode als Interpretament
für anderes dienen (können), bietet auch der Film. Um
nur eines herauszugreifen: In dem überaus positiv rezipierten
und besprochenen Streifen
Der ewige Gärtner
(2006, nach einem Roman von John le Carré) geht es um ein
Medikament, bei dessen Erprobung in Afrika seitens eines vom Grundsatz
der Gewinnmaximierung angetriebenen Pharmakonzerns Menschen
getötet werden.
Gezeigt wird der Arzt,
der die Formel für das Medikament entwickelt hat. Er scheint
Buße zu tun für diese Verfehlung. Und er hat
offenbar gelernt: Er erzählt dem Ehemann der ermordeten
Protagonistin, einer Menschenrechtsaktivistin, man müsse die
für das Leben notwendigen Dinge den afrikanischen Frauen
anvertrauen, da sie außerhalb des Machtspiels
stünden. Der Europäer mit dem schlechten Gewissen
belehrt den Europäer mit schlechtem Gewissen über Eva
als den reformierten Adam. (Der Film verwendet die biblischen
Konnotationen.) Der Frau, die an dem,
was draußen
vorgeht, nicht beteiligt ist, die erzeugt wurde aus der Rippe
des Mannes, werden aufgrund ihres Verhaltens diesem gegenüber
oder ihrer
von außen
(woher?) kommenden Einschätzung bestimmte edle Eigenschaften
zugeschrieben.
Das provoziert die Frage, wie es
denn damit in einer Gesellschaft aussieht, in der ein wichtiges und
notwendiges Reformziel der Emanzipation der Frauen, ihr
massenhafter Einzug in gesellschaftliche Positionen, erreicht ist. Wie
wirkt sich das Wechselverhältnis der – oft als fatal
empfundenen – Fremd- und Selbstzuschreibungen aus, seit die
Frauen aktiv in das Geschehen eintreten oder eingebunden sind oder,
misstrauischer ausgedrückt, werden? Die Dialektik menschlichen
Handelns gerät auch hier nicht außer Kraft.
Als
Reformfaktor trägt die Frau die Zukunft ›auf ihrer
eigenen Haut‹ und diese damit ›zu
Markte‹. Sie symbolisiert das, was als Anzustrebendes
niemals war, und wird darüber verfügbar.
MachtWir
haben eine Bundeskanzlerin, Angela Merkel, und ihre Ausstaffierung ist
nicht nur bei den Damen Thema. Sie weist sich als Frau der Reformen
auch äußerlich aus – wie wir aus der
Presse erfahren durften, hat sie ihren eigenen Kleiderstil von einer
Berliner Designerin für den Wahlkampf und dann noch einmal
für das Amt ›reformieren‹ lassen. Ich
nehme an, die italienischen Maßanzüge eines Gerhard
Schröder und die Reaktionen auf selbige in den Medien haben
ihre Berater veranlasst, auch hier
›Augenmaß‹ walten zu lassen. Das
Berufskostüm der Kanzlerin wurde an die Gegebenheiten der Zeit
angepasst, ohne allzu modisch oder gar avantgardistisch zu sein.
Außer in Momenten hoher staatlicher Festlichkeit
trägt sie Hosen zu kurzen je nach Anlass farbig gestimmten
Jacken. In diesem Aufzug ist Politik für Inhalte
›offen‹ – und hält sich
bedeckt. Als Ausdruck eines Politikstils wird Kleidung zum pars pro
toto der Politik, man ›trägt‹ bestimmte
Reformen zusammen mit der passenden Kleidung, man
›trägt‹ die Ungewissheit des
Reformkurses und die Unwägbarkeiten der Koalition als
Jäckchen. Und das ist ganz normal.
Erfolg1.
Mode wird gemacht, durchsetzen muss sie sich selbst. Als
›Kreierte‹ erzeugt sie
Realität.
2. Mode stellt die
Parameter von ›Heute‹ auf
›Gestern‹, von ›Wert‹ auf
›Unwert‹. Sie ist eine Interpretation des
Zeitbewusstseins (unter anderen). In-der-Zeit-Sein heißt
Mit-der-Zeit-Gehen.
3. Mode ist immer
›Reform‹. Sie tastet die Formen nicht an, sie
interpretiert sie.
4. Eine revolutionäre
Mode, so sagt man, verändert den Blick. Was bedeutet das? Es
bedeutet, das Niedagewesene zu interpretieren: als etwas, das einem
entfallen
war.
5. Die konservative Mode konserviert den
Blick. Die kleinen Veränderungen sind
Stimuli,
die den Welt-Alltag ›gestalten‹, soll
heißen erträglich machen sollen.
6.
Mode kennt keine ›Entwicklung‹. Was man so nennt,
die Abfolge durchsetzbarer – und durchgesetzter –
Veränderungen, ist jederzeit zurücknehmbar und durch
andere Reihen ersetzbar.
7. Mode kennt keine
Wissensstände, keinen ›Stand der
Technik‹. Sie kokettiert mit ihnen, sie bedient sich ihrer,
sie ignoriert sie nach Belieben. Entscheidend sind die Kosten, doch
hier sind die Margen groß.
8. Auf dem
Höhepunkt des Erfolgs schafft sie sich ab, verwischt ihre
Spuren, denn eine ›durchgesetzte‹, von allen
getragene Mode ist keine Mode mehr.
SplitterBotho
Strauss: Schwangerenrat
»Das
Leben der werdenden Mutter im Kreis werdender Mütter, alle
solidarisch, im gröbsten verständigt, Schwangerenrat
trifft sich dienstags bei Helen, nur der Hausmeister bleibt ein alter
mürrischer Einsiedel. Aufgeklärt, blaß,
gerade das Rauchen aufgegeben, etwas fettiges Haar, Jeans und T-Shirt
und darüber eine folkloristische Strickware, nach immer mehr
Aufklärung dürstend
(›Literatur‹ nennen sie's kurz und umfassend), am
liebsten die permanente Diskussion, um sich vor Glück,
Unglück und anderen Unbegreiflichkeiten zu schützen.
Helens Mann, Jurist, blond, stark gelichtetes Kopfhaar, Kinnbart, ist
im vierten Monat ihrer Schwangerschaft in die SPD eingetreten. Seine
Neigung zu skandinavischen Abholmöbeln hat sich bei der
Einrichtung ihrer Dreieinhalbzimmer-Wohnung durchgesetzt. Gute moderne
Zweierbeziehung. Sie gehen lässig und freundlich miteinander
um, ohne Übertreibungen, ohne Flamme. Das
›sogenannte Irrationale‹ wird mit eben dieser
Floskel angepackt und unter Kontrolle gehalten. Ihre Einstellung zu
Beruf und Pflichten ist, soweit eben möglich, lustbetont.
Vieles macht Spaß. Beim Liebemachen machten sie ein Kind. In
dieser offenen Nische voller Miteinander trägt sie ihr Kind
aus, und die werdenden Mütter des Bezirks tauschen ihre
Erfahrungen und Sorgen, etwas beängstigt jetzt, da sie
gebären sollen, aber ein Wissen von den natürlichsten
Dingen kaum mehr besitzen. Lauter warme solidarische Nester, schon bei
geringster Übereinstimmung, darin die Leute ihr kleines Ganzes
hüten, um dem furchtbaren Ganzen, wie es wirklich ist in der
Welt, etwas entgegensetzen zu können. Und es ist gut so. Denn
für den Einzelnen gibt es ringsum nur den Abgrund (auch den
der aggressiven Selbsttäuschung, daß es anders sei).
Es bleibt gar nichts übrig, als auch noch den albernsten
Schund des Gesellschaftlichen mitzutragen: Vater, Mutter, Tochter
gründen eine Eltern-Kind-Gruppe und vernetzen sich mit Kitas
und Bereichsräten der Selbsthilfe, mit
Eigenbedarfswerkstätten, dem Kneipenplenum und der fahrbaren
Stadtteil-Psychotherapie. Und doch: wie möchte man sich immer
mehr von diesen Menschen der Stunde, den ganz und gar Heutigen,
unterscheiden. Wie wenig könnte es befriedigen, nur und
ausschließlich der Typ von heute zu sein. Die Leidenschaft,
das Leben selbst braucht Rückgriffe (mehr noch als
Antizipationen) und sammelt Kräfte aus Reichen, die vergangen
sind, aus geschichtlichem Gedächtnis. Doch woher nehmen...?
Dazugehörig sein in der Fläche der Vernetzung ist an
die Stelle der zerschnittenen Wurzeln getreten; das Diachrone, der
Vertikalaufbau hängt in der Luft.«
(Botho Strauss: Paare, Passanten
(München-Wien 1981, Neuauflage 2004, S. 20f.))
Elfriede
Jelinek: Dieses Dunkel klärt sich nicht
»Dieser
Aufklärungsunterricht ist fad wie jeder andre Unterricht,
dieses Dunkel klärt sich nicht. Da rinnt nur etwas Gelbes
heraus, schnell, wieder zumachen, bevor das Leben womöglich
noch zubeißt. Der Bursch schiebt sich einen dünnen
goldigen Ring aus dem Kaffeegeschäft auf seinen Finger, so
einen wie den, mit dem man Tiere als Besitz markiert. Aber diese
Wursthauthose ist ziemlich schwer runter- und wieder raufgegangen, das
Plastikzeug klebt wie Leim, es soll ja der Anschein erschaffen werden,
die Frauen wären mit diesen Leichtlauftrikots geboren, so gut
passen sie hinein. Jeder hat ein Recht auf einen Blick, der nichts
verbirgt, sondern, im Gegenteil, alle Vorortzüge dieses
verwaschenen Körpers hervorhebt. Es ist jedoch im Grunde
nichts dahinter, das Fleisch kann definitiv nicht auferstehen, wie
einer angibt, der das jetzt weiß. Dieser Lehrling kann aber
das Geheimnis des Fleisches nicht ertragen und läuft schnell
in den Jeansladen, um es mit seinem eigenen Körper zu
verdecken. So jung ist er nicht mehr, daß er alles glaubt,
was in die Welt mittels Antennen vom Dach gesendet wird. Eine fremde
Macht ist er selber.«
(Elfriede Jelinek, Die Kinder der Toten,
Hamburg 1997, S. 248)