Zur Genese des Sozialen in kulturökonomischen Aushandlungsprozessen
Kulturökonomie – ein kulturwissenschaftliches Forschungsprojekt

1. Einleitung

Zu den frühen Zeugnissen zahlreicher Kulturen gehören Darstellungen ritueller Handlungen, in denen es zumeist um die Beziehung zwischen Menschen und Göttern geht. Häufig handelt es sich um Bestattungs- oder Jagdrituale, die situativ wiederholt und aufgeführt und deren Darstellung jeweils neu ausgeführt werden, um durch Opfergaben Aufmerksamkeit, Schutz und Hilfe der Götter zu erhalten. Die Menschen machen den Göttern symbolische Kommunikationsangebote, indem sie durch das rituelle Opfer die eigene Sphäre transzendieren, deren Grenze öffnen und zum Numinosen überschreiten. Am Anfang symbolisch-kultureller Handlungen und deren Verstetigung zur Kultur steht das durch Gabe und – im Normalfall des gelungenen Rituals in der Sicherheit des Glaubens – erwartete Gegengabe hergestellte Soziale. So generiert rituell gerahmte Reziprozität mit ihrer Struktur einer Tauschhandlung das Soziale und die Kultur.

In diesem Beitrag geht es um die Produktion des Sozialen als Material für kulturwissenschaftlich konstruierte Erinnerungssysteme (Fachgeschichten); den ›Rohstoff‹ dafür bilden z.B. literarische oder künstlerische Weltauslegungsangebote (s.3.1), deren Auslegungsanspruch in einer prinzipiell unabschließbaren Serie kommunikativer Aushandlungs- bzw. Evaluierungsprozesse zwischen den Funktionstypen Angebot (z.B. Autor, Künstler; Mäzen, Sponsor) und Nachfrage (z.B. Verlag /Kritiker/Leser, Museen/Galerien/Sammler, Wissenschaftler, Preisinstitution, Mäzen, Sponsor) legitimiert wird. Literarische Texte und Kunstobjekte wie auch wissenschaftliche Untersuchungen, Kinderspielzeug und Verpackungen – um nur diese Beispiele zu nennen – bilden nicht schon allein aufgrund ihres Vorhandenseins ihre (Gebrauchs-, Wirkungs- oder Funktions-)Geschichte, vielmehr müssen sie dafür durch die dialogische Thematisierung in sozialen Zusammenhängen erst qualifiziert werden. Damit das einzelne Objekt Teil ›seiner‹ Bezugsgeschichte oder -geschichten bzw. Sammlung werden kann, ist seine grundsätzlich geschichtsbildende Möglichkeit jeweils zwischen sämtlichen Interessen der Angebots- und der Nachfragefunktion – Produzenten, Händler, Endverbraucher usw. – situationsbezogen auszuhandeln. Alle beteiligten Akteure bestimmen aufgrund ihrer eigenverantwortlichen Handlungsmacht (agency) durch produktbezogene Kommentare (Empfehlung, Ablehnung) und ›Gebrauchsentscheidungen‹ die memoriale Karriere nicht nur des Auslegungsangebots bzw. Objekts, sondern auch die der beteiligten Personen und Insitutionen. So bietet sich die Aufstellung einer Kosten-Nutzen-Bilanz hinsichtlich der von Pierre Bourdieu unterschiedenen vier Kapitalsorten (finanziell, symbolisch, sozial, kulturell) im Interesse von Angebots- und Nachfragefunktion an.

Daher sind literaturgeschichtlich vor allem jene Texte präsent, die, angefangen mit den Aushandlungen zwischen Autor und Verleger – Verleger steht stellvertretend für alle Publikationsformen außer der Selbstveröffentlichung im Internet – Gegenstand wiederholter Evaluierungsprozesse anlässlich von Entscheidungen über Preisverleihungen, Fördermaßnahmen für Autoren – wie sie von der Schillerstiftung (vgl. Schwabach-Albrecht 2005) vorgenommen werden – oder über Druckkostenzuschüsse gewesen sind (vgl. Dücker 2015, 10f.). So ist das Soziale – als abhängige Variable – Folge des literarischen Weltauslegungsangebots, das, um als Buch, Artikel, Ausstellungsobjekt wirksam werden zu können, auf seine Veröffentlichung angewiesen ist, und – als unabhängige Variable – Bedingung für die qualifizierte Präsenz dieser Objekte im ›literarischen Feld‹ (Pierre Bourdieu) als Bestseller, Referenz für eine Auszeichnung oder Ehrung seines Autors, Gegenstand wissenschaftlicher Studien usw. Ebenso wie Autoren auf Verlage angewiesen sind, sind die Medien und alle literaturbezogenen Institutionen auf den ›Rohstoff‹ literarisches Manuskript / Buch angewiesen. Zu diesem Austauschprozess, der den sozialen Raum eines Auslegungsangebots vergrößert, gehören Anschlusstexte (Kritiken, Gutachten usw.), intertextuelle Bezüge, Adaptionen für andere Medien und Formate wie Illustration, Festival, Wettbewerb, Verfilmung usw. Für diesen umfassend geltenden, fundamentalen und reziprok (s. 3.3) wirksamen sozialen und kommunikativen Zusammenhang von Subjekt (Angebot zugleich Nachfrage) und Sozialbezug (Nachfrage zugleich Angebot) verwende ich den Begriff ›Kulturökonomie‹, der in dieser Funktion ein Handlungsbegriff ist. Darüber hinaus dient er als Bezeichnung eines kulturwissenschaftlichen Forschungskonzepts und wird in dieser Verwendung sowohl deskriptiv (Objektebene) als auch analytisch (Methoden- und Verfahrensebene) gebraucht.

Hier ist auf die literaturgeschichtlich noch offene Entwicklung der allerdings schon vielfach genutzten Möglichkeit hinzuweisen, dass ein Urheber sein Weltauslegungsangebot durch Selbstveröffentlichung im Internet (Blog) bekannt macht. Bei dieser Form können die Anbieter nicht auf die Legitimation durch einen Nachfrager verweisen. Vielmehr sind sie Urheber, Verleger, Kritiker in einer Person, sie markieren allein den Anspruch auf die Gestaltung des Sozialen durch ihren Text. Während historisch die Varianten Selbstverlag oder selbst finanzierte Verlagsveröffentlichung als letzte Möglichkeit einer Publikation, aber ›eigentlich‹ als intendierte Vorstufe – Beweis der Ernsthaftigkeit des literarischen Schreibens – einer ›normalen‹, auf Wechselseitigkeit (Manuskript vs. Honorar) beruhenden Verlagsbindung gilt, kann sich die Internetliteratur nicht nur der beständigen Aufmerksamkeit einer bestimmten Leserklientel erfreuen, sondern auch auf einen intensiveren und häufigeren Austausch zwischen Urhebern und Lesern wie auch zwischen den Lesern verweisen, als er für konventionelle Veröffentlichungsformen festzustellen ist. Dabei sind Veränderungen und Fortsetzungen der Internettexte wie auch deren Löschung aufgrund von kritischen Anmerkungen der ›User‹ möglich. So erscheint die Form ›mobiler Texte‹ als Aushandlungsergebnis vieler im Rahmen eines neuen Literaturbegriffs, der sozialen Literatur, realistisch, wobei dem ›originalen‹ Ausgangstext nur zeitliche Priorität zukommt. Rechtsbestimmungen wie Urheber- und Nachdruckrecht oder die Definition von Plagiat verlangen dann womöglich Neufassungen. Ebenso sind Begriff und Bereitstellung ›verbindlicher‹ Textformen und ihrer (literatur-) geschichtlichen Darstellung neu zu konzeptualisieren. Außerdem sind Folgen der kostenlosen online-Zugänglichkeit einer großen Zahl von Druckerzeugnissen und der zunehmend dominanten Position des Versandhandels für Bibliotheken und Buchhandel als kulturellen Orten für Lesungen und literaturbezogenes direktes Gespräch sowie Verlagswesen zu berücksichtigen. Mehrere Verlage haben zur Kundenbindung mit der Einrichtung von »Verlags-Blogs« reagiert »als Fortsetzung des literarischen Salons mit anderen Mitteln« (Kessler 17.12.2014). Der Autor Stefan Weidner (21.08.2014) ›bekennt sich‹ anders als viele seiner Kollegen (›Brauchen wir Amazon‹? 17.07.2014) als Autor von Amazon und legitimiert sich mit dem Argument, Fortschritt habe sich noch immer durchgesetzt und schaffe dann eben neue Strukturen. Ulrich Raulff, Direktor des Literaturarchivs in Marbach, entwirft folgende Perspektive:
»Die literarische Öffentlichkeit, die Medien, das Literaturpreiswesen und anderes mehr, das ist ja alles weiterhin wirksam und bewirkt nicht nur die Kanonbildung, sondern erschafft auch Autoren und Autorenbilder. Dazu trägt auch das Archiv bei, wenn es einen Autor um seinen Nachlass bittet. Da legen auch wir so weltliche Kriterien wie Erfolg und Präsenz zugrunde. Aber bitte keine Missverständnisse: […] Wir widmen uns auch den Vergessenen, den Verlierern dieses literarischen Darwinismus. Weil wir wissen, dass er fehlbar ist« (Raulff 08.10.2011).

Betrachtet man Etymologie und Bedeutung der Komponenten ›Kultur‹ und ›Ökonomie‹ des Kompositums ›Kulturökonomie‹, so zeigt sich schon, dass kulturelles Handeln weder monologisch ist noch sein kann, sondern die sichtbare, d.h. sozial markierte Öffnung des Akteurs auf ein Referenzobjekt oder die Entgrenzung seiner Subjektivität zum Austausch mit einem Handlungspartner erfordert. Das deutsche Wort Kultur (vgl. Dücker 1998) ist aus lat. ›cultura‹ entlehnt, das in der Bedeutung ›Bearbeitung und Pflege‹ in landwirtschaftlichen Kontexten in Bezug auf Objekte gebraucht wird, deren Zustand und Ertragsbilanz durch entsprechende Eingriffe verbessert werden sollen, wie z.B. Bearbeitung des Ackers, Pflege oder Veredelung der Bäume. Als immer schon zugehörig zu einem vorgängigen kulturellen Kontext (schon funktional gestaltete oder erst für eine bestimmte Funktion markierte Natur) erfordern die agrarischen Gegebenheiten die Eingriffe, werden also selbst quasi zum Akteur. In diesen Zusammenhängen umfasst ›cultura‹ neben den Segmenten Tätigkeit und deren Ergebnis auch die regelmäßige Wiederholung der jeweiligen Praktiken. Schon in antiker Zeit ist die Verbindung ›cultura litterarum‹ (Pflege der Wissenschaft/en) nachweisbar, in der ›cultura‹ auch durch ›cultus‹ ersetzt wird und die als konstitutives Bedeutungssegment das der Gemeinschaft der Wissenschaftler, Philosophen und deren Schüler aufweist. Erst Samuel Pufendorf bildet 1684 ›cultura animi‹ (Geistesbildung) und verwendet schließlich ›cultura‹ ohne Genitivobjekt, um damit das regelorientierte und ordnungskonstitutive Leben in der Gesellschaft zu bezeichnen. Davon unterscheidet er mit ›barbaries‹ und ›status naturalis‹ das Leben außerhalb der Gesellschaft, das aber auch der Soziabilität, d.h. der grundsätzlichen Angewiesenheit des Menschen auf Gemeinschaft unterliegt.

Im vorliegenden Beitrag wird Kultur als Handlungs- und Diskursbegriff verwendet, der sich in einer prinzipiell unbegrenzten Pluralität von Kulturen bzw. des Kulturellen (als Phänomenbereich sozialer Entscheidungs-, Handlungs- und Deutungsmöglichkeiten über die ›Machung‹, Erhaltung und Wertung von Kulturbeständen) ausprägt. Bezeichnet wird damit jeweils ein öffentlicher Wirkungszusammenhang aus 1. subjektiv verbindlichem Weltauslegungsangebot (literarischer Text, Kunstwerk usw.) mit dem Anspruch auf Genese und Gestaltung des Sozialen, 2. aus symbolischem System und materiellen Objekten, 3. aus Möglichkeiten von Anschlusshandlungen und der Aufnahme des dabei hergestellten Ergebnisses in ein zumeist fachspezifisches Erinnerungssystem mit der Möglichkeit der Kanonbildung. Ein Kanon gilt entsprechend als offenes System von Auslegungsangeboten, deren Geltungsanspruch anerkannt und festgestellt ist; kanonische Texte sind in aller Regel von selektiven zugunsten affirmativer Aushandlungsverfahren frei gestellt. Als zentral gehören zur Kultur / zum Kulturellen die Zulassung, das Vorhandensein und die permanente Hervorbringung von Alternativen und Möglichkeiten. Formen von Leitkultur oder verbindlicher nationaler Kultur, die durch die Institution Zensur oder einen als absolut geltenden Wahrheitsbegriff definiert sind, existieren nur im Status historisch begrenzter Definitionen oder kritischer Distanzierung.

Das deutsche Wort Ökonomie hat sein Etymon in gr. ›oikonomia‹, das die an Regeln oder Gesetzen (gr. nomos / nomoi) orientierte, möglichst erfolgreiche Verwaltung des Häuslichen (gr. oikos - Haus), d.h. eines wie auch immer begrenzten Bereichs bezeichnet. ›Oikos‹ bedeutet zumeist nicht »Haus als Gebäude«, sondern »Haushalt« (soziale Struktur) und verfügt daher über das Bedeutungssegment »eine[r] beständig fortdauernde[n] Einheit« sowie eines »durch Generationenfolge unsterbliche[n] Personenverband[s]« (Osborne/Thür 2000, Sp. 1134, 1136). Das Verb ›oikonomein‹ bedeutet neben »Hausverwalter sein, das Hauswesen leiten, allgem. verwalten, einrichten, anordnen« auch »(v[om] Dichter) seinen Stoff ordnen« (Gemoll 2012, 568). So ist auch Ökonomie ein Handlungsbegriff und umfasst wegen des Bedeutungssegments ›erfolgreich, vorteilhaft‹ auch die Bedeutung sparsam, wie in ›ökonomisch handeln‹ oder ›sprachliche Ökonomie‹. Veraltet ist die Verwendung von Ökonomie zur Bezeichnung eines kleinen landwirtschaftlichen Betriebs und Ökonom als dessen Leiter.

Als separate Handlungsbegriffe bezeichnen Kultur und Ökonomie die Genese, Gestaltung und Kontinuitätssicherung sozialer Strukturen und Traditionen, wobei die Dimensionen Neues und Dynamik durch die Dialogizität von dispositioneller Bedürfnisstruktur und Bedürfnisproduktion sowie die selbstreflexive Abwägung hinsichtlich der Art der Bedürfnisbefriedigung grundsätzlich beteiligt sind. Im vorliegenden Zusammenhang zielt der Begriff des Ökonomischen auf das Wie der Bedürfnisbefriedigung, auf die Abwägung von Kosten und Nutzen, wobei die Solidarität mit der je gemeinten Sozialform analog zur – etymologisch begründeten – (ganzen) Hausgemeinschaft die Herstellung von Chancengleichheit, die Erhaltung von Traditionen und Nachhaltigkeit, aber auch die Eröffnung neuer, das Ganze stabilisierender Erfahrungsmöglichkeiten und sozialer Strukturen prioritär sind vor dem Streben nach materiellem Profit.

Obwohl der Begriff Kulturökonomie die Produktion symbolischer Weltauslegungsangebote und ihre Integration in marktrationale Handlungsstrukturen impliziert, also zur wechselseitigen Aufmerksamkeit von literarischem Diskurs und Warencharakter des Buches beitragen kann (vgl. Dücker 2014, 102), wobei »der Warenwert von Kunst und ihr kultureller Wert nicht dasselbe« (Enwezor 12.12.2014) ist, ist Kulturökonomie grundsätzlich vom Begriff Kultur- und Kreativwirtschaft zu unterscheiden. Diesem Bereich werden »zehn Teilbereiche« zugeordnet: »Musik, Literatur, Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Film, Design, Architektur, Kulturelles Erbe, Rundfunk, Werbung, Software/Games« (Opitz 2012, 15). Kultur- und Kreativwirtschaft scheinen wissenschaftlich eher zu den Fächern Betriebs- und Volkswirtschaft zu gehören. »Die Bruttowertschöpfung lag mit knapp 64 Milliarden höher als die der Autoindustrie. Übertroffen wurde der Kultur- und Kreativsektor nur von Maschinenbau und Finanzgewerbe« (Opitz 2012, 15). Im vorliegenden Beitrag werden weder Umsätze, Gewinnmargen, Beschäftigungszahlen, ›Netzwerk- und Clusterbildung‹ (Mossig 2006) in Medienbranchen noch gesetzlich festgelegte Subventionierungen öffentlicher kultureller Einrichtungen (Theater, Museen, Bibliotheken, Archive, Dichterhäuser, Musikschulen, Schwimmbäder) oder einmalige öffentliche Aufwendungen für den Wiederaufbau spektakulärer Einrichtungen wie der Anna-Amalia-Bibliothek (Höhne u.a. 2009) und des Kölner Stadtarchivs prioritär behandelt.

Wenn Peter Bendixen (1998, 10) dekretiert: »Die Wechselwirkungen zwischen Kultur und Wirtschaft sind das Sachgebiet der Kulturökonomie, wie sie hier verstanden wird«, so geht es mir mit dem kulturwissenschaftlichen Konzept Kulturökonomie um die Mittel und Verfahren, mit denen Akteure im literarisch-kulturellen Feld Konsens darüber erzielen, dass ein Weltauslegungsangebot die Möglichkeit erhält, das Soziale bzw. sein Soziales zu generieren und so geschichtsbildend zu wirken. Selbstverständlich gehören dann auch Untersuchungen literarischer Darstellungen von Marktverhältnissen und Wirtschaftsformen, von Handel und Kaufleuten zur Kulturökonomie (vgl. Wegmann 2005, 2002). Daher liegt deren Gegenstandsbereich methodisch vor dem der Kultur- und Kreativwirtschaft. Weil zum Konzept Kulturökonomie mindestens zwei Handlungspositionen oder personale bzw. institutionelle Handlungspartner gehören, die durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage aufeinander bezogen sind, greifen alle jene Begriffe von Kulturökonomie zu kurz, die primär von der Beziehung Wirtschaft – Kultur sprechen, so bedeutsam die finanziellen Bewegungen sein mögen, um die es dabei geht.

In der Forschung wird Kulturökonomie zumeist auf kulturwirtschaftliche Aspekte bezogen. Obwohl Bendixen »das Gewicht des Kulturellen gegenüber dem Geltungsanspruch des Ökonomischen stärker« hervorheben will, wenn er »in der Herausbildung der Kultur des Individualismus« den »Kern [der] Verflechtung der kulturellen und ökonomischen Entwicklungen im historischen Prozeß der Formierung der bürgerlichen Gesellschaft« sieht und feststellt, »daß alle kulturökonomische Praxis (insbesondere Kulturmanagement und Kulturpolitik) letztlich und in ihrem Kern eine Form der (professionellen) Öffentlichkeitsarbeit darstellt« (Bendixen 1998, 12-14), so gilt »der besondere Blickwinkel [seiner] Studie« doch einer eher konventionellen Fragestellung, nämlich »den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Kultur- und Kunstpraxis, insbesondere der Ausstattung kultureller Institutionen mit finanziellen Mitteln« (Bendixen 1998, 244). Mossig (2006, 31) geht von folgender Definition aus: »Kulturökonomie wird über spezifische Produktionsaktivitäten definiert. Es handelt sich dabei um solche Wirtschaftszweige, deren Tätigkeitsschwerpunkt in der Herstellung und Vermarktung kultureller Güter und Dienstleistungen liegt. Dazu zählen neben den so genannten schönen und bildenden Künsten (Theater, Literatur, Malerei, etc.) insbesondere solche Aktivitäten, bei denen die erzeugten Produkte und Dienstleistungen der Entfaltung persönlicher Vorlieben und des eigenen Lebensstils« dienen, weiterhin »individueller Unterhaltung und Information (Medienwirtschaft)« und der ›Imageerzeugung‹ (Werbewirtschaft). Wichtig für Mossigs Ansatz ist die explizite Berücksichtigung der Kreativität und ihre Bindung »individuell an Personen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen« (Mossig 2006, 37), was eine »extrem hohe Flexibilität« (Mossig 2006, 40) innerhalb der medialen Produktion zur Folge hat. Hoffmann (2014, 150) geht in seinem Beitrag zur philosophischen Wirtschaftsethik von »Wirtschaft« als einem »umfassende[n] System menschlicher Kulturtätigkeit [aus], das für die Konstitution wie auch den Bestand moderner Gesellschaften unübersehbar eine zentrale Bedeutung erlangt hat«. Wirtschaftsethik solle zum Verständnis dieser Kulturtätigkeit auch in deren historischen Ausprägungen erkennbar sein (152). Verglichen werden »Motivationen und Ziele im ökonomischen System« mit jenen in anderen gesellschaftlichen Feldern, um »eine Sinnordnung […] immer auch konkurrierender Ansprüche« (152) zu beschreiben. Dass bei diesem Ansatz die Ökonomie vor Bereichen wie Recht, Wissenschaft oder Religion nicht präferiert wird (153), verstehe sich von selbst. Letztlich geht es Hoffmann um die Deutung der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrisen als Symptome einer »Krise des ökonomistischen Horizonts unseres Denkens« (171), eine Einsicht, die sich noch nicht genügend durchgesetzt und an deren Verbreitung die philosophische Wirtschaftsethik zu arbeiten habe.

An dieser Stelle sind zwei methodische Hinweise einzufügen: Erstens ist für das Konzept Kulturökonomie das Phänomen des Ökonomismus als sachlich unangemessen von vornherein ausgeschlossen. So gelten Wirtschaftswachstum, Profitmaximierung, Steigerung des Bruttosozialprodukts nicht als einzige, schon gar nicht prioritäre Merkmale erfolgreichen kulturökonomischen Handelns. Zu berücksichtigen sind vielmehr dessen soziale Folgen wie z.B. die angemessene Repräsentanz einer religiösen, politischen usw. Orientierung im öffentlichen Diskurs, die katalysatorische Wirkung eines Weltauslegungsangebots, stets relational zu einer bestimmten historischen Situation. Zweitens bezeichnet Kulturökonomie einen gleichsam anthropologischen Gestus des Abwägens zwischen materiellen und sozialen Faktoren, wie er sich z.B. in regelmäßig wiederholten Jagd- und Opferritualen indigener Ethnien zeigt, die aufgeführt werden, um den Jagderfolg dispositionell sicherzustellen und den jeweiligen Gott durch Opferkommunikation nachhaltig zu besänftigen, was gleichbedeutend ist mit der Kontinuitätssicherung der bestehenden Ordnung. Ein kulturwirtschaftlicher Ansatz würde einseitig die Kosten der Opfergaben in Relation zum materiellen Ertrag der Jagdstrecke betrachten.

2. Vier Beispiele

2.1. Eva und Adam

Im dritten Kapitel des ersten Buchs Mose (Genesis) wird davon berichtet, dass die Schlange Eva dazu überredet, in einen Apfel vom ›Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen‹ zu beißen, damit sie an diesem Herrschaftswissen teilhabe, obwohl Gott den Genuss der Früchte gerade dieses Baums wegen der zu erwartenden Folgen verboten hatte. Nicht zuletzt weil die Schlange diese Folgen relativiert, beißt Eva in den Apfel und reicht ihn dann Adam, damit auch er davon esse. Obwohl beide in dieser Situation weder Hunger noch besonderen Appetit auf Äpfel haben, essen sie von der Frucht.

Auf der Handlungsebene geht es um den Bruch einer biographischen und sozialen Kontinuität als Markierung und Vollzug eines neuen Anfangs. Eva und Adam verlieren die Lebensform Paradies und beginnen ein Leben als Landwirte und Begründer einer Familiendynastie und gesellschaftlicher Kontinuität. Diese biographische Dynamik, dass beide sich durch die Handlung ›Biss in den Apfel‹ zu programmatischen Figuren machen können und dabei zugleich neue Formen des Sozialen generieren und gestalten, hat strukturelle Kontextbedingungen. In ihrer eingespielten Lebenssituation exponieren sich Eva und Adam, machen sich sichtbar und öffnen sich für Schlange und Gott als Handlungspartner. Mit der durch diese Partner ermöglichten Selbsttranszendierung bzw. -entgrenzung generieren Eva und Adam einen sozialen Raum.

Obwohl durch die Differenzierung zwischen erlaubten und sanktionierten Früchten das Möglichkeitsprinzip als Entscheidung zwischen Alternativen schon im Paradies angelegt ist, wird es erst durch das Angebot der Schlange an Eva zur realen Möglichkeit. Dadurch dass es einen mit einem Verbotsschild versehenen Bereich gibt, ist die Möglichkeit der Bedürfnisproduktion angelegt, der die plötzlich erreichbare Verfügung über bisher Unverfügbares als Bereicherung, Verbesserung oder Ausweitung der bestehenden Lebensform gilt. Dass im Paradies überhaupt das Phänomen Bedürfnisproduktion zu realisieren ist, verweist auf die Gleichursprünglichkeit der beiden Handlungsprinzipien Freiheit zur Machbarkeit des Möglichen – also Haben, sich Vorteile aneignen durch Normübertretung – oder ethisch begrenzte bzw. überhöhte Realisierung dieser Freiheit, also Sein durch Respektierung des Verbots. Die ethische Dimension steckt unvermeidlich in der für jeden Entscheidungsprozess konstitutiven, wie auch immer bloß temporär aufscheinenden Frage ›welche Alternative soll / sollte ich unter Berücksichtigung der sozialen Folgen meiner Entscheidung umsetzen?‹. Erst als Funktion dieser Alternativik entsteht als historische Konstruktion (›wie komme ich / kommt man in die Geschichte?‹) Kultur bzw. das Kulturelle, deren Diagnose umgekehrt das Vorhandensein einer Entscheidungsalternative verlangt. Daher sind Eva und Adam als Verkörperungen der kulturellen ›Ursituation‹ angelegt mit der Handlungsalternative zwischen Normanerkennung und Normübertretung, Statik und Dynamik des Sozialen, sie etablieren das Möglichkeitsprinzip (›alles könnte auch anders sein‹) als Referenzzentrum des Kulturellen. Zugleich zeigen sie: was machbar ist, wird gemacht, auch unter Akzeptanz der sozialen Kosten.

Wenn das Kulturelle als Legitimation des Möglichkeitsprinzips im Paradies zumindest als latente Disposition angelegt ist, kann es weder die Idee des Absoluten, des Einen, noch die der daraus zweifelsfrei und ein für alle Mal zu begründenden idealen Ordnung geben. Ordnung erweist sich vielmehr als je historische Konstruktion einer Aushandlung zwischen Alternativen. Indem die Schlange die Folgen oder Kosten des Normbruchs herunter spielt, relativiert sie die ethische Richtlinie zugunsten eines prospektiven persönlichen Nutzens. Letztlich konstituieren Kosten und Nutzen den Gegenstand der Entscheidung als ihre Schnittmenge, sie stehen im Verhältnis komplementärer Opposition, d.h. zwischen Kultur und Ökonomie besteht kein Dualismus, sondern genetische Zusammengehörigkeit, jeder Bereich ist integraler Bestandteil des anderen.

Mit dem Biss in den Apfel führen Eva und Adam eine symbolische Handlung aus, erfinden das Phänomen Symbolizität und machen sich zu Kulturbringern. Denn die Funktion dieser Handlung besteht darin, in der gegebenen Situation ›Hier und Jetzt‹ etwas Abwesendes präsent zu machen, das ›Dort und Dann‹ wirksam sein wird, nämlich Kultur und soziale Ordnung. Definiert man mit Stollberg-Rilinger (2005, 10) Kultur mit dem Merkmal der »fundamentale[n] Fähigkeit des Menschen zur Symbolerzeugung«, so ist mit der Produktion von Symbolen und der dadurch bedingten Wahrnehmung der Möglichkeitsform eine grundsätzliche Entgrenzung der Verfügbarkeit auch über jene Bestände verbunden, die nicht präsent oder gar als ungeformte (utopische Entwürfe) markiert sind. Zugleich macht sich die Schlange als Handlungssubjekt scheinbar zur Siegerin über die bestehende göttliche Ordnung, indem sie Eva und Adam die Erfahrung als selbständig handelnde Subjekten verschafft, die die Geltung des Absoluten erst im Nachhinein erkennen und anerkennen und sich selbst in ein von Schuld, Scham, Abhängigkeit und dauernder Konfliktmöglichkeit geprägtes Verhältnis zu ihm versetzen.

Nicht von sich aus generieren die Menschen die Kultur, sondern erst durch die Entscheidung zwischen den Handlungsangeboten der Schlange und Gottes, also als Reaktion auf den Kontext. Dabei wird das, was man hat und kennt, zugunsten von Möglichkeit, Risiko, Innovation, Kreativität und Selbstverwirklichung in selbst verantworteter Tätigkeit, also zugunsten des Kulturellen, aufgegeben bzw. eingetauscht. So ist die vorgefundene paradiesische Sozialform des scheinbar alternativlosen und zeitfreien, direkten und konfliktfreien Umgangs mit der göttlichen Ordnungsmacht, mit einander und mit allen anderen Lebewesen der auf Selbstreflexivität fundierten kulturellen Lebensform gewichen, die durch Konkurrenz, Konflikt, Unsicherheit, Historizität, Möglichkeitsprinzip und Fortschrittsdenken gekennzeichnet und jederzeit veränderbar ist. Allerdings ist die nun unvermeidliche ›Selbstmachung‹ nur möglich, wenn das Subjekt sich auf soziale Handlungspartner hin entgrenzt. Ohne Gott und Schlange hätten Eva und Adam nicht die Geschichte kulturellen Handelns begründen können, ohne die kulturökonomisch handelnden Menschen hätten Gott und Schlange keinen Platz darin gefunden. Zwischen den Akteuren besteht das Verhältnis des Gabentauschs, sie machen sich, indem oder dadurch dass sie den jeweils anderen die Möglichkeit geben, sich auch zu machen. Weil der Handlungsprozess vom vorkulturellen Anfang (Paradies) zum darin angelegten Schluss der Kulturkonstruktion führt, kann er als narrative Sinnkonstitution aufgehoben bzw. überliefert werden. So lässt sich definieren: Kultur als sozialer Raum des Möglichkeitsprinzips entsteht aus der Erzählung über die Wahrnehmung und Entscheidung von Alternativik.

2.2. Thomas Buddenbrooks Normübertretung

Angesichts zurückgehender Erträge seiner Getreidehandelsfirma steht Thomas Buddenbrook in Thomas Manns Roman Die Buddenbrooks (1901) vor der Alternative, entweder auch in dieser Situation nach den Regeln ethisch fundierten, ›fairen‹ Handels zu verfahren und – wie es der Tradition des Familienunternehmens entspricht – nur solche Geschäfte bei Tage zu machen, die ihn nachts ruhig schlafen lassen oder ein erstes, womöglich einziges Mal wegen der prekären wirtschaftlichen Lage die Ernte zu einem günstigen Preis zum Nachteil des Bauern auf dem Halm zu kaufen, mit dem Risiko freilich, dass ein Unwetter die schon bezahlte Ernte vernichten könnte. Thomas Buddenbrook übertritt als erster seiner Familie die bisher verbindlichen Normen des Handelshauses und sieht danach dem Konkurs der Firma entgegen.

Er entscheidet sich gegen die ethische Norm und öffnet sich mit dem Kauf des Getreides auf dem Halm eine neue soziale Möglichkeit. Indem er die Geltung der traditionellen Familiennorm suspendiert, macht er sich für die Familie zwar als ›Moderner‹ sichtbar wie Hagenström und andere, aber um den Preis, die eigene Tradition zu brechen, ohne symbolisch einen Neuanfang als Konstruktion eines sozialen Raums auf ein ›Wir‹ hin durch die Integration eines Partners zu eröffnen. So trifft die ethisch verwerfliche Handlung, die den Bauern übervorteilen (Ausschluss aus gemeinsamer Handlungsperspektive) und der Firma nützen sollte, selbstreferentiell den Handelnden, der kein neues Soziales generiert und sich damit zum Scheitern verurteilt. Die Abwägung zwischen Alternativen erfolgt stets situativ und induktiv, ist aber auf die Perspektive der Genese oder Kontinuität des Sozialen angelegt.

2.3. Zum Beginn der Schriftstellerkarriere Arno Surminskis

Über den Beginn der Schriftstellerkarriere Arno Surminskis heißt es, dass er 1972 für sein erstes literarisches Projekt mit »Selbstanzeigen« geworben habe: »Ungewöhnlicher Roman über Ostpreußen sucht Verleger« (Krohn 2014). Mit dem Roman Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland beginnt er dann eine neue biographische Kontinuität als Versicherungsmitarbeiter und zugleich als Schriftsteller. Er ist dabei, sich als Schriftsteller einen Namen zu machen, indem er einem Verleger als Handlungspartner die Chance gibt, sich als Betreuer seines – nach eigener Einschätzung – erfolgversprechenden Debütromans einen Namen zu machen. Für sein unveröffentlichtes Weltauslegungsangebot erwartet er die Nachfrage eines bedeutenden Verlags mit entsprechendem sozialem, symbolischem und finanziellem Kapital, den er auf diese Weise zum Subjekt eines Verlagsangebots macht. Durch den Gabentausch soll die neue soziale Konfiguration ›Autor Surminski und Verlag und Leserschaft‹ generiert und gestaltet werden. Surminskis Einsatz besteht in der Herstellung des Manuskripts, wobei womöglich physische, psychische, soziale und finanzielle Belastungen hinzunehmen sind, der Finanzierung der Selbstanzeigen und der Entgrenzung seiner Subjektivität in den öffentlichen Raum als jemand, der Schriftsteller werden möchte, sich aber selbst per Anzeige um einen Verlag bemühen muss, also noch über kein belastbares soziales Kapital verfügt und womöglich auch scheitern kann. So gehört auch die Dimension Arbeit zum kulturökonomischen Konzept. Dass literarische Projekte durchaus selbst zu Akteuren werden, den Autor zu immer neuen Ansätzen ›zwingen‹ oder sich ihm entziehen, belegen zahlreiche Werkstattberichte. Unter dem Titel Roman heißt Risiko schreibt Ralph Dutli (FAZ 17.05.2014):
Ein Roman ist […] auch aus Krisen und Verzweiflung und Schlaflosigkeit gewoben. So ganz unbeschwert ist seine Entstehung nicht, er will erobert und durchlitten werden, wenn er etwas taugen soll. Er ergibt sich nicht so leicht. Und es gibt kein himmlisches Versicherungsunternehmen, das garantieren könnte, dass er gelingen wird, und im Schadensfall für Verluste aufkäme. Der Roman ist eine zuweilen harte Prüfung für den Autor, und wenn der Leser ihn schließlich gern oder vielleicht sogar mitgerissen liest, hat er die Prüfung schon zur Hälfte bestanden. Die andere Hälfte wird die Zukunft weisen, und die ist gnadenlos, kein Autor sollte sich Illusionen machen. Der Roman ist eine Schule der Skepsis. […] Der Roman verändert unser Leben, und ich möchte hier Autor und Leser als eine Schicksalsgemeinschaft bezeichnen. Er spricht von unserer Sterblichkeit, aber er verjüngt uns auf magische Weise.

2.4. Scheherazade

In den Erzählungen aus Tausend und einer Nacht unterhält die Protagonistin Scheherazade den König Schahriyar nachts mit spannenden Erzählungen, obwohl sie weder professionelle Rezitatorin ist noch sich zu diesem Dienst gemeldet hat. Vom König als jungfräuliche Sexualpartnerin verpflichtet, wird sie zur nächtlichen Erzählerin, die durch ihre Erzählkompetenz das entsprechende Bedürfnis beim König weckt und dessen Anerkennung und Förderung für die Befriedigung seiner literarischen Neugier auf fiktive Welten erhält. Wie Eva und Adam durch den Biss in den Apfel gelingt es Scheherazade im ›Hier und Jetzt‹ der Erzählsituationen ein ›Dort und Damals‹, aber auch ein ›Dann‹ zu vergegenwärtigen, nämlich die Einsicht des Königs in seine bisher offenbar defizitäre Lebenssituation und in die Zukunftsgewissheit des Lebens in der narrativ hergestellten »zweiten Welt der hiesigen« (Lehmann 1982, 7). Das Erzählen als symbolische Handlung markiert einen biographischen Bruch für Scheherazade und den König, zugleich einen Neuanfang als gemeinsames Leben als Folge der durch das Erzählen bewirkten Bedürfnisproduktion. Scheherazade bringt in diese Tauschhandlung ihr Erzähltalent und ihren Textvorrat ein, als Gegengabe erhält sie vom König ihr Leben und seinen Verzicht auf die Tötung weiterer Jungfrauen. So generiert und gestaltet sie durch ihre textbezogene und -fundierte Handlung eine neue Form des Sozialen.

Haben diese Beispiele etwas gemeinsam? In allen vier Szenen geht es auf der Handlungsebene um den Bruch einer biographischen Kontinuität als Markierung und Vollzug eines Anfangs, auf der Deutungsebene um die Entgrenzung der Subjektivität zum Kulturellen als je neuem narrativ konstruiertem sozialen Raum. Bestätigt wird die Wechselseitigkeit von Angebot und Nachfrage als alternativer Handlungsmöglichkeiten.

Demnach betreffen kulturökonomische Handlungen Angebot und Nachfrage in Bezug auf symbolische Objekte (z.B. Produktion, Veröffentlichung, Rezeption literarischer Weltauslegungsangebote), die Teilnahme (Entscheidung zwischen alternativen Angeboten) an Aufführungen aller Art (z.B. Theater, Konzert, Preisverleihung, Ehrung, Eröffnung, Lesung, Demonstration, Lichterkette), die Organisation und Teilnahme an Formen von Geselligkeit, Diskussionen usw. Weil die einzelne kulturökonomische Handlung in der Regel situativ begrenzt und daher eine identische Wiederholung nicht möglich ist, handelt es sich jeweils um den Vollzug von Geschichte durch die beteiligten Akteure. Die eigens für diesen Auftritt hergestellten und dabei benutzten materiellen Objekte (z.B. Masken, Kostüme, Fackeln, Waffen, Fahnen, Texte, Filme, Bilder, Programmhefte) gehören als narrative Quellen (Erinnerungsträger) dazu.

3. Kulturökonomie als kulturwissenschaftliches Konzept

3.1. Zum Begriff Weltauslegungsangebot

Für das Konzept Kulturökonomie ist der Begriff Weltauslegungsangebot für literarische Texte, Kunstwerke usw. programmatisch. Er trägt zunächst der Tatsache Rechnung, dass ein Manuskript allein unvollständig und angelegt ist auf jene Nachfrage, die es selbst schafft. Insofern ist ein Weltauslegungsangebot der erste Schritt im intendierten Gabentauschprozess, der den Dreischritt Geben (Autor: Manuskript, Urheber), Nehmen (Verlag: Akzeptanz) und Zurückgeben / Erwidern (Buch / Produkt: symbolisches, soziales, finanzielles Kapital für den Autor) umfasst, um dann in die Begründung einer Marktsituation zu münden, die wiederum die Basis für den intendierten sozialen Raum bildet. Wegen dieser Abhängigkeit des ästhetisch-literarisch generierten sozialen Raums von der Möglichkeit des Marktgeschehens scheint die definitorische Erweiterung des literarischen Felds um die Dimension des Ökonomischen angemessen zu sein. Denn nach Aushandlung der primären Marktsituation (Erstveröffentlichung) sind weitere Gabentauschprozesse auf anderen Ebenen möglich. So gilt für Preisverleihungen das Buch – bei einigen Preisen auch das unveröffentlichte Manuskript – als Gabe des Autors an die Öffentlichkeit wofür die Preisinstitution den Preis als Gegengabe verleiht, was ihr selbst Gelegenheit zur Selbstpräsentation gibt und was der Autor mit seiner Präsenz beim Verleihungsritual erwidert. Eine ähnliche Struktur gilt für Lesungen, Poetikdozenturen, Stadtschreiberstellen wie tendenziell für alle Formen literaturfundierter bzw. -bezogener Ritualhandlungen.

Hinzu kommt, dass Literatur ein gesellschaftliches Medium, eine Vermittlungsform ist, deren Funktion darin besteht, bestimmte sozial approbierte Inhalte in wie auch immer verfremdeten Ausprägungen in bestimmten sprachlichen Formen zu Lesern als (End-)Abnehmern zu transportieren. Wenn Medien Instrumente zur Vermittlung von Inhalten jeder Art sind, wenn sie den Austausch zwischen Kommunikationspartnern erleichtern oder gar erst möglich machen sollen, dann führt das Medium immer über sich hinaus zu dem Thema, das sich aus seiner Referenzausrichtung ergibt. So verbindet das Weltauslegungsangebot die subjektive Verbindlichkeit mit der Erwartung auf soziale Anerkennung und Akzeptanz beim anonymen Publikum, weil das transportierte Thema in Bezug auf seinen außerliterarischen Referenzpunkt rezipiert wird. Legitimiert ist die Erwartung auf Anerkennung durch die vorgängige Konsensaushandlung zwischen Autor und Verlag, bei der formale und inhaltliche Aspekte ebenso berücksichtigt werden wie Ungleichheiten des symbolischen Kapitals von Autor und Verlag. Mit seinem literarischen Weltauslegungsangebot macht der Autor seine verdichtete Sicht der Dinge als Verstehensmöglichkeit für alle sichtbar. Wenn damit sein Angebot strukturell der Aussage eines Zeitzeugen entspricht, erfüllt er selbst tendenziell die Funktion des Zeitzeugen. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für jene Auslegungsangebote, deren Deutungsreferenz je identifizierbare zeitgeschichtliche Vorgänge sind, wie Schütz/Hardtwig (2008) ausschließlich Beiträge zur »Zeitgeschichte in der Literatur nach 1945« versammeln und die Existenz der Bücher als kulturelle Objekte voraussetzen. Kulturökonomie fragt, wie, aufgrund welcher Aushandlungen und welcher Voraussetzungen bei Autor und Verlag die Manuskripte überhaupt zu Trägern zeitgeschichtlicher Angebote geworden sind bzw. werden konnten.

Zeitgeschichtliche Bezüge können in prinzipiell jeder beliebigen inhaltlichen Ausprägung auftreten. So bietet Johann Peter Hebel in den Erzähltexten seines Schatzkästlein (z.B. ›Eine Bekehrung‹ oder ›Baumzucht‹) Deutungen für den Religionsdiskurs an, je andere inhaltliche Ausprägungen der zeitgeschichtlichen Dimension bieten Naturgedichte der Romantik, Lyrik des Expressionismus, die Sächsische Typenkomödie usw. Immer geht es um sozial approbierte Phänomene wie politische Ereignisse, Denkfiguren, Ideen, Traditionen, die literarisch vermittelt werden. Literatur kann nicht nicht-transportieren.

Weil der durch ein Weltauslegungsangebot generierte soziale Raum sein Fundament in einer Marktsituation oder einer mäzenatischen Zuwendung (Dücker 2006) hat, kann es auch nicht das Phänomen von Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen geben. So wie erinnern immer Gegenwartshandeln ist, das Themen der Vergangenheit aktualisiert, gehört die literarisch transportierte Botschaft zum literarischen Feld der jeweiligen Gegenwart. Texte und Autoren ebenso wie Preisinstitutionen, Verlage und Mäzene gehören in der Regel zu Erinnerungssystemen mehrerer Felder (literarisches, kulturelles, wirtschaftliches, politisches u.a.). Daraus ergibt sich für die Exponate von Literaturausstellungen, dass diese vor allem zeigen, was, wie, für wen und zu welchem Zweck transportiert wird, d.h. Kontexte (Gebäude, Personen, Gegenstände), Rituale (Urkunden und Fotos von Preisverleihungen) und Ausgaben der betreffenden Texte, während die sprachliche Gestaltung kaum ausstellbar ist.

3.2. Literarische Weltauslegungsangebote und die Genese des Sozialen

Wenn ein Text ›gebraucht‹ wird (gelesen, vorgetragen, erzählt, diskutiert, als Lehrgegenstand eingesetzt, rezensiert usw.), hat er eine Kontextfunktion zu erfüllen, was grundsätzlich eine narrative Sinnkonstitution zulässt: Der Textgebrauch kann vom Anfang bis zum notwendig daraus folgenden Ende als begrenzte lebensgeschichtliche Phase des Benutzers (Leser, Kritiker, Schüler, Student usw.) erzählt werden. Mit dem Gespräch über die Aneignung einer ›zweiten‹, fiktiven Welt schaffen die Beteiligten eine Situation des Außeralltäglichen insofern, als diese Situation im allgemeinen komplexitätsreduziert und wertexplizit ist. Diese je selbständigen narrativen Vorgaben (Kritiken, Medienberichte über Lesungen, Literaturgespräche in Internet und Fernsehen usw.) und wissenschaftlichen Studien verdichten Fachleute zur Literaturgeschichte als chronologisch, thematisch, gattungsspezifisch usw. geordnetem Komplex. Insgesamt wird (Literatur-)Geschichte sichtbar als eine Funktion objektfundierten und -bezogenen performativen Handelns.

Stets sind es die einzelnen Objekte selbst, die ›ihr Soziales‹ generieren, die ihren Produzenten die je angemessene Form für eine Angebot-Nachfrage-Aushandlung bzw. eine Kosten-Nutzen-Bilanzierung vorgeben. Entsprechend verlangt das erste literarische Manuskript, das Debütwerk eines zumeist noch unbekannten Verfassers in der Regel, dass dieser sich an Verlage, Redaktionen, Literaturagenten oder schon im ›literarischen Feld‹ etablierte Positionen (Personen, Institutionen – z.B. Literaturpreise für ein unveröffentlichtes Erst-/Manuskript) wendet, um auf diese Weise die Existenz seines Manuskripts mitzuteilen und diesem Aufmerksamkeitsstationen zu verschaffen. So wird das Manuskript als Gegenstand diverser Aushandlungen narrativ angereichert, es beginnt, seine Geschichte zu bilden. Literaturgeschichte erscheint als ›große Erzählung‹ aller sozial markierten und rituell legitimierten Thematisierungen von Texten und Autoren.

Wenn die Gegenstände kulturökonomischer Forschung situativ gebunden erscheinen, wenn zeitlich begrenzte Handlungsphasen, Emergenzen und Epiphanien zu beschreiben und zu analysieren sind, wenn also in jeder Station tendenziell Geschichte vollzogen wird, dann sollte das entsprechende fachgeschichtliche Erinnerungssystem – Literatur-, Institutionengeschichte usw. – als Aufführungsgeschichte der narrativen ›Stationen‹ angelegt sein.

Autoren haben sich als Urheber des Weltauslegungsangebots sichtbar zu machen, ihre Subjektivität gegenüber dem Verleger zu entgrenzen und diesen womöglich erst zum Nachfrager nach dem vorgelegten Auslegungsangebot zu machen. So entsteht ein sozialer Raum zwischen Autor und Verleger. Aufmerksamkeit erhält das Manuskript als möglicher Gebrauchsgegenstand, als Ware, die bestimmte Bedürfnisse zu wecken und zugleich zu befriedigen vorgibt. Von anderen Waren unterscheiden sich literarische Texte und Kunstwerke in aller Regel dadurch, dass für ihre mögliche Anerkennung und geschichtsbildende Wirkung von Anfang an die stets aktualisierbare Referenz auf ihre Produzenten konstitutiv ist und bleibt. Welche Erzählungen über welche sozialen, politischen, religiösen, militärischen usw. Erfahrungsbereiche verbinden sich mit der Autorbiographie, welche sozialen, politischen, historischen usw. Konfliktkonstellationen erschließt diese? Relational zur Zahl dieser ›öffentlichen Erzählungen‹, in denen der Verfasser präsent ist, gewinnt das Manuskript oder der literarische Text an Legitimation bzw. Nutzen für den Nachfrager und damit auch für den Anbieter. Das Weltauslegungsangebot eines schon bekannten Schriftstellers oder einer aus anderen Zusammenhängen öffentlich bekannten Person findet in der Regel wegen der vielfältigen und umfangreichen narrativen und zunehmend visuellen und auditiven Präsenz (Rohstoff des symbolischen Kapitals) ohne weiteres Akzeptanz bei einem bekannten Verlag, für den Text eines Debütanten wird eher ein wenig bekannter Verlag als Nachfrager auftreten, wobei Druckkostenzuschüsse und Honorarverzicht dazu kommen können. Dass die Zugehörigkeit eines anerkannten Autors und Nobelpreisträgers zur Erzählung eines stigmatisierten Bereichs auch die scheinbar feste Position dieses Autors erschüttern kann, hat sich anlässlich des Bekenntnisses von Günter Grass im Jahr 2006 gezeigt, als Jugendlicher kurzzeitig Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein (vgl. Dücker 2007).

Weil eine in öffentlichen Narrationen eingespannte Verfasserbiographie sich in der Regel als Wert für ein literarisches Manuskript auswirkt, tritt dieses, ist es erst einmal von einem Verlag usw. angenommen, hinter seinen Produzenten zurück. Grundsätzlich scheint für tendenziell geschichtsbildende Situationen wie Verlagsverhandlungen, Preisverleihungen, Lesungen die Zentrierung auf den Urheber und die Dezentrierung des Objekts (Texts) zu gelten. Besonders deutlich dominiert die Körperlichkeit und damit das Ungeplante im Format des ›Poetry Slam‹. So mag die sozial markierte Biographie geradezu als Orientierungsrahmen für Anerkennung und Geltung oder für Skandalisierung und entsprechende Geltung eines literarischen Texts wirken. Besonders für Objekte der Bildenden Kunst wird diese Funktion des Künstlers ergänzt durch jene Erzählungen, die dem einzelnen Objekt aufgrund der sozialen Biographien des Auftraggebers, der verschiedenen Besitzer, Galerien, Museen und aufgrund seiner Ausstellungskarriere zukommen, was grundsätzlich den Ansatz der Provenienzforschung rechtfertigt.

Der Maler Georg Baselitz (2014, 13) bestätigt im Blick auf die 1960er und 1970er Jahre dieses Verhältnis für die Situation der Kunst in Deutschland aus der Perspektive dessen, der seine damalige Verkaufsposition mit den Worten kennzeichnet: »Und bei mir ging nichts, es schleppte sich.«
Ob ein Bild etwas taugt, das ist in Deutschland ja nie die Frage. In Amerika kann man mit der deutschen Kategorie des ›Sozialen‹ nicht eben viel anfangen. In der asiatischen Kunst beispielsweise, da geht es um die Elemente, aus denen ein Bild besteht. Um Punkte und Striche und das Gleichgewicht. Aber die Basis für jedes Kunstwerk ist in Deutschland sozial definiert: Man ist als Künstler Mann oder Frau, schwul, arm, reich, schwarz, weiß, jüdisch, amerikanisch – und den verlorenen Krieg den hatten wir damals noch dazu. Und aus so einem Konglomerat unglücklicher Konstellationen wird Kunst dann bewertet. Indem man durchzählt, was da für Attribute zu erkennen sind. […]
[Zur Straßenbahnhaltestelle von Joseph Beuys] Die Bahn war nicht irgendein Motiv, nach 1949. Wenn man mit dem Zug fuhr und sah die Gleise verschwinden, dann fiel einem immer Auschwitz ein, das liegt am anderen Ende der Strecke, jeder Strecke. Aus so einem Seelenkram entsteht dann Skulptur. […] Das ›Soziale‹ verwandelt alles in belasteten Stoff.

Soziale Attribute, mit denen ein Künstler – wie eine beliebige andere Person – vorgestellt wird und die seinen Werken als Klassifikations- und Wertkategorien angehängt werden, öffnen für Baselitz zwar programmatische politisch-historische Erzählungen, sind aber – so Baselitz – als ästhetische Wertungsmerkmale für ein Werk unangemessen. Er lässt Kunstgeschichte nicht gelten, die aus den narrativen Segmenten, die ein Werk von außen, aus den sozialen Handlungszusammenhängen jener, die über das Bild verfügen und mit Bedeutung anreichern konnten, ›gemacht‹ wird. Das Gespräch über diese Fakten und Verzweigungen ersetzt dann das Kunstgespräch, wie Adorno (1968, 17f.) es analog in seiner Typologie der Musikhörer für den »Bildungskonsumenten« beschreibt:
Das spontane und unmittelbare Verhältnis zur Musik, die Fähigkeit des strukturellen Mitvollzugs, wird substituiert dadurch, dass man soviel wie nur möglich an Kenntnissen über Musik, zumal über Biographisches und über die Meriten von Interpreten anhortet, über die man stundenlang nichtig sich unterhält. […] Konformismus, Konventionalität definieren weithin den Sozialcharakter dieses Typus.
Die Möglichkeit, dass die Persönlichkeit des Autors die Sicht auf seine Texte verstellen könnte, sieht der Lyriker Nico Bleutge (12.11. 2008) und lehnt daher das Angebot eines Interviewporträts für eine Frauenzeitschrift ab:
Das hat mit meinen Gedichten nicht mehr viel zu tun. Ich bin ja kein Model. Es ist ein großes Anliegen des Literaturbetriebs, die Sachen, um sie verkäuflich zu machen, von den Texten abzukoppeln und die Person ins Licht zu setzen. Mir ist nicht daran gelegen, eigene Popularität zu erlangen, sondern dass die Gedichte gelesen werden.
Die Leserinnen der Zeitschrift erhalten keine Informationen über die Person Bleutge, diese erhält kein Honorar. Gleichwohl setzt Bleutge die Information über das nicht durchgeführte Interview kapitalbildend ein, nämlich als Öffnung seiner individuellen Poetik. Auf diese Weise wird die bekenntnishafte Selbstdarstellung als Autor, der hinter seine Texte zurückzutreten bereit ist, dem symbolischen Kapital Bleutges, seinem Autorimage nützen und langfristig in anderen Kontexten auch finanzielle Vorteile (z.B. Preise, Lesungen) bringen. Indem er die Ablehnung des Interviews mitteilt, generiert er gleichsam aus einer Leerstelle eine kulturökonomische Tatsache als Baustein seines sozialen Raums. Sogar oder gerade die Negation erzeugt das Gewünschte, wird sie nur mitgeteilt. Im literarisch-kulturellen Feld geht nichts verloren.

Da für jeden ›literaturbezogenen‹ Vorgang Referenzinstitutionen wie Literatur-, Verlags- und Zeitungsarchive, (Literatur-) Museen, Dichterhäuser, Bibliotheken, Preisorganisationen, Mäzene und Stiftungen, Denkmalschutz-, Tourismus- und Landschaftsämter, literarische Gesellschaften und spezielle Sammlungen, Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit seinem Angebot des ›Verzeichnis[ses] Lieferbarer Bücher‹ (VLB) zuständig sind, umfasst das Konzept Kulturökonomie auch das Segment Institutionengeschichte.

3.3. Reziprozität von Angebot und Nachfrage

Autoren bieten Manuskripte an und sind Nachfrager nach Veröffentlichungsmöglichkeiten, Verlage fragen Manuskripte nach und bieten Veröffentlichungsmöglichkeiten an, preisverleihende Institutionen bieten ihre Preise an und suchen angemessene Preisträger. Diese Bezüglichkeiten von Angebot und Nachfrage, von Überschuss und Bedarf müssen zum Ausgleich gebracht werden. So gehören zum Untersuchungsbereich der Kulturökonomie Handlungsvollzüge zwischen Vertragspartnern (Autor, Verleger, Buchhandel, Kunden, Auftraggeber, literarische Gesellschaften und Autoren: Lesungen, Preise usw.) hinsichtlich der kulturellen und sozialen Legitimation von – zumeist neuen – Weltauslegungsangeboten (literarische Texte, Kunstobjekte, Inszenierungen usw.). Wenn es damit um Ausprägungen des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage geht, so handelt es sich dabei nur scheinbar um unterschiedliche Positionen, denn Angebot und Nachfrage sind zwei Seiten einer Medaille. Jeder Anbieter einer Leistung oder Ware ist zugleich Nachfrager nach entsprechenden Interessenten und deren Bedarf an seinen Angeboten. Ebenso bietet jeder Nachfrager nach Angeboten anderer seine Kompetenz zur angemessenen Integration des fremden Angebots in die Marktrationalität des literarischen, künstlerischen usw. Feldes an. So implizieren sich Angebot und Nachfrage wechselseitig. Anbieter und Nachfrager haben ein Defizit und das Bedürfnis nach dessen Ausgleich. Der eine hat, was der andere nicht hat, aber haben möchte, weil er es braucht. Ob die Einsicht in diesen Mechanismus die Position junger Autoren stärkt, bleibt abzuwarten. Wer keinen angemessenen Zugang zu diesem Beziehungssystem findet, wer keine entsprechenden Kontakte hat, ist kulturell nicht präsent.

Daher ergibt sich als Strukturformel für kulturökonomisches Handeln der modale Handlungsgestus ›sich einen Namen machen, indem oder dadurch dass man anderen einen Namen macht‹ (vgl. Dücker 2007). Kulturökonomische Forschungsinteressen richten sich auf die zur ›Machung‹ des Akteurs und seiner Handlungspartner eingesetzten Angebote und aufgewendeten sowie produzierten Kapitalien, auf die dazu gehörigen narrativen Sinnkonstruktionen sowie auf Anschlusshandlungen und die rituellen Legitimationsformen. Deshalb gehört es zur Methode kulturökonomischer Forschung neben literarischen Texten systematisch alle Formen und Formate von Selbstaussagen, Interviews, Autobiographien, Briefe vor allem mit Verlegern (z.B. Bernhard /Unseld 2009; Handke/Unseld 2010); Kubin/Piper 2010; Unseld 1991), Fotos, auch Zeitungsartikel, Verlagskataloge, Programme von Preisverleihungen, Ausstellungskataloge und deren Veränderung bei Neuauflagen, Internettexte, jegliche Form von Werbematerialien, Videos als Erklärungshorizont der Genese, Funktion und Intention literarischer Aushandlungsprozesse literaturgeschichtlich zu berücksichtigen und ggf. mit der Dokumentation anderer Formen sozialen Handelns zu vergleichen.

Jene, die künstlerische Werke produziert oder wissenschaftliche Entdeckungen gemacht haben, stellen sich – gestützt auf ihre Leistung – öffentlich dar, suchen soziale Aufmerksamkeit, Anerkennung und Akzeptanz für ihr Weltauslegungsangebot. Mögliche Interessenten versetzen sie als Adressaten, Rezipienten oder Kunden in die Lage, nun als Handlungssubjekte sowohl über die Geltung von Produkt und Urheber zu entscheiden als auch daran teilzuhaben. Möglich wird dies, wenn das jeweilige Angebot durch eine entsprechende Bedürfnisproduktion interessierte Adressaten generiert, die von der Akzeptanz oder dem Erwerb des Objekts, des Erlebnis- oder Wissensangebots eine positive Modifikation ihrer Lebenssituation (z.B. Imagesteigerung) erwarten. Da ein Angebot sich in der Regel gegen andere Angebote durchzusetzen hat, obliegt es dem Anbieter zu entscheiden, welche Kapitalien in welcher Höhe er für die Bekanntmachung seines Angebots (Werbung) aufwenden will. Die Nachfrager stehen vor der Aufgabe zu entscheiden, dieses oder jenes Buch zu kaufen und zu lesen, diesen oder jenen Film zu sehen und als Folge in dieses oder jenes Kino zu gehen usw., demnach ist kulturellem Handeln die Dimension des Ökonomischen immer schon inhärent. Häufig geht es dabei um den sozialen Gebrauchswert von kulturellem oder symbolischem Handeln. Lese ich dieses Buch, das mich zwar langweilt, kann ich aber mitreden, lese ich jenes, das mich interessiert, kann ich weniger Bildungswissen zur Schau stellen und weniger Eindruck machen. Der Theaterdirektor im ›Vorspiel auf dem Theater‹ in Goethes Faust versucht, beide Aspekte zu vereinen, indem er dem Publikum Unterhaltungsstücke anbietet, die den Theaterbesuch zur Funktion anderer Interessen machen wie der Präsentation neuer Kleidung, des Schmucks oder des Treffens mit anderen Personen.

Kulturökonomische Forschung hat nicht nur aus der Perspektive des Produzenten oder Anbieters zu erfolgen. Geht man von der Nachfrage im kulturellen Bereich aus, so ist festzustellen, dass akzeptable Angebote in der Regel problemlos zu finden sind oder generiert werden können. Bekannt ist die Tradition der Auftragskunst: Herrscher und Kleriker beauftragen Künstler, Autoren , Chronisten, Architekten, Baumeister, Komponisten damit, Grabstätten, Schlösser, Kirchen oder Residenzen zu gestalten, Gelegenheits- und Huldigungstexte, Serenaden zu komponieren oder Genealogien mit mythischen Abstammungen zu verfassen, Feste zu organisieren und alle diese und andere Ereignisse im politischen Erinnerungsformat Herrscherchronik bzw. Herrschaftsgeschichte für die Nachwelt aufzuheben. Es entsteht ein Markt für symbolische Repräsentationsformate. Aktuelle Ausprägungen der Auftragskunst sind z.B. die Porträtgalerien von Bundeskanzlern, -präsidenten und Fachministern in den jeweiligen Amtssitzen oder die sog. ›Kunst am Bau‹.

Üblicherweise bringen die beauftragten Symbolspezialisten schon einen bedeutenden Namen mit, der das symbolische Kapital des Auftraggebers erhöht, oder sie machen sich durch die aktuellen Aufträge und die dadurch bedingte Nähe zur Person des Herrschers als Machtzentrum einen Namen. Es geht um die wechselseitige Produktion vor allem des sozialen und symbolischen Kapitals. Gemeinsame Basis dieser Symbolpolitik ist es, originale und einzigartige Objekte zu besitzen, um so die Legitimität des eigenen Repräsentationsanspruchs zu präsentieren und einen möglichst ehrenvollen Platz in verschiedenen Erinnerungssystemen zu erhalten. So folgen die Auftraggeber dem Prinzip der »Symbolrationalität« (Dücker 2007, 102ff.), indem sie sich für die symbolische Präsentation ihres Repräsentationsanspruchs als offenbar kostengünstigste und vorteilhafteste Variante – unter beschäftigungs-, unterhaltungs-, geschichts- und vor allem erinnerungspolitischem Aspekt – entscheiden. Allerdings setzt sich langfristig eher der Name des Künstlers als der des Auftraggebers durch.

Womöglich im Unterschied zum literarischen Feld scheint sich das Bewusstsein für Reziprozität von Angebot und Nachfrage angesichts der aktuellen demographischen Entwicklung zunehmend im arbeitsmarktpolitischen Bereich durchzusetzen:
Bislang ist der Bewerber zumeist noch der Bittsteller. […] Doch die Zeiten, in denen die Unternehmen sich aus einem nahezu unerschöpflichen Pool an Bewerbern bedienen konnten, neigen sich dem Ende entgegen. Je härter der Kampf um die besten Kräfte wird, desto mehr müssen sich die Arbeitgeber ins Zeug legen. Bislang haben die Unternehmen vor allem ihre Produkte angepriesen. Deshalb wissen die Menschen, dass BMW schnelle Autos fertigt und Eon dafür sorgt, dass Strom ins Haus kommt. Dass BMW und Eon der Welt da draußen aber auch erklären müssen, was sie als Arbeitgeber attraktiv macht, diese Überzeugung setzt sich erst langsam durch. (Bernau 2015, 25)

3.4. Entgrenzung des Subjekts als Voraussetzung des sozialen Raums

Mit sich selbst zu teilen und zu tauschen ist weder möglich noch sinnvoll, weil dabei kein auf Anerkennung, Aufmerksamkeit und Kontinuität angelegter sozialer Handlungsraum generiert und gestaltet wird. Nicht nur für Autoren ist die Entgrenzung ihrer Subjektivität im Zusammenhang mit der Sichtbarmachung eines Weltauslegungsangebots unausweichlich, die Transzendierung des Ich zum Du und der Gemeinschaft scheint eine anthropologische Universalie zu sein. Diesen Zusammenhang thematisiert kulturphilosophisch Johann Gottfried Herder in Briefe zur Beförderung der Humanität. In der ›Zweiten Sammlung‹ (1793) im ›Stück 25, Nr. 6‹ heißt es: »Sich allein kann kein Mensch leben, wenn er auch wollte. Die Fertigkeiten, die er erwirbt, die Tugenden oder Laster, die er ausübt, kommen in einem kleinern oder größeren Kreise Andern zu Leid oder zur Freude« (Herder o.J., 105). Die Soziabilität des Menschen soll es dem einzelnen und seinen Partnern unausweichlich abverlangen, ihre »Existenz genießen und das Beste davon Andern mittheilen [zu können]; dazu soll ihm die Gesellschaft, zu der er sich vereinigt hat, helfen« (Herder o.J., 105). Herder hat damit die aufklärerische Idee des globalen Netzwerks entworfen. »Die Tendenz der Menschennatur faßt ein Universum in sich, dessen Aufschrift ist: ›Keiner für sich allein, Jeder für Alle, so seid Ihr alle Euch einander werth und glücklich!‹ Eine unendliche Verschiedenheit, zu einer Einheit strebend, die in Allen liegt, die Alle fördert. Sie heißt, ich will's immer wiederholen, Verstand, Billigkeit, Güte, Gefühl der Menschheit« (Herder o.J., 629).

Das Ich, das seine Weltauslegung anbietet, muss die Grenze seiner Subjektivität öffnen und überschreiten auf die Interaktion mit einem Handlungspartner hin, im Austausch von Ideen oder im Ausgleich von Angebot und Nachfrage generieren sie die Dimension des Sozialen. Diese Gemeinsamkeit wird konstituiert durch einen objekt-, ereignis- oder erfahrungsbezogenen überindividuellen Referenzpunkt. Auch wenn es um die Konstruktion einer Konfiguration Gleichgesinnter geht, gilt die Struktur der Entgrenzung auf den oder die anderen hin, die aber nun beiden Seiten abverlangt wird. Hierfür stellen Briefwechsel aus Empfindsamkeit und Pietismus eindrucksvolle Beispiele dar. Kulturökonomisches als dialogisches Handeln verlangt zunächst von der Angebotsfunktion die Entgrenzung gleichsam als ›Vorauszahlung‹ für den gemeinsamen sozialen Raum, der von der Nachfragefunktion durch Akzeptanz des Angebots als notwendig legitimiert werden soll. Tatsächlich konstituieren beide Seiten in gleicher Verantwortlichkeit das neue Soziale. In diesem Zusammenhang erhalten die Briefwechsel zwischen Autoren und ihren Verlegern zentrale Bedeutung, was auch Wegmann (2002, 57) zeigt, wenn er von der »Briefkultur als Umschlagplatz von Individualität« spricht.

Wer dagegen Texte, Kompositionen, Bilder, aber auch wissenschaftliches Wissen für die Schublade produziert, kann sich im stillen über seine Arbeitsergebnisse freuen, kulturell ist er aber nicht existent. Erst wenn die Schublade geöffnet, die objekt-, personen- oder ereignisbezogene Interaktion zwischen Handlungspartnern beginnt, wenn also die Dimension des Sozialen hergestellt wird, wird kulturelles Handeln möglich, weil es erst damit Deutungs- und Entscheidungsalternativen gibt.

Am Beispiel des Karrierebeginns Ulla Hahns als Schriftstellerin zeigt sich diese Bedeutung der Schublade. So habe sie, wie in der SZ zu lesen ist, im Gespräch mit Marcel Reich-Ranicki auf ihre unveröffentlichten Gedichte hingewiesen: »Hahn schickte ihm also ihre Schubladen-Ware. Und der Rest ist bekannt. Aus der Redakteurin wurde erst eine Bestseller-Lyrikerin, die inzwischen auch noch Bestseller-Erzählerin ist. Das gibt es so kein zweites Mal in der deutschen Literaturszene« (Przybilla 2.9. 2014). Hahns biographische Kontinuität ändert sich, als sie sich als Lyrikerin sichtbar macht, indem sie einem anderen – in diesem Fall Reich-Ranicki – die Möglichkeit eröffnet, sich als Förderer einer Debütantin im Bereich literarischen Handelns einen Namen zu machen. In Rumänien schreibt auch Herta Müller (2014) für die Schublade, aber weil schreiben grundsätzlich als subversiv gilt, weil es als kulturökonomisches Handeln auf die Konstruktion eines eigenen Sozialraums angelegt ist, interessiert sich die Securitate für Müllers Schublade. Ist die Existenz einer Schublade bekannt, sind die dort abgelegten Manuskripte so gut wie veröffentlicht. Dagegen wird über Wolfgang Koeppen jahrelang die Nachricht lanciert, seine Schublade berge ein umfangreiches Projekt, an dessen Fertigstellung er arbeite, während kein neues Werk erscheint.

Neben dem literarischen Feld sind es häufig einzelne oder Gruppen, die sich öffentlich, zumeist in rituellen Handlungsformen wie Demonstrationen oder Mahnwachen, für ihre politische, religiöse usw. Programmatik, ihr Weltauslegungsangebot exponieren, um einen sozialen Raum zu generieren, in dem es zu Kontakten mit positiv oder negativ interessierten Handlungspartnern kommen kann. Angeboten wird eine bestimmte Weltdeutung, nachgefragt die soziale Aufmerksamkeit. ›Outet sich‹ z.B. jemand als Anhänger einer rechtsextremen Formation, so hat er als ›Kosten‹ seines Bekenntnisses mögliche nachteilige Auswirkungen auf sein Verhältnis zu Eltern, Freunden, seinem Umfeld zu gewärtigen. Selbstverständlich wird er anerkannt und akzeptiert im sozialen Raum der Gleichgesinnten. Drinnen und Draußen, zugehörig und nicht zugehörig hat er durch seine Grenzüberschreitung aus seinem gewohnten Umfeld neu vermessen. Wiederum eine neue Grenze haben Aussteiger aus rechtsextremen Formationen zu markieren.

Zum kulturökonomischen Wissen, sich zur ›Selbstmachung‹ als Autor, Künstler, allgemein als Vertreter einer subjektiv verbindlichen Weltauslegung auf Handlungspartner hin entgrenzen zu müssen und auf einen gemeinsamen sozialen Raum angewiesen zu sein, gehört auch der Aspekt, in fach- und bereichsspezifischen Erinnerungssystemen aufgehoben zu werden, weil ein öffentliches Bekenntnis eine Erzählsituation schafft. Herder benennt die soziale Orientierung des kreativen Menschen über den Tod hinaus in Begriffen der Finanzsprache: »Der Gebrauch seiner [des Verstorbenen] Fähigkeiten, alle Zinsen des Capitals seiner Kräfte, die das ihm geliehene Stammgut oft hoch übersteigen, fallen seinem Geschlecht anheim« (Herder o.J., 106). Herder geht es offenbar geradezu um die ›Sozialpflichtigkeit‹ der schöpferisch erwirtschafteten Kapitalien, deren Erträge von folgenden Generationen genutzt werden, um für die Gestaltung des je zeitgenössischen Sozialen »forthandeln« und »fortwachsen« (106) zu können. Demnach kann der einzelne nur kulturökonomisch gestaltend sein, wenn er das Soziale und dessen Tradition befördern will, was auch in Formen der Modifikation erfolgen kann. Angesichts der Vielzahl der Angebote spricht Herder allerdings nicht von der Konkurrenz zwischen ihnen, sondern von einem »Wettkampf menschlicher Kräfte, der immer vermehrt werden muß, je mehr die Sphäre des Erkenntnisses und der Uebung zunimmt« (107). Zum »Wettkampf« gehören die rituellen, also symbolischen Merkmale des Ludischen und Agonalen, die die Beteiligten bei allem Ehrgeiz dennoch als eine soziale Gemeinschaft rahmen, in der das gleiche Ziel verfolgt wird. Es ist die aufklärerische Vorstellung der unbegrenzten Perfektibilität, die hier auf die soziale Integration durch kulturökonomisches Handeln bezogen wird.

Gemäß der Unterscheidung zwischen der Entgrenzung des Subjekts auf ein Referenzobjekt oder einen Handlungspartner im Rahmen von Kultur findet sich bei Martin Buber (1973, 7) die programmatische Differenzierung zwischen den »Grundworte[n]« ›Ich-Du‹ und ›Ich-Es‹. Grundsätzlich hat sich das ›Ich‹ zu entgrenzen, um als Ich zu handeln:
Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung. Die Haltung des Menschen ist zwiefältig nach der Zwiefalt der Grundworte, die er sprechen kann. Die Grundworte sind nicht Einzelworte, sondern Wortpaare. Das eine Grundwort ist Wortpaar Ich-Du. Das andere Grundwort ist das Wortpaar Ich-Es; wobei, ohne Änderung des Grundwortes, für Es auch eins der Worte Er und Sie eintreten kann. Somit ist auch das Ich des Menschen zwiefältig. Denn das Ich des Grundworts Ich-Du ist ein andres als das des Grundworts Ich-Es.
In einer kaum noch weiter zu verdichtenden Form prägt Ernst Bloch in der berühmten Formulierung im ›Zugang‹ zur Tübinger Einleitung in die Philosophie I aus dem Jahr 1961 den Topos vom einzelnen, der, um sich zu machen, auf das Soziale angewiesen ist und dieses daher zu formen hat: »Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst« (Bloch 1968, 11). Bei Peter Handke (2014, 37) findet sich schließlich die Formulierung: »Was ich schreibe, ist mehr als ich«. Demnach ist die soziale Dimension, die sich ihre Handlungspartner immer schon sucht, dem Schreibprozess als kulturellem Handeln inhärent.

Prioritär zu untersuchen sind Verfahren, mit denen Akteure versuchen, ihre subjektiv verbindlichen Weltauslegungsangebote (Programmatiken) und politischen Deutungsperspektiven als akzeptanzfähige Sozialformen zu generieren, zu gestalten und zu etablieren. So hat die Unternehmerin Julia Stoschek in Düsseldorf ein privates Museum für Videoinstallationen eingerichtet, das der Öffentlichkeit bei freiem Eintritt zugänglich ist. Damit geht sie über den Rahmen einer privaten Sammlerin hinaus. Für ihr Sammelgebiet versucht sie, Besucher zu interessieren, um ihre individuelle Programmatik sozial zu legitimieren. Wie groß die Nachfrage auf ihr Angebot ist, wäre empirisch zu prüfen. Auf jeden Fall erhält sie mit einem umfangreichen Interview und einem Foto in der SZ – kostenlose – soziale Aufmerksamkeit als Sammlerin, nicht als Unternehmerin, womit ihre Objekte dezentriert werden. Über ihr Selbstverständnis als Sammlerin sagt sie:
Ähnlich wie in der Automobilindustrie hat auch der Kunstmarkt eine spezifische Wertschöpfungskette. Es gibt die Künstler, die die Kunst produzieren, es gibt die Galerien, sozusagen der Vertrieb und die Vermarktung, und es gibt Sammler, die am Ende die Verantwortung für die Kunst übernehmen sollten. […] Als Privatsammler mit öffentlichem Ausstellungshaus verstehe ich meine Verantwortung auch darin, die Kunstwerke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. (Stoschek 25.8.2014)
Mit Formen einer solchen Wertschöpfungskette hat es kulturökonomische Forschung in allen Feldern zu tun. Angesichts kultureller und literarischer Fragmentierungen in der Gegenwart lässt das kulturökonomische Konzept methodisch sämtliche Möglichkeiten der Weltauslegungsangebote wegen des zugehörigen sozialen Raums als forschungsrelevant gelten. Literaturgeschichte, die der Kultur bzw. dem Kulturellen als Ergebnis konsensorientierter Aushandlungsprozesse Rechnung trägt, kann prominente Bedeutung gewinnen, indem sie den Schnittpunkt vielfältiger ästhetischer, sozialer, politischer und historischer Tendenzen markiert.

Literatur

ADORNO, THEODOR W.: Einleitung in die Musiksoziologie. Zwölf theoretische Vorlesungen. Reinbek bei Hamburg 1968
BASELITZ, GEORG: In einem Zustand bar aller Zweifel. »Schon aus Widerspruch durfte ein Bild nicht gut werden«: Der Maler Georg Baselitz erklärt seine Kunst und was ihn antreibt. Die Fragen stellt Catrin Lorch. In: SZ Nr. 210, 12. 09. 2014, S. 13
BENDIXEN, PETER: Einführung in die Kultur- und Kunstökonomie. Opladen/Wiesbaden 1998
BERNAU, VARINIA: Treffer!. Bislang waren Bewerber Bittsteller. Doch die Zeiten ändern sich. Firmen müssen immer öfter um Talente werben – und greifen deshalb zu neuen Technologien: Können Algorithmen schaffen, wozu altmodischeBewerbungsmappen nicht taugen? In: SZ Nr. 7, 10./11. 01. 2015, S. 25
BERNHARD, THOMAS / SIEGFRIED UNSELD: Der Briefwechsel. Hg. von Raimund Fellinger, Martin Huber und Julia Ketterer. Frankfurt am Main 2009
BLEUTGE, NICO: »Ich stoße auf Stimmen und fresse mich hinein«. Interview mit Jürgen Holwein, in: Stuttgarter Nachrichten, 12. 11. 2008, anlässlich der Stuttgarter Buchwochen
BLOCH, ERNST: Tübinger Einleitung in die Philosophie I. Frankfurt am Main (1963) 1968
BRAUCHEN WIR AMAZON? Der Internetversandhändler diktiert der Welt die Regeln, nach denen Bücher gelesen, geschrieben und publiziert werden. 19 Autoren aus aller Welt beantworten sechs Fragen nach dem richtigen Umgang mit dem genialen Giganten. In: Die Zeit Nr. 30, 17.07.2014, 37-39
BUBER, MARTIN: Das dialogische Prinzip. Heidelberg 1973
DÜCKER, BURCKHARD: Kultur. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Bd. 4. Tübingen 1998, 1384-1420
DERSELBE: Kanon und Krise. Zu den ›Skandalen‹ um Günter Grass und Peter Handke im Jahr 2006. In: Estudios Filológicos Alemanes 2007, Bd. 13, 623-638
DERSELBE: Die Modernisierung des künstlerisch-literarischen Mäzenats im Rahmen ritualisierter Kulturrepräsentation. In: Jungaberle, Henrik / Jan Weinhold (Hg.): Rituale in Bewegung. Rahmungs- und Reflexivitätsprozesse in Kulturen der Gegenwart. Berlin 2006, 109-128
DERSELBE: Vorbereitende Bemerkungen zu Theorie und Praxis einer performativen Literaturgeschichtsschreibung. In: Friederike Elias u.a. (Hg.): Praxeologie. Beiträge zur interdisziplinären Reichweite praxistheoretischer Ansätze in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Berlin/Boston 2014, 97-128
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