Wann haben Sie das das letzte Mal Kunst gekauft? War das Kaufmotiv echtes Gefallen und Interesse an der Kunst oder waren spekulative Motive ausschlaggebend? Also die Annahme, dass das Bild oder die Skulptur irgendwann einmal mehr monetären Wert besitzt? Ganz ehrlich?
Der Kunstmarkt lebt hauptsächlich vom Mythos der Wertsteigerung des Kunstobjekts, dies ist das Hauptversprechen an den Käufer, obwohl es keine Garantie für dieses Versprechen gibt und gab. Über den Kunstmarkt zu sprechen ist für mich als Künstler eine ambivalente Sache, bin ich doch partizipierender Teil desselben, auch wenn ich in einer anderen Liga spiele, als die, von denen hier im Folgenden meist die Rede sein wird. Ich selbst habe erlebt, dass ein Sammler meiner Kunst, eine Arbeit nach 20 Jahren an mich zurück verkaufen wollte, weil sich seiner Meinung nach keine Wertsteigerung meiner Arbeit im Kunstmarkt ergeben habe. Ein solches Verhalten ist nicht die Regel und der Rücknahme-Deal kam nicht zustande.
Die Quintessenz meiner Anekdote zeigt aber, dass es sich schon hier im ›kleinen Kunstmarkt‹ um spekulative Elemente handelt, die, wie wir wissen, im großen Kunstmarkt zu einer bedrohlichen, nicht nachvollziehbaren Blase gewachsen sind. Jenseits dieser spekulativen Blase gibt es aber auch andere Rezipienten, Sammler und Menschen, die den Zugang zur ästhetischen Erfahrung durch ein tieferes Interesse an der Kunst präferieren und praktizieren, über die hier auch zu sprechen sein wird. Daher möchte ich mit einem Blick auf die Entstehung und Entwicklung des Kunstmarktes beginnen und damit verbunden auf die Entstehung von Galerien, Kunstmessen und Auktionen heute. Innerhalb dieses Komplexes werde ich auch auf die Situation des Künstlers schauen, der sich zwischen ideellem Anspruch und gegenteiliger Wertanschauung bewegt, wie wir sehen werden. Bei der folgenden kleinen Historie beziehe mich teilweise auf die Masterarbeit von Susanna Hoffmann-Ostenhof: Die Geschichte der Kunstmessen.
Kunst zählt zu den archaischen Bedürfnissen des Menschen. Höhlenmalereien aus der Steinzeit, ägyptische, römische und griechische Kunst der Antike bis zum Mittelalter und bis in die Neuzeit bestätigen eine tiefere Bedeutung der Kunst in der Gesellschaft. Der Handel mit Kunst lässt sich bis 800 Jahre vor Christus zurückverfolgen. Schon im alten Rom wurden mit Raubgütern Kunstschauen veranstaltet, die man durchaus als erste Ausstellungen interpretieren könnte. Auch Versteigerungen wurden abgehalten. Im Grunde liefen römische Auktionen nach den gleichen Regeln ab, wie wir sie heute noch kennen. Es gab schriftliche Verlautbarungen, quasi erste Vorläufer unserer heutigen Kataloge, es wurden Aufschläge verrechnet, vergleichbar unseren Käufer- und Ersteher-Provisionen, es wurden Steuern erhoben und Rechnungen gestellt. Das Wort ›Auktion‹ leitet sich vom lateinischen ›auctio‹ ab, was so viel wie Vermehrung bedeutet. Im Mittelalter wurde Kunst von kirchlichen und politischen Machthabern in Auftrag gegeben. Mit Erfindung des Buchdrucks in Europa im Jahre 1440, konnte das Volk dann auch Heiligenbilder kaufen. Albrecht Dürer druckte seine Kupferstiche in Massenproduktion und verkaufte so große Stückzahlen seiner Arbeiten.
Kunst in Geschäften oder Läden gab es seit dem 16. Jahrhundert. Im 17. Jahrundert entwickelt sich ein blühender Markt mit Bildern hauptsächlich klerikaler Motive, die über Galerien und Verkaufsausstellungen vertrieben wurden. Kunst bekam nun eine wirtschaftliche Dimension, die über Grenzen hinweg betrieben wurde. Die entstehenden reichen Handelsdynastien übernahmen zunehmend die Funktion der Kunstmäzene, die bisher Adel und Klerus stellten. Diese neuen Klassen erwarben Kunst für ihre Privatsammlungen und demonstrierten damit ihren Reichtum und sozialen Aufstieg. Ursprungsort dieses lebendigen Kunstmarktes war Antwerpen, wo es bereits seit 1540 rund 100 Kunstgalerien gab, deren Handelsnetze über ganz Europa reichten. Anfang des 17. Jahrhunderts kam es zu einem Höhepunkt des Kunsthandels vor allem in den Niederlanden, Frankreich, Deutschland und Italien. Die Familie der Medici nahm schon Mitte des 16. Jahrhunderts durch Bank- und Handelsgeschäfte eine mächtige Stellung ein und unterstrich diese Position mit der Förderung und Sammlung der Künste.
Der Maler Giorgio Vasari (1511–1574), italienischer Architekt und Hofmaler der Medicis, veröffentlichte mit seinem Buch Lebensbeschreibung berühmter Maler, Bildhauer und Architekten gleichsam einen Leitfaden für Kunstinteressierte. Er gründete auch die erste Kunstakademie in Florenz um 1563 und in den Uffizien wurde, auf sein Betreiben hin, die Kunstsammlung der Medicis einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert.
Die neue Sammelleidenschaft wurde von den europäischen Fürsten- und Herrscherhöfen übernommen. Diese festigten zunehmend ihre gesellschaftliche Position mit Kunstsammlungen. Zu nennen wären hier z.B. die Sammlung von Katharina in der Eremitage in St. Petersburg oder die des Habsburgers Kaiser Rudolf II., dessen Brueghel, Manierismus- und Archimboldo-Sammlungen noch heute im Kunsthistorischen Museum in Wien zu betrachten sind.
Der Maler jener Zeit streifte sein Image als Handwerker ab und wurde Künstler. Die Kunden wurden Sammler und erteilten keine Aufträge mehr, sondern kauften Werke direkt aus der Werkstatt, die der Künstler freigab. Ein Beispiel: Kaiser Karl V. oder auch König Philipp II. von Spanien bestellten bei Tizian in Venedig nicht das Bild eines bestimmten Themas, sondern erbaten vielmehr ein Werk aus der aktuellen Produktion, das der Künstler bereit stellen möge.
In Deutschland wäre Hans Fugger zu nennen als Auftraggeber für italienische und niederländische Malerei. Fugger hatte für das Bürgertum in Deutschland und für die Entwicklung des Kunsthandels eine Vorbildwirkung. Kunst als Investment und Anlageobjekt wurde sehr beliebt und erfasste sogar breitere Schichten. Kunst fand nun Einzug ins alltägliche Leben des reichen Bürgertums. Aber auch schon im 18 Jahrhundert gab es Kritiker des Kunsthandels: Der romantische Schriftsteller Wilhelm Heinrich Wackenroder kritisierte vehement die Vermarktung von Kunst. Er beklagte, dass Bildersäle wie Jahrmärkte verstanden würden, »wo man neue Waren im Vorübergehen beurteilt, lobt oder verachtet«. Ausstellungsräume sollten seiner Ansicht nach »Tempel sein, wo man in stiller und schweigender Demut [...] die großen Künstler [...] bewundern und mit der langen, unverwandten Betrachtung ihrer Werke in dem Sonnenglanze der entzückendsten Gedanken und Empfindungen sich erwärmen möchte«.
Ein wesentlicher Schub für deutsche Künstler und Galerien, war die Entstehung von Kunstvereinen im 19. Jahrhundert. Diese waren Ausdruck bürgerlicher Emanzipationsbestrebungen und ein erster Schritt in Richtung einer demokratischen Gesellschaft.
Während sich Museen vorwiegend der Sammlung von Kunst widmeten, handelten Galerien mit der Kunst. Ende des 19. Jahrhunderts, mit dem Beginn der Moderne (Vollard eröffnete im Jahr 1895 in seiner Pariser Galerie die erste Einzelausstellung von Cezanne) spaltete sich der Kunstmarkt einerseits in Händler, die kunsthistorische und sakrale Werke anboten und andererseits in Galerien, die sich der zeitgenössischen, umstrittenen modernen Kunst widmeten. Im Übrigen korrespondierte die Bewegung der Moderne mit der ersten großen Welle des globalen Kapitalismus. Diesem Einfluss verdankt die Kunst der Moderne wesentliche Freiheiten. Im Rheinland z.B., wo eine neue wohlhabende Industriegesellschaft die ökonomischen Voraussetzungen für ein Sammlerpublikum bildete, eröffnete 1918 die ehemalige Brotverkäuferin Johanna Ey ihre erste Galerie in einem kleinen Ladenlokal in Düsseldorf. Claudia Herstatt schreibt dazu: »Ihre Galerie war das brodelnde Zentrum im Aufbruch gegen den etablierten Kunstbetrieb. Dazu gehörten Otto Dix, Paul Westheim, Bruno Goller, Jupp Rübsam und Max Ernst.« Unter dem Druck der Nationalsozialisten musste sie ihre Galerie 1934 schließen.
Wir wissen, dass der Zweite Weltkrieg für die Kunstentwicklung eine große Katastrophe war, in Deutschland und ganz Europa. Die Gründe kennen wir auch: Mit der Vertreibung und Emigration jüdischer Sammler, vorwiegend in die USA, entstand ein Vakuum, das bis heute nachwirkt.
Die Nachkriegszeit und der Wiederaufbau ließen zunächst kaum Platz für eine konzentrierte künstlerische Produktion und einen funktionierenden Kunsthandel. Einen wichtigen Wendepunkt stellte die erste Documenta im Jahre 1955 dar, die auf die Initiative von Arnold Bode zurück geht. Für viele Künstler und Kunsthändler in Deutschland war die Documenta ein erster Kontakt mit zeitgenössischer Kunst und begründete zahlreiche Karrieren, wie z.B. die des Kunsthändlers und Galeristen Rudolf Zwirner, Gründer der ersten Kunstmesse in Deutschland, der ›Kunstmarkt Köln‹, der uns seit 1984 als Art Cologne bekannt ist.
Die fulminante Explosion der Kunstmessen und Auktionen in den folgenden Jahrzehnten hat ihre Ursachen im Wandel des Kunsthändlers zum Galeristen. Andererseits ist auch ein Zusammenhang mit der zunehmenden Konkurrenz internationaler Auktionshäuser im zeitgenössischen Segment festzustellen.
Hinzu kommt, dass sich neben Auktionen und Galerien seit den 90er Jahren der Typus des Kunstberaters, als Vermittler zwischen Kunst und Wirtschaft, etabliert hat. Kunstberater ist kein anerkanntes Berufsbild und Kunstberatung im historischen Sinn ist nicht neu: die Beratung von Fürsten, reichen Bürgern und Politikern ist uns bekannt: Georg Gsell war Kunstberater Peters des Großen, Johann Martin von Wagner war Kunstberater von Ludwig I., König von Bayern und Ernst Buchner und Karl Haberstock waren einst die Kunstberater Adolf Hitlers, nur um einige zu nennen. Aktuell ist dieser Berufstand durch den in Untersuchungshaft sitzenden Helge Achenbach in die Schlagzeilen gekommen. Achenbach wird vorgeworfen, Kunstwerke und Oldtimer mit verdeckten Preisaufschlägen und gefälschten Rechnungen an den Aldi-Erben Berthold Albrecht weiterverkauft zu haben. Unter anderem habe Achenbach aus Dollar-Beträgen Euro-Summen gemacht und die Rechnungen so nach oben manipuliert. Insgesamt soll den Medien zufolge ein Schaden von rund 60 Millionen Euro entstanden sein.
Dieser Fall trägt weiterhin zur Verunsicherung in der Öffentlichkeit bei, denn die Kunst von heute steht scheinbar nur noch für eines: extreme Auktionsrekorde, die keiner versteht! Man kann den Zeitpunkt des Wechsels altbekannter Marktregeln für Kunst relativ genau datieren: 1999! In diesem Jahr wurde eine Keramikplastik Pink Panther von Jeff Koons für 1,6 Millionen Dollar versteigert. Zuvor gehorchte die Preisdynamik noch den Kriterien kunsthistorischer Legitimierung: Renommee des Künstlers oder die Seltenheit seines Werkes. Verstorbene Künstler wurden dabei höher bewertet als lebende. Die Kunstberaterin Thea Westreich kommentiert diese Entwicklung so: »In der Vergangenheit kauften Menschen Kunst in der Hoffnung, dass ihre Sammlung irgendwann für die Kunstgeschichte wichtig werden möge. Heute glauben sehr viele Sammler, dass Wertsteigerung am Markt automatisch kunstgeschichtliche Relevanz bedeutet.«
In dieser falschen Annahme geschehen scheinbar Wunder, wie diese Nachricht zeigt: Mit Nachkriegs- und Gegenwartskunst wurden 2013 bei Christie's 782,4 Mill. Dollar und bei Sotheby's 380,6 Mill. Dollar erwirtschaftet. Ein Indikator dafür, dass trotz Finanzkrise immer mehr Geld im Markt vorhanden ist.
Das globale Karussell lädt uns heute zu scheinbar unendlich vielen Kunstmessen ein. 1970 gab es gerade mal drei Kunstmessen: die Art Cologne, die Art Basel und die Brüsseler Art Actuel. 2005 waren es 68 nennenswerte Messen und 2011 bereits 189.
Der deutsche Maler Gerhard Richter ist einer Rangliste zufolge unter Käufern von Gegenwartskunst der weltweit beliebteste Künstler. Bei Versteigerungserlösen von umgerechnet 558 Mill. Euro steht Richter nach einer Aufstellung der Kunstdatenbank artnet an oberster Stelle. Wie sich in seinem Werk die Kategorie ›gute und vorbildliche Kunst‹ und ›ideeller Wert‹ vereinbaren ist mir schleierhaft. Denn setzt man an seiner Kunst den Leitspruch Max Ernsts an, der da sagte: »Der Maler, der sich findet ist verloren«, dann muss man feststellen, das sich Gerhard Richter schon lange gefunden hat und nach Rezept arbeitet. Von diesen Ansprüchen weit entfernt agiert der Kunstmarkt, für den auch das Alter der Künstler keine Rolle mehr spielt. Der amerikanische Künstler Lucien Smith ist erst 24 Jahre alt und erzielte schon Höchstpreise bei internationalen Auktionen. Bei Christie's und Sotheby's wurden kürzlich drei Rain Paintings von ihm mit erheblichen Steigerungen vermittelt. Die drei Gemälde entstanden im Jahr 2012 und kletterten von rund 40 000 auf 185 000 Pfund bei Sotheby's, und auf 158 000 Pfund bei Christie's.
Was veranlasst Menschen, so viel Geld für Kunst auszugeben? Nach Meinung eines Sammlers geht es ihm dabei weniger um die so irrwitzigen und obszönen Geldsummen, als vielmehr um das Geheimnisvolle als symbolische Annäherung an den unschätzbaren Wert des jeweiligen Werkes. Georg Seesslen beschreibt den Zustand radikal: »Art Fairs sind die Playgrounds der Superreichen geworden inklusive der Künstlerfrühstücke für die VIPs und die Sammler. Kunst ist eine der besten Kapitalanlagen und Steuer-Vermeidungs-Felder der Welt geworden. Mit Kunst kann man Geld waschen, Erbschaftsteuern sparen und öffentliche Anerkennung erringen und noch viel besser spekulieren als mit Aktien. Die Kunst spricht fast nur noch durch die Sprache des Geldes zu uns. Aber das tut sie so laut wie nie zuvor. Es gibt eine simple Ökonomie dieses boomenden Kunstmarktes, der bereits zu groß ist, als dass er scheitern könnte: Das überschüssige Kapital schafft sich ein Spielfeld, auf dem es vollkommen losgelöst walten kann. Eine kleine Clique von superreichen Sammlern treibt sich gegenseitig die Preise in die Höhe. Davon profitiert ein global vernetztes und immer enger mit Banken verflochtenes Kunstbusiness. Der Kunstmarkt ist eine böse Karikatur des Kapitalmarkts geworden. Die Banken werden Sammler, die Banken organisieren Kunstanleihen und liefern schließlich die Expertisen darüber, was Kunstwerke wert sind.«
»Die Allianz von Geld und Kunst ist uralt: Beide haben ihren Ursprung im Sakralen, beide fordern Opfer und schenken Leben, beide verbinden Menschenleben, beide sind angewiesen auf den Sinn des Sehens. Das erklärt die Funktion, die das Geld der Kunst zugewiesen hat. Aber muss deshalb auch die Kunst für immer ins Gefängnis des Geldes eingeschlossen sein? Muss sie dran glauben, damit wir alle ans Geld glauben können? Viele zerbrechen sich den Kopf über Auswege aus der Finanzkrise. Sollten wir uns nicht auch darüber Gedanken machen, wie wir die Kunst davor bewahren, den Preis des Geldes zu zahlen? Dass das Geld auch Blüten produziert, bedeutet nicht zwingend eine Blüte der Kunst«; so die Kunsthistorikerin Christina von Braun.
Dass die Kunst auch echte Blüten, also Fälschungen produziert, hat der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi mit Erfolg und präzisen Methoden bewiesen. Das war eindeutig kriminell! Interessant und fatal daran war die Tatsache, dass er mit diesem Skandal ein unersättliches und korruptes System offen legte. Denn Kunst scheint dem wirtschaftlichen Anspruch und Ideal voll zu entsprechen: mit einen Minimum an Aufwand, ein Maximum an Ertrag zu erzielen. Dass der Markt diesem Prinzip folgt ist nicht verwerflich. Verwerflich ist, dass die Kunst, die in diesem Karussell in die Höhe gehoben wird, der Kategorie ›gute und vorbildliche Kunst‹ und ›ideeller Wert‹ zugeordnet wird.
Der Preis von Kunst ist irrational und durch keinen rationalen Grund zu rechtfertigen. Das hängt auch ganz dicht mit der beliebigen Urteilskraft von Kunst selbst zusammen. Gäbe es diese, dann gäbe es auch vernünftige Gründe einer Preisgestaltung für Kunst.
Damien Hirsts Diamantenschädel wurde im August 2007 für den irrwitzigen Preis von 100 Millionen Dollar verkauft. Ein mit 8601 Brillanten besetzter, in Platin abgegossener menschlicher Schädel mit dem Titel: For the Love of God. Sein Galerist Jay Jopling verkündete, allein die Materialkosten hätten 28 Millionen Dollar betragen. Die geforderten 100 Millionen Dollar schien allerdings lange niemand zahlen zu wollen für das glitzernde Symbol. Erst Ende August hieß es dann, das Geld sei tatsächlich geflossen – von einem anonymen Sammlerkonsortium, in bar und ohne Quittung, sodass niemand den angeblichen Preis überprüfen konnte. Umso größer war die Blamage, als wenige Tage später verkündet werden musste, Hirst der Künstler selbst – einer der reichsten Künstler der britischen Insel – sei Teil der Käufergruppe gewesen. Hier zeigt sich, dass auch der Künstler selbst ›kreativ‹ in den Markt einwirken und den Kunst-Wert beeinflussen kann.
Aber was ist der wahre Wert von Kunst? Die Kunst galt einmal als eines der hervorragenden Mittel zur Befreiung des Menschen. Sie spielte mit den schöpferischen Möglichkeiten des autonomen Subjekts, sie zeigte modellhaft, was Freiheit sein kann. Kunst war Ausdruck der Freiheit, selbst oder gerade dort, wo sie sich von dem Zwang befreite, etwas Bestimmtes ausdrücken zu müssen. Kunst war das Instrument, die Freiheit, die sich der individuelle Künstler nahm, um auf den Adressaten zu übertragen, in der Galerie, im öffentlichen Raum, im Museum und, gewiss doch, auch im Salon des ›Besitzbürgers‹, der sich mit seinem Komplizen, dem ›Bildungsbürger‹, zum angenehmen Kunstgespräch traf. Gleichzeitig war Kunst immer abhängig von der Ökonomie und von der Macht, da mache man sich nichts vor – wenigstens äußerlich. Aber es gehörte zu ihrem Wesen, dass derjenige, der sie sich leisten konnte, sich damit auch eine Verantwortung einhandelte, und dass die Kunst immer sehr viel mehr war als der Privatbesitz der ökonomischen und politischen Elite.
Diese Elite hat sich nun aber nicht nur die Kunst angeeignet, sondern auch den Diskurs über sie. Kunstwissenschaft, Kunstkritik, Kunstpublizistik sind so hörig und von ihren Gnaden abhängig, dass sie ihnen genau das als Kunst definieren, was sie als Kunst gebrauchen können. Weil also inzwischen alles Kunst geworden ist, wie die letzte documenta Chefin Carolyn Christov-Bakargiev uns klar zu machen versuchte, indem sie der Weltöffentlichkeit zu Eröffnung mitteilte, »...der Unterschied zwischen dem was Kunst ist und was nicht, wird immer unwichtiger«, brauchen sich die Künstler auch nicht mehr darüber zu streiten, was denn Kunst sei. Die Öffnung der Künstler hin zum Markt hat den Kunstbegriff beliebig werden lassen, denn ideologische Kämpfe darüber lassen sich in einen wachsenden Markt schlecht integrieren. Das alles hat natürlich Folgen für den Künstler und den Rezipienten.
Für die Rezipienten als ›normale‹ Menschen, die sich ›für Kunst interessieren‹, bedeutet die Ökonomisierung und Privatisierung der zeitgenössischen Kunst eine Form von Entzug oder Unterschlagung. Nicht nur durch den Entzug der Sichtbarkeit bestimmter Werken, die in Tresoren, privaten Sammlungen oder Zollfreilagern gehortet werden. Die Kunstwerke verlieren ihren eigentlichen Adressaten, den nach Freiheit, Schönheit und Fantasie verlangenden Menschen, eine Gesellschaft, die sich traut, ästhetische Experimente zu treiben. Auch ist der Verlust zuletzt jener Räume zu beklagen, in denen Kunst und Bürger miteinander kommunizierten, ohne von ökonomischen und politischen Interessen gestört und missbraucht zu werden.
Während es dem Kunstmarkt so gut geht wie noch nie, geht es der Kunst-Kultur so schlecht wie nie zuvor. Den meisten Künstlerinnen und Künstlern auch. Für die Künstler, die sich diesen Marktstrategien verweigern oder die nicht integriert werden, zeigen der Markt und die Gesellschaft keine Akzeptanz, da die Werke dem Wertekanon markthöriger Kunstwissenschaft, Kunstkritik und Kunstpublizistik nicht entsprechen. Hinzu kommt, dass seriöse Galerien hierzulande ebenso selten zu finden sind wie Perlen in einer Muschel.
Die Folge ist Verarmung. Unter diesen Bedingungen leben und arbeiten die meisten Künstler in der Bundesrepublik. Die Zahl der bei der Künstlersozialkasse gemeldeten bildenden Künstler hat sich von 18.732 im Jahr 1991 auf 51.732 im Jahr 2004 erhöht. Gegenwärtig sind es 177.000 selbstständige Künstler und Publizisten die bei der Künstlersozialkasse gemeldet sind. Und noch diese Information: Das monatliche Durchschnittseinkommen der Bildenden Künstler/innen in Deutschland beträgt ca. 900 €.
Diese prekäre Situation ist nur eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass die verfassungsmäßig garantierte Freiheit der Kunst beschnitten wird. Staat und Gesellschaft fordern, dass Kunst sich ›rechnen‹ müsse. Geforderte Quote und Rentabilität verlangen aber nichts anderes, als sich dem Massengeschmack unterzuordnen und das Kunst so sein soll, wie es die Leute gerne hätten: Leicht konsumierbar und vertraut. Die verfassungsmäßige Freiheit von Kunst sollte eigentlich auch bedeuten, dass Geld zur Verfügung gestellt wird um künstlerische Produktion zu ermöglichen. Aus dieser Verantwortung sollten wir den Staat nicht entlassen, denn damit würden wir den neoliberalen Handlungs-Maximen in die Hand spielen.
»Der Künstler kann so viele Ideen haben wie er will, so viele Bilder horten wie es ihm gefällt, und egal wie gut das ist, was er sich ausgedacht hat: Zur Kunst wird es erst, wenn es in die Öffentlichkeit gehoben wird, wenn es eine Auseinandersetzung darum gibt.«, so Hans Otto Ressler. Angesichts dieser Tatsachen kann man sich die Frage stellen: Wieso wird jemand Künstler?
Die typische Entscheidung Künstler zu werden beruht nicht auf Überlegungen, die den finanziellen Erfolg im Auge haben, sondern auf Vorstellungen, die mit persönlicher Berufung, freiheitlichem Querdenken und Innovationsstreben verknüpft sind. Die daraus resultierende Besonderheit der künstlerischen Tätigkeit ist der Entstehungsprozess der Kunst. Somit ist unumstritten, dass künstlerische Tätigkeit nicht mit der einfachen Bereitstellung einer Dienstleistung oder einer handwerklichen Tätigkeit zu vergleichen ist. Dennoch scheint es verschiedene Motive dieser Auffassung zu geben: In einem Künstlerforum las ich den Eintrag eines amerikanischen Künstlers: Seiner Meinung nach gibt nur zwei Klassen von Künstlern: Den hungernden Künstler, der naiv ist und nur Kunst um ihrer selbst willen produziert und derjenige, der Realist ist und verstanden hat, das alle Kunst nur ein Business- und Unternehmensziel kennt, nämlich Geld zu verdienen.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellte vor kurzem in Berlin eine Studie vor, wo nach Künstler zwar arm, aber glücklich seien. Als Gründe wurden genannt, »Künstler ziehen aus der Tätigkeit selbst einen viel größeren Nutzen als aus dem Geld, das sie damit verdienen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Künstler auch dann glücklich sind, wenn sie nicht von ihrer Arbeit leben können.« In diesen Einschätzungen mag ein Funken Wahrheit stecken, aber es klingt nach verharmlosender Sozialromantik, denn die Verarmung und Vereinsamung vieler Künstler (besonders im Alter), verbunden mit dem Verschieben der Künste in die gesellschaftliche Peripherie, wird immer beunruhigender und ist oft verheerend. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als zynisch, dass es Menschen gibt, die den ›Van Gogh-Mythos‹ derart pflegen, dass sie tatsächlich behaupten, Künstler müssten in prekären Existenzsituationen leben, um wirklich gute Kunst zu produzieren.
Wir sehen, die Schattenseite der realen Lebens- und Produktionsverhältnisse von Kunst und Künstler/innen finden jenseits der wahnwitzigen Auktionen und ihrer Schlagzeilen auch statt. Auch dort wird gute Kunst produziert. Ist diese deshalb weniger wert oder ist der spekulative Kunstmarkt der Maßstab, der allen Künstlern und ihren Produkten angelegt werden sollte? Eine Antwort darauf ist aus den Überlegungen von oben klar abzuleiten. Aber neben dieser Antwort formiert sich eine neue Frage: Besteht überhaupt eine Aussicht auf Änderung dieser Situation?
Im neoliberalen Zeitalter geht man davon aus, dass der Markt die Dinge von alleine regelt. Dieser Glaube war auch für den Bankencrash verantwortlich; er hat aus meiner Sicht sein Haltbarkeitsdatum längst überschritten und daher drohen bei Anwendung sehr üble Reaktionen, denen wir schon seit Längerem intensiv ausgesetzt sind. Sollte ich etwas zu Genesung verschreiben dürfen, dann würde ich diesem kranken System genau die Werte verschreiben, die in der Rezeption und in der Produktion von Kunst benötigt werden. Als da wären: Verhaltensweisen und Empfindungen, die nicht den finanziellen Erfolg, sondern den Prozess ästhetischer Kommunikation und ästhetischer Erfahrung, sowie die Aneignung vielfältiger Arten der Wahrnehmung im Auge haben. Aus diesen Eigenschaften bilden sich nämlich jene Werte, die letztlich auch in einen Freiheits- und Verantwortungsbegriff münden. So gesehen, könnte man an eine Selbstheilung des Systems glauben.
So aber wundert es nicht, dass der Kunstmarkt im Neoliberalismus nach den bewährten Mustern des Kapitalismus handelt. Was mich lediglich verwundert ist, »...wie wenig die Kunst selbst, die Kritik und der Betrieb dagegen Widerstand leisten« (Seesslen). Wieso kommt nichts aus den Akademien, nichts aus den Kulturinstitutionen und Kulturministerien?
Zum Abschluss möchte ich noch einmal Georg Seesslen zitieren. Er ist der Meinung:
»Eine Kunst, die sich zum Konsumfetisch der Oligarchen des Weltkapitalismus macht, brauchen wir nicht.
Eine Kunst, die die Schere zwischen Armen und Reichen weiter aufmacht, brauchen wir nicht.
Eine Kunst, die zum weiteren Instrument der Banken wird, brauchen wir nicht.
Eine Kunst, deren Wert nicht durch den Diskurs, sondern durch den Markt bestimmt wird, brauchen wir nicht.
Eine Kunst, die anstelle der Freiheit die Freiheit des Geldes in der Postdemokratie ausdrückt, brauchen wir nicht.«
Und:
»Eine Kunst, die keinen Widerstand leistet, brauchen wir auch nicht.«