Ökonomische und ökonomistische Ansätze im Gesundheitswesen
aus medizinhistorischer Perspektive

Dieser Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, welche Spuren der Vorrang von Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in zurückliegenden Zeiten hinterlassen hat und inwiefern eine Durchsetzung (Ökonomisierung), gar das Primat (Ökonomismus) der ökonomischen Rationalität im Bereich der medizinischen Versorgung kritisch im Zusammenhang ethischer Handlungsorientierung zu betrachten ist.

Der begriffsprägende Sozialökonom Gerhard Weisser kritisierte bereits in den 1950er Jahren die Übersteigerung einer ökonomischen Logik zu einem sich selbst verabsolutierenden und damit ideologischen Ökonomismus. (Vgl. Weisser 1954; Bausch 2000 S.75; Dietz 2011 S.217) Nach Rich ist unter Ökonomismus »eine Betrachtungsweise (zu verstehen), die alle Erscheinungsformen (eines gesellschaftlichen Bereichs) ausschließlich vom Standpunkt des rational Wissenschaftlichen und der materiellen Produktivität aus beurteilt, mithin die präskriptiv-ethischen Gesichtspunkte von vorneherein als unsachgemäß elimiert.« (Rich 1991 S. 221) In Anlehnung an Peter Ulrich lässt sich dieses Phänomen in drei grundlegenden Erscheinungsformen beobachten: in der Verselbständigung der ökonomischen Rationalität gegenüber ethisch-praktischen Gesichtspunkten, in der Verabsolutierung des Kosten-Nutzen-Denkens sprich: in der Negierung der Relationalität des ökonomischen Aspekts eines Handelns und zuletzt in der normativen Überhöhung der Logik des Marktes zum Prinzip der gesellschaftlichen Handlungskoordination. (Vgl. Ulrich 2001 S.127) Anstatt einer angemessenen Einbettung des Marktes in soziale Beziehungen, werden umgekehrt zwischenmenschliche Beziehungen in den Markt eingebettet und zu reinen Tauschbeziehungen geschrumpft. (Vgl. Ulrich 2007 S.138f.) Daneben geraten in jenem verabsolutierten Kosten-Nutzen-Denken übergeordnete, außerökonomische Sinn- und Zweckorientierungen in den Hintergrund. (Vgl. Ulrich 2001 S.127f.) In diesem Zusammenhang nimmt der technisch handelnde, wirtschaftende Mensch (homo faber) die Rolle eines ökonomisierten, wirtschaftlichen Menschen (homo oeconomicus) ein, dessen Interessenverfolgung durch keinerlei ethisch-moralische Überlegungen abzulenken ist. (Vgl. Arendt 1981 S.142; Kersting 2005) Ulrich stellt heraus, dass der ›homo oeconomicus‹ mit anderen Menschen ausschließlich instrumentell umgehe, was bedeute, dass Interaktionen überhaupt nur dann stattfänden, wenn daraus für ihn ein individueller Nutzen erkennbar sei. Die Basis von Vergesellschaftung liegt damit nicht in kategorischer wechselseitiger Achtung und Anerkennung als Person in ihrer Menschenwürde, sondern grundsätzlich im persönlichen Nutzen. Damit wird der instrumentelle Charakter allen Wirtschaftens missachtet und das Mittel quasi zum Zweck erklärt. (Vgl. Schlette 2005 S.332f.) Dem sozialen Miteinander zwischen Menschen wird kein humaner Eigenwert zuerkannt, und Aspekte der Gesellschaftsgerechtigkeit oder der mitmenschlichen Solidarität spielen keine Rolle mehr. (Vgl. Ulrich 2001 S.1f.) Kersting führt diese Gedanken weiter und bemerkt: »Der Homo oeconomicus ist personen-theoretisch leer, ein charakterloser Reflexions- und Distanzierungsvirtuose, der zu allen Handlungsoptionen in Äquidistanz steht und bei der Suche nach der nutzenmaximalen Alternative durch keine moralischen Bedenken und tugendethischen Festlegungen gehindert wird. Er ist zu keinem normenbefolgenden Verhalten, zu keiner moralischen Selbstbindung fähig.« (Kersting 2005)

Im medizinisch-pflegerischen Bereich bedeutet dies in Konsequenz die Gestaltung von Strukturen, Prozessen und Beziehungen der stationären Versorgung nach dem Prinzip der Effizienz. Das Klinikmanagement wird dazu angehalten, die Kosten der Krankenhausleistungen so niedrig wie möglich zu halten, um eine möglichst große Spanne zwischen Kosten und Erlös zu erwirtschaften. (Vgl. Mühlbauer 2003 S.205f.) Dies beinhaltet beispielsweise eine gesteigerte Ausschöpfung aller Effizienzpotentiale, die zunehmende Verdichtung und Optimierung von Arbeitsprozessen sowie die Eliminierung sogenannter ›unproduktiver‹ Zeitfenster. (Vgl. Manzeschke 2009) Damit geht sowohl dem Personal wie auch den Patienten zunehmend die Möglichkeit zwischenmenschlicher, jedoch nicht-funktionaler Kommunikation verloren.

Dies ist kritisch zu sehen, da nicht jede augenscheinlich nicht-funktionale Handlung in ihren Auswirkungen wirtschaftlich messbar ist, obwohl gleichzeitig Bestandteil eines humanitären Umgangs. Ist es doch unmöglich, alle normativen Gesichtspunkte, die für gutes Leben und Zusammenleben ausschlaggebend sind, zu zählen und auf Effizienz reduzieren zu wollen.

Versorgungstechnische Überlegungen im 19. Jahrhundert am Beispiel Griesingers

Im geschichtlichen Rückblick gründet die Herausbildung des ›homo oeconomicus‹ in einem komplexen Prozess vielfältiger Veränderungen im Umfeld des Merkantilismus der frühen Neuzeit. (Vgl. Lehmann 2008 S.12) Ökonomische Überlegungen spielten auch in der medizinischen Versorgung vergangener Zeiten eine Rolle; die Idee des Ökonomismus wurde schon im 19. Jahrhundert diskutiert. Der Einfluss einzelner Momente dieser Debatte lassen sich in den reformpsychiatrischen Überlegungen Wilhelm Griesingers zu alternativen Versorgungsformen erkennen. Griesingers Reformvorschläge waren einerseits geprägt vom humanitären Gedanken im Zusammenhang mit den Kranken – sowohl in der Anteilnahme des Arztes am Schicksal der »Unglücklichen«, die ihre »freie Selbstbestimmung« (Griesinger 1872 S.150) verloren hatten, als auch im Philanthropismus, der »den Irren ihre Rechte vom Standpunkte der allgemeinen Menschenrechte vindicir(t)« (Griesinger 1870 S.470), also die ihnen vorenthaltenen Rechte für sie einfordert. Gleichzeitig schränkt Griesinger jenes Humanitätsprinzip wieder ein, indem er es dem Prinzip einer zweckmäßigen Behandlung (Griesinger 1868 S.25) unterordnet. Eine genauere Betrachtung seiner späteren Reformvorschläge zeigt, dass für ihn neben der Behandlungsdauer auch Bedarfe für die klinische Lehre wie auch ökonomische Aspekte eine wesentliche Rolle spielten. (Vgl. Schmiedebach1990 S.89ff.) Insbesondere Griesingers Überlegungen zur Ausgestaltung sogenannter »ländlicher Asyle« waren von maßgebenden ökonomischen Überlegungen beeinflusst. (Vgl. Griesinger 1872) So äußert er sich zur Zweckmäßigkeit jener Versorgungsform: »Nicht der Glanz eines abstracten philantropischen Princips, sondern die practische Nützlichkeit, die Erfolge der in seinem Sinne geführten Behandlung ... müssen uns leiten. Eben desshalb aber dürfen wir jene humanistischen Grundsätze auch nur insoweit als Regeln anerkennen, als sie unsere Zwecke fördern...«. (Griesinger 1870 S.470)

Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass Griesingers Interesse am Patienten mit abnehmendem Grad der Chronifizierung des Krankheitsbilds schwindet; dies deutet auch auf ökonomische Beweggründe. Klaus Dörner spricht in diesem Zusammenhang von wirtschaftsliberalistisch unterlagerten Vorschlägen zur Fürsorge psychisch Kranker. (Vgl. Sammet 2000 S.3) Der Kranke werde nicht mehr grundsätzlich erst einmal als Angehöriger der Gattung Mensch gesehen, sondern vielmehr nach dem Nützlichkeitsaspekt beurteilt. Diese Interpretation erhärtet sich, wenn Griesinger von »socialen und intellectuellen Nullen« (Griesinger 1868 S.24) spricht, die von den weniger schlimm Erkrankten nach deren Nutzen zu trennen seien. Damit begibt er sich nach Dörner in Gefahr schon »hier Zukunft vorwegzunehmen« (Dörner 1995 S.303f.). Zu dieser Haltung ambivalent hält Griesinger an anderer Stelle fest, »dass der Gedanke der ausschliesslich casernenartigen Massenverpflegung chronischer, noch eines humanen Lebens fähiger Geistekranker (sich) jetzt... ausgelebt ...und keine weitere Zukunft mehr (habe)« (Griesinger 1872 S.290). Darin erkennt Dörner das erste Dokument der Relativierung des sozio-ökonomisch motivierten Perfektionismus. (Dörner 1995 S.303f.) Heinz-Peter Schmiedebach urteilt, dass die Relativierung des Wertes des Menschen bei Griesinger nur deshalb nicht zu einer umfassenden sozialen Entwertung des psychisch Kranken geführt habe, weil sein Philantropismus in Verbindung mit der Zuerkennung der Menschenrechte für psychisch Kranke dem entgegengestanden habe. (Schmiedebach 1990 S.89ff.)

Auswüchse einer ökonomistischen Medizin im 20. Jahrhundert

Gegenüber dem 19. Jahrhundert verschärfte sich im beginnenden 20. Jahrhundert die Dominanz des Wirtschaftssystems innerhalb des gesellschaftlichen Systems dramatisch. (Vgl. Soeffner 2012 S.85f.) Orientierten sich jene reformpsychiatrischen Überlegungen, die Griesinger zur psychiatrischen Versorgung anstellte, an den Interessen des Bürgertums, so blieben sie in ihrer ökonomischen Tendenz moderat. Die Entwicklung der zeitgenössischen, medizinethischen Debatte über ›unwertes Leben‹ blieb bis zum Ersten Weltkrieg ambivalent, geriet jedoch im Laufe des frühen 20. Jahrhunderts immer stärker in eine Schieflage. Entscheidende Schritte erfolgten in den Jahren der Zwischenkriegszeit durch namhafte Mediziner und Juristen wie Ernst Rüdin, Karl Binding und Alfred Hoche, die gemeinsam mit ähnlich gesinnten Fachkollegen über den Wert eines Menschen nach dessen Gesundheit und Arbeitsleistung befanden und ihm davon abhängig sein Lebensrecht zu- oder absprachen (Vgl. Binding / Hoche 1920).

Lag der Fokus des Diskurses bis dahin auf dem Recht des Einzelnen über sein eigenes Leben und Sterben zu verfügen, mündete sie nun in ein »rechnerische(s) Abwägen von Lebensglück und Lebensunglück« (Kaminsky 2014 S.237) und damit in eine Bewertung menschlichen Lebens nach Lebenswert. Die ökonomistische Prägung lässt sich daran erkennen, dass in der Argumentation die »Bedeutungslosigkeit der Einzelexistenz, gemessen an den Interessen des Ganzen« (Binding/Hoche 1920 S.59f.) betont wurde.

Diese Forderungen wurden an Radikalität nur durch Ernst Mann übertroffen, der in seinem Roman vorschlug, »Selektionsärzte« (Mann 1922 S.96) einzusetzen, die die Bevölkerung in bestimmten Zeitabschnitten prüfen und unheilbar Kranke aussortieren sollten. Diese gedanklichen Entgleisungen trafen in der Weimarer Zeit zunächst auch in rechtskonservativen Kreisen auf Widerstand. (Vgl. Merkel 2006 S.247) An Radikalität und Prägnanz blieben jene Forderungen bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten unübertroffen. (Dörner 1967 S.129)

Ab 1933 wurde die von humanistischen oder christlichen Werten geprägte Ethik der medizinischen Praxis mehr und mehr durch den verabsolutierten Wert des ›Volkskörpers‹ ersetzt (Vgl. Bruns 2014 S.232f.), der das Wohl des Einzelnen dem kollektiven Interesse der ›Volksgemeinschaft‹ bedingungslos unterordnete. Damit fand die rechtlich kodifizierte Zwangssterilisation ihre Legitimation. Die Rechtfertigung der Maßnahmen erfolgte neben dem Argument der Rassenreinheit mit dem einer ökonomischen Belastung der Gesellschaft. Auch die ab 1939 stattfindenden Kranken- und Behindertenmordaktionen wurden mit ökonomischen, rassehygienischen Motiven und Notstandsindikationen zu begründen versucht. (Vgl. Kaminsky 2014 S.265) Gleichzeitig knüpften die ethischen Begründungen an die Metapher des ›Gnadentods‹ an. (Vgl. Kaminsky 2014 S.235) Dabei wurde neben dem Motiv des Mitleids auch auf die Motive des Ekels und der Angst vor den Kranken und Behinderten als Argumentationsgrundlage zurückgegriffen. Daneben wurde immer wieder auf ökonomische Zwänge des derzeitigen Krieges gegenüber Kritikern verwiesen, auf den angeblichen Notstand sowie die ständige Betonung der Nutzlosigkeit der sogenannten ›Ballastexistenzen‹.

Die Verfolgung des Nützlichkeitsaspekts spiegelt sich auch in der Maßnahme der ›planwirtschaftlichen Erfassung‹, im Zusammenhang der Verteilung selektierender Meldebögen an Einrichtungen der deutschen Psychiatrie. (Vgl. Kaminsky 2014 S.259f.) Eine Reihe von Fahrten einer sogenannten ›Planungskommission‹ in den deutschen Gebieten, die in ausführlichen Ergebnisberichten sowie Gutachten und Empfehlungsschreiben dokumentiert wurden, setzte die lückenlose wirtschaftliche Erfassung aller psychiatrischen Einrichtungen fort. (Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde R 96 I) Jene Maßnahmen, die von den sogenannten ›Planungsabteilungen‹ der T4-Zentrale in Berlin zwischen Frühjahr 1941 und Winter 1942 ausgingen, weisen ganz eindeutig auf eine zentral geplante, zunehmende Ökonomisierung des Anstaltswesens hin, die die ›Euthanasie‹ als Korrektiv billigte. Zwar zogen jene Planungen keine handlungspraktischen Maßnahmen nach sich, so dass die Erfassungen auf der Stufe der Potentialität verharrten; das Verbleiben in diesem Status beruhte jedoch weniger auf ethischen Vorbehalten sondern vielmehr auf äußeren Umständen, die deren Etablierung momentan nicht durchsetzungsfähig machten. (Vgl. Kaminsky 2014 S.261)

Ein weiteres Moment, das die Verachtung des Lebens aufgrund wirtschaftlicher Motive spiegelt, zeigt sich in der sogenannten ›Hartheimer Statistik‹ des Sommers 1942. (In der ›Hartheimer Statistik‹ hielten Buchhalter der Tötungsmaschinerie fest, welche Mengen an Lebensmittel, wie an Brot, Kartoffeln, Butter, Fleisch, Gemüse und weitere, jeden Monat durch die Vergasung von psychisch Kranken eingespart wurde. Diese wurde später zu einem Schlüsseldokument in der Aufklärung der ›Euthanasie‹-Morde.) Diese nachträglich erstellte Kalkulation der Mittel, die durch den Krankenmord der ›Aktion T4‹ eingespart wurden und damit der Volksgemeinschaft zur Verfügung standen, trägt Beweis für eine zweifelhafte, wirtschaftliche Legimitierung jener Verbrechen. (›Aktion T4‹ ist die Bezeichnung für die systematische Ermordung von mehr als 70.000 kranken und behinderten Menschen von 1940 bis 1941 in Deutschland.) An diesen Auswüchsen wird trotz einer zum Teil euphemistischen Terminologie der ökonomistische Gedanke medizinischer Versorgung erkennbar. Hier zeigt sich eine Haltung, die das Recht auf Leben allein an Kostenfaktor und Brauchbarkeit des Einzelnen festlegt und von einer durch Krieg und Propaganda abgestumpften Gesellschaft hingenommen wurde: »Der Krieg ... bildete (dabei) die Hintergrundfolie für eine Rationalisierung und Ökonomisierung der Gesellschaft, aus der die dauerhaft psychisch Kranken und geistig Behinderten längst ›entgesellschaftet‹ waren.« (Kaminsky 2014 S.260)

Zeitgeistiger Einfluss des Wirtschaftlichkeitsprimats und ethische Folgerungen

Jene Verabsolutierung der Ökonomie spielte im Westdeutschland der Nachkriegsjahre zwar noch eine einflussgebende Rolle, aber in völlig anderer Weise. Die Gesellschaft identifizierte sich weniger über ihre ›Volksgemeinschaft‹, sondern verstand sich nunmehr als ein Land, das auf seinen wirtschaftlichen Wiederaufschwung stolz sein konnte. Diese Konzentration auf das Wirtschaftliche untersuchten Alexander und Margarete Mitscherlich 1967 in ihrer Kollektivdiagnose Die Unfähigkeit zu trauern. Sie zeigten den Ökonomismus als zentrales Medium, das die »Abwehr (der Geschichte) durch Ungeschehenmachen im Wirtschaftswunder« (Mitscherlich 2007 S.25) ermöglichen sollte.

Nach wie vor spielt die Konzentration auf wirtschaftliche Aspekte in zahlreichen Bereichen und Debatten unserer Gesellschaft eine wesentliche und maßgebliche Rolle. Viviane Forrester verweist 1999 in Terror der Ökonomie auf die alte, wieder lauernde Gefahr, den Wert des Menschen ökonomisch zu bestimmen und stellt provokant die Frage, welchen Nutzen ein Leben haben könne, das nutzlos für den Profit sei. Damit bezieht sie sich auf die von Kant formulierte Kritik wider jenes Verständnis des Menschen als Kosten-Nutzen-Faktor, die konstatierte, dass Dinge zwar einen Wert haben könnten, Menschen jedoch nicht; vielmehr habe jeder Mensch als Wesen eine absolute Würde. (Kant 1977 S. 600ff.) Diese Würde des Menschen sei eben schon allein qua Existenz vorhanden und müsse sich nicht durch Effizienz oder Nützlichkeit beweisen. (Vgl. Manzeschke 2010) In einer verengten ökonomistischen Perspektive reduziert man den Menschen allein auf seine Ressourcen und betrachtet Gesellschaftsbereiche ausschließlich unter ökonomischen Gesichtspunkten.

Die Ökonomisierung des Gesundheitssektors hat den Effekt, dass manche Gesundheitseinrichtungen in erster Linie als Wirtschaftsunternehmen geführt werden, dessen Leistungen dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit untergeordnet werden. (Vgl. Kerres/Seeberger 2005) Dies bedingt eine allmähliche Überformung ärztlichen und pflegerischen Handelns und Denkens durch ökonomische Strategien und Ziele begründet durch scheinbare oder tatsächliche Sachzwänge. Damit steigt für den Patienten mehr und mehr die Wahrscheinlichkeit, dass eigentliche Versorgungsziele gegenüber ökonomischen Zielen hintanstehen. Für Kühn und Simon zeichnet sich hier eine Umkehrung der Zweck-Mittel-Relation ab, so dass »Geld (...) nicht mehr Mittel zum Zweck der Versorgung von Kranken (wäre), sondern die Versorgung von Kranken (...) Mittel zum Zweck der Erzielung und Optimierung von Erlösen.« (Vgl. Kühn/Simon 2001 S.3f.) Sie beobachten Erscheinungsformen der Ökonomisierung in Kliniken unter anderem in der Abweisung und Weiterverlegung von Patienten, um vorgegebene Budgets zu entlasten, in der Trennung einer stationären Behandlung in mehrere Episoden, um den Gesamterlös zu optimieren, im Wiederaufnehmen alter Versorgungsstandards, um Kosten zu sparen oder in einer ökonomisch motivierten verfrühten Verlegung in Rehabilitationseinrichtungen. (Vgl. Kühn/Simon 2001 S.61) Nach deren Credo scheint ein wesentlicher Katalysator der Ökonomisierung ärztlich-pflegerischer Handlungsorientierung in der Herstellung eines Zusammenhangs zwischen positivem Budgetergebnis des Krankenhauses und der Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes zu liegen. (Vgl. Kühn/Simon 2001 S.133)

Gleichzeitig zeigen Krones et al., dass das durch die zunehmende Ökonomisierung des deutschen Gesundheitswesens erzeugte Spannungsfeld zwischen Humanität und Wettbewerb nicht nur von der Ärzteschaft sondern auch von den Patienten wahrgenommen und gleichzeitig das Prinzip der Wirtschaftlichkeit bei medizinischen Entscheidungen mehrheitlich abgelehnt wird. Nach wie vor werde das Prinzip der Humanität als übergeordneter Wert gesehen, der als unbedingt schützenswert verstanden wird. (Vgl. Krones et al. 2008 S.219f.)

In diesem Sinne sollte die Rolle und Aufgabe der Medizin als Institution darin liegen, Lebensqualität zu verbessern und Lebensdauer zu verlängern, (Vgl. McKeown 1979 S.253) das Eigentliche des Heilberufes in der Hinwendung zum bedürftigen Menschen. (Vgl. Bedorf 2009 S.97f.) Hier ist Viktor von Weizsäcker Recht zu geben, der in seiner Arbeit darauf verweist, dass kein Mensch wertvoller oder wertloser ist als ein anderer und darin das Unrecht einer Bewertung des menschlichen Lebens betont. Dieses Verständnis setzt Klaus Dörner in seiner Arbeit weiter fort mit der Aussage: »Ein Krankheitsbewältigungssystem, das als Gesundheitssystem sich immer nur grenzenlos steigern will, wird zur Gesundheitsvernichtungsmaschine.« (Dörner 2003 S. 14; vgl. Schnell 2005)

Natürlich wäre es unrealistisch ökonomische Kriterien im Gesundheitssektor obligatorisch abzulehnen. Der Widerstreit zwischen der ›eigentlichen‹ und der ›profitlichen‹ Funktion des Gesundheitswesens ist besonders bemerkenswert und fordert alltäglich wirtschaftsethische Kompetenzen ein. In diesem Zusammenhang wäre eine gewissenhafte Integration wirtschaftlicher Aspekte in ein gefestigtes Standesethos sinnvoller. Die im Gesundheitsbereich Tätigen stehen in der Pflicht, sich die Frage nach dem Verhältnis ethischer und ökonomischer Werte zu stellen und sowohl ihr grundsätzliches Berufsethos als auch ihr konkretes Handeln in sozial- wie auch individualethischer Perspektive zu hinterfragen.

Dabei ist der zeitgeistige Primat der Wirtschaftlichkeit einem Primat der Eigentlichkeit unterzuordnen, ganz im Sinne des ehemaligen Präsidenten der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe, der in einer neoliberalen Neuausrichtung des Gesundheitssektors eine Bedrohung sah und vor Ökonomismus im Gesundheitswesen warnte: »Die größte Gefahr sehe ich in dem Kulturbruch einer bisher der Humanität verpflichteten Patientenversorgung durch ein immer weiter um sich greifendes Denken der Kosten-Nutzen-Analyse. Wenn sich dieser ... ›Ökonomismus‹ mit Grenznutzenrechnung in der Versorgung kranker Menschen breit macht, dann sind wir auf einer ethischen Talfahrt, an deren Ende die Verfügbarkeit menschlichen Lebens stehen könnte. So weit darf es doch niemals kommen!« (Hoppe 2003)

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