Ulrich Arnswald
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»Die Kunst des Marktes« –
Künstlicher Hype als ein Ende von Kunst
Moderne
Kunst erzielt seit ein paar Jahren ungeahnte Preise auf dem Kunstmarkt.
Die Kunden von Galeristen und Auktionatoren sind nicht mehr nur
Kunstfreunde, nicht einmal mehr bedingt Kunstkenner. Neuerdings haben
Spekulanten sowie Investoren die Kunst als Anlageobjekt entdeckt. Die
Geldvermehrung steht selbstredend im Vordergrund. Daher ist Kunst auch
als Geschäft in die Banken vorgedrungen. Große
Geschäftsbanken unterhalten heute eigene Abteilungen
für Kunst. Ähnlich wie bei Wertpapieren, Edelmetallen
oder Immobilien gibt es Bankspezialisten für die
›wundersame‹ Geldvermehrung auf dem Gebiet der
Kunst. Manche dieser Abteilungen mit dem neudeutschen Namen art
banking oder art services erarbeiten
strukturierte Kunstanlagestrategien für Stiftungen,
Unternehmen oder reiche Privatpersonen. Andere bieten den Kunden
Anteile an Kunstanlagefonds. Kunstfonds als reines, abstraktes Anlage-
und Spekulationsobjekt, ohne dass die Anleger die vom Fond eingekauften
Kunstwerke je zu Gesicht bekommen. Kunst ist so eine globale Ware unter
vielen.
Neben den Geschäftsbanken tummeln
sich zudem eine Reihe von Beteiligungsgesellschaften im Markt mit der
Kunst. Meistens handelt es sich um geschlossene Fonds mit einem
festgelegten Volumen und einer begrenzten Laufzeit. Mit dem richtigen
Portefeuille-Mix an Künstlern lässt sich gute Rendite
erzielen. Mit diesem Argument traten in den letzten Jahren immer mehr
Kunstfonds an. Bei jährlichen Steigerungsraten von 20 bis 25
Prozent für Bilder und Skulpturen sprechen manche Analysten
bereits davon, dass bei Investoren eine Art ›Flucht in die
Kunst‹ sich beobachten lasse. Zugleich beklagt der weltweit
beachtete Gegenwartskünstler Gerhard Richter diese Entwicklung
und steht ungläubig der Veränderung des Kunstmarktes
gegenüber. Für ihn ist ein
»völliges Missverhältnis zwischen dem Wert
und der Relevanz von Kunst und diesen wahnwitzigen Preisen«
(Richter) eingetreten.
Den Wert der Kunst
bestimmen heute Ökonomen. Sie oktroyieren den Werken
Bankbewertungsstandards auf und machen diese zu einer commodity
unter vielen. Der Erfolg scheint ihnen Recht zu geben, denn gerade die
vielen neuen Sammler, die erst in den letzten Jahren den Weg zur Kunst
gefunden haben, kommen aus geldgetriebenen Branchen und haben mit ihrer
Sammelwut tatkräftig geholfen, die Preise erst richtig in die
Höhe zu treiben. Die Summen sind also ›eher
bescheiden‹: 72,9 Millionen Dollar für das
Gemälde White Center von Mark Rothko, die Goldene
Adele von Gustav Klimt für 135 Millionen Dollar
oder Picassos Junge mit Pfeife für 104,1
Millionen Dollar. Geradezu als Schnäppchen werden Gerhard
Richter, der teuerste deutsche Gegenwartskünstler, oder Jeff
Koons betrachtet. Richters Gemälde Düsenjäger
oder Kerze sind mit gut 11,2 bzw. 15,7 Millionen
Dollar ausgesprochen günstig bewertet. Für Jeff Koons
Skulptur Hanging Heart waren zuletzt hingegen schon
23,6 Millionen Dollar notwendig. Besonders bemerkenswert bei letzterem
Deal war die Tatsache, dass der Käufer ein Galerist des
Künstlers war.
Dies führt zu den
eigentlichen Fragen: Wer bestimmt den Preis der Kunst? Auf welcher
Grundlage? Wie funktioniert dieser Markt überhaupt? Wie
transparent ist er? Welche Kriterien der Kunstbewertung gibt es? Werden
diese Werte historisch Bestand haben? Wer bestimmt in Zukunft was als
Klassiker zu gelten hat? Der Markt oder die Kunstgeschichte? Die Museen
oder die Auktionshäuser? Wie werden nachfolgende Generationen
mit der heutigen Auswahl hoch gehandelter Künstler umgehen?
Welche Kunstwerke werden im Wert steigen? Und welche Kunstpreise werden
sich als Eintagsfliegen herausstellen?
Geschätzte 28 Milliarden Dollar werden derzeit
jährlich auf dem globalen Kunstmarkt umgesetzt. Immer mehr
Geld fließt aus Ländern wie Indien, China und
Russland in den Markt, die dazu beitragen, dass in der Branche fast
wöchentlich neue Superlative aufgestellt werden. Unumstritten
ist: Es wird heute mehr Geld denn je für Kunst ausgegeben.
Allerdings nur für ein kleines Segment –
nämlich: Die sogenannte »marktfähige
Kunst«. Wer das Jahresdurchschnittseinkommen bildender
Künstler in Deutschland von 10.510 Euro zu Rate zieht, sieht
unschwer, wie wenig die Masse der bildenden Künstler von
diesem Hype des Marktes profitiert. Die Konzentration auf einige
Lieblinge heizt den Preis erst richtig an. Sammler und Investoren haben
naturgemäß ein Interesse daran, dass die Preise
›ihrer Künstler‹, sprich weniger
Ausgewählter, weiter ins Unermessliche steigen. Denn auch
für die Werte von Kunstwerken gilt: Es ist der Hype, der sie
treibt.
Manch einer möchte dies lieber
anders sehen. Daher gibt es eine Reihe gern postulierter Theorien, die
die äußerst spekulativen Marktpreise zu
rechtfertigen versuchen. Exemplarisch will ich hier zwei benennen:
Beliebt
ist z.B. das Argument, gerade der erzielte Reichtum in den
geldgetriebenen Branchen wie Aktien und Immobilien habe dazu
geführt, dass immer mehr reiche Menschen sich in Form des
Anlageobjektes Kunst ein Bild von ihrem Geld machen wollen. Der
unsichtbare Vermögenswert des Geldes wird so sichtbar und
zugleich kann man sich sowohl der Schönheit der Kunst erfreuen
als auch auf weitere Preissteigerungen wetten. Plausibel erscheint
diese These nicht, denn weder Kunstfonds oder Kunstauktionen, noch der
erheblich preistreibende Ankauf von Kunstwerken durch Galeristen und
Unternehmen werden von dieser These berücksichtigt. Die
Theorie ist mit keiner internen Logik ausgestattet, auch wenn sich der
ein oder andere private Anleger sicherlich diese Theorie als
Rechtfertigung für sein eigenes Engagement aneignen wird.
Ähnlich
häufig wird auf die Auktionstheorie verwiesen. Sie besagt ganz
schlicht, dass jedermann die Richtigkeit des Preises bei einer Auktion
überprüfen lassen kann, in der das Prinzip des
Höchstbietenden immer den Tagespreis des Kunstwerkes
widerspiegelt. Ökonomisch betrachtet ist dies richtig, aber
für die Bewertung der Bedeutung eines Kunstwerkes in der
Kunstgeschichte ist der Preis sekundär. Das lässt
sich leicht belegen: Ob etwa das Gemälde Das Kornfeld
von Vincent van Gogh für die Taxe von 28 bis 35 Millionen Euro
den Besitzer bei der Versteigerung bei Sotheby’s wechselt
oder nicht, spielt für die Bedeutung des Werkes in der
Kunstgeschichte keine Rolle. Bei einer kürzlichen
Versteigerung wollte zufällig gerade niemand 28 Millionen
Dollar dafür bieten, ähnlich erging es dem auf ca.
15-20 Millionen Dollar geschätzten L’Echo
von Braques, dem auf mindestens 25 bis 35 Millionen Dollar
geschätzten Picasso-Gemälde La Lampe, Le
Repos de la Danseuse von Matisse oder etwa
Cézannes Le Jas de Bouffan. Ob Werke bei
Versteigerungen durchfallen oder nicht, an der Bedeutung der Kunstwerke
in der klassischen Kunstgeschichte ändert dies meistens nichts.
Mögen
die Gemälde in den Auktionshäusern liegen bleiben,
zeitgleiche Ausstellungen zeigen, dass sich oftmals –
gänzlich unbeeindruckt – rekordträchtige
Massen zu Ausstellungen aufmachen, die den gerade am Markt
durchgefallenen und somit abgewerteten Künstlern gelten.
Ebenso schlussfolgert niemand, dass die Goldene Adele
von Gustave Klimt, die für 135 Millionen Dollar den Besitzer
gewechselt hat, kunsthistorisch bedeutungsvoller sei als ein wesentlich
günstigerer Cézanne. Sicher ist nur: Der Preis
bestimmt nicht die kunsthistorische Bedeutung, und die Kunstgeschichte
bestimmt nicht den Preis.
Anders
ausgedrückt: Der Preis in der Kunst ist selbst
künstlich, wenn man ihn von der Warte möglicher
Kunstkriterien her betrachtet. Ist der Preis aber ökonomisch
richtig, weil er beispielsweise bei Auktionen durch Angebot und
Nachfrage zustande kommt? Genau genommen ist er dies immer, da das
Zustandekommen von Angebot und Nachfrage als markträumender
Mechanismus immer von einem berechtigten Preis in der
Übereinkunft ausgeht. Wenn man aber von der im Preis liegenden
Übereinkunft der Marktteilnehmer absieht und die Frage der
Angemessenheit anstelle des erzielbaren Preises in den Vordergrund
stellt, kann man dies durchaus bezweifeln. Auch im Kunstmarkt gibt es
erhebliche Spekulationsblasen, bei denen Preise erzielt werden, die
nicht mehr als rational anzusehen sind. Das heißt, die Preise
lassen sich nicht mehr mit vernunftbezogenen Kriterien
erklären, wenn sie auch qua Übereinkunft als legitim
und marktkonform betrachtet werden müssen. Der Markt ist im
Positiven wie im Negativen vom Hype getrieben, wobei seine Preise immer
nur bis zum nächsten Deal gelten. Dieser kann den vormals
erzielten Preis dann als unerzielbar offenbaren.
Die
Ökonomie spricht in diesen Situationen von notwendigen
Marktkorrekturen, womit sie unbestritten Recht hat. Nichtsdestoweniger
kann man auch am Kunstmarkt ein komplexes System der Preistreiberei
erkennen, das den Vorstellungen des Marktes eigentlich widerspricht.
Dieses System basiert auf den nicht hinreichend vorhandenen Kriterien
für die Ware Kunst sowie der mangelnden Transparenz des
Kunstmarktes. Man kann sogar zugespitzt die Behauptung aufstellen, dass
von allen Märkten der Kunstmarkt derjenige ist, der mit
»Glanz und Glamour und viel Wind künstliche Blasen
schafft« (Eric Gilbert). Die mangelnde Transparenz des
Marktes ergibt sich dadurch, dass nach Schätzungen
ungefähr 80 Prozent der deals privat
ablaufen. Nur der geringste Teil wird öffentlich versteigert.
Diese Gemengelage erlaubt einer Handvoll Akteure fast nach Belieben zu
bestimmen, ob ein Werk im Wert steigt oder fällt. Vermutlich
entscheiden letztendlich nur ein- bis zweihundert Kuratoren, Galeristen
sowie Sammler weltweit über den Wert aller
›marktfähigen Objekte‹. Neuerdings tritt
in Form von Damien Hirst noch der sich selbst vermarktende
Künstler hinzu, eine Figur über die später
noch mehr zu sagen sein wird. Jeder Anleger ohne Markteinfluss setzt
sich also einem wesentlich größeren Risiko aus, als
wenn der Markt ein Massenmarkt mit einer dementsprechenden Anzahl an
Teilnehmern wäre. Er legt fast sprichwörtlich sein
Geld in die Hände des erlauchten Kreises der
›Hohepriester des internationalen Kunstmarktes‹.
Genau
in diesem Schattenbereich spielen sich auch die merkwürdigsten
deals der Kunstwelt ab. Dadurch bedingt, dass jeder
Galerist, ebenso wie jeder Auktionator oder Sammler,
naturgemäß ein erhebliches Eigeninteresse am Steigen
der Preise der gehaltenen Künstler hat, tun sie alles um die
Vermarktungswelle am Laufen zu halten. Exemplarisch kaufte der Londoner
Galerist Jay Jopling auf einer Auktion ein Werk von Damien Hirst mit
einem neuen Rekordpreis und dies, obwohl er ihn selbst vertritt.
Auktionshäuser wiederum setzen manchmal gezielt Kunstwerke mit
niedrigen Preisen an, um durch die dann eintretenden enormen
Preissteigerungen die Fantasie von Käufern und
Verkäufern anzutreiben. Das gleiche Spiel geht auch umgekehrt.
Besonders hohe Schätzungen verschaffen gleichfalls erhebliche publicity.
Nicht von ungefähr spricht daher so mancher Auktionator davon,
dass es primär seine Aufgabe sei, ›Kunst teuer zu
machen‹. Der angesetzte Preis eines Werkes kann auf jeden
Fall bei Auktionen als Teil einer Strategie des jeweiligen Hauses
angesehen werden. Mit dem eigentlichen Wert des Objektes muss dieser
nicht unbedingt im Einklang stehen.
Bei den Sammlern
sind die selbst einzuleitenden Wertsteigerungsmaßnahmen
subtiler und aufwendiger. Hierzu lohnt es sich zuerst die Geschichte
der deutschen Kunstlandschaft zu rekapitulieren, um zu verstehen, was
die gegenwärtigen Sammler dieser Entwicklung
gegenüberstellen. Das Kasseler Fridericianum war einst eines
der ersten öffentlichen Kunstmuseen der Welt. Es stand
wirklich allen offen, ganz dem Londoner British Museum folgend. Zuvor
war der Besuch von Kunstsammlungen dem Adel vorbehalten. Die
Entwicklung ging in Deutschland dahin weiter, dass es heute
über tausend Kunstmuseen und -vereine gibt, mehr als irgendwo
anders in der Welt. Diese deutsche Kleinstaaterei in Sachen Kultur hat
die Kunstszene in Deutschland geprägt und zu einer der
lebendigsten Szenen weltweit gemacht. Sie ist von der Struktur her
pluralistisch, offen und in gewisser Hinsicht demokratisch, insofern
als das Publikum aufgrund der Masse an Optionen selbst entscheiden
kann, welcher Kunst sie ihre Aufmerksamkeit widmet. Sie öffnet
Künstlern großzügig Räume zur
öffentlichen Präsentation, auch für
diejenigen, die der Markt, also die Sammler, Kuratoren und
Auktionatoren nicht favorisiert.
Das Ziel der
Sammler kann unter dem Aspekt des Eigeninteresses der Fortbestand
dieser deutschen Museumslandschaft so nicht sein. Was sich zunehmend
zeigt: Die Sammler sind dabei, den öffentlichen Museen die
Meinungsführerschaft streitig zu machen. Im
günstigsten Fall unterwandern sie sie, im schlechtesten Fall
versuchen sie diese gar mit eigenen Museen zu verdrängen.
Getreu dem Motto: Jeder baut sich sein eigenes Museum. Sicher ist, dass
das von der Politik hoch gelobte private Engagement im seltensten Fall
ein wirklich altruistisches Geschenk darstellt. Zielen diese
Engagements doch meistens darauf ab, Inhalte durchzusetzen und die
Ausrichtung der musealen Kunst und ihres Wertverständnisses zu
beeinflussen. Diesem privaten Einfluss auf ihre einst
›heilige Sphäre‹ können sich
die Museen immer weniger entziehen. Das erledigt die Politik mit ihren
rigiden Sparetats verbunden mit der altbekannten Auflage, für
immer mehr private Sponsoren, Mäzene und Förderer zu
sorgen. Leihgaben von privaten Sammlern werden so zum Einfallstor
für private Interessen in öffentlichen, also vom
Steuerzahler geförderten Museen. Die Anschaffungsetats der
Museen lassen letztlich keinen Zweifel zu: Wer nicht hinreichend Geld
zur Anschaffung von Gegenwartskunst hat, kann auch nicht frei
auswählen, was der Nachwelt im großen Kulturspeicher
des Museums erhalten werden soll. War es bisher das Vorrecht der
Museen, zu bestimmen, was das kulturelle Erbe der Nation sein soll,
übernehmen jetzt potente Sammler diese Auswahl. Sie haben das
Privileg, weil die Museen nicht so schnell und frei handeln
können. Wurde die Ware Kunst in der Vergangenheit von der
Kunstgeschichte beurteilt, machen diese jetzt die potenten
Markteilnehmer unter sich aus.
Die heutige Bedeutung
der Sammler entspricht somit nicht länger dem
Verständnis von öffentlicher Kunst in einer modernen
Gesellschaft. Man muss konstatieren, dass es die Sammler sind, die
definieren, welche Kunst sich durchsetzen wird. Ihrem Willen bleibt es
nicht nur zunehmend überlassen, was der
Öffentlichkeit als wertvolle Kunst präsentiert wird.
Sie steuern auch, welche Künstler aus der jeweiligen
Generation in der öffentlichen Wahrnehmung in Zukunft
überleben werden. Der Sammler ist zur Schlüsselfigur
des Kunstmarktes geworden. Ähnlich wie einst die Wohlhabenden
sich im ausgehenden 19. Jahrhundert als öffentliche
Förderer gefielen, streben die heutigen Sammler wieder diesem
alten, wenn auch undemokratischen Ideal nach. Die Deutungshoheit in
Sachen Kunstbewertung, die einzelne Sammler heute für sich in
Anspruch nehmen, entspringt der Erkenntnis, dass das heutige Museum
mehr ein event und ein gediegenes Forum der Begegnung darstellt als
einen privilegierten Ort der Kunstfreuden. Während die
einstige Elite des Bürgertums zum Ziel hatte, »ein
gemeinschaftliches Ideal von Kunst und von Kunstbesitz zu
feiern« (Hans Belting) und eine kollektive kulturelle
Identität der Nation zu entwickeln, stehen heute den Museen
einerseits Vermarktungsziele, andererseits Partikularinteressen Pate.
Statt
Ort aller zu sein wird das Museum zunehmend zum Ort weniger.
Gehörte das öffentliche Museum einst der
Allgemeinheit, besitzen heute viele Sammler ihr eigenes. Aber auch in
den öffentlichen Museen fordern Sammler und Mäzene
zunehmend eine Repräsentation, die ganz ihnen vorbehalten ist.
War das Kunstmuseum einst fester Bestandteil moderner Demokratien,
tritt die kollektive Repräsentation von Kunst heute hinter den
Präsentationswillen weniger Einzelner oder vieler kleiner
Gruppen zurück. An den Eingängen zu den Tempeln der
Kunst stehen nicht länger staatliche Wächter, der Weg
ist frei für die Selbstdarstellung von Sammlern und Gruppen,
die ihr eigenes Ideal von Kunst und Geschichte ausgestellt wissen
wollen.
Das Museum stellt heute nicht
länger einen besonderen Platz der Kunst dar. Es ist kein
privilegierter Ort mehr, sondern die Fortführung der
Kunstmesse in anderen Räumen. Jede Ausstellung lässt
erst einmal den Wert aller ausgestellten Werke steigen. Daher kann man
davon sprechen, dass Museen mehr dem Charakter einer
Wechselbühne statt ihrer traditionellen Rolle als kultureller
Speicher ausgewählter Werke und Träger von
gemeinsamer Kulturgeschichte entsprechen. Ins Museum kam
früher nur, was die Kunstgeschichte zur
Repräsentation einer Epoche auserwählte. Selektion
hieß das Prinzip des Kunstmuseums. Zeitgenössische
Kunst musste sich daher immer im Wartestand gedulden, um in den Tempel
der Museumskunst aufgenommen zu werden. Der Darstellung der neuen Kunst
waren genau dadurch Grenzen gesetzt. Solange die alte Kunst die Museen
beherrschte, blieben den zeitgenössischen Künstlern
nur die Kunstvereine, die es selbstredend an Bedeutung mit den
großen Kunstmuseen nicht aufnehmen können. Seit
einigen Jahren ist dies nun anders: Die gegenwärtige Kunst
beherrscht neuerdings überproportional das Treiben in der
Museenlandschaft.
Dadurch bedingt tritt
zwangsläufig der event an die Stelle der
Kunst. Das Originelle muss auch das Einmalige sein. Der Jahrmarkt hat
das Museum erreicht. Das Einmalige ist event, mit
dem zugleich die Inszenierung zur obersten Maxime und Hauptaufgabe der
Musealisierung wird. Museen sind heute zur Avantgarde des modernen
Marketings geworden. Hier herrscht die Rundumvermarktung wie in kaum
einer anderen Branche. Von der Museumsarchitektur bis zu den
Schauräumen, vom bedruckten T-Shirt bis zu den Kaffeebechern
– kein Bereich, den das moderne Museum nicht kommerziell zu
erschließen trachtet. Der Spielplan der Ausstellungen zwingt
zudem zu immer kürzeren Bespielungsintervallen. Die Massen
müssen in einer beschleunigten Medienwelt immer schneller
bedient werden. Das Kunstmuseum ist nicht mehr der Kultort einer
bürgerlichen Öffentlichkeit, sondern ein modernes
Theater mit immer spektakuläreren Inszenierungen und immer
schneller wechselnden Spielplänen zur Ergötzung der
Massen, wobei das grundlegende Motto gilt: Das Museum soll bitte nur
Dinge zeigen, die es so noch nie gab.
Um dies zu
ermöglichen, entrichtet das Museum einen hohen Preis. Man
weiß nicht einmal mehr, wer die Kunst der Museen aussucht.
Sind es die Museen, die bestimmen, was in ihren heiligen Hallen dem
Publikum dargeboten wird? Oder sind es die Sammler, die sich das Museum
aussuchen, in dem sie ihre Kunst darbieten? Sicher ist, dass die
Autonomie der Kunstmuseen, festzulegen, was hehre Kunst ist, durch die
Öffnung des Museums förmlich aufgehoben wurde.
Gleichfalls kann man konstatieren, dass es nicht die einst
herbeigesehnte breite Öffentlichkeit ist, die heute bestimmt,
was in einer vermeintlich ›demokratisierten
Museenlandschaft‹ ausstellungs- und sammlungswürdig
ist. Vielmehr hat eine kleine elitäre Öffentlichkeit,
nämlich die der Mäzene und Sammler, sich die
Kunstmuseen zu Eigen gemacht. Sie bestimmen derzeit, was
museumswürdig ist und was nicht.
Mit dem
Auftreten der modernen Sammler und Mäzene ist auch die
traditionelle Kunstgeschichte zu Grabe getragen worden. Denn die
Kunstgeschichte war die Hüterin der Kunst und als solche
über die Gegenwart und ihre Kunstwerke erhaben. Ihr Ziel war
es, Kunst als Geschichte zu erzählen, genauer: Sinn und
zeitlicher Ablauf von Kunstrichtungen und -schulen als eine
allgemeingültige fortschreitende Geschichte der Kunst
nachzuzeichnen. Dabei zwang die Kunstgeschichte die Museen, immer
wieder Neubewertungen vorzunehmen. Obwohl viele Kunstmuseen bereits
alexandrinische Ausmaße erreicht hatten, war kein Archiv
unendlich aufnahmefähig, so dass der Bestand immer wieder neu
gesichtet und bewertet werden musste. Für alles Neue musste in
der Hierarchie der Kunst manches Alte zurückstehen, so dass
der Schutz gegenüber dem Neuen als etwas Natürliches
anzusehen war. Um etwas im Rang der Kunstwelt zurückzustufen,
musste man sich der Qualität des Neuen hinreichend sicher
sein. Über diese Hierarchie wachten die Kunstmuseen,
während Galeristen und Mäzene mit ihrer
Marktstrategie keine direkte Mitsprache in der Fortschreibung der
Kunstgeschichte hatten. Dieses System der Kunstgeschichte als ideale
Ordnung in der Bewertung von Kunst liegt heute in Trümmern.
Das
Ende der altbekannten Kunstgeschichte ist aber nicht das Ende der
Kunstgeschichte als solcher, sondern der Beginn einer neuen
Beliebigkeit in Form der Ersetzung der einst homogenen Geschichte durch
eine Vielzahl von Geschichten, wobei keine mehr eine hinreichende
Schärfe an den Tag legt. Konsens wird nicht mehr erwartet, die
»Partikularinteressenkunstgeschichte« strebt diesen
deshalb auch gar nicht mehr an. Die neue Unübersichtlichkeit
hat den Diskurs verändert, das Ende der Kunstgeschichte aber
bedeutet sie nicht. Die Tradition des kunstgeschichtlichen Kanons wurde
erfolgreich durchbrochen, aber um den Preis der Abhängigkeit
von den Marktschreiern im heiligen Tempel der Kunst. Die derzeit
geltenden Spielregeln der Marktmacher sind deutlich erkennbar, aber in
Zukunft wird das Spiel auf immer neue Weise Fortsetzung finden. Ist
heute noch für den Erfolg von Kunst entscheidend, wer sie
sammelt und nicht wer sie macht, wird sich dies schon bald
ändern. Die Künstler des neuen Genres
»Meister des Marketings« bzw.
»Verkaufskünstler« stehen bereits in den
Startlöchern.
Warum spielen die Museen mit?
Der Druck zur ständigen »Eventisierung«
zwingt die Museen dazu, die Kunst immer wieder mythisch neu aufzuladen.
Ein angestrebter Mythos, der die Museumsbesucher zum Staunen bringen,
der sie neugierig machen, der Kunst permanent im öffentlichen
Gespräch halten soll. Ein solcher Mythos wird in Zeiten des
allumfassenden Marktes durch den Preis signalisiert. Dieser zieht mit
seinen immer märchenhafteren Kunstpreisen und seinem
unersättlichen Sensationsgetue die Menschen in den Bann. So
trägt der Preis zum Mythos der Kunst bei, dieser
füllt zugleich die Museen mit Besuchern, und lässt
sogleich den Wert der Werke für Sammler und Mäzene
weiter steigen.
Auf den ersten Blick sieht dies
wie eine klassische win-win-Situation für
alle Beteiligten aus. Dennoch ist hier ein nicht unbedeutender
versteckter Preis zu bezahlen: Die Reduktion der Kunst auf wenige
ausgewählte Künstler, deren Kunstwerke
unerhörte Preishöhen erzielen, geht auf Kosten der
Masse von Künstlern. Nicht nur die extrem ungleiche Verteilung
der finanziellen Ressourcen schadet vielen um eine Subsistenz
kämpfenden Künstlern. Qualitativ schadet dieser
Vorgang ebenso der Kunst. Die Erfahrung zeigt nicht erst seit van Gogh,
dass Kunst immer wieder in ihrer Zeit nicht erkannt oder verkannt
wurde, und ganze Schulen lange Zeit unentdeckt geblieben oder in
Vergessenheit geraten sind. Alles Dinge, die dem heutigen
geldgetriebenen Kunstmarkt und Ausstellungsgeschäft weitgehend
zuwider laufen. Ausstellungsmacher und Museumsdirektoren
fördern mit Steuergeldern lieber die bereits erfolgreichen
Lieblingskünstler von Sammlern und Mäzenen,
für die auch so mehr als hinreichend gesorgt wäre.
Während manche Kunst in Zukunft nicht wird entstehen
können, weil die marktgetriebene Konzentration ihr jeglichen
Resonanz- und Überlebensboden nimmt, wird sozusagen die
Verkürzung der Breite des Kunstspektrums noch von
öffentlicher Hand ge- und befördert. Insofern ist der
künstliche Hype immer auch ein Ende von einem Teilspektrum der
Kunst.
Diese Situation könnte eigentlich
zur Sternstunde einer modernen Kunstgeschichte werden, würden
die Kunstgeschichtler mutig den Sammlern und Mäzenen
gegenübertreten und nicht mit ihnen gemeinsame Sache machen.
Die Wissenschaftler müssten Kriterien für moderne
Kunst erstellen, diese zur öffentlichen Diskussion stellen und
zudem das öffentliche Urteil nicht scheuen, sowie den
Kunstbetrieb als auch den Kunstbegriff kritisch analysieren. Vor allem
wäre wünschenswert, dass Museen sich wieder
selbstständig die Entdeckung zeitgenössischer Kunst
zu Eigen machen würden und zwar genau der Kunst, die nicht a
priori die favorisierte Kunst gewisser Sammler und
Mäzene ist. Letztere braucht nämlich dann die Lobby
der Museen nicht länger, und sie ist für diese auch
nicht mehr neu zu entdecken. Vor allem aber muss dringend
sichergestellt werden, dass die Propaganda des Kunstbetriebs nichts
mehr in den Kunstmuseen verloren hat.
Eine
Propaganda, die aber trotz allem auch auf Seiten der Sammler noch
zukünftige Opfer produzieren wird: Viele heute hoch gehandelte
Werke werden in den nächsten Jahrzehnten trotz der derzeit
gebotenen immensen Höchstsummen im Orkus der Kunstgeschichte
verschwinden. Viele heute ins Unermessliche getriebene Kunstwerke
werden von nachfolgenden Kunstwerken und der öffentlichen
Aufmerksamkeit für diese verdrängt werden. Mancher
Hype wird einfach nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen. Manche einst
bezahlte Höchstpreise werden sich absehbar als geldgetriebene
Modepreise entpuppen. Die Korrektur der Preise wird für den
einen oder anderen Sammler äußerst schmerzlich
werden. Was heute als Klassiker gilt, muss trotz aller Vermarktung
nicht der Klassiker der Zukunft sein. Zumindest wenn man über
Zeiträume von fünfzig bis hundert Jahren rechnet,
wird sich die Spreu noch deutlich vom Weizen trennen. Ob ein Jeff Koons
den Geschmack der Zukunft trifft, bleibt fragwürdig. Sicher,
manche Bilder werden die Menschen immer faszinieren. Die schwierige
moderne Kunst sowie die Gegenwartskunst müssen dies aber trotz
des heute großen Interesses dann nicht mehr sein. Die
modernen Kunstwerken oftmals zugrunde liegenden innovativen Konzepte
können soweit verinnerlicht sein, dass dies für den
Betrachter als Gemeinplatz nicht mehr ansprechend genug ist. Die
Impressionisten dürften dagegen auch in Zukunft eine sichere Bank auch in
Zukunft darstellen.
Wahrscheinlicher als die
dauerhafte Vorherrschaft der Sammler und Mäzene ist aber eine
andere Entwicklung: Vermutlich werden bildende Künstler
zunehmend tatkräftig als Selbstvermarkter und Meister des
Marketings auftreten. Sie werden alles daran setzen, sich zu Popstars
aufzuschwingen. Marktschreierisch werden sie auftreten. Laut und
umstritten, ähnlich wie Damien Hirst, der vermutlich bereits
die Speerspitze der kommenden Bewegung ist. Dieser hat zuletzt
über einen Galeristen einen diamantenbesetzten
Totenschädel mit dem Titel For the Love of God
für 100 Millionen Dollar an den Mann bringen wollen. Dabei war
der Materialwert des Diamanten-Schädels auf ca. 30 Millionen
Dollar geschätzt worden, so dass der Mehrwert 70 Millionen
Dollar betragen hätte.
Hirst argumentierte
öffentlich zugunsten seines Werkes, dass Wertsteigerungen bei
Gemälden noch viel höher seien. Leinwand und Farbe
seien außerdem preiswerter als der Materialwert eines
Diamantschädels. Als es im Markt dennoch keinen
Käufer für das Werk gab, half Hirst selbst nach und
kaufte sein »Meisterwerk« mit einer
Investorengruppe zurück. Eine Aktion, die ihm zumindest erst
einmal viel publicity brachte. Nun geht das Werk
auf Reisen. Beginnend mit dem berühmten Amsterdamer
Reichsmuseum soll die umstrittene Skulptur möglichst noch nach
Sankt Petersburg, Seoul, Peking und New York gehen. Im
niederländischen Nationalmuseum wird der Totenschädel
im Flügel der Alten Meister präsentiert und damit
bewusst auf eine Stufe mit weltberühmten Werken von Malern wie
Rembrandt und Vermeer gestellt.
Und dies macht
klar: Der künstliche Hype kennt irgendwie doch kein Ende.