That is not it at all,
That is not what I meant, at all.
T.S.Eliot, Prufrock
1.
Da wir also Davongekommene sind, werden wir es wohl, das Davonkommen,
erstrebt haben und erstreben. So sagen wir das, uns selbst und auch
anderen, freilich ungern. Lagen, in denen wir genötigt sind, geradewegs
nach dem Davonkommen zu streben, schieben wir weg. Wir ziehen es vor,
nach anderem zu streben und die Sorge um das Davonkommen beiher zu
bedienen. Das jeweils Nächste, wenn irgend möglich auch das Übernächste
und das danach, soll misslingen können, ohne dass es mit uns vorbei
ist. Wir erstreben
Alltäglichkeit.
Dieses Bestreben hat neben dem Bemühen darum, auf absehbare Zeit die
Verfügbarkeit dessen zu garantieren, was wir brauchen, eine zweite,
weit weniger öffentliche Seite. Sie betrifft die Erfahrung einer
Grenze, jenseits derer für uns die sind, denen wir unter keinen
Umständen gleichen wollen. Scharf ist diese Grenze nicht gezogen. Es
gibt eine Zone des Übergangs. Wir haben ein feines Gespür dafür wie
tief wir uns in dieser befinden. Auch lernen wir früh, dass sich die
Verfügbarkeit dessen, was wir brauchen, so ganz ohne Exkursion hinein
in diese Zone kaum garantieren lässt. Wir lernen ebenso, dass wir damit
nicht allein sind.
Gelegentlich ergibt sich Alltäglichkeit für eine Weile wie von selbst.
Gefühlt, wenn auch keineswegs wirklich, expandiert die Reihe des
Nächsten und Übernächsten, das gefahrlos misslingen könnte, ins
Unendliche. Die Sorge um das Nötige erscheint als ein sicher
Entferntes. Wir erleben Alltäglichkeit als paradiesisch leicht, uns
nährend vom Baum des Lebens und in seligem Vergessen um den anderen
Baum. Biographisch oder auch im Entwicklungsgang einzelner
Gesellschaften markiert diese Erfahrung einen Neuanfang. Man hat die
Erfahrung gemacht, wie es ist, weiter zu sein als nur aus dem Gröbsten
heraus, und auch die, dass dort kein Bleiben ist. Soll Alltäglichkeit
sich ergeben, und dies auf absehbare Zeit, so muss da etwas sein, das
hervorbringt und bereitstellt, was wir brauchen. Damit es so werde,
müssen alle anpacken, die in einem nennenswerten Verkehr miteinander
stehen. Die Anstrengung, die so beginnt, nennen wir
Entwicklung.
In dem Maße, in dem es damit vorangeht, fließt den Beteiligten dann zu,
was sie brauchen, was ganz einfach heißt, dass sie es sich gegen
Nachweis ihres Zutuns zum Ganzen irgendwo in der Nähe abholen können.
In den letzten Jahrzehnten verstand man unter Entwicklung vorwiegend
den Ausbau des Dienstleistungsbereichs, wobei es vorwiegend auf den
Sektor ankam, den man gelegentlich als
quaternären Sektor
bezeichnet. Gemeint sind damit Tätigkeiten, die weitgehend, wenn auch
nicht ausschließlich, mit der Produktion, Verarbeitung und Präsentation
von Informationen befasst sind.
Quaternäres Tun setzt Abschirmung voraus. Die Umwelt muss im Versinken
gehalten werden. Dies bewerkstelligt, beispielsweise, ein hinreichend
ausgestattetes Büro. Auch Konferenzräume mit den dazugehörigen
Einrichtungen erfüllen diesen Zweck. Allgemein kann man von einer
abschirmenden, die Umwelt im wohlwollenden Versinken haltenden
Infrastruktur reden. Was den im quaternären Sektor Tätigen die
Infrastruktur ist, innerhalb derer sie arbeiten und sich auch sonst
meist aufhalten, ist anderen, beispielsweise, das Internet-Café. Wer
sich dort niederlässt, will Freiheit allein für den Bildschirm.
Komfortabler, obgleich der Komfort am Ende keinen Unterschied mehr
macht, solange die Umwelt nur im Versinken gehalten wird, hat man das
Gleiche in einer Ecke der eigenen Wohnung oder irgendwo sonst in einer
Ecke, temporär wiederum, bevor man wieder hinaus muss, um den Beitrag
zum Zutun zu leisten, ohne den die Umwelt widerborstig wird. Auf diese
ganz besondere Art von Ecke, die durch einen Bildschirm zu einer
solchen wird, muss man auch auf dem Weg zum Ort des Zutuns nicht
verzichten. Es gibt sie mobil. Ist der Weg zu kurz oder der Bus zu
überfüllt für Note- oder Netbook, so bleibt noch immer das Handy. Das
Versinken der Umwelt, sofern gelegentliche Stöße und ein gewisses
Schütteln beim Fahren nicht zählen, gehört zu den Leistungen, für die
man beim Kaufen der Fahrkarte bezahlt. Mit dem Blick auf den Schirm, so
klein er auch sei, kehrt die Gewissheit wieder, das Übernächste
frühestens sei der Ernstfall. Informationen allein, auch wenn sie ernst
sind, können dies nicht sein. Dies macht, von allem sonst abgesehen,
das Privileg des quaternären Sektors aus. Die Existenzform, die es
bezeichnet, ist längst über diesen hinaus kulturbildend geworden.
2.
Die kulturbildende Kraft des Quaternären beseitigt eine der
Beunruhigungen, mit denen das Rundumvernetztsein uns zunehmend
überrascht. Um den Mangel irgendeines Einen, die Vielfalt der
Besonderheiten, die man natürlich auch will, doch Übergreifenden, ohne
das man, so dezentral man auch zu denken versucht, nicht auskommt, muss
man sich nicht sorgen. Sofern eine Gesellschaft sich überhaupt
entwickelt, muss es zum Quaternären kommen. Kommt es schließlich dazu,
hat man sich bereits in ein Konvergieren eingeklinkt, das auch noch so
ausgeprägte Besonderheiten anderweitiger Art nicht mehr zu
überschreiben vermögen. Der bei versinkender Umwelt auf den Bildschirm
geheftete Blick inkarniert einen Universalismus, der andere mit
Leichtigkeit bricht. So manchem Reisenden, der das erste Mal Ostasien
besucht, oder eine andere Weltregion, die als ganz anders galt, mag es
beim Betreten eines Internet-Cafés ergehen wie einst den Rittern, die
im Heiligen Land feststellen mussten, Ritter gebe es auch dort. Die
Köpfe schlug man sich dennoch ein. So etwas ließ sich bisher noch immer
mit jedem Umgreifenden vereinbaren.
Das wäre es nun also, so sieht es aus, gewesen. Ein Konvergenzpunkt
aller Großgeschichten und Kulturen, auf vielerlei Weisen debattiert, in
seiner Möglichkeit bezweifelt oder auch verteidigt, hat sich über all
unsere Bedenken hinweggesetzt und einfach herausgestellt. Es gibt keine
Entwicklung ohne gesteigerte Nutzung der Informationstechnologie. Damit
ist alles gesagt und entschieden. Die Frage, welche Sprache das
Internet dominiert oder auch nicht, ist demgegenüber sekundär. Das
Quaternäre heißt alle Sprachen willkommen. Seine kulturbildende Kraft
verweist aber alle Inkommensurabilitäten oder auch
Halbkommensurabilitäten in die zweite Ebene. Auch wer im Internet auf
der Sprache einer noch so singulären Minderheit bestünde, hätte sich,
indem er es tut, vermutlich irgendwo im Quaternären tätig, längst in
das genannte Konvergieren eingeklinkt. Es muss uns nicht gefallen, was
wir da sehen. Maschinenstürmerisches ist damit nicht gemeint, auch
nicht das Insistieren auf ganz anderen Wegen der Entwicklung, verstellt
gar von der Informationstechnologie. Wer nicht das Privileg genießt,
ein paar Schritt entfernt von einer der großen Bibliotheken zu wohnen,
käme auf eine derartige Vision ohnehin nicht. Der Schub, den die
Digitalisierung da brachte, ist ohne Alternative. Wenn uns nicht
gefällt, was wir da als Konvergenzpunkt heranrücken sehen, so heißt
dies nicht, dass wir uns in vordigitale Zeiten zurücksehnten. Eher
schon drängt es zu dem Gedanken, die Möglichkeiten, die dieser Schub
eröffnete, seien noch nicht ausgeschöpft, womöglich in dem, was an
ihnen wesentlich ist, überhaupt noch nicht so recht erkannt,
ausgeschöpft und erkundet vielmehr nur, sagen wir es ruhig, in ihrer
freibeuterischen, Wildwest- und Rambonatur.
Das gute Leben, zu dem es uns hinzieht, ist nach Aristoteles das kontemplative.
Kontemplation,
so sieht er es, will nichts erreichen. Sie ist sich selbst genug. Auch
verbraucht sie nichts. Alle anderen Tätigkeiten brauchen und
verbrauchen Materialien, Utensilien, Vorrichtungen irgendwelcher Art.
Dies hält sie in Abhängigkeit von den entsprechenden Prozessen der
Beschaffung und Bereitstellung. Kontemplation ist frei davon. Freilich
braucht sie Muse. Die Umwelt muss schon versinken, und dies
wohlwollend. Bei geringen Ansprüchen genügen ein Zelle oder auch Höhle
und jemand, der einmal am Tag eine frugale Mahlzeit vor die Tür stellt.
Eine gewisse Familienähnlichkeit zwischen dem Habitus des
Kontemplativen und dem des Blicks auf den Bildschirm ist nicht zu
übersehen. Man kann es bei dieser Feststellung belassen. Die genannte
Weltenkonvergenz aber heischt nach Erklärung, Vertiefung und
Hintersinn. Gewiss, da ist eben eine Technologie, ohne die keine Art
der Entwicklung, so alternativ und ganz anders sie sich auch geben oder
wirklich sein mag, auskommen wird. Der Habitus, der mit ihrer Nutzung
einhergeht, wird vom Design der Hardware definiert und nur davon. Man
kann aber auch fragen, weshalb sich gerade dieses Design, dessen
Nutzung diesen und keinen anderen Habitus verlangt und damit definiert,
durchgesetzt hat. Hinzu kommt, dass die Nutzung, so wie wir sie
beobachten können, nicht immer einer erkennbaren Aufgabe entspricht, zu
deren Bewältigung sie in Angriff genommen wird. Nicht immer begibt man
sich in den Habitus ihrer Nutzung, weil ein bestimmter Zweck dies
verlangt. Man begibt sich in diesen und nutzt sie dann irgendwie. Etwas
also, keinesfalls aber ein Zweck, der auf diesem Wege zu bewältigen
wäre, zieht zu ihm hin und in ihn hinein. Sollte da doch Tieferes im
Spiel sein? Wird da, was hin- und hineinzieht, für etwas anderes
genommen, als es ist, ohne dass es auch nur im Geringsten vorgäbe,
etwas anderes zu sein?
3.
Nehmen wir also an, noch einmal, es ziehe uns zum Kontemplativen hin,
unabhängig davon, ob wir das Wort Kontemplation zu dem von uns
benutzten Vokabular rechnen oder nicht, unabhängig vor allem aber von
einem ausdrücklichen Gerichtetsein unseres Strebens. Das Kontemplative
wäre dann ganz einfach das, wonach wir, mehr gedrängt denn selber
drängend, streben. Es wäre der Maßstab, der am Werk ist, wann immer wir
bei einem Erreichten sagen, dieses sei noch nicht, worauf wir
hinauswollten, oder bei manchem noch so gut gemeinten Vorschlag, er
führe nicht weiter. Im Negativen sicher, halten wir uns da an einen
Maßstab, den wir gleichwohl als Blaupause ausdrücklichen Strebens nicht
zu formulieren wissen. So bleibt uns nur, bereit zu sein für den
Augenblick, in dem wir auf etwas stoßen, das diesem Maßstab in
positiver Weise entspricht. Das müsste sich dann zeigen, sich uns
zeigen, und dies vermutlich so, dass sich der Widerstand, den wir in
unserem negativen Sichersein allem anderen entgegensetzen, von ihm her
nicht oder nicht in gleichem Maße ergibt. Garantie gibt es dabei keine.
Nimmt der Widerstand, indem wir vorangehen, weiter ab, so haben wir
Grund zur Zuversicht. Wir mögen dann sogar versuchen, positive
Formulierungen über diese eigenartige, von unserer Sicherheit im
Negativen gleichsam entlassene Landschaft zu wagen. Sofern und solange
es gelingt, entstehen so Sprach- und Gedankengebilde, die wir für
triftig halten, dies aber so, dass uns die Frage, weshalb und nach
welchen Kriterien, als seltsam sachfremd erscheint. Auch sie
garantieren nichts. Sie können plötzlich abbrechen und sich dann, ein
Stückweit oder gänzlich, nach rückwärts durchstreichen. Zum größten
annehmbaren Unfall unseres Denkens und Strebens wäre es damit noch
nicht gekommen. Wir wären eben wieder dort, im Negativen weiterhin
sicher, vielleicht sogar noch sicherer, von woher wir uns hatten
hinanziehen lassen.
Passiert uns das mehrmals, so wird der GAU schon wahrscheinlicher. Wir
werden dann zunehmend gelenkiger in unseren Formulierungen. Es kann
schon vorkommen, dass wir uns die eine oder andere Abbreviatur erlauben
und zur späteren Durcharbeitung zurückstellen. Solange wir dieses
Verfahren sparsam nutzen und immer wieder innehalten, um das
Zurückgestellte wirklich durchzuarbeiten, geht das an. Es kann aber
auch sein, dass es für derlei Schularbeiten keinen Sinn mehr lässt.
Zwischen den sich akkumulierenden Abbreviaturen etabliert sich dann
eine Logik der Siebenmeilenstiefel. Die Sätze fügen sich nach dieser
leichter, gefügiger, übersichtlicher auch. Was gesagt wird, lässt sich
endlich zusammenfassen, exzerpieren, verpacken. Ein Terminologie nebst
Lehre ist entstanden, eine Sicht der Dinge, die sich fortschreiben und
nachschreiben lässt, eine gespenstische Leichtigkeit des Schreibens und
Darlegens, ein Denkspaß, der nur ins Stocken kommt, wenn er auf andere
Varianten seiner selbst trifft. Gespenstisch sicher im Positiven, sind
wir es dann im Negativen nicht mehr.
Wir reden und handeln auch, solange da nichts ist, das einen Weg des
minimierten oder gar schwindenden Widerstands eröffnete. All unser Tun
ist dann ein Mittun. Gemeinhin bleibt es nicht dabei. Unmerklich
zuerst, doch unaufhaltsam, wird aus dem eigenschaftslosen Mittun ein
widerstrebendes. Da noch immer ohne Eigenschaften, machen wir in derlei
Tumulten keine sonderlich gute Figur. So kann es denn passieren, damit
es nur endlich zu einem Weg des schwindenden Widerstands komme, dass
wir uns im Anknüpfungspunkt vergreifen. Das zeigt sich aber erst
später. Zunächst verwandeln wir an, Worte, Formulierungen, Gesten,
Weisen der Darstellung, Akzentuierung, Wertungen. Genau dasselbe wird
es kaum je sein, woran wir da anknüpfen. Für jeden Anknüpfenden, was
immer es auch sei, hat es im Augenblick des Anknüpfens seine besondere
Seite, und die ist es, an die er anknüpft. Soweit es sich aber zeigt
und beschreiben lässt, wird es etwas sein müssen, an das, je und je
idiosynkratisch, von verschiedenen Seiten her angeknüpft wurde und
wird. Indem es so, nach verschiedenen Richtungen hin, besondere Wege
des schwindenden Widerstands eröffnet, wird es, ohne tatsächlich eine
solche zu sein, zu einer Art Mitte. Ein wenig gröber und handlicher
verpackt mag man so einen Anknüpfungspunkt als
kulturbildende Mitte chrakterisieren.
Sicherheit im Negativen ist nach dem Gesagten Möglichkeitsbedingung der
Kulturbildung, nicht deren Produkt. Nur wenn das Mittun zu einem
Widerstrebenden geworden ist, können wir auf etwas stoßen, das uns
weniger widerstrebt als anderes und dieses, wir mögen uns dabei
vergreifen oder nicht, als Kulturbildendes ergreifen. Kulturbildendes
wird mithin erst, indem es als solches ergriffen und anverwandelt wird.
Auch hält Kulturbildung nur solange an, wie der Weg des schwindenden
Widerstands Ränder hat, an denen unser Widerstreben, sobald wir sie
berühren, abrupt hochfährt. Worauf stützen wir uns, wenn wir im
Negativen sicher sind? Nicht sonderlich schwierig wäre es, an
dieser Stelle irgendeinen Anknüpfungspunkt irgendwo zu entlehnen, der
ein paar Schritte forthülfe. Jeder wäre da ebenso gut, deswegen aber
auch ebenso schlecht, wie der andere. Wir dächten auf Pump. Die einzig
Barschaft, die wir haben, ist unser Davonkommen. Uns mit dieser
bescheidend, müssen wir uns freilich auf einen längeren Umweg
einrichten.
4.
Wann und wie uns jeweils die Sorge um Alltäglichkeit und Davonkommen
erschien, ob mit einem Schlage oder in der Form eines mehr oder weniger
behüteten Übergangs, gehört zu den Erinnerungen, durch die wir uns
immer wieder neu definieren. Die Spur wenigstens eines heroischen
Elements fehlt selten. Immerhin haben wir es geschafft und sind bis auf
weiteres zurechtgekommen, so knapp und holperig es dabei auch
zugegangen sein mag und möglicherweise noch zugeht. Jeder hat da so
seine Geschichte. Nach rückwärts betrachtet, hätte vieles auf vielerlei
Weisen schief gehen können. Ging aber doch gut. Haben wir wenigstens
etwas zu erzählen. Es sind Geschichten des Davonkommens und des
Lernens, der langsam oder in Schüben wachsenden Übersicht. Mehr oder
weniger gut haben wir die Sprachen gelernt, deren Beherrschung dort, wo
wir waren und sind, fürs Zurechtkommen erforderlich ist. Auch
qualifiziert haben wir uns, für dies oder jenes, und Erfahrungen
gesammelt, so dass wir, leidlich oder sogar mit einem gewissen Gefühl
der Unabkömmlichkeit, unseren Beitrag zum Zutun zu erbringen vermögen.
Daran arbeiten wir weiter. Früher oder später passiert es dann, so oder
ähnlich, wie es unsere Umgebung und Welt eben eingerichtet hat, dass
wir plötzlich mehr Sport treiben oder auf organisierte Weise Vitamine
zu uns nehmen. Die Möglichkeit des Gelingens und Misslingens, in der
wir leben, schiebt sich in unseren Blick. Wir sehen und behandeln sie
wie alles dort, als etwas eben, das gelingen und misslingen kann. Ihr
Schwinden gilt uns als beginnendes Misslingen, dem wir, wie jedem,
tätig und findig zu wehren suchen. Ins Selbstreferentielle lässt sie
sich aber nicht drängen. Blitzt es dann hin und wieder nostalgisch auf,
durchmischt nicht selten mit einem Bedauern darüber, die Zeiten, in
denen, wie wir nun meinen, alles möglich war, nicht hinreichend genutzt
und genossen zu haben, so haben wir verstanden. Noch immer gelingt
vieles. Wir freuen uns nun anders darüber, vielleicht sogar das erste
Mal wirklich. Vor allem aber versuchen wir, uns ein Bild von dem zu
machen, was wir da verstanden haben.
Die Möglichkeit des Gelingens und Misslingens, so malen wir uns das
aus, geht wohl ihren eigenen Weg. Als wir aufhörten, Kinder zu sein,
mündete der in den unsrigen ein, oder auch umgekehrt. Es gab Präludien
dieses Augenblicks, etwa den, in dem wir das erste Mal ohne gehalten zu
werden ein paar Schritte selber liefen und wussten, dass es mit dem
Umfallen und Krabbeln nun vorbei sei. Als sie dann endlich ganz da war,
muss uns das so fasziniert haben, dass wir uns mit ihr, der offenen
Möglichkeit des Gelingens und Misslingens, verwechselten und
gleichsetzten. Allmählich aber, ganz allmählich, trennen sich unsere
Wege nun wieder. Noch ist sie nicht so weit entfernt, dass wir ihr
nachblicken könnten. Wir bereiten uns aber darauf vor und stellen uns
darauf ein, dass wir ihr irgendwann einmal, nicht jetzt, aber bald,
nachwinken werden, lange vermutlich, denn der Abschied wird schwer
sein. So nehmen wir uns vor, anders heroisch dann, mit dem Abschied Maß
zu halten, so genau wie nur möglich hinzusehen, was je und je ist, und
dieses dann, oder an diesem, mittzutun, solange es ist. Das hat etwas
gehoben Beruhigendes. Da ist etwas von einem Rhythmus der Dinge, der
menschlichen vor allem, in den wir einzuschwingen gedenken.
Verbliebene Möglichkeiten, als verbliebene, begeistern freilich nicht.
Die Diskrepanz zwischen ihrer Enge und der Weite des Verschwundenen
verhindert das. Das Schema der erlebten Weite haben wir uns
anverwandelt. Es bestimmt den Maßstab, an dem wir das Verbliebene
messen, ob wir dies wollen oder nicht. Die erfahrene Diskrepanz zeigt
sich in einer gelegentlichen, häufigen oder auch dauernden Schwere, die
sich aus den Sachen allein, die zu bewältigen sind, nicht erklärt. Wir
ertragen die Schwere, bis sie, wenn die Möglichkeiten, aus denen wir
schöpfen, zunehmend von unserem Tun durchwirkt und damit nicht mehr
allein verbliebene sind, allmählich leichter wird oder zu werden
scheint. Ertragen heißt auch Erdulden. Wir erdulden die Schwere, machen
geduldig weiter, üben Geduld.
5.
Man wachse, so heißt es, mit den Aufgaben. Bei jedem Verschwinden droht
das Umgekehrte. Die verbliebenen Möglichkeiten haben nur für ein
Schrumpf-Ich Verwendung. Der Rest unserer selbst läuft leer. Wir sind
beides, das Schrumpf-Ich und das Leerlaufende. Dies strengt an. Auch
das Leerlaufende, dem nur die Erinnerung an geschwundene Weite
geblieben ist, muss sich, um nicht zu zerfallen, eine Form
gegenwärtiger Tätigkeit schaffen. Definitionsgemäß bedürfen die
verbliebenen Möglichkeiten seiner aber nicht. Mithin gibt es keine, die
es ergreifen könnte. Es bleiben ihm nur, bezogen auf die gegebenen
Möglichkeiten, die der zweiten Stufe. Jederzeit und rasch verfügbar aus
dem Inventar des Meta-Möglichen ist der Spott. So rettet es sich vor
dem Zerfallen, indem es dem Schrumpf-Ich über die Schulter blickt und
diesem die Enge seiner Projekte vorhält. Dem Schrumpf-Ich, welches
davon längst selber weiß, entsteht daraus der Drang, den Spötter
loszuwerden, sich vom Leerlaufenden gänzlich zu trennen. Geduld
gebietet, diese Totalkonversion in die Schrumpf-Existenz zu unterlassen
und den Spott, durch den wir uns daran erinnern, dass wir im
Geschrumpften nicht aufgehen, zu ertragen. Auch dem Leerlaufenden ist
in seiner spottenden Meta-Tätigkeit nicht lange wohl. Es will wirklich
tätig werden. Wenn ihm das Verbliebene, so sinniert es, hierzu keine
Möglichkeit lasse, sei dies ein Mangel an jenem, den es zu beheben
gelte. Möglichkeiten, die es nicht gebe, müsse man eben, das
Verbliebene mit all seiner Enge sich selber überlassend, schaffen. Auch
dies wäre eine Totalkoversion, ein phantasmagorischer Neuanfang ohne
Durchgang durch das Verbliebene. Das Leerlaufende hätte sich vom
Schrumpf-Ich und vom Verbliebenen gelöst. Geduld gebietet, dem zu
widerstehen, und sei es nur deshalb, weil Möglichkeiten, die nicht im
Durchgang durch Verbliebenes, sondern aus dem Nichts geschaffen wären,
das Nichts des Verbliebenen immer wieder zu schaffen und zu erneuern
hätten. Zu ertragen also ist beides, der Spott, soweit wir Schrumpf-Ich
sind, und die Langeweile des Spottens, soweit wir Leerlaufendes sind.
Dies macht die Schwere aus, von der die Rede war.
Die aber lässt sich nur für eine begrenzte Weile tragen. So versuchen
wir, nicht den Spötter loszuwerden, wohl aber sein Spotten, wonach wir
uns als Leerlaufendes, in dieser Version unserer selbst, soweit wir uns
des phantasmagorischen Rundumschlags enthalten, zum Spötter verdammt,
selber sehnen. Mit einem Meta-Möglichen, und einem, das sich aus der
Erinnerung an geschwundene Weite ergibt, denn mehr als diese haben wir
als Leerlaufendes nicht, werden wir uns dabei weiterhin begnügen
müssen. Aus dieser Erinnerung ergibt sich als Option möglichen
Tätigseins lediglich die Möglichkeit, geschwundene Weite in Erinnerung
zu rufen. Unser Spötter-Ich tut genau das. Dem Schrumpf-Ich über die
Schulter blickend, drängt es jenes dazu, das im Verbliebenen mit jedem
nur denkbaren Aufwand an Mühe und Ernst Erreichbare an der Weite des
ehedem Erreichbaren und Erreichten zu messen. Ein Vergleich der
Proportionen zwischen Aufwand und möglichem Resultat liegt dann nahe.
Fällt unser Schrumpf-Ich darauf herein, so wird es sich mit seinem
Mühen, und je mehr es dieses steigert, desto wahrscheinlicher, selber
zum Gespött. Aus der Verdammnis zum Spotten werden wir uns als
Leerlaufendes nur zu lösen vermögen, wenn es uns gelingt, die
geschwundene Weite anders in Erinnerung zu rufen, und dies nach
Möglichkeit so, dass wir dem Schrumpf-Ich damit, statt es zu irritieren
oder gar zu blockieren, bei seinem Mühen um das Verbliebene
behilflich sind. Jede Art von Nostalgie blockiert. Es wird hier also
ein Erinnern zu suchen und zu etablieren sein, dem das Geschwundensein
der Weite kein Negatives ist. Ein Geschwundensein ist dann kein
Negatives, wenn das Schwinden oder Verschwinden, als es geschah, an der
Reihe oder eben an der Zeit war. Nicht das Schwinden, sondern das
Ausbleiben eines Schwindens, das an der Zeit ist, wäre in so einem
Falle das Negative.
So retten wir uns also ins Erbauliche. Jedes Messen gegenwärtiger
Möglichkeiten an vergangenen oder anderweitig imaginierten erklären wir
zum Symptom von Oberflächlichkeit und mangelnder Reife. Unser
Spötter-Ich hat sein Spotten abgestreift. So gehäutet, macht es das
Schrumpf-Ich mit der größeren Bewandtnis seiner Enge vertraut. Auch die
geringste Spur mitgeschleppten Resignierens, oder der Neigung hierzu,
so lernt dieses nun von jenem, erzeuge ein Moment von Blindheit. Zu
tilgen sei diese nur durch eine Drehung des Blicks, die das Verbliebene
in seinem Verhältnis zum Vorangegangenen nicht mehr als Verbliebenes
auffasst, sondern als Offenbarung des Wandels, der je und je an der
Zeit war und ist. Einsicht in die Fülle dieses Wandels gewinnen wir
nur, indem wir uns ganz auf die Fülle des jeweils Gegebenen einlassen.
Das Schrumpf-Ich kann all dem nur zustimmen. Eben dies war es ja, woran
es sich, behindert allerdings durch den Spötter, immer schon machen
wollte. Zum Berater geworden, sorgt dieser nun für Sprachregelungen und
Vorstellungsgebilde, die das Mühen auch noch in der engsten Enge mit
einer gewissen Begeisterung zu versorgen vermögen, für eine Weile
wenigstens, die jedenfalls nicht stört.
6.
Allerdings gibt es, rund um uns herum, das Vorzeitige, Unzeitige,
temporal Monströse. So jedenfalls sehen wir es und behelfen uns dabei
mit der Unterscheidung zwischen solchem, das selbstverschuldet ist und
solchem, das zustößt. Ersteres, zu dem ehedem auch wir selber, wie wir
gern bekennen, beigetragen haben mögen, zeugt von einem Mangel an der
Weisheit, derer wir uns endlich erfreuen. Letzteres ist die Ausnahme,
muss die Ausnahme sein, da es sonst selber die Regel und der Rhythmus
der Dinge, in den wir einzuschwingen trachten, die Ausnahme wäre.
Solange das temporal Monströse Abstand zu uns und den Unsrigen wahrt,
lässt sich mit diesem Arrangement der Zuordnungen und Sprachregelungen
leben. Rückt es näher, bleibt zunächst noch die Möglichkeit, die Grenze
der und des Unsrigen ein Stückweit enger zu ziehen, so dass es temporal
monströs auch weiterhin nur draußen und uns nicht betreffend zugeht.
Ergänzend dazu, oder an seiner statt, kann man sich auch damit
behelfen, den Ausnahmecharakter des temporal Monströsen über den
jeweils praktizierten Grad hinaus ein Stück weiter ausdrücklich zu
machen. Beide Verfahren sind der Form nach identisch. Weder die Grenze,
die das Unsrige, uns Betreffende, von dem scheidet, welches uns weder
angeht noch betrifft, noch die zwischen dem temporal Gemäßen und der
Ausnahme ist gemeinhin bis ins Letzte ausdrücklich und scharf gezogen.
Es gibt da einen Bereich des Übergangs, je breiter desto besser, der es
erlaubt, von Fall zu Fall Arrangements zu etablieren und zu erproben,
die aus der Lage das Beste machen. Je ausdrücklicher wir diese Grenzen
ziehen, desto enger wird der hierfür verbleibende Spielraum. Es kommt
zu einem zunehmenden Erstarren sowohl der Beschreibung des Unsrigen als
auch der Definition des temporal Gemäßen. Dies kostet nicht nur Kraft.
Zunehmend heftiger stellt sich die wesensgemäße Unausdrücklichkeit
dieser Grenzen gegen die Ausdrücklichkeit, die wir ihnen aufzwingen.
Effekt von all dem ist jenseits eines gewissen Punkts das Umschlagen
unseres Unternehmens in ein Karikaturenhaftes, in dem wir uns immer
weniger finden und dann auch nicht mehr finden wollen. Eher kleinlaut
brechen wir schließlich unsere Exkursion in den Habitus des Weisen ab.
Nicht jedem, vermutlich eher wenigen, wird so etwas überhaupt gewährt.
Lange muss hierfür alles seinen Gang gehen, in den eigenen
Angelegenheiten und auch rundum. Mühen und Vergütung, diese im
weitesten Sinne betrachtet, als die erträgliche, dann gesicherte und
möglichst auch gehobene Alltäglichkeit, die wir erstreben, müssen in
nachvollziehbaren Verhältnissen zueinander stehen. Geduldig sind wir
dabei durchaus. Zwar freuen wir uns über Geschenke, doch wir erwarten
keine. Rückschläge, Querschüsse und Holperstrecken gelten uns als
Regel. Auch für Dünenblicke, mehrfach nach langer Anstrengung
wiederkehrend, finden wir, wenn es denn sein muss, irgendein
Vernunftwort, und sei es ein privates. Zum Gang, den alles gehen muss,
gehört also sehr wohl, dass Erwartungen kaum je in der Form eintreffen,
in der wir sie haben. Ein Bezug zu ihren Rändern wenigstens, oder
irgendein anderer, der sich nachvollziehen lässt, muss aber da sein,
wobei wir auch das Verhältnis des Gegenteils noch als einen solchen
hinzunehmen gewillt sind. Gänzlich vorbei ist es mit jeder Art von Gang
erst dann, wenn nicht einmal mehr ein Gegenteil des Erwarteten
eintritt, sondern irgendetwas anderes, und dies immer wieder. Es nistet
sich dann, langsam wachsend, in das Innerste unseres Mühens ein
Nagendes ein, das unser bereits gedoppeltes Erwarten zu einem
dreifachen macht.
Weiter ist da die Erwartung, es möge sich einmal doch genau das
einstellen, worauf wir, all unser Gelerntes einsetzend, hinarbeiten.
Zeichnet sich ab, dass etwas nicht wird, wie unser erstes Erwarten es
vorstellt, erweitern wir unser Erwarten, wie ebenfalls vorher schon,
durch ein zweites. Anders als so, sagen wir uns, wie es nun wohl werde,
sei das alles eigentlich, aller Erfahrung nach, auch nicht zu erwarten
gewesen. Dies schafft, untermauert durch Sinnsprüche, die für diesen
Zweck jederzeit bereitstehen, eine Art Balance. Wir mühen uns weiter im
Sinne der ersten Dimension unseres Erwartens, wissen uns aber vorweg
schon aufgefangen durch die zweite. Die dritte Dimension unterläuft
eben das. Wenn sie sich öffnet, und wiederum, wie schon die zweite, als
Resultat sich akkumulierender Erfahrung, wird uns die Korrelation von
Mühe und Vergütung, Erwartung und nächstem oder auch übernächstem
Augenblick, von weiter ausgreifenden Perspektiven gar nicht zu reden,
prinzipiell arbiträr. Nichts muss und alles kann jederzeit geschehen,
das gänzliche Evaporieren der Möglichkeit des Gelingens und Misslingens
eingeschlossen.
7.
Jedes Verschwinden, so hatten wir gesagt, spaltet uns in ein
Schrumpf-Ich und ein Leerlaufendes. Weder dürfen wir uns aber ganz auf
die Seite des einen schlagen noch auf die des andern. Was gebietet da?
Es wird wohl die Gewissheit sein, dass wir in keinem der Spaltprodukte
aufgehen. Diese ist ein Drittes, nicht neben ihnen, sondern in jedem.
Wir sind das eine oder das andere, keineswegs also beide in einem. In
der Tat schlagen wir uns entweder auf die Seite des einen oder auf die
des andern. Gespaltensein meint eben dies. Wären wir beide in einem, so
wären wir eben nicht gespalten. Das eine oder das andere aber sind wir
jeweils zusammen mit der Gewissheit, weder allein dieses noch jenes zu
sein. Nur sie steht für das Ungespaltene, das wir, falls dem so gewesen
sein sollte, einst waren. Man kann auch umgekehrt ansetzen und die
Erfahrung des Gespaltenseins zum Ausgangspunkt nehmen, hinter den es
kein Zurück gibt. Die Gewissheit im einen sowohl als auch im andern,
nicht dieses allein zu sein, unterscheidet dann die Erfahrung des
Gespaltenseins von einem schizoiden Purzeln zwischen Verschiedenem. Sie
ist aber auch nicht als ein leeres Allgemeines zu nehmen, das hier wie
dort dasselbe wäre. Im Leerlaufenden ist sie vielmehr die Gewissheit,
nicht allein dieses Leerlaufende zu sein, dieses besondere Greifen, dem
keine Möglichkeiten entsprechen, die es ergreifen könnte, sondern auch
ein im Geschrumpften höchst Beschäftigtes, was freilich nichts daran
ändert, dass wir dort nur das Leerlaufende sind und nicht beides
vereint. Für das Schrumpf-Ich gilt das Entsprechende. In seinem Mühen
haben wir es schon beschrieben. Das Schrumpf-Ich nämlich wird wohl
nicht mehr und nicht weniger sein als das in der Lage, so wie sie eben
ist, mit der Sorge um Alltäglichkeit, dem Tun und Zutun also,
Möglichkeiten, die da sind, so effizient wie nur möglich ergreifend,
Befasste. Hinzu kommt nun auch die Gewissheit, dieses allein dennoch
nicht zu sein, sondern auch noch ein seltsames Hineingreifen ins Leere,
ein Haschen, wie es sich wohl manchmal, wenn Zeit ist, denken mag, nach
Wind. Schrumpf-Ich bleiben wir, wenn wir uns auf dessen Seite
geschlagen haben, dennoch, nur eben sind wir es, wie auch im Falle des
Leerlaufenden, nie ganz.
Haschen nach Wind kann das Leerlaufende nicht bleiben. So wird es, um
nur überhaupt etwas zu werden, zum Spötter über jedes Greifen nach den
Möglichkeiten, die da aber nicht die seinen sind. An der Gewissheit,
nicht nur dieses zu sein, sondern auch ein geschrumpft Beschäftigtes,
ändert dies nichts. Eben dies aber, die Geschäftigkeit im
Geschrumpften, verspottet es gerade. Zum Spötter geworden, erfährt es
seinen Spott als Selbstverspottung. Dem Schrumpf-Ich bleibt nicht
verborgen, was da mit dem Leerlaufenden geschieht. Die Gewissheit,
dieses auch selber zu sein, obgleich nicht ganz, lässt ihm keine
Möglichkeit, sich des Spottens, welches doch gegen es selbst gerichtet
ist, zu enthalten. Die Erfahrung der Selbstverspottung wiederholt sich.
Zwar wird das Schrumpf-Ich, wie schon gesagt wurde, sogleich danach
drängen, die Last abzuschütteln und seinen eigenen Weg zu gehen,
dieselbe Gewissheit aber, welche die Misere produziert, steht dem
entgegen. Es ist mehr als Schrumpf-Ich und weiß darum. Kein Weg, den es
allein als Schrumpf-Ich ginge, wäre der seine. Die Last der Geduld,
welche die Sorge um Alltäglichkeit an diesem Punkt zu tragen hat,
besteht in der mitzuschleppenden Selbstverspottung zusammen mit der
Anstrengung, die es kostet, jenem Drang zu widerstehen. Eine Last, die
zu schwer wird, kann man freilich auch immer wieder einmal
vorübergehend ablegen. Im Falle der lastenden Selbstverspottung
bestünde so ein vorübergehendes Ablegen darin, diese immer wieder
einmal für eine Weile zum Schweigen zu bringen. Das Schrumpf-Ich
versucht deswegen, dem Spötter intermittierend den Gegenstand seines
Spottens zu entziehen. Es suspendiert sein Mühen um das Verbliebene,
denn dieses ist der Gegenstand des Spotts. Diese Suspendierung
vollzieht es als Rückzug von allen Möglichkeiten, die es ergreifen
könnte. Es bringt die Umwelt, soweit diese es sich gefallen lässt, zum
Verschwinden. Wohin es dabei gelangt, bleibt zunächst offen. Sicher
aber ist, dass es sich in einen Habitus begibt, der sowohl dem
Kontemplativen als auch dem Blick auf den Bildschirm entspricht.
8.
Die Restdynamik dieser Gestalt der Sicherheit im Negativen, und um eine
solche handelt es sich hier, wurde skizziert. Das Leerlaufende muss
tätig sein, um sich zu erhalten. Ein Intermittierendes genügt hierfür
nicht. Es muss sich also nach einer anderen Metamöglichkeit umsehen,
wobei es, wie gesagt wurde, ausschließlich aus der Erinnerung an
geschwundene Möglichkeiten schöpfen kann. So hält es sich an deren
Schwinden und erfindet als Möglichkeit seines Tätigseins den Gang in
dessen Tiefe. Bloßes Schwinden ist Oberfläche, deren Wahrheit der darin
sich offenbarende Rhythmus der Dinge. Die Strategie des Schrumpf-Ichs
war, vorübergehend, erfolgreich, Indem es dem Spott intermittierend den
Gegenstand entzieht, zwingt es den Spötter zum Wandel. Aus der
Selbstverspottung, die es mitzuschleppen hatte, ist die Versicherung
geworden, je und je, woran immer es sich auch mühe, zu vollbringen, was
an der Zeit ist, wobei auch jedes Misslingen so ein Vollbringen nicht
nur sein kann, sondern ist.
Das Arkadien zweidimensionalen Erwartens ist prinzipiell instabil. Wenn
es zerfällt, was rund um den Erdball unablässig auf vielfache Weise
geschieht und geschah, kommt es jeweils zu einer der beiden
Totalkonversionen. Wie es mit den Lebensgeschichten jeweils weitergeht,
hängt von vielerlei Umständen ab. Immer wird sich jedoch auf der einen
Seite eine Neigung zur tabula rasa, zur Konstruktion aus dem und im
Nichts erkennen lassen, auf der anderen ein Kult der gewollten Enge.
Dies weiter auszumalen wäre ein Thema für sich. Wir haben zu fragen, ob
die skizzierte Gestalt der Sicherheit im Negativen die einzige sei, die
sich denken, vorstellen und vor allem auffinden lässt. Sie ist es wohl
nicht. Alles hängt dabei an der Frage, ob das Leerlaufende außer den
beiden genannten weitere Metamöglichkeiten seines Tätigseins
auszumachen oder zu erfinden vermag.
9.
Davonkommen, welches sich erst auf dem Wege zu einem Minimum an
Alltäglichkeit befindet, rettet sich von Augenblick zu Augenblick. Da
es nichts gibt, in dem es ruhen oder von dem es zehren könnte, muss es
auf höchste Konzentration aller Ressourcen achten. Zu diesen gehört
auch der temporale Spielraum, den jeweils hat, um darüber nachzudenken,
was zu tun sei, zusammen mit dem verfügbaren Quantum an Denkkraft,
Findigkeit und Phantasie. In der Lage, die hier gemeint ist, gibt es da
nicht den geringsten Überschuss. Die geringste Verzettelung, das auch
nur ansatzweise Fassen eines Gedankens, der nichts zur Rettung in den
nächsten Augenblick beiträgt, ist das Ende. Es geht ums Davonkommen
überhaupt, ohne jede weitere Bestimmung, um die Tautologie des
Davonkommens. Die aber, die Tautologie des Davonkommens, ist die
Fortdauer. Von denen freilich, denen es darum geht, können wir dies
nicht erfahren. Sie müssen, wie gesagt wurde, all ihre Denkkraft,
Findigkeit und Phantasie darauf verwenden, um zu beschaffen, was in den
nächsten Augenblick bringt. Allein das Hinhören auf die Frage, worum es
bei all dem überhaupt gehe, wäre eine fatale Verzettelung, das
Nachdenken darüber ebenso. Wer, anders gesagt, in der zugespitzten
Weise von der Hand in den Mund lebt, die hier gemeint ist, kann es sich
nicht leisten, den Gedanken zu fassen, dass er es tut. Der Gedanke der
Tautologie des Davonkommens oder der Fortdauer lässt sich in der Lage,
in der es ausschließlich um dieses geht, nicht fassen. Möglich wird
dies erst, wenn ein Minimum an Alltäglichkeit erreicht ist.
Betrachten wir von hier aus noch einmal die beschriebene Gestalt der
Sicherheit im Negativen. Das Leerlaufende findet dort eine
Metamöglichkeit, die es zu ergreifen vermag, indem es das Verbliebene,
an dem das Schrumpf-Ich sich müht, an der erinnerten Weite misst. So
gesagt, war das möglicherweise nicht genau genug. Weite und Enge sind
relative Begriffe. Dies könnte dem Leerlaufenden gefährlich werden. So
hängt es seinen Spott wohl besser an die prinzipielle Begrenztheit der
Fortdauer aller Möglichkeiten, die je ergriffen werden können.
Lächerlich in seinem Mühen ist das Schrumpf-Ich dann nicht deshalb,
weil die Möglichkeiten, an denen es sich abmüht, eng sind, sondern
deshalb, weil auch deren Fortdauer früher oder später abbrechen und
damit jedes Mühen zunichte machen wird. Die Verwandlung, welche das
Schrumpf-Ich dem Leerlaufenden aufzwang, operierte ohnehin mit dem
Gedanken der Fortdauer. Sie tat es, indem sie ihn verdoppelte. Im
Abbrechen der jeweils gegebenen Möglichkeiten, so die Stimme des zum
Weisen geläuterten Spötters, manifestiere sich der fortdauernde
Rhythmus der Dinge. Auch der Zerfall dieser Lösung und die
Transformation des zweidimensionalen Erwartungsraums in einen
dreidimensionalen hängen noch am Gedanken der Fortdauer als
letztbestimmendem Scharnier. Die Lösung zerfällt, weil sich die
Erfahrungen, die wir machen, früher oder später nicht mehr mit der
Vorstellung eines fortdauernden Rhythmus der Dinge vereinbaren lassen.
An der also messen wir sie dennoch. So stehen wir, wenn die Dynamik
dieser Gestalt der Sicherheit im Negativen an ihr Ende gekommen ist,
mit nicht mehr als der Gewissheit da, dass alles ein Ende hat und
dieses jederzeit eintreten kann. Auch die beiden Totalkonversionen
schleppen diese Gewissheit mit und beziehen aus ihr, uneingestanden
wohl zumeist, ihre Dynamik.
An dem Punkt, an dem wir den Gedanken der Tautologie als desjenigen,
worum es uns geht, zu fassen vermögen, geht es uns, ob wir dies wollen
oder nicht, längst um mehr. Das hierfür erforderliche Minimum an
Alltäglichkeit bedeutet nach dem eingangs Entwickelten, dass Tun
bereits ein Stückweit in Zutun umgeformt, eine elementare Infrastruktur
des Zutuns also etabliert wurde, zu deren Erhalt und Entwicklung wir
beitragen und die uns über der jeweiligen Augenblick hinaus erhält. Die
Etablierung und der Betrieb einer solchen Infrastruktur braucht und
verbraucht Ressourcen. Diese entnehmen wir dem jeweils Gegebenen. In
diesem ziehen wir dabei eine Grenze zwischen solchem, das uns als
Ressource dient, und allem sonst. Beim Ziehen dieser Grenze sind zwei
Prinzipien im Spiel. Ein erstes wird wiederum durch unsere Denkkraft,
Findigkeit und Phantasie bestimmt. Um Gegebenes als Ressource nutzen zu
können, muss uns etwas einfallen. Wir müssen einen Weg oder ein
Verfahren finden, auf dem oder durch welches wir es als Ressource zu
nutzen vermögen. Auf fortgeschrittener Stufe nennen wir so ein
Verfahren eine Technologie. Nicht jedes Gegebene aber, von dem wir uns
vorstellen können, wie es sich als Ressource nutzen ließe, behandeln
wir tatsächlich als Ressource. Unabhängig von verfügbaren Technologien
sortiert ein zweites Prinzip das Gegebene in solches, das als Ressource
gebraucht und verbraucht werden darf und anderes, bei dem dies nicht
erlaubt ist. Beide Prinzipien konfligieren. Ein gewisser Konsens über
das zweite Prinzip gehört zu den elementarsten Konstituenten jeder
Gesellschaft. Solange darüber im Grundsätzlichen ein Disput besteht,
ist keine Art von Zusammenarbeit möglich. Jede Etablierung einer
Infrastruktur des Zutuns setzt mithin einen solchen Konsens voraus. An
dem Punkt also, an dem wir ein Minimum an Alltäglichkeit erreicht haben
und den Gedanken der Fortdauer zu fassen vermögen, geht es uns nicht
mehr ums Davonkommen überhaupt sondern um Davonkommen ohne Verletzung
der Grenzziehung nach der Verfasstheit des zweiten Prinzips, auf der
die Gesellschaft, welche die Infrastruktur des Zutuns etabliert,
jeweils basiert. Die zweite, weniger ausdrückliche Dimension unseres
Strebens nach Alltäglichkeit, auf die wir eingangs stießen, wird damit
verständlich.
10.
Der genaue Verlauf dieser Grenze ist so fragil wie jeder Disput darüber
explosiv. Schon die frühesten Texte, in denen die eine oder andere
Sektion der noch nicht vom beschwerlichen Glück ihrer globalen Ganzheit
wissenden Menschheit versuchte, sich darüber klar zu werden, wie zu
leben sei, dokumentieren dies. Die
Torah
etwa zieht die Grenze zuerst sehr eng und bestimmt den Menschen zum
Vegetarier (Gen.1). Nach all den Misslichkeiten und Schrecken, die zu
einem zweiten Anfang nach der Flut führen, wird man großzügiger. Im
wenig komfortablen Diesseits der Grenze finden sich auch alle Lebewesen
(Gen. 9). Die beiden Einschränkungen, die sogleich nachgeschoben
werden, deuten freilich auf eine Art inneres Erzittern beim Verschieben
dieser Grenze hin. Das Blut des Schlachtgutes, weil Prinzip des Lebens,
müsse vor dem Verzehr gänzlich entfernt werden. Der Mensch sei nach dem
Bilde Gottes geschaffen und von anderen Lebewesen durch einen absoluten
Abstand geschieden. Wer Menschenblut vergieße, habe mit dem seinigen zu
haften. Man ist dessen gewahr geworden, worum es beim Ziehen dieser
Grenze letztendlich geht. Sie legt fest, welches Lebendige leben darf
und welches nicht, da anderes seiner als Ressource bedarf, um leben zu
können. Dies muss nicht den direkten Verzehr meinen. Wenn wir uns, zu
Fuß und vor allem anderweitig, von hier nach dort bewegen, um etwas zu
erledigen, geht es, ohne dass wir dies ausdrücklich vorhätten, allem
ans Leben, das sich auf oder in unserem Weg befindet. Manche
Traditionen lehren deswegen den sachten Auftritt oder, in der
strengsten Variante, die Evakulierung aller Kleinlebewesen, die beim
Hintreten zu Tode kommen könnten. Kollaterales Würgen also, wie man das
technisch nennt, ist bei der Grenzziehung zu berücksichtigen. Nach
welchen Prinzipien soll man da aber vorgehen und nach welchen wiederum
über diese entscheiden? Dissens darüber treibt die Menscheitsfraktionen
aufeinander. Wie explosiv das werden kann, zeigt etwa der noch nicht
allzu weit zurückliegende Disput darüber, ob Menschen schwarzer
Hautfarbe als Ressource zu betrachten seien oder nicht. Seine Lösung
bedurfte des Amerikanischen Bürgerkriegs, wobei die Tatsache, dass es
sich dabei um den ersten total geführten Krieg der Geschichte handelte,
sicherlich enen Bezug zu dem Disput hat, der ihn trieb.
In dem Maße, in dem technologische Findigkeit den Bereich möglicher
Ressourcen ausweitet, nehmen die Dispute zu. Heute bestimmen sie, wenn
auch nicht selten versteckt hinter der einen oder anderen Proxy-Debatte
über anderes, zu einem nicht geringen Teil den allenhalben buntscheckig
aufgesprossenen Hass, der von der Gewissheit zehrt, einer jeweils ganz
besonderen, mit dem Geschehen eines Unerhörten konfrontiert zu sein.
Die Verletzung jener Grenze nämlich ist, wenn überhaupt irgend etwas,
das Unerhörte. Mit der Verwandlung von Raum und Zeit in Ressourcen,
dies bekanntlich eine der geläufigsten Definitionen von Globalisierung,
ist das Abfedernde dahin, das es gab, als jeder Zugriff noch eine
gewisse Distanz zu überwinden hatte. Alles ist nun Gegenstand des
Zugriffs einer vorhandenen oder eben möglichen Technologie. Alle
Grenzziehungen sehen sich durch vorhandene oder mögliche andere immer
schon unterlaufen.
Eine Infrastruktur des Zutuns, es wurde schon gesagt, kann nur
bestehen, solange im Grundsätzlichen Einigkeit über den Verlauf dieser
Grenze herrscht. Dieser hat dann den Status geltenden Rechts. Nicht
jeder muss es für gut befinden, wer es zu ändern wünscht, hat den
Verfahrensweg einzuschlagen, sich aber dennoch, solange es gilt, daran
zu halten. Auf Dauer werden wir in einer Infrastruktur des Zutuns nur
zurechtkommen, wenn der Grenzverlauf, an den wir uns gebunden fühlen,
den in ihr gültigen mehr oder weniger dicht umspielt. Dies ist das
Eine. Bekannt ist aber auch, dass es fürs Zurechtkommen innerhalb einer
Infrastruktur des Zutuns ebenso erforderlich ist, mit der besondern
Kultur der Grenzdehnung vertraut zu sein, die zu einer jeden, und zwar
in jeder historischen Lage in besonderer Gestalt, gehört. Zwischen den
Gepflogenheiten einer solchen Kultur und dem Grenzverlauf, den wir für
uns für verbindlich halten, kann es zu größeren Konflikten kommen. Die
Sorge um Alltäglichkeit verlangt es, mit diesen Konflikten
zurechtzukommen, wobei die Option des Aussteigens, welche diese Aufgabe
einfach nur anderen überläßt, als uninteressant vernachlässigt werden
kann. Zurechtkommen mit diesen Konflikten heißt, dass wir uns wohl
nicht immer an den Verlauf der Grenzziehung werden halten können, an
den wir uns gebunden fühlen. Das Arkadien, in dem wir uns in dieser
Hinsicht auf uns verlassen könnten, ist uns verwehrt. Wir sind uns
dessen gewiss, dass wir früher oder später, häufiger oder selten, etwas
als das Andere jeder möglichen Ressource anerkennen und dieses
Anerkennungsverhältnis dann doch durchstreichen und den, die oder das
Betroffene als Ressource nutzen werden.
11.
Die Erfahrung von Gespaltenheit als Ausgangspunkt bewährt sich auch
hier. Was da einigermaßen nachhaltig mit der Sorge um Alltäglichkeit
zurechtkommt, ist das Schrumpf-Ich. Es weiß aber, dass es dieses nicht
ganz ist. Da ist noch ein Leerlaufendes, für das es keine Verwendung
gibt. Es verlangt die genaue Beachtung der Grenze, an die wir uns
gebunden fühlen. Davon aber mussten wir uns, wie gesagt wurde,
abhalten. So wurden wir einerseits Schrumpf-Ich und andererseits
Leerlaufendes. Wiederum sind wir das eine oder das andere und in jedem
die Gewissheit, dieses nicht ganz zu sein. Metamöglichkeit des
Leerlaufenden ist hier der perennierende Ausdruck seiner Bestürzung.
Dem Schrumpf-Ich, und wir formulieren jetzt verkürzt, denn die Logik
der Sache ist vom ersten Durchgang her bekannt, ist diese Bestürzung
nicht fremd. Es ist selber, wenn auch nicht ganz, das Leerlaufende. Die
Bestürzung also wird Selbst-Bestürzung. Das Schrumpf-Ich hat diese, wie
im ersten Durchgang die Selbstverspottung, nun mitzuschleppen. Wieder
drängen beide danach, den eigenen Weg zu gehen. Losgelöst vom
Leerlaufenden könnte das Schrumpf-Ich allerlei werden, Pragmatiker,
Opportunist, Realpolitiker und mehr. Auch das Leerlaufende hätte für
sich allein Karrierechancen, die nicht ganz unvertraut sind. Auf die
eine oder andere Weise könnte es an der Wurzel packen, Kompromisse
hinwegfegen, grundsätzlich nicht nur sein, sondern auch bleiben. Da
beide aber wiederum nicht ganz sind, was sie sind, sondern auch das
jeweils andere, zwingen sie sich, solange es geht, zur Geduld.
Das Schrupf-Ich versucht zunächst, die Bestürzung über sich selber, die
es mit sich herumzuschleppen hat, zu ignorieren. Dies gelingt nicht
lange. Da es selber das Leerlaufende ist, verstärkt es die Stimme,
wobei es jede Anstrengung, die Ohren noch weiter zu verschließen, immer
schon vorwegnimmt. Mit einem Schlage dann wird aus der Bestürzung
Scham. Der Drang, sich vom Leerlaufenden abzulösen, nimmt damit
sprunghaft zu. Die Kräfte, von denen die Geduld zehrt, nähern sich dem
kritischen Minimum. Spätestens jetzt entschließt sich das Schrumpf-Ich
auch hier zur Intermittierenden Erleichterung. Es suspendiert, soweit
die Infrastruktur des Zutuns und die Rolle, die es in dieser einnimmt,
es erlauben, jede um Alltäglichkeit sorgende Tätigkeit. Dem
Leerlaufenden wird damit der Gegenstand seiner Bestürzung entzogen. Es
schweigt.
Wieder kann es, auf der Suche nach einer verfügbaren Meta-Möglichkeit,
einzig auf die Erinnerung an Geschwundenes zurückgehen. Das für es
Geschwundene aber, selbst wenn es nie wirklich existierte, ist
gelingende Sorge um Alltäglichkeit, welche Anerkennungsverhältnisse,
die sie etabliert, einzuhalten vermag. Das pausierende Schrumpf-Ich,
welches selber das nach einer Meta-Möglichkeit suchende Leerlaufende
ist, kommt diesem zu Hilfe, indem es seine Ratlosigkeit darüber
bekundet, wie und weshalb alles so gekommen und geworden sei, wie es
eben ist. Das Leerlaufende bringt diese Ratlosigkeit mit dem von
ihm Erinnerten zusammen und gewinnt daraus als Meta-Möglichkeit, die es
ihm erlaubt, nicht nur sich zu erhalten, sondern auch dem Schrumpf-Ich
behilflich zu sein, das Programm, den Weg vom Einst zum Jetzt, vom Dort
zum Hier, vom So zum Nicht-mehr-So auszusinnen und auszumalen. Da es
dem Schrumpf-Ich dabei Gutes tun will, ist es hierbei vom Bemühen
geleitet, ihm verständlich zu machen, es könne eigentlich überhaupt
nicht anders sein als es ist. Die entsprechenden Sprach-, Bild- und
Begriffswelten füllen die globale
intellectual history.
Man könnte auch hier von einer Strategie der Erbauung reden und diese
dem pausierenden Schrumpf-Ich vergönnen. Immerhin gestärkt, kehrt es
dann ins Tätigsein zurück.
12.
An diesem Punkt macht es eine Erfahrung, die von den Geschichten des
Leerlaufenden nicht vorgesehen war. Die Scham kehrt zurück. Das
Schrumpf-Ich, welches diese Geschichten genossen und bereits begonnen
hatte, sich aus ihnen zu verstehen, fällt wieder aus ihnen heraus.
Soweit es Zeit dafür hat, imaginiert es sich zurück in seine Auszeit
und kann sich von dort her dann in diesen Geschichten erneut
wiederfinden. Es lernt, immer noch von dort her, dass es so zu sein
habe wie es ist und alles mit ihm seine, wenn auch tragische,
verstrickte, ausweglose Richtigkeit habe. Tätig dann und um
Alltäglichkeit sorgend, wie die Infrastruktur des Zutuns es verlangt,
kehrt die Scham wieder. Dem Leerlaufenden, welches es selber auch ist,
will es die Freude am Fabulieren nicht nehmen. Zur Meta-Möglichkeit
aber, die jenes meinte ergriffen zu haben, gehörte der Anspruch, dem
Schrumpf-Ich behilflich zu sein. Der ließ sich nicht einlösen. Das
Leerlaufende muss sich erneut auf die Suche nach einer Metamöglichkeit
begeben und kann jetzt nur noch am Faktum der immer wieder
zurückkehrenden, jeden Versuch einer sie überscheibenden Rechtfertigung
ihrerseits überschreibenden Scham anknüpfen.
Wie auch immer dürftig innerhalb einer Infrastruktur des Zutuns
bestallt, ist das Schrumpf-Ich über die Lage hinaus, in der es sich von
Augenblick zu Augenblick zu retten hätte. Die Fortdauer, in deren Namen
es Anerkennungsverhältnisse, die es etabliert hat, doch durchstreicht,
ist nicht die eigene, sondern die der erreichten Alltäglichkeit. Die
bezeichnet, wie gesagt wurde, eine Lage, in der das Schrumpf-Ich sich
vom Bann der Tautologie des Davokommens gelöst hat. In dem es sich zu
dieser Lage nun in der Form des Strebens nach Fortdauer verhält, zeigt
es damit, und vor allem sich selber, dass es diesem Bann doch weiter
unterliegt. Es hat eine Lage der Freisetzung geschaffen, sich selber
aber noch nicht freigesetzt. Mit der Lage, anders gesagt, die es
geschaffen hat, ist es selber nicht gewachsen. Es befindet sich damit
in einer Lage, der es nicht gewachsen ist, wobei es eben dieses mit dem
Bestreben um deren Fortdauer bekundet. Wenn das Leerlaufende also
fabuliert, trotz aller Verstricktheit, die eben zu ertragen sei, liege
alles im Rechten, da man doch leben müsse, treibt es damit das
Schrumpf-Ich immer tiefer in das Gewahrwerden der genannten Diskrepanz
hinein. Die Scham, die es zu beschwichtigen gedachgte, treibt es damit
immer massiver hervor. Damit hat es freilich zugleich auch sein Gutes.
Das Schrumpf-Ich nämlich hat mit seinem Schämen die Form seines
Verhaltens zu der von ihm geschaffenen Lage bereits bereichert. Anders
als das Streben nach Fortdauer bekundet das Schämen einen Riss im Bann
der Tautologie des Davonkommens. Wer diesem gänzlich unterläge, hätte
auch nicht die Zeit, sich zu schämen.
Das Leerlaufende, welches das Schrumpf-Ich auch ist, bemüht sich nun
darum, dem Schrumpf-Ich zu einer Sprache zu verhelfen. Die Sprach-,
Bild- und Begriffswelten, die es zur beschwichtigenden Rechtfertigung
gebastelt hat, sind hierfür nicht zu gebrauchen. Wir stoßen damit auf
eine weitere Gestalt der Sicherheit im Negativen. Das Schrumpf-Ich will
sich zu der von ihm geschaffenen Lage und zu sich selber in dieser
sprachlich ins Verhältnis setzen. Gebraucht es hierzu die verfügbaren
Mittel, so steigert dies seine Scham. Diese will es aber gerade
reduzieren. Freilich will es sie nicht einfach loswerden. Es will sie
in Sprache verwandeln und als versprachlichte dann sogar steigern. Der
Riss im Bann der Tautologie des Davonkommens, den die Scham bekundet,
soll größer werden durch Versprachlichung des mit ihr beginnenden neuen
und ganz anderen Verhältnisses zur Lage. Im sprachlichen Nirgendwo läßt
sich aber keine Sprache finden. So bleibt dem mit dem Leerlaufenden nun
vereinigten Schrumpf-Ich nur, genau hinzuhören und zugleich tief in
sich hinein, ob da nicht ein Wort, ein Satz, ein Bild, ein Begriff oder
ein Splittergebilde aus allem sei, dessen Gebrauch ein wenig weniger
Scham erzeugt als anderes. Stößt es auf so etwas, so muss es rasch
zugreifen und von dort aus dann weiter hinhören. Es ergeben sich
mehrere Wege. Bescheiden zunächst, kann es sich auf die Suche nach
Sprachgebilden machen, welche die Scham ungefähr so minimieren wie das
ergriffene. Es kann aber auch nach solchen suchen, die sie in
gesteigertem Maße reduzieren und so auf eine Sequenz zielen, an deren
Ende das Verschwinden der Scham erreicht ist. All dies bezeichnet Modi
und Regeln der Anknüpfung, der Verknüpfung, der Syntax. So entsteht,
was man einen Stil nennen könnte. Je deutlicher sich dieser formt,
desto behilflicher wird er selber bei der Suche nach Sprachmitteln.
Irgendwann geht eine umformende Kraft von ihm aus, die vorhandene
Sprachmittel so zu transformieren vermag, dass sich die Scham, die sie
erzeugen, auf genau der Stufe hält, die im textlichen Kontext jeweils
erforderlich und beabsichtigt ist. Texte, die so entstehen, ziehen Wege
des geringsten und genau kalkulierten Widerstands durch die vorhandenen
Sprach-, Bild- und Begriffswelten. Diese brechen nach diesen Wegen hin
ein und kommen dort verwandelt vor.
13.
Der Ort der Kulturbildung ist der Ort der Diskrepanz zwischen der
faktischen Freisetzung vom Bann der Tautologie des Davonkommens und dem
wirklichen Vollzug dieser Befreiung. Faktische Freisetzung meint, dass
wir auf Grund einer etablierten und funktionierenden Infrastruktur des
Zutuns nicht mehr genötigt seien, Davonkommen überhaupt zu erstreben.
Fehlen des wirklichen Vollzugs dieser Befreiung meint, dass wir dennoch
weiterhin am Fortdauern als Ziel hängen und diesem alle anderen Zwecke
unterordnen. Wir haben uns noch nicht zu dem Streben nach einem über
das Fortdauern Hinausgehenden befreit, das uns die Infrastruktur des
Zutuns, allein deswegen, weil sie da ist und funktioniert, gleichwohl
aufzwingt. Dies tut sie, indem sie von uns die genannte Grenzziehung
fordert. Wir ziehen diese Grenze und verletzen sie auch. Unsere Scham
darüber missverstehen wir zuerst. Indem wir Sprach-, Bild- und
Begriffswelten der Rechtfertigung bauen, behandeln und rechtfertigen
wir uns als dritte Person. In unserem Schämen bekunden wir uns als
erste Person. Das sprach- und textbildende Prinzip der sich
versprachlichenden Scham bricht die vorliegenden Mittel in eine Sprache
um, die in der ersten Person zu erkunden und zu erhellen vermag, wie
Fortdauer ins zweite Glied zu stellen sei. Dies aber ist das eine
Thema, an dem Kulturbildung zu allererst hängt. Alles sonst ist
Konsequenz und Ausarbeitung.