Reinhard Düßel
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Bildschirm-Existenz und Literatursprache

 

That is not it at all,
That is not what I meant, at all.
T.S.Eliot, Prufrock
1.

Da wir also Davongekommene sind, werden wir es wohl, das Davonkommen, erstrebt haben und erstreben. So sagen wir das, uns selbst und auch anderen, freilich ungern. Lagen, in denen wir genötigt sind, geradewegs nach dem Davonkommen zu streben, schieben wir weg. Wir ziehen es vor, nach anderem zu streben und die Sorge um das Davonkommen beiher zu bedienen. Das jeweils Nächste, wenn irgend möglich auch das Übernächste und das danach, soll misslingen können, ohne dass es mit uns vorbei ist. Wir erstreben Alltäglichkeit. Dieses Bestreben hat neben dem Bemühen darum, auf absehbare Zeit die Verfügbarkeit dessen zu garantieren, was wir brauchen, eine zweite, weit weniger öffentliche Seite. Sie betrifft die Erfahrung einer Grenze, jenseits derer für uns die sind, denen wir unter keinen Umständen gleichen wollen. Scharf ist diese Grenze nicht gezogen. Es gibt eine Zone des Übergangs. Wir haben ein feines Gespür dafür wie tief wir uns in dieser befinden. Auch lernen wir früh, dass sich die Verfügbarkeit dessen, was wir brauchen, so ganz ohne Exkursion hinein in diese Zone kaum garantieren lässt. Wir lernen ebenso, dass wir damit nicht allein sind.

Gelegentlich ergibt sich Alltäglichkeit für eine Weile wie von selbst. Gefühlt, wenn auch keineswegs wirklich, expandiert die Reihe des Nächsten und Übernächsten, das gefahrlos misslingen könnte, ins Unendliche. Die Sorge um das Nötige erscheint als ein sicher Entferntes. Wir erleben Alltäglichkeit als paradiesisch leicht, uns nährend vom Baum des Lebens und in seligem Vergessen um den anderen Baum. Biographisch oder auch im Entwicklungsgang einzelner Gesellschaften markiert diese Erfahrung einen Neuanfang. Man hat die Erfahrung gemacht, wie es ist, weiter zu sein als nur aus dem Gröbsten heraus, und auch die, dass dort kein Bleiben ist. Soll Alltäglichkeit sich ergeben, und dies auf absehbare Zeit, so muss da etwas sein, das hervorbringt und bereitstellt, was wir brauchen. Damit es so werde, müssen alle anpacken, die in einem nennenswerten Verkehr miteinander stehen. Die Anstrengung, die so beginnt, nennen wir Entwicklung. In dem Maße, in dem es damit vorangeht, fließt den Beteiligten dann zu, was sie brauchen, was ganz einfach heißt, dass sie es sich gegen Nachweis ihres Zutuns zum Ganzen irgendwo in der Nähe abholen können. In den letzten Jahrzehnten verstand man unter Entwicklung vorwiegend den Ausbau des Dienstleistungsbereichs, wobei es vorwiegend auf den Sektor ankam, den man gelegentlich als quaternären Sektor bezeichnet. Gemeint sind damit Tätigkeiten, die weitgehend, wenn auch nicht ausschließlich, mit der Produktion, Verarbeitung und Präsentation von Informationen befasst sind.

Quaternäres Tun setzt Abschirmung voraus. Die Umwelt muss im Versinken gehalten werden. Dies bewerkstelligt, beispielsweise, ein hinreichend ausgestattetes Büro. Auch Konferenzräume mit den dazugehörigen Einrichtungen erfüllen diesen Zweck. Allgemein kann man von einer abschirmenden, die Umwelt im wohlwollenden Versinken haltenden Infrastruktur reden. Was den im quaternären Sektor Tätigen die Infrastruktur ist, innerhalb derer sie arbeiten und sich auch sonst meist aufhalten, ist anderen, beispielsweise, das Internet-Café. Wer sich dort niederlässt, will Freiheit allein für den Bildschirm. Komfortabler, obgleich der Komfort am Ende keinen Unterschied mehr macht, solange die Umwelt nur im Versinken gehalten wird, hat man das Gleiche in einer Ecke der eigenen Wohnung oder irgendwo sonst in einer Ecke, temporär wiederum, bevor man wieder hinaus muss, um den Beitrag zum Zutun zu leisten, ohne den die Umwelt widerborstig wird. Auf diese ganz besondere Art von Ecke, die durch einen Bildschirm zu einer solchen wird, muss man auch auf dem Weg zum Ort des Zutuns nicht verzichten. Es gibt sie mobil. Ist der Weg zu kurz oder der Bus zu überfüllt für Note- oder Netbook, so bleibt noch immer das Handy. Das Versinken der Umwelt, sofern gelegentliche Stöße und ein gewisses Schütteln beim Fahren nicht zählen, gehört zu den Leistungen, für die man beim Kaufen der Fahrkarte bezahlt. Mit dem Blick auf den Schirm, so klein er auch sei, kehrt die Gewissheit wieder, das Übernächste frühestens sei der Ernstfall. Informationen allein, auch wenn sie ernst sind, können dies nicht sein. Dies macht, von allem sonst abgesehen, das Privileg des quaternären Sektors aus. Die Existenzform, die es bezeichnet, ist längst über diesen hinaus kulturbildend geworden.

2.

Die kulturbildende Kraft des Quaternären beseitigt eine der Beunruhigungen, mit denen das Rundumvernetztsein uns zunehmend überrascht. Um den Mangel irgendeines Einen, die Vielfalt der Besonderheiten, die man natürlich auch will, doch Übergreifenden, ohne das man, so dezentral man auch zu denken versucht, nicht auskommt, muss man sich nicht sorgen. Sofern eine Gesellschaft sich überhaupt entwickelt, muss es zum Quaternären kommen. Kommt es schließlich dazu, hat man sich bereits in ein Konvergieren eingeklinkt, das auch noch so ausgeprägte Besonderheiten anderweitiger Art nicht mehr zu überschreiben vermögen. Der bei versinkender Umwelt auf den Bildschirm geheftete Blick inkarniert einen Universalismus, der andere mit Leichtigkeit bricht. So manchem Reisenden, der das erste Mal Ostasien besucht, oder eine andere Weltregion, die als ganz anders galt, mag es beim Betreten eines Internet-Cafés ergehen wie einst den Rittern, die im Heiligen Land feststellen mussten, Ritter gebe es auch dort. Die Köpfe schlug man sich dennoch ein. So etwas ließ sich bisher noch immer mit jedem Umgreifenden vereinbaren.

Das wäre es nun also, so sieht es aus, gewesen. Ein Konvergenzpunkt aller Großgeschichten und Kulturen, auf vielerlei Weisen debattiert, in seiner Möglichkeit bezweifelt oder auch verteidigt, hat sich über all unsere Bedenken hinweggesetzt und einfach herausgestellt. Es gibt keine Entwicklung ohne gesteigerte Nutzung der Informationstechnologie. Damit ist alles gesagt und entschieden. Die Frage, welche Sprache das Internet dominiert oder auch nicht, ist demgegenüber sekundär. Das Quaternäre heißt alle Sprachen willkommen. Seine kulturbildende Kraft verweist aber alle Inkommensurabilitäten oder auch Halbkommensurabilitäten in die zweite Ebene. Auch wer im Internet auf der Sprache einer noch so singulären Minderheit bestünde, hätte sich, indem er es tut, vermutlich irgendwo im Quaternären tätig, längst in das genannte Konvergieren eingeklinkt. Es muss uns nicht gefallen, was wir da sehen. Maschinenstürmerisches ist damit nicht gemeint, auch nicht das Insistieren auf ganz anderen Wegen der Entwicklung, verstellt gar von der Informationstechnologie. Wer nicht das Privileg genießt, ein paar Schritt entfernt von einer der großen Bibliotheken zu wohnen, käme auf eine derartige Vision ohnehin nicht. Der Schub, den die Digitalisierung da brachte, ist ohne Alternative. Wenn uns nicht gefällt, was wir da als Konvergenzpunkt heranrücken sehen, so heißt dies nicht, dass wir uns in vordigitale Zeiten zurücksehnten. Eher schon drängt es zu dem Gedanken, die Möglichkeiten, die dieser Schub eröffnete, seien noch nicht ausgeschöpft, womöglich in dem, was an ihnen wesentlich ist, überhaupt noch nicht so recht erkannt, ausgeschöpft und erkundet vielmehr nur, sagen wir es ruhig, in ihrer freibeuterischen, Wildwest- und Rambonatur.

Das gute Leben, zu dem es uns hinzieht, ist nach Aristoteles das kontemplative. Kontemplation, so sieht er es, will nichts erreichen. Sie ist sich selbst genug. Auch verbraucht sie nichts. Alle anderen Tätigkeiten brauchen und verbrauchen Materialien, Utensilien, Vorrichtungen irgendwelcher Art. Dies hält sie in Abhängigkeit von den entsprechenden Prozessen der Beschaffung und Bereitstellung. Kontemplation ist frei davon. Freilich braucht sie Muse. Die Umwelt muss schon versinken, und dies wohlwollend. Bei geringen Ansprüchen genügen ein Zelle oder auch Höhle und jemand, der einmal am Tag eine frugale Mahlzeit vor die Tür stellt. Eine gewisse Familienähnlichkeit zwischen dem Habitus des Kontemplativen und dem des Blicks auf den Bildschirm ist nicht zu übersehen. Man kann es bei dieser Feststellung belassen. Die genannte Weltenkonvergenz aber heischt nach Erklärung, Vertiefung und Hintersinn. Gewiss, da ist eben eine Technologie, ohne die keine Art der Entwicklung, so alternativ und ganz anders sie sich auch geben oder wirklich sein mag, auskommen wird. Der Habitus, der mit ihrer Nutzung einhergeht, wird vom Design der Hardware definiert und nur davon. Man kann aber auch fragen, weshalb sich gerade dieses Design, dessen Nutzung diesen und keinen anderen Habitus verlangt und damit definiert, durchgesetzt hat. Hinzu kommt, dass die Nutzung, so wie wir sie beobachten können, nicht immer einer erkennbaren Aufgabe entspricht, zu deren Bewältigung sie in Angriff genommen wird. Nicht immer begibt man sich in den Habitus ihrer Nutzung, weil ein bestimmter Zweck dies verlangt. Man begibt sich in diesen und nutzt sie dann irgendwie. Etwas also, keinesfalls aber ein Zweck, der auf diesem Wege zu bewältigen wäre, zieht zu ihm hin und in ihn hinein. Sollte da doch Tieferes im Spiel sein? Wird da, was hin- und hineinzieht, für etwas anderes genommen, als es ist, ohne dass es auch nur im Geringsten vorgäbe, etwas anderes zu sein?

3.

Nehmen wir also an, noch einmal, es ziehe uns zum Kontemplativen hin, unabhängig davon, ob wir das Wort Kontemplation zu dem von uns benutzten Vokabular rechnen oder nicht, unabhängig vor allem aber von einem ausdrücklichen Gerichtetsein unseres Strebens. Das Kontemplative wäre dann ganz einfach das, wonach wir, mehr gedrängt denn selber drängend, streben. Es wäre der Maßstab, der am Werk ist, wann immer wir bei einem Erreichten sagen, dieses sei noch nicht, worauf wir hinauswollten, oder bei manchem noch so gut gemeinten Vorschlag, er führe nicht weiter. Im Negativen sicher, halten wir uns da an einen Maßstab, den wir gleichwohl als Blaupause ausdrücklichen Strebens nicht zu formulieren wissen. So bleibt uns nur, bereit zu sein für den Augenblick, in dem wir auf etwas stoßen, das diesem Maßstab in positiver Weise entspricht. Das müsste sich dann zeigen, sich uns zeigen, und dies vermutlich so, dass sich der Widerstand, den wir in unserem negativen Sichersein allem anderen entgegensetzen, von ihm her nicht oder nicht in gleichem Maße ergibt. Garantie gibt es dabei keine. Nimmt der Widerstand, indem wir vorangehen, weiter ab, so haben wir Grund zur Zuversicht. Wir mögen dann sogar versuchen, positive Formulierungen über diese eigenartige, von unserer Sicherheit im Negativen gleichsam entlassene Landschaft zu wagen. Sofern und solange es gelingt, entstehen so Sprach- und Gedankengebilde, die wir für triftig halten, dies aber so, dass uns die Frage, weshalb und nach welchen Kriterien, als seltsam sachfremd erscheint. Auch sie garantieren nichts. Sie können plötzlich abbrechen und sich dann, ein Stückweit oder gänzlich, nach rückwärts durchstreichen. Zum größten annehmbaren Unfall unseres Denkens und Strebens wäre es damit noch nicht gekommen. Wir wären eben wieder dort, im Negativen weiterhin sicher, vielleicht sogar noch sicherer, von woher wir uns hatten hinanziehen lassen.

Passiert uns das mehrmals, so wird der GAU schon wahrscheinlicher. Wir werden dann zunehmend gelenkiger in unseren Formulierungen. Es kann schon vorkommen, dass wir uns die eine oder andere Abbreviatur erlauben und zur späteren Durcharbeitung zurückstellen. Solange wir dieses Verfahren sparsam nutzen und immer wieder innehalten, um das Zurückgestellte wirklich durchzuarbeiten, geht das an. Es kann aber auch sein, dass es für derlei Schularbeiten keinen Sinn mehr lässt. Zwischen den sich akkumulierenden Abbreviaturen etabliert sich dann eine Logik der Siebenmeilenstiefel. Die Sätze fügen sich nach dieser leichter, gefügiger, übersichtlicher auch. Was gesagt wird, lässt sich endlich zusammenfassen, exzerpieren, verpacken. Ein Terminologie nebst Lehre ist entstanden, eine Sicht der Dinge, die sich fortschreiben und nachschreiben lässt, eine gespenstische Leichtigkeit des Schreibens und Darlegens, ein Denkspaß, der nur ins Stocken kommt, wenn er auf andere Varianten seiner selbst trifft. Gespenstisch sicher im Positiven, sind wir es dann im Negativen nicht mehr.

Wir reden und handeln auch, solange da nichts ist, das einen Weg des minimierten oder gar schwindenden Widerstands eröffnete. All unser Tun ist dann ein Mittun. Gemeinhin bleibt es nicht dabei. Unmerklich zuerst, doch unaufhaltsam, wird aus dem eigenschaftslosen Mittun ein widerstrebendes. Da noch immer ohne Eigenschaften, machen wir in derlei Tumulten keine sonderlich gute Figur. So kann es denn passieren, damit es nur endlich zu einem Weg des schwindenden Widerstands komme, dass wir uns im Anknüpfungspunkt vergreifen. Das zeigt sich aber erst später. Zunächst verwandeln wir an, Worte, Formulierungen, Gesten, Weisen der Darstellung, Akzentuierung, Wertungen. Genau dasselbe wird es kaum je sein, woran wir da anknüpfen. Für jeden Anknüpfenden, was immer es auch sei, hat es im Augenblick des Anknüpfens seine besondere Seite, und die ist es, an die er anknüpft. Soweit es sich aber zeigt und beschreiben lässt, wird es etwas sein müssen, an das, je und je idiosynkratisch, von verschiedenen Seiten her angeknüpft wurde und wird. Indem es so, nach verschiedenen Richtungen hin, besondere Wege des schwindenden Widerstands eröffnet, wird es, ohne tatsächlich eine solche zu sein, zu einer Art Mitte. Ein wenig gröber und handlicher verpackt mag man so einen Anknüpfungspunkt als kulturbildende Mitte chrakterisieren.

Sicherheit im Negativen ist nach dem Gesagten Möglichkeitsbedingung der Kulturbildung, nicht deren Produkt. Nur wenn das Mittun zu einem Widerstrebenden geworden ist, können wir auf etwas stoßen, das uns weniger widerstrebt als anderes und dieses, wir mögen uns dabei vergreifen oder nicht, als Kulturbildendes ergreifen. Kulturbildendes wird mithin erst, indem es als solches ergriffen und anverwandelt wird. Auch hält Kulturbildung nur solange an, wie der Weg des schwindenden Widerstands Ränder hat, an denen unser Widerstreben, sobald wir sie berühren, abrupt hochfährt. Worauf stützen wir uns, wenn wir im Negativen sicher sind?  Nicht sonderlich schwierig wäre es, an dieser Stelle irgendeinen Anknüpfungspunkt irgendwo zu entlehnen, der ein paar Schritte forthülfe. Jeder wäre da ebenso gut, deswegen aber auch ebenso schlecht, wie der andere. Wir dächten auf Pump. Die einzig Barschaft, die wir haben, ist unser Davonkommen. Uns mit dieser bescheidend, müssen wir uns freilich auf einen längeren Umweg einrichten.

4.

Wann und wie uns jeweils die Sorge um Alltäglichkeit und Davonkommen erschien, ob mit einem Schlage oder in der Form eines mehr oder weniger behüteten Übergangs, gehört zu den Erinnerungen, durch die wir uns immer wieder neu definieren. Die Spur wenigstens eines heroischen Elements fehlt selten. Immerhin haben wir es geschafft und sind bis auf weiteres zurechtgekommen, so knapp und holperig es dabei auch zugegangen sein mag und möglicherweise noch zugeht. Jeder hat da so seine Geschichte. Nach rückwärts betrachtet, hätte vieles auf vielerlei Weisen schief gehen können. Ging aber doch gut. Haben wir wenigstens etwas zu erzählen. Es sind Geschichten des Davonkommens und des Lernens, der langsam oder in Schüben wachsenden Übersicht. Mehr oder weniger gut haben wir die Sprachen gelernt, deren Beherrschung dort, wo wir waren und sind, fürs Zurechtkommen erforderlich ist. Auch qualifiziert haben wir uns, für dies oder jenes, und Erfahrungen gesammelt, so dass wir, leidlich oder sogar mit einem gewissen Gefühl der Unabkömmlichkeit, unseren Beitrag zum Zutun zu erbringen vermögen. Daran arbeiten wir weiter. Früher oder später passiert es dann, so oder ähnlich, wie es unsere Umgebung und Welt eben eingerichtet hat, dass wir plötzlich mehr Sport treiben oder auf organisierte Weise Vitamine zu uns nehmen. Die Möglichkeit des Gelingens und Misslingens, in der wir leben, schiebt sich in unseren Blick. Wir sehen und behandeln sie wie alles dort, als etwas eben, das gelingen und misslingen kann. Ihr Schwinden gilt uns als beginnendes Misslingen, dem wir, wie jedem, tätig und findig zu wehren suchen. Ins Selbstreferentielle lässt sie sich aber nicht drängen. Blitzt es dann hin und wieder nostalgisch auf, durchmischt nicht selten mit einem Bedauern darüber, die Zeiten, in denen, wie wir nun meinen, alles möglich war, nicht hinreichend genutzt und genossen zu haben, so haben wir verstanden. Noch immer gelingt vieles. Wir freuen uns nun anders darüber, vielleicht sogar das erste Mal wirklich. Vor allem aber versuchen wir, uns ein Bild von dem zu machen, was wir da verstanden haben.

Die Möglichkeit des Gelingens und Misslingens, so malen wir uns das aus, geht wohl ihren eigenen Weg. Als wir aufhörten, Kinder zu sein, mündete der in den unsrigen ein, oder auch umgekehrt. Es gab Präludien dieses Augenblicks, etwa den, in dem wir das erste Mal ohne gehalten zu werden ein paar Schritte selber liefen und wussten, dass es mit dem Umfallen und Krabbeln nun vorbei sei. Als sie dann endlich ganz da war, muss uns das so fasziniert haben, dass wir uns mit ihr, der offenen Möglichkeit des Gelingens und Misslingens, verwechselten und gleichsetzten. Allmählich aber, ganz allmählich, trennen sich unsere Wege nun wieder. Noch ist sie nicht so weit entfernt, dass wir ihr nachblicken könnten. Wir bereiten uns aber darauf vor und stellen uns darauf ein, dass wir ihr irgendwann einmal, nicht jetzt, aber bald, nachwinken werden, lange vermutlich, denn der Abschied wird schwer sein. So nehmen wir uns vor, anders heroisch dann, mit dem Abschied Maß zu halten, so genau wie nur möglich hinzusehen, was je und je ist, und dieses dann, oder an diesem, mittzutun, solange es ist. Das hat etwas gehoben Beruhigendes. Da ist etwas von einem Rhythmus der Dinge, der menschlichen vor allem, in den wir einzuschwingen gedenken.    

Verbliebene Möglichkeiten, als verbliebene, begeistern freilich nicht. Die Diskrepanz zwischen ihrer Enge und der Weite des Verschwundenen verhindert das. Das Schema der erlebten Weite haben wir uns anverwandelt. Es bestimmt den Maßstab, an dem wir das Verbliebene messen, ob wir dies wollen oder nicht. Die erfahrene Diskrepanz zeigt sich in einer gelegentlichen, häufigen oder auch dauernden Schwere, die sich aus den Sachen allein, die zu bewältigen sind, nicht erklärt. Wir ertragen die Schwere, bis sie, wenn die Möglichkeiten, aus denen wir schöpfen, zunehmend von unserem Tun durchwirkt und damit nicht mehr allein verbliebene sind, allmählich leichter wird oder zu werden scheint. Ertragen heißt auch Erdulden. Wir erdulden die Schwere, machen geduldig weiter, üben Geduld.

5.

Man wachse, so heißt es, mit den Aufgaben. Bei jedem Verschwinden droht das Umgekehrte. Die verbliebenen Möglichkeiten haben nur für ein Schrumpf-Ich Verwendung. Der Rest unserer selbst läuft leer. Wir sind beides, das Schrumpf-Ich und das Leerlaufende. Dies strengt an. Auch das Leerlaufende, dem nur die Erinnerung an geschwundene Weite geblieben ist, muss sich, um nicht zu zerfallen, eine Form gegenwärtiger Tätigkeit schaffen. Definitionsgemäß bedürfen die verbliebenen Möglichkeiten seiner aber nicht. Mithin gibt es keine, die es ergreifen könnte. Es bleiben ihm nur, bezogen auf die gegebenen Möglichkeiten, die der zweiten Stufe. Jederzeit und rasch verfügbar aus dem Inventar des Meta-Möglichen ist der Spott. So rettet es sich vor dem Zerfallen, indem es dem Schrumpf-Ich über die Schulter blickt und diesem die Enge seiner Projekte vorhält. Dem Schrumpf-Ich, welches davon längst selber weiß, entsteht daraus der Drang, den Spötter loszuwerden, sich vom Leerlaufenden gänzlich zu trennen. Geduld gebietet, diese Totalkonversion in die Schrumpf-Existenz zu unterlassen und den Spott, durch den wir uns daran erinnern, dass wir im Geschrumpften nicht aufgehen, zu ertragen. Auch dem Leerlaufenden ist in seiner spottenden Meta-Tätigkeit nicht lange wohl. Es will wirklich tätig werden. Wenn ihm das Verbliebene, so sinniert es, hierzu keine Möglichkeit lasse, sei dies ein Mangel an jenem, den es zu beheben gelte. Möglichkeiten, die es nicht gebe, müsse man eben, das Verbliebene mit all seiner Enge sich selber überlassend, schaffen. Auch dies wäre eine Totalkoversion, ein phantasmagorischer Neuanfang ohne Durchgang durch das Verbliebene. Das Leerlaufende hätte sich vom Schrumpf-Ich und vom Verbliebenen gelöst. Geduld gebietet, dem zu widerstehen, und sei es nur deshalb, weil Möglichkeiten, die nicht im Durchgang durch Verbliebenes, sondern aus dem Nichts geschaffen wären, das Nichts des Verbliebenen immer wieder zu schaffen und zu erneuern hätten. Zu ertragen also ist beides, der Spott, soweit wir Schrumpf-Ich sind, und die Langeweile des Spottens, soweit wir Leerlaufendes sind. Dies macht die Schwere aus, von der die Rede war.

Die aber lässt sich nur für eine begrenzte Weile tragen. So versuchen wir, nicht den Spötter loszuwerden, wohl aber sein Spotten, wonach wir uns als Leerlaufendes, in dieser Version unserer selbst, soweit wir uns des phantasmagorischen Rundumschlags enthalten, zum Spötter verdammt, selber sehnen. Mit einem Meta-Möglichen, und einem, das sich aus der Erinnerung an geschwundene Weite ergibt, denn mehr als diese haben wir als Leerlaufendes nicht, werden wir uns dabei weiterhin begnügen müssen. Aus dieser Erinnerung ergibt sich als Option möglichen Tätigseins lediglich die Möglichkeit, geschwundene Weite in Erinnerung zu rufen. Unser Spötter-Ich tut genau das. Dem Schrumpf-Ich über die Schulter blickend, drängt es jenes dazu, das im Verbliebenen mit jedem nur denkbaren Aufwand an Mühe und Ernst Erreichbare an der Weite des ehedem Erreichbaren und Erreichten zu messen. Ein Vergleich der Proportionen zwischen Aufwand und möglichem Resultat liegt dann nahe. Fällt unser Schrumpf-Ich darauf herein, so wird es sich mit seinem Mühen, und je mehr es dieses steigert, desto wahrscheinlicher, selber zum Gespött. Aus der Verdammnis zum Spotten werden wir uns als Leerlaufendes nur zu lösen vermögen, wenn es uns gelingt, die geschwundene Weite anders in Erinnerung zu rufen, und dies nach Möglichkeit so, dass wir dem Schrumpf-Ich damit, statt es zu irritieren oder gar zu blockieren,  bei seinem Mühen um das Verbliebene behilflich sind. Jede Art von Nostalgie blockiert. Es wird hier also ein Erinnern zu suchen und zu etablieren sein, dem das Geschwundensein der Weite kein Negatives ist. Ein Geschwundensein ist dann kein Negatives, wenn das Schwinden oder Verschwinden, als es geschah, an der Reihe oder eben an der Zeit war. Nicht das Schwinden, sondern das Ausbleiben eines Schwindens, das an der Zeit ist, wäre in so einem Falle das Negative.

So retten wir uns also ins Erbauliche. Jedes Messen gegenwärtiger Möglichkeiten an vergangenen oder anderweitig imaginierten erklären wir zum Symptom von Oberflächlichkeit und mangelnder Reife. Unser Spötter-Ich hat sein Spotten abgestreift. So gehäutet, macht es das Schrumpf-Ich mit der größeren Bewandtnis seiner Enge vertraut. Auch die geringste Spur mitgeschleppten Resignierens, oder der Neigung hierzu, so lernt dieses nun von jenem, erzeuge ein Moment von Blindheit. Zu tilgen sei diese nur durch eine Drehung des Blicks, die das Verbliebene in seinem Verhältnis zum Vorangegangenen nicht mehr als Verbliebenes auffasst, sondern als Offenbarung des Wandels, der je und je an der Zeit war und ist. Einsicht in die Fülle dieses Wandels gewinnen wir nur, indem wir uns ganz auf die Fülle des jeweils Gegebenen einlassen. Das Schrumpf-Ich kann all dem nur zustimmen. Eben dies war es ja, woran es sich, behindert allerdings durch den Spötter, immer schon machen wollte. Zum Berater geworden, sorgt dieser nun für Sprachregelungen und Vorstellungsgebilde, die das Mühen auch noch in der engsten Enge mit einer gewissen Begeisterung zu versorgen vermögen, für eine Weile wenigstens, die jedenfalls nicht stört.

6.

Allerdings gibt es, rund um uns herum, das Vorzeitige, Unzeitige, temporal Monströse. So jedenfalls sehen wir es und behelfen uns dabei mit der Unterscheidung zwischen solchem, das selbstverschuldet ist und solchem, das zustößt. Ersteres, zu dem ehedem auch wir selber, wie wir gern bekennen, beigetragen haben mögen, zeugt von einem Mangel an der Weisheit, derer wir uns endlich erfreuen. Letzteres ist die Ausnahme, muss die Ausnahme sein, da es sonst selber die Regel und der Rhythmus der Dinge, in den wir einzuschwingen trachten, die Ausnahme wäre. Solange das temporal Monströse Abstand zu uns und den Unsrigen wahrt, lässt sich mit diesem Arrangement der Zuordnungen und Sprachregelungen leben. Rückt es näher, bleibt zunächst noch die Möglichkeit, die Grenze der und des Unsrigen ein Stückweit enger zu ziehen, so dass es temporal monströs auch weiterhin nur draußen und uns nicht betreffend zugeht. Ergänzend dazu, oder an seiner statt, kann man sich auch damit behelfen, den Ausnahmecharakter des temporal Monströsen über den jeweils praktizierten Grad hinaus ein Stück weiter ausdrücklich zu machen. Beide Verfahren sind der Form nach identisch. Weder die Grenze, die das Unsrige, uns Betreffende, von dem scheidet, welches uns weder angeht noch betrifft, noch die zwischen dem temporal Gemäßen und der Ausnahme ist gemeinhin bis ins Letzte ausdrücklich und scharf gezogen. Es gibt da einen Bereich des Übergangs, je breiter desto besser, der es erlaubt, von Fall zu Fall Arrangements zu etablieren und zu erproben, die aus der Lage das Beste machen. Je ausdrücklicher wir diese Grenzen ziehen, desto enger wird der hierfür verbleibende Spielraum. Es kommt zu einem zunehmenden Erstarren sowohl der Beschreibung des Unsrigen als auch der Definition des temporal Gemäßen. Dies kostet nicht nur Kraft. Zunehmend heftiger stellt sich die wesensgemäße Unausdrücklichkeit dieser Grenzen gegen die Ausdrücklichkeit, die wir ihnen aufzwingen. Effekt von all dem ist jenseits eines gewissen Punkts das Umschlagen unseres Unternehmens in ein Karikaturenhaftes, in dem wir uns immer weniger finden und dann auch nicht mehr finden wollen. Eher kleinlaut brechen wir schließlich unsere Exkursion in den Habitus des Weisen ab.

Nicht jedem, vermutlich eher wenigen, wird so etwas überhaupt gewährt. Lange muss hierfür alles seinen Gang gehen, in den eigenen Angelegenheiten und auch rundum. Mühen und Vergütung, diese im weitesten Sinne betrachtet, als die erträgliche, dann gesicherte und möglichst auch gehobene Alltäglichkeit, die wir erstreben, müssen in nachvollziehbaren Verhältnissen zueinander stehen. Geduldig sind wir dabei durchaus. Zwar freuen wir uns über Geschenke, doch wir erwarten keine. Rückschläge, Querschüsse und Holperstrecken gelten uns als Regel. Auch für Dünenblicke, mehrfach nach langer Anstrengung wiederkehrend, finden wir, wenn es denn sein muss, irgendein Vernunftwort, und sei es ein privates. Zum Gang, den alles gehen muss, gehört also sehr wohl, dass Erwartungen kaum je in der Form eintreffen, in der wir sie haben. Ein Bezug zu ihren Rändern wenigstens, oder irgendein anderer, der sich nachvollziehen lässt, muss aber da sein, wobei wir auch das Verhältnis des Gegenteils noch als einen solchen hinzunehmen gewillt sind. Gänzlich vorbei ist es mit jeder Art von Gang erst dann, wenn nicht einmal mehr ein Gegenteil des Erwarteten eintritt, sondern irgendetwas anderes, und dies immer wieder. Es nistet sich dann, langsam wachsend, in das Innerste unseres Mühens ein Nagendes ein, das unser bereits gedoppeltes Erwarten zu einem dreifachen macht.

Weiter ist da die Erwartung, es möge sich einmal doch genau das einstellen, worauf wir, all unser Gelerntes einsetzend, hinarbeiten. Zeichnet sich ab, dass etwas nicht wird, wie unser erstes Erwarten es vorstellt, erweitern wir unser Erwarten, wie ebenfalls vorher schon, durch ein zweites. Anders als so, sagen wir uns, wie es nun wohl werde, sei das alles eigentlich, aller Erfahrung nach, auch nicht zu erwarten gewesen. Dies schafft, untermauert durch Sinnsprüche, die für diesen Zweck jederzeit bereitstehen, eine Art Balance. Wir mühen uns weiter im Sinne der ersten Dimension unseres Erwartens, wissen uns aber vorweg schon aufgefangen durch die zweite. Die dritte Dimension unterläuft eben das. Wenn sie sich öffnet, und wiederum, wie schon die zweite, als Resultat sich akkumulierender Erfahrung, wird uns die Korrelation von Mühe und Vergütung, Erwartung und nächstem oder auch übernächstem Augenblick, von weiter ausgreifenden Perspektiven gar nicht zu reden, prinzipiell arbiträr. Nichts muss und alles kann jederzeit geschehen, das gänzliche Evaporieren der Möglichkeit des Gelingens und Misslingens eingeschlossen.

7.

Jedes Verschwinden, so hatten wir gesagt, spaltet uns in ein Schrumpf-Ich und ein Leerlaufendes. Weder dürfen wir uns aber ganz auf die Seite des einen schlagen noch auf die des andern. Was gebietet da? Es wird wohl die Gewissheit sein, dass wir in keinem der Spaltprodukte aufgehen. Diese ist ein Drittes, nicht neben ihnen, sondern in jedem. Wir sind das eine oder das andere, keineswegs also beide in einem. In der Tat schlagen wir uns entweder auf die Seite des einen oder auf die des andern. Gespaltensein meint eben dies. Wären wir beide in einem, so wären wir eben nicht gespalten. Das eine oder das andere aber sind wir jeweils zusammen mit der Gewissheit, weder allein dieses noch jenes zu sein. Nur sie steht für das Ungespaltene, das wir, falls dem so gewesen sein sollte, einst waren. Man kann auch umgekehrt ansetzen und die Erfahrung des Gespaltenseins zum Ausgangspunkt nehmen, hinter den es kein Zurück gibt. Die Gewissheit im einen sowohl als auch im andern, nicht dieses allein zu sein, unterscheidet dann die Erfahrung des Gespaltenseins von einem schizoiden Purzeln zwischen Verschiedenem. Sie ist aber auch nicht als ein leeres Allgemeines zu nehmen, das hier wie dort dasselbe wäre. Im Leerlaufenden ist sie vielmehr die Gewissheit, nicht allein dieses Leerlaufende zu sein, dieses besondere Greifen, dem keine Möglichkeiten entsprechen, die es ergreifen könnte, sondern auch ein im Geschrumpften höchst Beschäftigtes, was freilich nichts daran ändert, dass wir dort nur das Leerlaufende sind und nicht beides vereint. Für das Schrumpf-Ich gilt das Entsprechende. In seinem Mühen haben wir es schon beschrieben. Das Schrumpf-Ich nämlich wird wohl nicht mehr und nicht weniger sein als das in der Lage, so wie sie eben ist, mit der Sorge um Alltäglichkeit, dem Tun und Zutun also, Möglichkeiten, die da sind, so effizient wie nur möglich ergreifend, Befasste. Hinzu kommt nun auch die Gewissheit, dieses allein dennoch nicht zu sein, sondern auch noch ein seltsames Hineingreifen ins Leere, ein Haschen, wie es sich wohl manchmal, wenn Zeit ist, denken mag, nach Wind. Schrumpf-Ich bleiben wir, wenn wir uns auf dessen Seite geschlagen haben, dennoch, nur eben sind wir es, wie auch im Falle des Leerlaufenden, nie ganz.

Haschen nach Wind kann das Leerlaufende nicht bleiben. So wird es, um nur überhaupt etwas zu werden, zum Spötter über jedes Greifen nach den Möglichkeiten, die da aber nicht die seinen sind. An der Gewissheit, nicht nur dieses zu sein, sondern auch ein geschrumpft Beschäftigtes, ändert dies nichts. Eben dies aber, die Geschäftigkeit im Geschrumpften, verspottet es gerade. Zum Spötter geworden, erfährt es seinen Spott als Selbstverspottung. Dem Schrumpf-Ich bleibt nicht verborgen, was da mit dem Leerlaufenden geschieht. Die Gewissheit, dieses auch selber zu sein, obgleich nicht ganz, lässt ihm keine Möglichkeit, sich des Spottens, welches doch gegen es selbst gerichtet ist, zu enthalten. Die Erfahrung der Selbstverspottung wiederholt sich. Zwar wird das Schrumpf-Ich, wie schon gesagt wurde, sogleich danach drängen, die Last abzuschütteln und seinen eigenen Weg zu gehen, dieselbe Gewissheit aber, welche die Misere produziert, steht dem entgegen. Es ist mehr als Schrumpf-Ich und weiß darum. Kein Weg, den es allein als Schrumpf-Ich ginge, wäre der seine. Die Last der Geduld, welche die Sorge um Alltäglichkeit an diesem Punkt zu tragen hat, besteht in der mitzuschleppenden Selbstverspottung zusammen mit der Anstrengung, die es kostet, jenem Drang zu widerstehen. Eine Last, die zu schwer wird, kann man freilich auch immer wieder einmal vorübergehend ablegen. Im Falle der lastenden Selbstverspottung bestünde so ein vorübergehendes Ablegen darin, diese immer wieder einmal für eine Weile zum Schweigen zu bringen. Das Schrumpf-Ich versucht deswegen, dem Spötter intermittierend den Gegenstand seines Spottens zu entziehen. Es suspendiert sein Mühen um das Verbliebene, denn dieses ist der Gegenstand des Spotts. Diese Suspendierung vollzieht es als Rückzug von allen Möglichkeiten, die es ergreifen könnte. Es bringt die Umwelt, soweit diese es sich gefallen lässt, zum Verschwinden. Wohin es dabei gelangt, bleibt zunächst offen. Sicher aber ist, dass es sich in einen Habitus begibt, der sowohl dem Kontemplativen als auch dem Blick auf den Bildschirm entspricht.

8.

Die Restdynamik dieser Gestalt der Sicherheit im Negativen, und um eine solche handelt es sich hier, wurde skizziert. Das Leerlaufende muss tätig sein, um sich zu erhalten. Ein Intermittierendes genügt hierfür nicht. Es muss sich also nach einer anderen Metamöglichkeit umsehen, wobei es, wie gesagt wurde, ausschließlich aus der Erinnerung an geschwundene Möglichkeiten schöpfen kann. So hält es sich an deren Schwinden und erfindet als Möglichkeit seines Tätigseins den Gang in dessen Tiefe. Bloßes Schwinden ist Oberfläche, deren Wahrheit der darin sich offenbarende Rhythmus der Dinge. Die Strategie des Schrumpf-Ichs war, vorübergehend, erfolgreich, Indem es dem Spott intermittierend den Gegenstand entzieht, zwingt es den Spötter zum Wandel. Aus der Selbstverspottung, die es mitzuschleppen hatte, ist die Versicherung geworden, je und je, woran immer es sich auch mühe, zu vollbringen, was an der Zeit ist, wobei auch jedes Misslingen so ein Vollbringen nicht nur sein kann, sondern ist.

Das Arkadien zweidimensionalen Erwartens ist prinzipiell instabil. Wenn es zerfällt, was rund um den Erdball unablässig auf vielfache Weise geschieht und geschah, kommt es jeweils zu einer der beiden Totalkonversionen. Wie es mit den Lebensgeschichten jeweils weitergeht, hängt von vielerlei Umständen ab. Immer wird sich jedoch auf der einen Seite eine Neigung zur tabula rasa, zur Konstruktion aus dem und im Nichts erkennen lassen, auf der anderen ein Kult der gewollten Enge. Dies weiter auszumalen wäre ein Thema für sich. Wir haben zu fragen, ob die skizzierte Gestalt der Sicherheit im Negativen die einzige sei, die sich denken, vorstellen und vor allem auffinden lässt. Sie ist es wohl nicht. Alles hängt dabei an der Frage, ob das Leerlaufende außer den beiden genannten weitere Metamöglichkeiten seines Tätigseins auszumachen oder zu erfinden vermag.

9.

Davonkommen, welches sich erst auf dem Wege zu einem Minimum an Alltäglichkeit befindet, rettet sich von Augenblick zu Augenblick. Da es nichts gibt, in dem es ruhen oder von dem es zehren könnte, muss es auf höchste Konzentration aller Ressourcen achten. Zu diesen gehört auch der temporale Spielraum, den jeweils hat, um darüber nachzudenken, was zu tun sei, zusammen mit dem verfügbaren Quantum an Denkkraft, Findigkeit und Phantasie. In der Lage, die hier gemeint ist, gibt es da nicht den geringsten Überschuss. Die geringste Verzettelung, das auch nur ansatzweise Fassen eines Gedankens, der nichts zur Rettung in den nächsten Augenblick beiträgt, ist das Ende. Es geht ums Davonkommen überhaupt, ohne jede weitere Bestimmung, um die Tautologie des Davonkommens. Die aber, die Tautologie des Davonkommens, ist die Fortdauer. Von denen freilich, denen es darum geht, können wir dies nicht erfahren. Sie müssen, wie gesagt wurde, all ihre Denkkraft, Findigkeit und Phantasie darauf verwenden, um zu beschaffen, was in den nächsten Augenblick bringt. Allein das Hinhören auf die Frage, worum es bei all dem überhaupt gehe, wäre eine fatale Verzettelung, das Nachdenken darüber ebenso. Wer, anders gesagt, in der zugespitzten Weise von der Hand in den Mund lebt, die hier gemeint ist, kann es sich nicht leisten, den Gedanken zu fassen, dass er es tut. Der Gedanke der Tautologie des Davonkommens oder der Fortdauer lässt sich in der Lage, in der es ausschließlich um dieses geht, nicht fassen. Möglich wird dies erst, wenn ein Minimum an Alltäglichkeit erreicht ist.

Betrachten wir von hier aus noch einmal die beschriebene Gestalt der Sicherheit im Negativen. Das Leerlaufende findet dort eine Metamöglichkeit, die es zu ergreifen vermag, indem es das Verbliebene, an dem das Schrumpf-Ich sich müht, an der erinnerten Weite misst. So gesagt, war das möglicherweise nicht genau genug. Weite und Enge sind relative Begriffe. Dies könnte dem Leerlaufenden gefährlich werden. So hängt es seinen Spott wohl besser an die prinzipielle Begrenztheit der Fortdauer aller Möglichkeiten, die je ergriffen werden können. Lächerlich in seinem Mühen ist das Schrumpf-Ich dann nicht deshalb, weil die Möglichkeiten, an denen es sich abmüht, eng sind, sondern deshalb, weil auch deren Fortdauer früher oder später abbrechen und damit jedes Mühen zunichte machen wird. Die Verwandlung, welche das Schrumpf-Ich dem Leerlaufenden aufzwang, operierte ohnehin mit dem Gedanken der Fortdauer. Sie tat es, indem sie ihn verdoppelte. Im Abbrechen der jeweils gegebenen Möglichkeiten, so die Stimme des zum Weisen geläuterten Spötters, manifestiere sich der fortdauernde Rhythmus der Dinge. Auch der Zerfall dieser Lösung und die Transformation des zweidimensionalen Erwartungsraums in einen dreidimensionalen hängen noch am Gedanken der Fortdauer als letztbestimmendem Scharnier. Die Lösung zerfällt, weil sich die Erfahrungen, die wir machen, früher oder später nicht mehr mit der Vorstellung eines fortdauernden Rhythmus der Dinge vereinbaren lassen. An der also messen wir sie dennoch. So stehen wir, wenn die Dynamik dieser Gestalt der Sicherheit im Negativen an ihr Ende gekommen ist, mit nicht mehr als der Gewissheit da, dass alles ein Ende hat und dieses jederzeit eintreten kann. Auch die beiden Totalkonversionen schleppen diese Gewissheit mit und beziehen aus ihr, uneingestanden wohl zumeist, ihre Dynamik.

An dem Punkt, an dem wir den Gedanken der Tautologie als desjenigen, worum es uns geht, zu fassen vermögen, geht es uns, ob wir dies wollen oder nicht, längst um mehr. Das hierfür erforderliche Minimum an Alltäglichkeit bedeutet nach dem eingangs Entwickelten, dass Tun bereits ein Stückweit in Zutun umgeformt, eine elementare Infrastruktur des Zutuns also etabliert wurde, zu deren Erhalt und Entwicklung wir beitragen und die uns über der jeweiligen Augenblick hinaus erhält. Die Etablierung und der Betrieb einer solchen Infrastruktur braucht und verbraucht Ressourcen. Diese entnehmen wir dem jeweils Gegebenen. In diesem ziehen wir dabei eine Grenze zwischen solchem, das uns als Ressource dient, und allem sonst. Beim Ziehen dieser Grenze sind zwei Prinzipien im Spiel. Ein erstes wird wiederum durch unsere Denkkraft, Findigkeit und Phantasie bestimmt. Um Gegebenes als Ressource nutzen zu können, muss uns etwas einfallen. Wir müssen einen Weg oder ein Verfahren finden, auf dem oder durch welches wir es als Ressource zu nutzen vermögen. Auf fortgeschrittener Stufe nennen wir so ein Verfahren eine Technologie. Nicht jedes Gegebene aber, von dem wir uns vorstellen können, wie es sich als Ressource nutzen ließe, behandeln wir tatsächlich als Ressource. Unabhängig von verfügbaren Technologien sortiert ein zweites Prinzip das Gegebene in solches, das als Ressource gebraucht und verbraucht werden darf und anderes, bei dem dies nicht erlaubt ist. Beide Prinzipien konfligieren. Ein gewisser Konsens über das zweite Prinzip gehört zu den elementarsten Konstituenten jeder Gesellschaft. Solange darüber im Grundsätzlichen ein Disput besteht, ist keine Art von Zusammenarbeit möglich. Jede Etablierung einer Infrastruktur des Zutuns setzt mithin einen solchen Konsens voraus. An dem Punkt also, an dem wir ein Minimum an Alltäglichkeit erreicht haben und den Gedanken der Fortdauer zu fassen vermögen, geht es uns nicht mehr ums Davonkommen überhaupt sondern um Davonkommen ohne Verletzung der Grenzziehung nach der Verfasstheit des zweiten Prinzips, auf der die Gesellschaft, welche die Infrastruktur des Zutuns etabliert, jeweils basiert. Die zweite, weniger ausdrückliche Dimension unseres Strebens nach Alltäglichkeit, auf die wir eingangs stießen, wird damit verständlich.


10.

Der genaue Verlauf dieser Grenze ist so fragil wie jeder Disput darüber explosiv. Schon die frühesten Texte, in denen die eine oder andere Sektion der noch nicht vom beschwerlichen Glück ihrer globalen Ganzheit wissenden Menschheit versuchte, sich darüber klar zu werden, wie zu leben sei, dokumentieren dies. Die Torah etwa zieht die Grenze zuerst sehr eng und bestimmt den Menschen zum Vegetarier (Gen.1). Nach all den Misslichkeiten und Schrecken, die zu einem zweiten Anfang nach der Flut führen, wird man großzügiger. Im wenig komfortablen Diesseits der Grenze finden sich auch alle Lebewesen (Gen. 9). Die beiden Einschränkungen, die sogleich nachgeschoben werden, deuten freilich auf eine Art inneres Erzittern beim Verschieben dieser Grenze hin. Das Blut des Schlachtgutes, weil Prinzip des Lebens, müsse vor dem Verzehr gänzlich entfernt werden. Der Mensch sei nach dem Bilde Gottes geschaffen und von anderen Lebewesen durch einen absoluten Abstand geschieden. Wer Menschenblut vergieße, habe mit dem seinigen zu haften. Man ist dessen gewahr geworden, worum es beim Ziehen dieser Grenze letztendlich geht. Sie legt fest, welches Lebendige leben darf und welches nicht, da anderes seiner als Ressource bedarf, um leben zu können. Dies muss nicht den direkten Verzehr meinen. Wenn wir uns, zu Fuß und vor allem anderweitig, von hier nach dort bewegen, um etwas zu erledigen, geht es, ohne dass wir dies ausdrücklich vorhätten, allem ans Leben, das sich auf oder in unserem Weg befindet. Manche Traditionen lehren deswegen den sachten Auftritt oder, in der strengsten Variante, die Evakulierung aller Kleinlebewesen, die beim Hintreten zu Tode kommen könnten. Kollaterales Würgen also, wie man das technisch nennt, ist bei der Grenzziehung zu berücksichtigen. Nach welchen Prinzipien soll man da aber vorgehen und nach welchen wiederum über diese entscheiden? Dissens darüber treibt die Menscheitsfraktionen aufeinander. Wie explosiv das werden kann, zeigt etwa der noch nicht allzu weit zurückliegende Disput darüber, ob Menschen schwarzer Hautfarbe als Ressource zu betrachten seien oder nicht. Seine Lösung bedurfte des Amerikanischen Bürgerkriegs, wobei die Tatsache, dass es sich dabei um den ersten total geführten Krieg der Geschichte handelte, sicherlich enen Bezug zu dem Disput hat, der ihn trieb.

In dem Maße, in dem technologische Findigkeit den Bereich möglicher Ressourcen ausweitet, nehmen die Dispute zu. Heute bestimmen sie, wenn auch nicht selten versteckt hinter der einen oder anderen Proxy-Debatte über anderes, zu einem nicht geringen Teil den allenhalben buntscheckig aufgesprossenen Hass, der von der Gewissheit zehrt, einer jeweils ganz besonderen, mit dem Geschehen eines Unerhörten konfrontiert zu sein. Die Verletzung jener Grenze nämlich ist, wenn überhaupt irgend etwas, das Unerhörte. Mit der Verwandlung von Raum und Zeit in Ressourcen, dies bekanntlich eine der geläufigsten Definitionen von Globalisierung, ist das Abfedernde dahin, das es gab, als jeder Zugriff noch eine gewisse Distanz zu überwinden hatte. Alles ist nun Gegenstand des Zugriffs einer vorhandenen oder eben möglichen Technologie. Alle Grenzziehungen sehen sich durch vorhandene oder mögliche andere immer schon unterlaufen.

Eine Infrastruktur des Zutuns, es wurde schon gesagt, kann nur bestehen, solange im Grundsätzlichen Einigkeit über den Verlauf dieser Grenze herrscht. Dieser hat dann den Status geltenden Rechts. Nicht jeder muss es für gut befinden, wer es zu ändern wünscht, hat den Verfahrensweg einzuschlagen, sich aber dennoch, solange es gilt, daran zu halten. Auf Dauer werden wir in einer Infrastruktur des Zutuns nur zurechtkommen, wenn der Grenzverlauf, an den wir uns gebunden fühlen, den in ihr gültigen mehr oder weniger dicht umspielt. Dies ist das Eine. Bekannt ist aber auch, dass es fürs Zurechtkommen innerhalb einer Infrastruktur des Zutuns ebenso erforderlich ist, mit der besondern Kultur der Grenzdehnung vertraut zu sein, die zu einer jeden, und zwar in jeder historischen Lage in besonderer Gestalt, gehört. Zwischen den Gepflogenheiten einer solchen Kultur und dem Grenzverlauf, den wir für uns für verbindlich halten, kann es zu größeren Konflikten kommen. Die Sorge um Alltäglichkeit verlangt es, mit diesen Konflikten zurechtzukommen, wobei die Option des Aussteigens, welche diese Aufgabe einfach nur anderen überläßt, als uninteressant vernachlässigt werden kann. Zurechtkommen mit diesen Konflikten heißt, dass wir uns wohl nicht immer an den Verlauf der Grenzziehung werden halten können, an den wir uns gebunden fühlen. Das Arkadien, in dem wir uns in dieser Hinsicht auf uns verlassen könnten, ist uns verwehrt. Wir sind uns dessen gewiss, dass wir früher oder später, häufiger oder selten, etwas als das Andere jeder möglichen Ressource anerkennen und dieses Anerkennungsverhältnis dann doch durchstreichen und den, die oder das Betroffene als Ressource nutzen werden.


11.

Die Erfahrung von Gespaltenheit als Ausgangspunkt bewährt sich auch hier. Was da einigermaßen nachhaltig mit der Sorge um Alltäglichkeit zurechtkommt, ist das Schrumpf-Ich. Es weiß aber, dass es dieses nicht ganz ist. Da ist noch ein Leerlaufendes, für das es keine Verwendung gibt. Es verlangt die genaue Beachtung der Grenze, an die wir uns gebunden fühlen. Davon aber mussten wir uns, wie gesagt wurde, abhalten. So wurden wir einerseits Schrumpf-Ich und andererseits Leerlaufendes. Wiederum sind wir das eine oder das andere und in jedem die Gewissheit, dieses nicht ganz zu sein. Metamöglichkeit des Leerlaufenden ist hier der perennierende Ausdruck seiner Bestürzung. Dem Schrumpf-Ich, und wir formulieren jetzt verkürzt, denn die Logik der Sache ist vom ersten Durchgang her bekannt, ist diese Bestürzung nicht fremd. Es ist selber, wenn auch nicht ganz, das Leerlaufende. Die Bestürzung also wird Selbst-Bestürzung. Das Schrumpf-Ich hat diese, wie im ersten Durchgang die Selbstverspottung, nun mitzuschleppen. Wieder drängen beide danach, den eigenen Weg zu gehen. Losgelöst vom Leerlaufenden könnte das Schrumpf-Ich allerlei werden, Pragmatiker, Opportunist, Realpolitiker und mehr. Auch das Leerlaufende hätte für sich allein Karrierechancen, die nicht ganz unvertraut sind. Auf die eine oder andere Weise könnte es an der Wurzel packen, Kompromisse hinwegfegen, grundsätzlich nicht nur sein, sondern auch bleiben. Da beide aber wiederum nicht ganz sind, was sie sind, sondern auch das jeweils andere, zwingen sie sich, solange es geht, zur Geduld.

Das Schrupf-Ich versucht zunächst, die Bestürzung über sich selber, die es mit sich herumzuschleppen hat, zu ignorieren. Dies gelingt nicht lange. Da es selber das Leerlaufende ist, verstärkt es die Stimme, wobei es jede Anstrengung, die Ohren noch weiter zu verschließen, immer schon vorwegnimmt. Mit einem Schlage dann wird aus der Bestürzung Scham. Der Drang, sich vom Leerlaufenden abzulösen, nimmt damit sprunghaft zu. Die Kräfte, von denen die Geduld zehrt, nähern sich dem kritischen Minimum. Spätestens jetzt entschließt sich das Schrumpf-Ich auch hier zur Intermittierenden Erleichterung. Es suspendiert, soweit die Infrastruktur des Zutuns und die Rolle, die es in dieser einnimmt, es erlauben, jede um Alltäglichkeit sorgende Tätigkeit. Dem Leerlaufenden wird damit der Gegenstand seiner Bestürzung entzogen. Es schweigt.

Wieder kann es, auf der Suche nach einer verfügbaren Meta-Möglichkeit, einzig auf die Erinnerung an Geschwundenes zurückgehen. Das für es Geschwundene aber, selbst wenn es nie wirklich existierte, ist gelingende Sorge um Alltäglichkeit, welche Anerkennungsverhältnisse, die sie etabliert, einzuhalten vermag. Das pausierende Schrumpf-Ich, welches selber das nach einer Meta-Möglichkeit suchende Leerlaufende ist, kommt diesem zu Hilfe, indem es seine Ratlosigkeit darüber bekundet, wie und weshalb alles so gekommen und geworden sei, wie es eben ist. Das Leerlaufende bringt diese Ratlosigkeit mit dem von  ihm Erinnerten zusammen und gewinnt daraus als Meta-Möglichkeit, die es ihm erlaubt, nicht nur sich zu erhalten, sondern auch dem Schrumpf-Ich behilflich zu sein, das Programm, den Weg vom Einst zum Jetzt, vom Dort zum Hier, vom So zum Nicht-mehr-So auszusinnen und auszumalen. Da es dem Schrumpf-Ich dabei Gutes tun will, ist es hierbei vom Bemühen geleitet, ihm verständlich zu machen, es könne eigentlich überhaupt nicht anders sein als es ist. Die entsprechenden Sprach-, Bild- und Begriffswelten füllen die globale intellectual history. Man könnte auch hier von einer Strategie der Erbauung reden und diese dem pausierenden Schrumpf-Ich vergönnen. Immerhin gestärkt, kehrt es dann ins Tätigsein zurück.

12.

An diesem Punkt macht es eine Erfahrung, die von den Geschichten des Leerlaufenden nicht vorgesehen war. Die Scham kehrt zurück. Das Schrumpf-Ich, welches diese Geschichten genossen und bereits begonnen hatte, sich aus ihnen zu verstehen, fällt wieder aus ihnen heraus. Soweit es Zeit dafür hat, imaginiert es sich zurück in seine Auszeit und kann sich von dort her dann in diesen Geschichten erneut wiederfinden. Es lernt, immer noch von dort her, dass es so zu sein habe wie es ist und alles mit ihm seine, wenn auch tragische, verstrickte, ausweglose Richtigkeit habe. Tätig dann und um Alltäglichkeit sorgend, wie die Infrastruktur des Zutuns es verlangt, kehrt die Scham wieder. Dem Leerlaufenden, welches es selber auch ist, will es die Freude am Fabulieren nicht nehmen. Zur Meta-Möglichkeit aber, die jenes meinte ergriffen zu haben, gehörte der Anspruch, dem Schrumpf-Ich behilflich zu sein. Der ließ sich nicht einlösen. Das Leerlaufende muss sich erneut auf die Suche nach einer Metamöglichkeit begeben und kann jetzt nur noch am Faktum der immer wieder zurückkehrenden, jeden Versuch einer sie überscheibenden Rechtfertigung ihrerseits überschreibenden Scham anknüpfen.

Wie auch immer dürftig innerhalb einer Infrastruktur des Zutuns bestallt, ist das Schrumpf-Ich über die Lage hinaus, in der es sich von Augenblick zu Augenblick zu retten hätte. Die Fortdauer, in deren Namen es Anerkennungsverhältnisse, die es etabliert hat, doch durchstreicht, ist nicht die eigene, sondern die der erreichten Alltäglichkeit. Die bezeichnet, wie gesagt wurde, eine Lage, in der das Schrumpf-Ich sich vom Bann der Tautologie des Davokommens gelöst hat. In dem es sich zu dieser Lage nun in der Form des Strebens nach Fortdauer verhält, zeigt es damit, und vor allem sich selber, dass es diesem Bann doch weiter unterliegt. Es hat eine Lage der Freisetzung geschaffen, sich selber aber noch nicht freigesetzt. Mit der Lage, anders gesagt, die es geschaffen hat, ist es selber nicht gewachsen. Es befindet sich damit in einer Lage, der es nicht gewachsen ist, wobei es eben dieses mit dem Bestreben um deren Fortdauer bekundet. Wenn das Leerlaufende also fabuliert, trotz aller Verstricktheit, die eben zu ertragen sei, liege alles im Rechten, da man doch leben müsse, treibt es damit das Schrumpf-Ich immer tiefer in das Gewahrwerden der genannten Diskrepanz hinein. Die Scham, die es zu beschwichtigen gedachgte, treibt es damit immer massiver hervor. Damit hat es freilich zugleich auch sein Gutes. Das Schrumpf-Ich nämlich hat mit seinem Schämen die Form seines Verhaltens zu der von ihm geschaffenen Lage bereits bereichert. Anders als das Streben nach Fortdauer bekundet das Schämen einen Riss im Bann der Tautologie des Davonkommens. Wer diesem gänzlich unterläge, hätte auch nicht die Zeit, sich zu schämen.

Das Leerlaufende, welches das Schrumpf-Ich auch ist, bemüht sich nun darum, dem Schrumpf-Ich zu einer Sprache zu verhelfen. Die Sprach-, Bild- und Begriffswelten, die es zur beschwichtigenden Rechtfertigung gebastelt hat, sind hierfür nicht zu gebrauchen. Wir stoßen damit auf eine weitere Gestalt der Sicherheit im Negativen. Das Schrumpf-Ich will sich zu der von ihm geschaffenen Lage und zu sich selber in dieser sprachlich ins Verhältnis setzen. Gebraucht es hierzu die verfügbaren Mittel, so steigert dies seine Scham. Diese will es aber gerade reduzieren. Freilich will es sie nicht einfach loswerden. Es will sie in Sprache verwandeln und als versprachlichte dann sogar steigern. Der Riss im Bann der Tautologie des Davonkommens, den die Scham bekundet, soll größer werden durch Versprachlichung des mit ihr beginnenden neuen und ganz anderen Verhältnisses zur Lage. Im sprachlichen Nirgendwo läßt sich aber keine Sprache finden. So bleibt dem mit dem Leerlaufenden nun vereinigten Schrumpf-Ich nur, genau hinzuhören und zugleich tief in sich hinein, ob da nicht ein Wort, ein Satz, ein Bild, ein Begriff oder ein Splittergebilde aus allem sei, dessen Gebrauch ein wenig weniger Scham erzeugt als anderes. Stößt es auf so etwas, so muss es rasch zugreifen und von dort aus dann weiter hinhören. Es ergeben sich mehrere Wege. Bescheiden zunächst, kann es sich auf die Suche nach Sprachgebilden machen, welche die Scham ungefähr so minimieren wie das ergriffene. Es kann aber auch nach solchen suchen, die sie in gesteigertem Maße reduzieren und so auf eine Sequenz zielen, an deren Ende das Verschwinden der Scham erreicht ist. All dies bezeichnet Modi und Regeln der Anknüpfung, der Verknüpfung, der Syntax. So entsteht, was man einen Stil nennen könnte. Je deutlicher sich dieser formt, desto behilflicher wird er selber bei der Suche nach Sprachmitteln. Irgendwann geht eine umformende Kraft von ihm aus, die vorhandene Sprachmittel so zu transformieren vermag, dass sich die Scham, die sie erzeugen, auf genau der Stufe hält, die im textlichen Kontext jeweils erforderlich und beabsichtigt ist. Texte, die so entstehen, ziehen Wege des geringsten und genau kalkulierten Widerstands durch die vorhandenen Sprach-, Bild- und Begriffswelten. Diese brechen nach diesen Wegen hin ein und kommen dort verwandelt vor.

13.

Der Ort der Kulturbildung ist der Ort der Diskrepanz zwischen der faktischen Freisetzung vom Bann der Tautologie des Davonkommens und dem wirklichen Vollzug dieser Befreiung. Faktische Freisetzung meint, dass wir auf Grund einer etablierten und funktionierenden Infrastruktur des Zutuns nicht mehr genötigt seien, Davonkommen überhaupt zu erstreben. Fehlen des wirklichen Vollzugs dieser Befreiung meint, dass wir dennoch weiterhin am Fortdauern als Ziel hängen und diesem alle anderen Zwecke unterordnen. Wir haben uns noch nicht zu dem Streben nach einem über das Fortdauern Hinausgehenden befreit, das uns die Infrastruktur des Zutuns, allein deswegen, weil sie da ist und funktioniert, gleichwohl aufzwingt. Dies tut sie, indem sie von uns die genannte Grenzziehung fordert. Wir ziehen diese Grenze und verletzen sie auch. Unsere Scham darüber missverstehen wir zuerst. Indem wir Sprach-, Bild- und Begriffswelten der Rechtfertigung bauen, behandeln und rechtfertigen wir uns als dritte Person. In unserem Schämen bekunden wir uns als erste Person. Das sprach- und textbildende Prinzip der sich versprachlichenden Scham bricht die vorliegenden Mittel in eine Sprache um, die in der ersten Person zu erkunden und zu erhellen vermag, wie Fortdauer ins zweite Glied zu stellen sei. Dies aber ist das eine Thema, an dem Kulturbildung zu allererst hängt. Alles sonst ist Konsequenz und Ausarbeitung.