Thomas Körner
Ein Fluchtversuch

 

Die Gesamtheit der vakuolischen Einwohnerschaft hatte sich zu dieser Zeit längst in zwei deutliche Groß-Gruppen unterschieden.
In die Großgruppe derjenigen, welche den Grenzbau aus Überzeugung befürworteten oder aus Gleichgültigkeit nichts gegen ihn einzuwenden hatten.
Und in die Großgruppe derer, die aus entgegengesetzten Beweggründen ihn leidenschaftlich ablehnten oder sogar bereit waren, auf das heftigste gegen ihn an zu rennen.
Letztere Großgruppe teilte sich in zwei Haupt-Gruppen. Wovon eine die der Fluchtwilligen, die andere die der Fluchtunwilligen war. Wobei deren Unwille einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Opposition ausmachte.
Und die sich mit der Absicht trugen zu fliehen, bildeten wieder zwei Ober-Gruppen.
Die erste Obergruppe begnügte sich mit dem Aushecken abenteuerlicher Fluchteinfälle und der Hingabe an tagträumerische Fluchtphantasien.
Die zweite Obergruppe befasste sich mit theoretisch vorstellbaren und praktisch ausführbaren Entwürfen, deren Realisierung tatsächlich aussichtsreich erschien.
Diese letztere Obergruppe bildete wiederum zwei Unter-Gruppen. Die Vertreter der einen Untergruppe planten akribisch, wissenschaftlich fundiert, technisch versiert und erörterten alle in Frage kommenden Varianten zu Wasser, zu Lande und in der Luft als ernstzunehmende Fachleute.
Die Vertreter der anderen Untergruppe betrieben unterdessen aufwendige Forschungs- und Beobachtungsarbeit. Tag für Tag spähten sie Lücken und Schwachstellen des Grenzbetriebes aus. Nacht für Nacht vermerkten sie Pannen und Zwischenfälle im Grenzverkehr.
Sie belauerten die Posten, kundschafteten Schleichwege aus – um rund um die Uhr, jederzeit an Ort und Stelle zu sein, wenn eine solche Lücke sich auftat, ein solcher Zwischenfall sich begab, die dem Zufall die Gelegenheit boten, sie glücklich aus dem Land zu schaffen.
Natürlich gab es in beiden Untergruppen wieder solche, die auf eigene Faust, allein und selbständig tätig waren, und solche, die auf die Hilfe,
Zusammenarbeit und Unterstützung Dritter, von innerhalb wie außerhalb, angewiesen waren.
Beide Untergruppen bestanden schließlich aus Klein- oder Neben-Gruppen.
Die einen davon waren zur Flucht um jeden Preis entschlossen. Sie nahmen Scheitern und Tod von sich und anderen wissentlich und billigend in Kauf.
Für sie war die Flucht wie ein Opfer, und glich in ihrem Verlauf oft allzusehr einer Opferung.
Die anderen zielten weniger auf das Gelingen der Flucht selbst – vielmehr war es die Bewerkstelligung des Versuchs, oder nur seiner Andeutung, woran ihnen lag.
Sie mussten es einmal, wie zur Probe, versuchen – schon, um vor sich selbst den Beweis erbracht zu haben, dass ein Gelingen ein für alle mal unmöglich gewesen war.
Für sie war die Flucht eine Art Mutprobe oder Selbst-Versuch. Und je früher sie diese wagten, umso besser für sie – denn um so eher hatten sie ihn hinter sich.
Zu letzteren gehörte ich...
Obwohl ausgestattet mit der fatalen Neigung, auch einer unausweichlichen Situation weder durch Unterwerfen noch Verleugnen, auch nicht durch Ausflucht oder Opferung zu begegnen – vielmehr dieser, wo möglich, erkennend, gar begreifend, mich gegenüber zu stellen und durch gewonnene Einsicht zu widersetzen – – – so entsprach doch nichts meinem Naturell mehr, als die mir auferlegte Daseinsverpflichtung schon einen Augenblick nach ihrer Anerkenntnis durch mich, wieder in Frage zu stellen.
Ein Gebot zu übertreten, nicht um es außer Kraft zu setzen – im Gegenteil, einzig und allein, um seine Gültigkeit zu prüfen und seine Wirksamkeit zu erfahren, und ihm damit gleichsam einen Beweis seiner Rechtmäßigkeit abzutrotzen – das sah mir ähnlich.
Diese indirekte Art und Weise der Befolgung entsprang meinem Selbstzweifel, und der wiederum war der Gewissheit heischende Halbbruder meiner Ungläubigkeit.
Wie zum Zwecke des ›Versuchsweisen‹ schien er meinem Willen nach Erkenntnis beigegeben – vielleicht so, wie dieser meinem Hang zur Abweichung, der dadurch offenbar sich herausgefordert und aufgestachelt fühlte.
Achtete ich das Gebot, durfte ich es wagen, ein Zeichen zu fordern von dem, der es aufgerichtet hatte.
So etwa lautete das Glaubensgeständnis meiner Ungläubigkeit und das hieß nichts anderes, als das ich mir herauszunehmen erlaubte, in der Rolle des Versuchers aufzutreten.
Sollte auf mich zutreffen, dass ich nicht vor einer Erkenntnis zu fliehen hatte, sondern nach ihr, auf Grund derselben, um weiterer Einsicht willen – so lag nichts näher, als jene Daseinsverpflichtung, welche eine Dableibe-Pflicht einschloss, genau in diesem Punkt durch einen vorgezogenen Fluchtversuch auf die Probe zu stellen.
Scheiterte er, würde meinem Selbstzweifel jene Gewissheit verschafft sein, derer ich bedurfte, um das letzte Schlupfloch in mir zu schließen, durch welches ich mir hätte entwischen können.
Das geforderte Zeichen konnte nur an mir geschehen, versuchte ich mich selbst – und spielte die Rolle des Versuchers und des Versuchten, beide in meiner Person.
Zum Glück hielten sich dabei das Ausmaß meiner Ahnungslosigkeit und die Schwierigkeiten dieser Doppelrolle die Waage.
Von dem Versucher in mir fand ich mich vor eine Wahl gestellt, die, in seinem Sinne entschieden, sich gegen mich gerichtet hätte, weil sie nur dem Anschein nach, auf den ersten kürzesten Blick die richtige gewesen wäre.
Ich hätte seine Wahl getroffen, statt meine – und keine, die ich gesollt, sondern eine, die er gewollt hätte.
So in Gegnerschaft geratend zu mir selbst, und allem, was von mir zu verlangen, ich mir vorgenommen hatte, musste ich unweigerlich das Opfer meiner eigenen Selbstverführung werden – sein Triumph hätte mich verdammt.
Gleichzeitig war ich aber auch der Versuchte, und aus dessen Sicht verkehrte sich meine Lage in ihr Gegenteil.
Mir blieb überhaupt keine Wahl, als mich auf die Versuchung einzulassen. Floh ich die Versuchung, suchte sie mich heim.
Mochten Anlässe, Gelegenheiten und Gründe wechseln, die Anfechtung würde bestehen bleiben, solange ich nicht einmal mich ihr gestellt hätte – allerdings ohne ihr nachzugeben.
Insofern glich dieser ›versuchte Fluchtversuch‹ tatsächlich einer Mutprobe – aber einer, bei der ich vor allem den Mut aufzubringen hatte, im entscheidenden Moment von der Probe zurückzutreten; nämlich umzukehren, bevor sie unumkehrbar für mich werden könnte; auch auf die Gefahr hin, sogar in meinen Augen für alles andere als mutig zu gelten...
Das hört sich zwar vernünftig an, ist es aber nur, wenn die Vernunft als Ergebnis der Versuchung sich einstellt – praktisch als der Erfolg ihrer Niederlage.
Einer Versuchung erliegt man nicht aus Vernunftgründen; und man widersteht ihr nicht aus diesen.
Eher sind es die Vernunft und deren Bedenken, wovor zuerst man die Augen schließt.
Der zu fassende Entschluss musste den Verstand ausblenden und gegenüber jeglicher Überlegung blind machen.
Denn nur eine einzige, alles andere bündelnde Frage ist es, in deren Brennpunkt sich der Versuchte gestellt sieht: Alles oder Nichts
Für diese Frage wird er gleichsam zu einem Raster oder filternden Spalt, wodurch außer der Antwort niemand hindurchpasst.
Bleibt die blitzartige Erleuchtung des ›Alles‹ vor dem nachtschwarzen Hintergrund des ›Nichts‹ aus, gerät das blockierte Urteilsvermögen wieder in Betrieb.
Man stürzt nicht besinnungslos in den Abgrund. Erstarrt bleibt man auf des Messers Schneide stehen.
Vom Donner gerührt, betroffen von der Bewusstheit des eigenen Tuns.
Und siedend heiß – wie ein Niederschlag – erschüttert einen fühlbar die Einsicht, dass die Würfel zwar geworfen, aber noch längst nicht gefallen sind – sie rollen nur immer weiter...
Als die Gesichte des Wahns sich wieder auflösten – wozu dieser eine Moment meine Einbildung verdichtet hatte – zeigte es sich, dass ich weder aufgegeben, noch draufgegangen, weder abgehauen noch dageblieben war...
Stattdessen stellte sich heraus, dass ich auf einer Leiter saß – und dass ich nicht allein war...
Beides hatte, jedes für sich, seine eigene kleine Vorgeschichte...
Die zwei jungen Männer, die ihre gemeinsame Schulzeit in einer Kleinstadt verbracht hatten, ohne dabei einander weiter beachtet zu haben oder gar befreundet gewesen zu sein, verband ein Erlebnis, welches nun zwei Jahre zurücklag.
Damals hatte der eine – nennen wir ihn D – über Nacht und völlig unvorbereitet seinen Vater verloren.
Dieser, ein Arzt und in der Lage, seine unheilbare Krankheit zu beurteilen, hatte am Weihnachtsabend, nach der Familienfeier von Frau und Kindern Abschied genommen, und in dem bereits mit Eisschollen befrachteten Fluss, an dem die kleine Stadt lag, den Freitod gesucht.
Tage später erst, und viele Kilometer stromab, war der kaum mehr identifizierbare Leichnam geborgen worden.
Seit dieser Zeit verfiel der junge D in eine Art Erstarrungszustand, sobald er sich dem Fluss näherte.
Unglücklicherweise stand das elterliche Wohnhaus des D auch noch dicht am Ufer, so dass er bei jedem Blick aus dem Fenster und jedem Schritt durch den Garten an das tragische Ereignis erinnert wurde, an welchem er dem Fluss eine Mitschuld zu geben schien.
Eines Nachts, wenige Wochen später, ergab es sich, dass beide Jünglinge von einer Klassenfeier denselben Weg nach Hause nahmen.
Der Weg führte am Flussufer entlang, das Thermometer war auf zwanzig Grad unter Null gesunken; die Eisschollen, die sich vor und zwischen den Brückenpfeilern der Eisenbahn- und der Straßenbrücke aufstauten und meterhoch zu Barrieren übereinandertürmten, hatten die Oberfläche des Flusses zum Stehen gebracht.
Und plötzlich hatte D seinen Begleiter gefragt, ob dieser sich zutraue, ihm über das Eis auf die andere Seite zu folgen.
Jener hatte sofort verstanden, warum ihm D diese Frage gestellt hatte - und dass ihm nichts anderes übrig blieb, als sie zu bejahen.
Denn es ging gerade nicht darum, D von seinem Vorhaben abzuhalten.
Im Gegenteil, er wollte in seinem Entschluss bestärkt werden.
Jener seltsame Erstarrungszustand hatte seine Ursache nicht in einem Hindernis, sondern in einem Mangel.
Woran es ihm gebrach, war ein äußerer Zwang, der ihn bestimmte.
Grauen und Bedrängnis, wie sie die Tat seines Vaters ihm einflößten, vermochte er zu empfinden.
Aber deren Überwindung in Form eines mindestens andeutungsweisen Nachvollzuges war ihm aus eigener Kraft unmöglich.
Als Verstärkung sollte darum sein zufälliger Weggefährte,zusammen mit ihm, über das Eis gehen – einer hinter dem anderen her, so, wie vielleicht ihm seines Vaters Schatten voran ging...
Tatsächlich haben D und ich in jener Mitternacht, ohne uns noch lange zu besinnen, erst wortlos und unsicher uns vorwärts tastend und stolpernd, später mehr und mehr leichtsinnig von einer Eisscholle zur nächsten um die Wette kletternd, dabei einander zu Fall bringend und wieder aufhelfend, mit jedem Meter, den wir uns dem gegenüberliegenden Ufer näherten, ausgelassener singend – schließlich, wie von einem gelinden Irrsinn befallen, aus Leibeskräften schreiend und johlend, den Fluss überquert.
Und hernach beschlossen, im Falle eines gemeinsamen Studiums in derselben Stadt, wenn möglich, uns nicht aus den Augen zu verlieren.
Am Tag unserer Einstellung hatten wir uns wieder getroffen.
Und nun führte uns die Versuchung in Gestalt einer Leiter erneut zusammen.
Was es mit dieser Leiter auf sich hatte, war die zweite kleine Vorgeschichte – vielleicht sogar die Geschichte selbst.
Die Leiter, die es uns angetan hatte, war die mittlere von sieben, wie sie entlang der auf dem Charitegelände verlaufenden S-Bahn-Strecke, zwischen den Gewölbebögen, an deren Außenmauer angebracht waren – offenbar zu Wartungszwecken am Gleiskörper, möglicherweise auch bei Notfällen zur Bergung und Rettung von Reisenden oder Verletzten, direkt auf das Klinik-Gelände.
Diese Leitern begannen anderthalb Meter über dem Erdboden und reichten bis unterhalb der Mauerkrone, die in sieben Metern Höhe mit einer überhängenden Metallkonstruktion abschloss, die begehbar war und den Gleisarbeitern als Montagepfad diente.
Der Gleispfad war, wie der Bahnkörper insgesamt, durch ein Geländer gesichert und von den Leitern aus ebenso wenig erreichbar, wie die Gleise selbst.
Der einzige Zugang führte über Metallroste, die wie Luken über dem Leiterende in den Gitterpfad eingelassen waren.
Sie konnten im Bedarfsfall zwar herauf oder herunter geklappt werden, waren jedoch durch Ketten und Schlösser gesichert.
Die Leitern selbst waren siebzig Zentimeter breit, standen vierzig Zentimeter von der Mauerwand ab, und waren im Meterabstand durch Eisenhalterungen mit dem Gebäude verbunden.
Sie bestanden aus zehn Zentimeter tiefen und vier Zentimeter breiten eisernen Seitenstreben, rechts und links, sowie bankeisernen Sprossen im Abstand von fünfundvierzig Zentimetern.
Anders als die vorderen drei, befand sich die mittlere Leiter ausreichend weit vom Haupteingang entfernt; und sie hatte, anders als die hinteren drei, genügend Abstand zum Grenzgebiet am Humboldthafen.
Für unseren Zweck schien sie uns am ehesten geeignet, denn ihre Eignung ergab sich aus der Sache selbst.
Das Wesen der Leiter bestimmt sich durch ihr Verhältnis zwischen einem Hindernis und dessen Überwindung. Dieses Verhältnis heißt Anlehnung. Ein Hindernis dadurch zu überwinden, dass man ihm bis zu einem gewissen Grad sich zuneigt – nicht
es einreißt, umstösst, über den Haufen rennt (auch nicht es untergräbt), sondern an ihm empor, seine Höhe ausnutzend, es erklimmt und übersteigt – dies erhebt die ›Anlehnung‹ in den Rang eines weise zu nennenden Prinzips, und macht aus der Leiter ein Instrument desselben...
Bezogen auf ein Hindernis und seine Überwindung zeugt der sachgemäße Gebrauch einer Leiter von Vernunft.
Von einer derartig ausgeklügelten Vernünftigkeit ›ver-sucht‹, hätten wir das Überwinden jedes Hindernisses für versuchenswert gehalten.
Ohne weiteren Widerspruch unsererseits verabredeten wir gemeinsam die Ausführung.
Und nicht einen Gedanken lang richteten wir uns in unserem Vorgehen nach dem, was wir im mindesten hätten in Erwägung ziehen müssen.
Welches Wetter uns günstig sein würde – sollten wir Regen abwarten.
Welche Uhrzeit in Frage käme – gleich nach Mitternacht, oder vor dem Morgengrauen.
Wie sich der Leiter nähern – einzeln, von verschiedener Seite – dafür sprach viel.
Als Pfleger gekleidet? In Eile, im Dienst, auf dem Weg von Klinik zu Klinik. Oder als Patient verkleidet, vom Ausgang zurück, irgendwie verspätet und verlaufen.
Wäre etwa eine Ausrüstung vonnöten gewesen. Trittsicheres Schuhwerk, grifffeste Handschuhe, Werkzeug, Seile, Gurte, Haken.
Erregte nicht Zweckmäßigkeit gerade Verdacht. Näher lag – ohne Gepäck – drauflos!
Hielte die Leiter uns überhaupt gleichzeitig aus; stiege nicht besser einer voraus; zöge den anderen nach; einander uns sichernd, zumal im Dunkeln, ohne Lärm.
Und was könnten wir uns zutrauen, in welcher Zeit bis zu welcher Höhe, mit welcher Geschwindigkeit, wie viele Sprossen, Probeklettern schied aus.
Vor allem aber, was wäre, würden wir entdeckt. Entdeckung hieße das Ende der Flucht – die Einigkeit bestand. Doch wie unstreitig wäre das Weitere; wovon hing das ab...
Schafften wir es bis auf die Gleise, gäbe es kein Zurück mehr. Brächten wir es fertig, auf eine S-Bahn auf zu springen (ohne die Stromführung zu berühren), benötigten wir die Hilfe beherzter Fahrgäste, die uns ins Wageninnere zögen.
Wäre es da nicht ratsamer, in den Stahlträgern der Brückenkonstruktion sich versteckt zu halten; oder wagten wir besser gleich den Sprung ins Wasser...
Gänzlich außerhalb aller Vorstellbarkeit lag, dass uns die Flucht gelänge.
Ebenso, wie das Scheitern, schlossen wir es – jeder für sich – von Vornherein aus, in eine der beiden Verlegenheiten zu geraten.
Also wir schleichen heran.
Senkrecht ragt vor uns die Leiter – starr und steif wie ein Gerippe. Steht sie frei? Hängt sie herab? Egal – uns zieht es hoch.
Wir turnen wie Anfänger an der Sprossenwand.
Der Kleinere auf den Schultern des Größeren, hangelt und strampelt... Jener, mit Ansprung und Klimmzug, baumelt, wird schwach, hängt mit den Knien sich ein, schafft es...
Also weiter.
Frei, ungeschützt – auf der Vorderseite. Nach oben gerichtet den wachsamen Blick.
Eingeklemmt, zwischen Sprossen und Mauerwerk, den Fahrweg unten stets achtsam im Auge.
Wir übersteigen einander, wechseln uns ab (wer fasst da wem an die Ferse), zum Glück wippt und federt die Leiter nicht, und dass sie verrutscht, besteht keine Gefahr.
In halber Höhe wähnen wir uns bereits. Wo der Abstand zum Boden gleich der Entfernung zu Spitze ist.
Doch von oben sieht das Unten viel tiefer aus, als von unten das Oben hoch ist – also...
... machen wir Pause.
Verschnaufen schwitzend, suchen leichteren Stand, sichere Stellung, bequemeren Halt.
Reden aber nichts. Getrauen nur, uns Zeichen zu geben.
Welche Aussicht! Dort ist drüben!
Kannst du noch?!
Pass bloß auf, dass nichts passiert!?
Wir müssen doch viel höher hinaus!!!
Es passiert...
Zugleich greifen wir danach; zugleich greifen wir nach der gleichen, durchgerosteten Sprosse, die unter dem Griff aus der Strebe weg bricht.
Zugleich rutschen wir ab; suchen Halt, einer am anderen hängend; wer Halt findet, dem anderen Halt.
Zugleich brechen Stein und Ziegel knirschend aus dem Gemäuer – reißt von der schadhaften Stelle lockeres Eisen sich los – klirrt über Sprossen und Streben zu Boden – holpert auf die Mitte des Weges.
Aber ich sehe nicht mehr es liegen.
Die Leiter ist auf die Erde gestellt.
Ihr Haupt rührt an den Himmel.
Ich steige auf, schreite nieder an ihr.
Über mir steht, der spricht:
Ausbrechen wirst du, westwärts
Ich will dich heimkehren lassen
Zu diesem Boden
Da gibt die Leiter mit einem mal spürbar nach; dreht sich merklich weg von der Wand; verzieht sich offenbar; gerät in ein schwankes Taumeln und schüttelt mit einem derben Ruck mich ab.
Ich stürze nicht
Gehe aus dem Verharren hervor
Wende zurück mich
Ein Mensch
Irgendwo auf dieser Leiter
Stufenweise
Herabsteigend
Als D, in dessen Einbildung sich, nur ihm vernehmbar, Stimmen, Befehle, Stiefelschritte, Taschenlampen und Maschinenpistolen zu seiner vermeintlichen Festnahme zugespitzt hatten – dessen unbeschadet und unverhaftet, unten anlangte, hob er das schuldige Eisenteil vom Weg auf, und ein verächtliches STATOR knurrend, schleuderte er es ins Gebüsch.
Besser, als wenn einer vorbeigekommen wäre, und hätte uns da oben zappeln gesehen – lass uns abhauen, das fehlt jetzt noch.
Iablis © 2009/12