Wann immer die Politik nicht weiter weiß, wird eine Kommission eingesetzt und damit das Problem vertagt. Auf den ersten Blick könnte man meinen, so sei es auch vor 30 Jahren gewesen, als die Kernenergie zunehmend in die Kritik geriet und die Enquete-Kommission Zukünftige Kernenergie-Politik ihre Arbeit aufnahm. Schließlich harrt das damals diskutierte Problem bis heute einer Lösung: Wie kann die Bundesrepublik langfristig mit ausreichend günstiger und nachhaltiger Energie versorgt werden? In den Wochen und Monaten der Wahlkämpfe hört der geneigte Wähler zumeist klare Positionierungen für oder gegen die Kernenergie, für oder gegen alternative Energien. Meistens sind sie jedoch dem Buhlen um Stimmen geschuldet und kommen ohne langfristige Konzepte daher.
Ein Blick in die Geschichte zeigt gleichwohl, dass es durchaus Lösungsansätze gab. Ein viel versprechender wurde inmitten der bisweilen gewalttätigen Hochphase der Kernkraftkontroverse erarbeitet. Das Forum dafür bot die Enquete-Kommission, die im Mai 1979, kurz nach dem ersten ›offiziellen‹ Unfall der Kernenergiegeschichte in Harrisburg, ihre Arbeit aufnahm. Ein Jahr später legten Befürworter und Kritiker der Kernenergie sowie Befürworter und Kritiker alternativer Energiekonzepte dem Bundestag eine weitgehend gemeinsame Empfehlung vor: Bis 1990 sollten Kernenergie, Energiesparmaßnahmen und alternative Energien gleichermaßen gefördert werden. Nach 1990 sollten mit Hilfe von vier Kriterien und vier Langzeitszenarien die weiteren energiepolitischen Schritte überdacht werden. Zwei der so genannten Pfade kamen ohne Kernenergie aus, zwei bauten auf einen Ausbau der atomaren Technologie. Alle vier, so die Aussage der Kommission, seien technisch machbar. An die Hand gegeben wurde darüber hinaus ein Energiesparkatalog.
Damit war es nicht nur gelungen, den politisch Verantwortlichen auf Grundlage des aktuellen Wissenschaftsdiskurses die Alternativen und Entscheidungsspielräume zu vermitteln, sondern auch, aus verschiedenen Denkschulen und Interessen Konsensmöglichkeiten herauszufiltern und neue Handlungsoptionen für die Politik zu eröffnen. Vor allem die starre Linie eines Pro oder Contra Kernenergie wurde überwunden. So lautet zumindest eine positive, man möchte fast meinen: glatt gebügelte Lesart des Geschehens. Im Sinne von Hayden Whites Metahistory könnte sich, wie Joachim Radkau vorschlug, gleichwohl eine heroische Tragödie entspinnen: Der Kommission gelang eine politisch rationale Kommunikation im Habermasschen Sinne. Der Erfolg blieb jedoch nur von kurzer Dauer – überrollt von den politischen Ereignissen fiel die Debatte wieder in ein unfruchtbares Pro und Contra zurück.
Der Zyniker würde entgegnen, es handele sich um ein klassisches Beispiel für wissenschaftliches Beratungstheater, eine Buffo-Komödie. Die Kommission setzte das um, was sich das Ministerium vorstellte. Die wissenschaftlich informierte Diskussion, von den Akteuren entlang eigener Interessen geführt, entfaltete keine politisch kreative Kraft, Wissenschaft und Politik verharrten im Luhmannschen Sinne in ihren eigenen Rationalitäten und die Kommission kam, eingeschüchtert von heftigen und teilweise bürgerkriegsartigen Protesten, zu einem ›billigen‹ Kompromiss.
Wie auch immer die letztgültige Bewertung aussehen mag: Wenn man zunächst einmal von der positiven Sichtweise ausgeht, so gab es inmitten des Positionsstreits ein kleines Zeitfenster, das die Kommission für eine inhaltliche Auseinandersetzung zielführend zu einem Kompromiss zu nutzen wusste. Schon die Tatsache, dass die beschriebene Empfehlung von einem Reaktorsicherheitsexperten, einem Mann von RWE, einem Vertreter des Öko-Instituts und dem ›Vater‹ des Brüters gemeinsam verabschiedet wurde, ist für die heutige Diskussion von Interesse.
Von der Verunsicherung zu Emanzipation
Die 1970er Jahre waren geprägt von Krisenphänomenen, die sich ganz konkret auf die Kernkraftkontroverse auswirkten: die Wirtschaftskrise, die These dahin schmelzender Weltressourcen, die Ölpreiskrise und der Terrorismus. Es herrschte eine ›gefühlte‹ Bedrohungssituation für die junge Bundesrepublik, die ihr Selbstbewusstsein auf wirtschaftliches Wachstum aufgebaut hatte. In der Wirtschaftskrise ließ sich der Massenarbeitslosigkeit nicht mehr mit den vorhandenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen beikommen; damit war auch das Sozialsystem in Gefahr.
Die Ölpreiskrise verschärfte die ökonomische Baisse zusätzlich und schien ein Vorbote dessen zu sein, was Die Grenzen des Wachstums, der Bericht des Club of Rome von 1972, ankündigte. In der Studie wurde das Bild einer geplünderten Welt mit endlichen Ressourcen nachgezeichnet. Doch damit nicht genug. Der Terror der Roten Armee Fraktion versetzte die Gesellschaft über mehrere Jahre in Angst und Schrecken und schien obendrein das Funktionieren der Demokratie in Frage zu stellen. In der Folge wurden ausgesprochen umstrittene Gesetze erlassen wie das Kontaktsperregesetz, das die so genannte Isolationshaft erlaubte. Dies entsprach ganz denjenigen, die mit der Angst im Nacken nach einem starken Staat riefen. Als Heinrich Böll vor einer Überreaktion warnte, wurde er als Sympathisant der Terroristen bezeichnet. Diese Symptome drücken eine Verunsicherung aus, wie sie Kurt Sontheimer diagnostizierte.
Gleichwohl führte diese Verunsicherung auch dazu, dass in manchen Belangen Probleme neu angegangen wurden: Quasi emanzipiert wurden sie in die eigene Hand genommen wie die zahlreichen Gruppen und Organisationen zeigen, die ihre Interessen unabhängig von Parteien und Verbänden äußerten. Es war die Zeit der Bürgerbewegungen.
Die Atomeuphorie der 1950er Jahre war keineswegs ein öffentliches Phänomen, viel mehr war dies die veröffentlichte Meinung. Kritik gab es immer. Diese formierte sich zunächst vor allem im Sinne einer Nimby-Position: Not in my Backyard, zu Deutsch: Nicht in meinem Vorgarten. Menschen, die in der Nähe von Bauplätzen wohnten, hatten sich von Beginn an gegen die Reaktoren gewehrt. Doch die lokalen Widerstände verhallten. Erst als man zu plebiszitären Elementen wie Bauplatzbesetzungen und Demonstrationen griff, wurde der Protest in der gesamten Republik gehört. Dies geschah in Wyhl am Kaiserstuhl. Die ansässigen Weinbauern trieb die Sorge um ihre Trauben um; die Nebelschwaden aus den Kühltürmen könnten das Weinklima in Gefahr bringen. Unter dem Motto ›Nai, hämmer gsait!‹ begannen im Februar 1975 30.000 Menschen den Marsch auf den Bauplatz, der daraufhin eineinhalb Jahre besetzt wurde. Die Aktivisten bauten nun frühzeitig Verbindungen zur Wissenschaft auf, so dass überregional greifende Argumentationen gegen die Kernenergie entwickelt werden konnten.
Während in Wyhl strikte Gewaltfreiheit herrschte – nur der Ministerpräsident wurde mit fliegenden Landwirtschaftsprodukten begrüßt – erreichten die Proteste in Norddeutschland ganz andere, bürgerkriegsähnliche Dimensionen. In Brokdorf beispielsweise kam es im Winter 1976/77 zu heftigen Zusammenstößen zwischen der Polizei und Kernkraftgegnern. Durch die gewalttätigen Aktionen gerieten die Proteste zunehmend in die Nähe des Terrorismus und wurden kriminalisiert.
Ein Symbol der Kontroverse wurde der Schnelle Brüter von Kalkar. Mit dem Großprojekt verband sich zum einen die Hoffnung einer langfristig unbeschränkten Versorgung mit Energie, da der Reaktor die Uranvorräte um den Faktor 60 strecken sollte. Zum andern weckte der Brüter immense Befürchtungen, da er technisch noch nicht ausgereift war und das hergestellte Plutonium als nicht beherrschbar galt. Proliferation, also die Verbreitung von Spaltstoffen zur Waffenherstellung, verband sich mit dem Terror der RAF zu einem Horrorszenario.
Auch wenn der Reaktor zunächst als nicht-kommerzielle Versuchsanlage geplant war, galt er doch als erster Schritt und Festlegung auf die Kerntechnologie; denn ein solcher Brüter lohnt sich nur, wenn entsprechend viele Kernkraftwerke und eine Wiederaufarbeitungsanlage vorhanden sind.
Die Akteure der Anti-Atomkraftbewegung rekrutierten sich übrigens keineswegs ausschließlich aus der politischen Linken. In ländlichen Gegenden beteiligten sich auch Konservative, und sogar aus rechtsradikalen Gruppen formierte sich Widerstand. Dies zeigt ganz eindrücklich, dass die Haltung zur Kernenergie keineswegs in erster Linie von der politischen Ausrichtung abhing. Dieser Eindruck entsteht heute bisweilen, wenn sich die konservative Partei wie schon in den 1970er Jahren die Kernenergie auf die Fahnen schreibt und die früher im Sinne der Fortschrittstechnologie atombegeisterte SPD, die dies gar in die Präambel des Godesberger Programms festschrieb, sich als Aussteiger geriert. Für eine offene Diskussion ist es sicherlich entscheidend, sich das bewusst zu machen.
Das Damoklesschwert der Unregierbarkeit
In den 1970er Jahren griff die Verunsicherung in Sachen Kernenergie auch in den politischen Parteien um sich. CDU und CSU positionierten sich klar für die Kernenergie, in den regierenden Parteien, SPD und FDP, gab es Auseinandersetzungen, die die gesamtgesellschaftliche Debatte spiegelten. Gleichwohl versuchte man, die seit 20 Jahren gemeinsam getragene Energiepolitik – den nuklearen Konsens – aufrecht zu erhalten. In Expertengesprächen und Fachtagungen wurde versucht, die Linie zu bestärken, in die Bevölkerung suchte die SPD mit dem ›Bürgerdialog‹ hineinzuwirken. Angesichts von Abrüstungsdebatte und Terror konnte die Kernenergie für die Regierung ein weiterer Punkt der Handlungsunfähigkeit werden.
Auch auf dem politischen Parkett wurde der Schnelle Brüter zu einem Kristallisationspunkt, der beinahe den Bruch der Regierungskoalition bewirkte. Zunächst versuchten Sozialdemokraten, die Verpflichtungsermächtigung zur Weiterentwicklung des Schnellen Brüters im Haushaltsausschuss und im Ausschuss für Forschung und Technologie qualifiziert zu sperren. Dieses Anliegen, das einer kleinen Hausrevolte gleich kam, konnte – wohl aus haushaltstechnischen Gründen, wie es bei der Nachrichtenagentur dpa hieß – nicht umgesetzt werden. Das Resultat war zunächst einmal, dass die Entscheidung für eine Inbetriebnahme des Reaktors einer grundsätzlichen Debatte im Bundestag vorbehalten werden sollte.
Auf den Parteitagen von SPD und FDP setzten sich die Auseinandersetzungen fort. Der Handlungsdruck spitzte sich nicht nur durch die Massenproteste zu: Seit Juni 1978 schob die sozialliberale Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen, in dem der Brüter gebaut wurde, eine Entscheidung für die dritte Teilerrichtungsgenehmigung vor sich her. Dagegen war die Bundesregierung machtlos. Daher stand die Frage im Raum, ob die Bundesregierung eine Entscheidung, die ins Landesrecht fällt, anweisen kann, und ob eigentlich der Bundestag irgendeine Befugnis in diesen Dingen hat.
Auch wenn das Karlsruher Verfassungsgericht am 8. Dezember 1978 zu der Entscheidung kam, dass für den Bau von Brutreaktoren kein Parlamentsbeschluss notwendig sei, sondern eine Regierungsentscheidung ausreiche, kam die Regierung aufgrund des Haushaltsrechts nicht am Bundestag vorbei. Die Regierung musste die Zustimmung zu ihrem Energieprogramm und damit auch zum Weiterbau des Brüters in den eigenen Reihen erreichen. So ›erkaufte‹ man sich in der SPD mit der Unterstützung einer Enquete-Kommission die Zustimmung zum Energieprogramm – und vermied eine öffentliche Auseinandersetzung, wie sie in der FDP folgen sollte.
Die Kritiker der Kernenergie hatten nämlich auch bei den Liberalen an Boden gewonnen: Sechs so genannte Brüterrebellen sorgten für nachhaltige Spannungen, die beinahe eskalierten, als die Abstimmung über den Weiterbau des Reaktors im Rahmen des Energieprogramms anstand. Die sechs wollten ihrer Fraktion nicht folgen und brachten somit die Mehrheit in Gefahr. Der Hauskrach ging so weit, dass Genscher in der ersten Stufe seinen Rücktritt und den der anderen FDP-Minister sowie des Fraktionsvorsitzenden androhte. In der zweiten Stufe kündigte er den Rebellen an, falls die Koalitions-Resolution durchfalle, werde die Entschließung erneut eingebracht – dann aber verbunden mit der Vertrauensfrage des Kanzlers.
Ein gefundenes Fressen für die oppositionelle Union, könnte man meinen. Die Union bezeichnete die Einsetzung einer Enquete-Kommission zunächst auch als Verschleppungsmanöver, beteiligte sich letztlich dann doch, um sich in dieser immer wichtiger werdenden Frage Einfluss zu sichern. Angesichts der Massenproteste musste man sich einfach der Frage stellen.
Auf diese Weise wurde im Dezember 1978 das Energieprogramm der Regierung von SPD und FDP angenommen, wobei die sechs Brüterrebellen sich enthielten. Gleichzeitig wurde die Einsetzung einer Enquete-Kommission entschieden. Damit war der Inbetriebnahmevorbehalt für den Brüter entschieden – und die Kuh zunächst vom Eis: Die Regierung war vorerst handlungsfähig geblieben.
Strategie und Zufall bei der Kommission
Es kann als eher ungewöhnliche Situation beschrieben werden, wenn der Druck der Straße mit dem Druck innerhalb der Parteien derart konform geht, dass sich die Chance für tatsächliche Handlung ergibt. Mit der Kommission verbanden sich ganz unterschiedliche Hoffnungen: Die einen hofften, das Thema aussitzen zu können, die anderen hofften auf den letztgültigen Beweis, dass es ohne Kernenergie nicht geht, und wieder andere gingen davon aus, dass die Kommission aufgrund der heterogenen Zusammensetzung ohnehin bald auseinander brechen würde.
In der Tat steht und fällt ein solches Gremium mit der Auswahl der Sachverständigen. Hier ist in der Geschichte der Enquete-Kommissionen etwas Singuläres passiert: Die Sachverständigen wurden von allen Fraktionen mit einer gemeinsamen Liste berufen.
Auf diese Weise waren sie zumindest zu einem gewissen Teil vor einer parteipolitischen Vereinnahmung geschützt. Bereits die Auswahl war Teil der Verhandlungen. Die Vermutung liegt nahe, dass möglichst gut aufeinander abgestimmte Experten berufen werden sollten und nicht nur diejenigen, die vom Parteiennetzwerk her nahe lagen. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass es zwischen den einzelnen berufenen Sachverständigen Verknüpfungspunkte gab. Einige Beispiele seien hier genannt: Als erstes ist die gemeinsame wissenschaftliche Sozialisation zu nennen. Klaus Michael Meyer-Abich, der für das Einsparen von Energie eintrat, und Wolf Häfele, der an der Entwicklung des Schnellen Brüters maßgeblich beteiligt war, waren beide Schüler von Carl Friedrich von Weizsäcker. Heisenbergs Schüler spielte für den Gedankenaustausch, der über das rein technische Fachsimpeln hinausging, eine bedeutende Rolle. Für die Kommissionsarbeit war es wichtig, dass die beiden prominentesten Vertreter der verschiedenen Lager auf diese Weise verbunden waren. Das sorgte für das nötige Vertrauen, dass keiner von beiden die Gespräche zu einer öffentlichen Bloßstellung des anderen nutzen würde.
Zweitens hatten einige Sachverständige der Kommission gemeinsam am so genannten Bergedorfer Gesprächskreis zum Thema Energie teilgenommen und waren somit bereits in einem vollkommen anderen Rahmen miteinander in die Diskussion eingetreten. Drittens waren sie sich teilweise bereits bei verschiedenen Beratungen in Ministerien und Beratungsausschüssen des Bundestages begegnet. Eine vierte, nicht zu unterschätzende Klammer war das theologische Interesse, das einige der Mitglieder verband. So hatten sie bereits in der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft miteinander diskutiert.
Neben dieser personellen Komponente spielte die Infrastruktur eine gewichtige Rolle. Für die Kommission war dies vor allem die Einrichtung eines wissenschaftlichen Stabes im Sekretariat, der wie ein hocheffizienter Dienstleister funktionierte. Auf diese Weise konnten die Ideen und Vorstellungen, die zunächst einmal ohne konkrete Zahlen und Daten vorhanden waren, zusammen gebracht und vergleichbar gemacht werden.
Dies zahlte sich aus, als die Szenarien, die sich in groben Linien bereits vor Einsetzung der Kommission in den ministerialen Papieren finden, durchgerechnet wurden. Ein kathartischer Reinigungsprozess begann. Die Forderung beispielsweise, dass pro Jahr zwei Kernkraftwerke gebaut werden sollten, konnte in ihrer langfristigen Bedeutung für die kommenden 50 Jahre dargestellt und in ihrer Wünschbarkeit überprüft werden. So manchem Kernenergiebefürworter wurde ›blümerant‹ und er wich in der Folge von dieser Forderung ab, als er begriff, dass das zu 50 Brütern führen würde – und damit die gesamte Republik (wir sprechen von der alten Bundesrepublik, also einer wesentlich kleineren Fläche als die der heutigen Bundesrepublik) mit Reaktoren gepflastert wäre. Dadurch wurde auch der anzunehmende Energieverbrauch überdacht.
Die beschriebene Infrastruktur und die Vorarbeiten für eine Einigung hat der Leiter der Kommission Reinhard Ueberhorst vorangetrieben. Seine zahlreichen Gespräche mit den einzelnen Akteuren sowie sein pausenloser Einsatz für die Sache haben den Kompromiss maßgeblich befördert. Er hielt die Mitglieder der Kommission dazu an, alle Argumente tatsächlich durchzudiskutieren und die Szenarien gemeinsam durchzuspielen. Alle einzelnen Schritte in der Kommission waren in Zusammenarbeit entstanden, so dass Befürworter und Kritiker am Ende nicht sagen konnten: Das ist ein Gutachten der Gegner, es ist wissenschaftlich nicht sauber gearbeitet worden, wir können es nicht anerkennen. Nicht zuletzt für die Rezeption war das eine Crux: Man musste den Kompromiss ernst nehmen, da er von den Experten der Zeit – arbeiteten sie für die Reaktorsicherheit oder für das Öko-Institut – unterschrieben worden war.
Dies war die Basis, auf der in den darauffolgenden Etappen aufgebaut wurde. Zunächst einmal wurden Kriterien zur Entscheidung für ein Energiesystem erarbeitet – und zwar, wie alle wichtigen Papiere der Kommission, von den Vertretern verschiedener Energiesysteme gemeinsam. Anschließend wurden die Szenarien verabschiedet und zum Schluss die Entscheidung gefällt mit einer endgültigen Entscheidung bis 1990 zu warten und bis dahin alle energietechnischen Möglichkeiten gleichmäßig zu fördern.
Der Kompromiss war das Ergebnis zäher Verhandlungen. Immer wieder stand er auf der Kippe, denn jedes einzelne Mitglied musste dicke Kröten schlucken. Die Befürworter der Kernenergie mussten sich mit einem nur mäßigen Ausbau zufrieden geben und mit einer deutlichen Intensivierung sowohl der Energiesparmaßnahmen als auch der Förderungsmaßnahmen für alternative Energietechniken. Dies hört sich harmlos an, die anvisierten Energiesparmaßnahmen erschienen jedoch einigen Kommissionsmitgliedern damals, als am Rande der Planwirtschaft angesiedelt. Die Kritiker der Kernenergie wiederum mussten den weiteren Ausbau der Kernenergie und die Fertigstellung des Brüters akzeptieren – nicht aber die Inbetriebnahme. Die Entscheidung über diese brisante Frage, die ja letztlich die Enquete-Kommission überhaupt entstehen ließ, war auf die nachfolgende Kommission vertagt worden.
Alle Sachverständigen stimmten dem Kompromiss zu, lediglich die Unionsabgeordneten machten kurz vor Schluss einen Rückzieher – und das, obschon sie den Kompromiss bis dahin mitgetragen hatten. Hintergrund war ein sehr deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl ihres Fraktionsvorsitzenden Helmut Kohl.
Doch auch damit konnten sie keinen Blumentopf gewinnen. Die Kernenergielobby stand zum Teil durchaus hinter dem Kommissionskompromiss – ebenso wie Teile der Umweltverbände.
Die Reaktionen der Interessenverbände waren ambivalent; positive wie negative Bewertungen gingen quer durch alle Lager. Dies kann durchaus als Zeichen für die Qualität des Kompromisses gewertet werden. Gleichwohl erlaubten die Pfade aber auch, sich einfach einzuordnen. Festzuhalten ist, dass eine Empfehlung entstanden war, die über den bis dahin bestehenden Diskurs zwischen Kernenergiekritikern und Kernenergiebefürwortern maßgeblich hinausging.
Theorie und Praxis in der Energiefrage
Wie nun mit der Kernenergie weiter umzugehen war, lag in ganz anderen Händen – zumal die politische Wende am Anfang der 1980er Jahre mit Helmut Kohl an der Spitze der Regierung ein klares Zeichen für einen Ausbau zu setzen schien. Der Kommissionsbericht war eine Empfehlung, die der Bundestag beachten oder missachten konnte. Die Kernenergie wurde immer mehr zu einer Streitfrage zwischen der Bundes- und den Landesregierungen. Die Ausbaupläne wurden von den sozialdemokratischen Landesregierungen durch Verzögerungen des Genehmigungsverfahrens letztlich desavouiert. Außerdem wandelte sich die Haltung zur Kernenergie auch in den Interessengruppen langsam; beispielsweise wurden die Gewerkschaften zunehmend skeptischer gegenüber der Plutoniumwirtschaft.
Mag die parteipolitische Wendung innerhalb der SPD unter dem prägenden Einfluss des Unglücks von Tschernobyl verstärkt worden sein, so hatte der Partei-vorstand am Abend des 29. Aprils 1986 – als die Sowjetunion bereits zugegeben hatte, dass es einen Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl mit zwei Todesopfern gegeben habe, – die Plutoniumwirtschaft als Abweg und die Nutzung der Kernenergie als eine Übergangslösung deklariert. Mit den vier energiepolitischen Pfaden war der Weg für den vorläufigen Ausstiegsbeschluss der SPD aus der Kernenergie am 27. August 1986 auf dem Nürnberger Parteitag bereitet. Dem ›Heilsversprechen‹ der nuklearen Technologie, festgehalten im Godesberger Programm, widersprach die Partei fast einstimmig. Vielmehr sollte der Ausstieg aus der Kernenergie innerhalb der kommenden zehn Jahre erfolgen.
Faktisch war der Ausbau der Kernenergie längst zum Stillstand gekommen. Bis auf das Kernkraftwerk Ohu, das 1982 bestellt wurde und 1988 in Betrieb ging, beruhten alle nach 1980 noch in Betrieb genommenen Kernkraftwerke wie Neckarwestheim, Grohnde und Brokdorf auf Bestellungen aus dem Jahr 1975 oder früher. Eine ähnliche Entwicklung ist übrigens auch in anderen Ländern zu beobachten: Beispielsweise wurde in den USA im Januar 1978 mit dem Bau des neuesten und vorerst letzten kommerziellen Atomkraftwerks begonnen.
Mit den so genannten Konsensgesprächen begann 1992/93 der politische Ausstieg; Vertreter der Elektrizitätswirtschaft verhandelten zunächst mit der SPD-geführten Landesregierung Niedersachsens und in der Folge mit einem breiteren Kreis von Politikern verschiedener Parteien die Zukunft der Kernenergie. Zu einer Vereinbarung, an der lediglich die rot-grüne Bundesregierung sowie die Energiewirtschaft beteiligt waren, kam es im Jahre 2000. Die Nutzung der vorhandenen Kernkraftwerke wurde befristet und der eingereichte Genehmigungsantrag der RWE für das Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich zurückgezogen. Die Bundesregierung gewährleistete ihrerseits, dass, wenn die atomrechtlichen Anforderungen eingehalten würden, der Betrieb der Anlagen ungestört bliebe. Bis 2005 sollten Transporte zur Wiederaufarbeitung möglich sein, ab diesem Zeitpunkt wurde auf direkte Endlagerung gesetzt. Die Erkundung des Salzstockes in Gorleben wurde bis zur Klärung konzeptioneller und sicherheitstechnischer Fragen zunächst für drei bis zehn Jahre ausgesetzt. Mit einer Novelle des Atomgesetzes trat der Atomkonsens 2002 in Kraft.
Damit waren die Diskussionen um die Kernenergie freilich nicht beendet. Zum einen werden die langen Laufzeiten der noch bestehenden Atomkraftwerke von Kernenergiegegnern kritisiert, zum andern wird bei jedem Wahlkampf erneut vor allem von konservativer Seite eine neue Zukunft der Kernenergie ins Spiel gebracht. Inzwischen wird vermehrt der Klimaschutz als Argument für die Kernenergie herangezogen. Gleichzeitig ist das Problem der Entsorgung von nuklearem Material bis heute nicht gelöst. Schwierigkeiten der bestehenden Technologien zeigen sich aktuell beim Salzstock Asse. Wie Terroranschläge auf Kernkraftwerke verhindert werden könnten, wurde anlässlich der Terroranschläge auf das World Trade Center in New York im September 2001 wie auch schon in den 1970er Jahren erneut diskutiert – ohne Ergebnis. Ebenso wie die politische Auseinandersetzung verliefen auch die Proteste in Wellen.
Festzuhalten ist, dass sowohl politische Maßnahmen im energie¬politischen Bereich wie auch Proteste der Bevölkerung gegen Kernenergie vor allem reaktiv sind. Auf äußere Ereignisse wie Ölpreiskrise und Tschernobyl erfolgten Handlungen. Bis heute fehlt es an einer langfristig angelegten Energiepolitik, die nicht bei jedem Regierungswechsel aus ideologischen Gründen wieder anders akzentuiert wird. Der parteienübergreifende nukleare Konsens, der bis 1976 im Bundestag herrschte, wurde bis heute nicht in einen parteienübergreifenden energiepolitischen Konsens überführt.
Das Gespür der Kommission für Nachhaltigkeit
Insofern muss man wohl fragen, was hat denn die Enquete-Kommission überhaupt geleistet?
Mangelnde Transparenz der staatlichen Entscheidungsfindung, unzureichende parlamentarische Kontrolle und fehlende bürgerschaftliche Mitbestimmung – dies alles waren Punkte, die die Anti-Atomkraftbewegung in den 1970er Jahren kritisierte. Mit der Enquete-Kommission Zukünftige Kernenergie-Politik versuchte der Bundestag, an diesen Punkten anzusetzen. Auf politischer Ebene waren mit der Einsetzung des Politikberatungsinstrumentes verschiedene Ziele verbunden.
Die Politik musste sich zu Wissen, das auftauchte, verhalten. Mit den Schriften zur Kostenexplosion und Sicherheit des Schnellen Brüters, zu Energiesparmöglichkeiten und erneuerbaren Energien sowie zur Sicherheit von Kernkraftwerken bei Sabotage und Terror und nicht zuletzt auch zu den Grenzen des Wachstums kursierten, gab es für die Regierung verschiedene Möglichkeiten: Erstens konnten die entsprechenden Schriften ernst genommen, geprüft und kommentiert werden; zweitens konnte man sie unterdrücken und durch Gegenexpertise die Unsicherheiten dieses Wissens ›enttarnen‹ und damit die Experten als unglaubwürdig darstellen. Zunächst wurde letzteres versucht und in Aufklärungskampagnen erläutert, warum Kernenergie notwendig und sicher sei. Doch letztlich gelang es nicht, die kernenergiekritische Expertise unter den Tisch fallen zu lassen.
Die Einsetzung der Enquete-Kommission stellte eine Möglichkeit dar, die zahlreichen Informationen und Interessen in die Beratungen einzubeziehen. Der Kommission glückte es, den verschiedenen Strömungen in der Empfehlung gerecht zu werden. Gleichzeitig bewirkte sie nicht nur Veränderungen auf der Ebene der Energiepolitik, auch das Beraterwesen und die Beratungsnachfrage auf politischer Ebene wandelten sich.
Mit ihren Empfehlungen zur konkreten Energiepolitik für die 1980er Jahre und ebenso mit den 62 Energiesparmaßnahmen kam die Ueberhorst-Kommission zu früh, um entsprechend wahrgenommen und umgesetzt zu werden. Die gesamte Empfehlung und insbesondere die erarbeiteten vier Pfade läuteten jedoch ein generelles Nachdenken ein und für die SPD vermutlich auch den Ausstiegsbeschluss.
Insofern war der Kompromiss der Enquete-Kommission, bei dem alle Pfade von sämtlichen Sachverständigen als möglich, wenn auch nicht wünschbar bezeichnet wurden, der entscheidende Coup. Bezeichnete Hayek die Nachahmung naturwissenschaftlicher Methoden, wie sie mit den Berechnungen erfolgte, auch als eine ›Anmaßung‹ des Wissens, so ist doch ein deutlicher Lerneffekt durch das logische Weiterdenken der Konsequenzen energiepolitischer Vorstellungen erkennbar.
Der Staat stellte mit der Einberufung der Enquete-Kommission seine Funktionsfähigkeit unter Beweis. In einer Situation, in der das Vertrauen in die politischen Entscheidungen fehlte, wurde den wachsenden Wissensbeständen verschiedener Interessengruppen Rechnung getragen. Im Beratungsprozess trat die unterschiedliche Bewertung der Risiken zutage, und es wurde eine Möglichkeit aufgezeigt, rational mit ihnen umzugehen. Der Staat begann, die gewünschten unternehmerischen Entscheidungen durch Subventionen und andere Steuerungsmaßnahmen vorzubereiten.
Die Enquete-Kommission läutete eine zunehmende Demokratisierung in der Energiepolitik ein. Lagen die energiepolitischen Entscheidungen bis in die Mitte der 1970er Jahre vor allem bei Ministerien und Energieversorgungsunternehmen, spielte nun der Bundestag eine kontrollierende und mitbestimmende Rolle. Spürbar ist der Wandel in der Energiepolitik insofern, als diese bis in die 1970er Jahre in erster Linie angebotsorientiert ausgerichtet war. Erst mit den Jahren entwickelte sich eine nachfrageorientierte Energiepolitik. Wie auch immer dieser Weg verfolgt wird, sei es in Anlehnung an die Property-Rights-Theorie über Umweltzertifikate oder in Anlehnung an Arthur Pigou durch ökologische Steuerreformen: Die Internalisierung der externen Kosten ist das gemeinsame Ziel.
Die Kommission nutzte die Möglichkeiten in dem kurzen Zeitfenster, das sich in der politischen und gesellschaftlichen Situation öffnete, höchst effizient aus. Durch die Zusammensetzung, die Infrastruktur und die geschickte Leitung durch Reinhard Ueberhorst konnte ein beispielloser Kompromiss ausgehandelt werden. Nicht nur die zunehmende Handlungsunfähigkeit in der SPD, auch die Proteste auf der Straße, die Unsicherheit auch der Kernenergiebefürworter in Sachen Sabotage und Terror sowie die Diskursmentalität der Zeit spielten ihnen in die Hände. Nur in dieser Situation, die offen war für neue Ansätze, war es möglich, in dem Kompromiss derart weit zu gehen.
Gleichwohl wurde der Kommission kein voller Erfolg zuteil, woran vor allem die politische Lage schuld war, die auf einen Regierungswechsel hinsteuerte. Das Zeitfenster hatte sich zu früh wieder geschlossen. Insofern kann man die Arbeit der Kommission sowohl als Tragödie wie auch als Komödie sehen – auf jeden Fall aber als Arbeit mit einer gewissen Nachhaltigkeit.
Resümiert man die Nachwirkungen der Enquete-Kommission Zukünftige Kernenergie-Politik der 8. Wahlperiode, so kommt man zu dem Ergebnis, dass gerade die Offenheit des Kompromisses sowie dessen wissenschaftliche Fundierung sie vor dem Schicksal der Bedeutungslosigkeit bewahrte. Der Kompromiss wurde Teil des folgenden Diskurses. Was die Möglichkeit von nachhaltiger Politik angeht, handelt es sich um ein Mut machendes Beispiel.