Klimamodellierung und Handlungsbedarf
Solbach: Um mit dem Aktuellen zu
beginnen: Die deutsche Bundesregierung hat im September 2010
»Eckpunkte« für die Energieversorgung des Landes beschlossen, die
eine weitgehende Umstellung auf sogenannte Öko-Energien bis 2050
vorsehen. Unabhängig vom Streit um die Verlängerung der Laufzeiten
von Atomkraftwerken handelt es sich um ein Projekt, dessen Hinnahme
durch Interessengruppen und Bevölkerung sich weitgehend dem Kampf
gegen den globalen Klimawandel verdankt. Die von Menschen
produzierte Erderwärmung mitsamt ihren prognostizierten
Folgeerscheinungen ist seit Jahren als politische, mentale und wohl
auch ökonomische Größe in internationalen Abmachungen und
staatlichen Planungen festgeschrieben. Werden Zweifel dadurch
unseriös?
Storch: Das hängt natürlich
davon ab, woran man zweifelt. So summarisch kann ich das nicht
beantworten. Grundsätzlich sind Zweifel nie unseriös. Ob sie dann
zielführend sind, ist eine andere Geschichte. Als Wissenschaftler
bin ich dazu da, zu zweifeln.
Solbach: Da sowohl
politische wie ökonomische Größen im Spiel sind, beginnen die
Zweifel schon bei der Frage, ob wirklich eine Erderwärmung
stattfindet. Ich habe Berichte gelesen, die das Gegenteil
behaupten. Es soll unterdrückte Forschungsergebnisse und -meinungen
geben.
Storch: Wenn Sie mich
fragen, in welchem Maße das etwa durch den IPCC dargestellte
Wissensgebäude richtig ist, dann würde ich sagen: Ja, es ist
weitgehend richtig, jedenfalls was die geophysikalischen
Grundlagen angeht. Das heißt nicht, dass jeder Schlenker, der
mit verkauft wird, auch richtig ist. Natürlich werden manchmal
etwas merkwürdige Sachen daraufgesetzt, die sich bei genauerem
Hinsehen als übertrieben oder auch als einfach falsch erweisen. Das
ist normal in der Wissenschaft. Dinge werden eine Zeitlang geglaubt
oder behauptet, bis sie sich als falsch erweisen. Wenn wir davon
ausgehen, dass wir diesen vom Menschen ausgehenden Klimawandel
haben und wenn wir akzeptieren, dass wir ihn in Maßen steuern
können, weil wir die Emissionen steuern können – als Menschheit,
nicht als Wissenschaftler –, dann steht an nächster Stelle die
Überlegung, in welchem Maße man die Sinnhaftigkeit der
beschlossenen Maßnahmen hinterfragen sollte. Ich meine etwa, dass
das 2-Grad-Ziel ein rein politisches Ziel ist, das in der Tat
Anlass zu Zweifeln gibt, inwieweit es realistischerweise überhaupt
erreicht werden kann. Wenn man hört, dass irgendwelche Leute noch
kleinere Zahlen nennen, so ist das reines Wunschdenken und hat mit
der Realität wenig zu tun. An dieser Stelle sind dann sicher
Zweifel angebracht, ob die angedachten Maßnahmen am Ende auch
greifen. Das sind dann aber keine naturwissenschaftlichen Zweifel
mehr, für die ich eigentlich zuständig bin. Dabei handelt es sich
um die Frage, ob eine Politik sinnvoll ist oder nicht und Zweifel
an der Politik zu haben ist, wie ich meine, immer nützlich.
Solbach: Wer nichts tut,
stirbt als erster. Dieser klassische Satz der Selbsterhaltung kehrt
sich in öffentlich kurrenten Klimaszenarien um: Wer nichts tut,
soll heißen, wer seinen CO2-Ausstoß wider besseres
Wissen beibehält, gefährdet die Zukunft von Menschen in anderen
Teilen der Welt. Konkret: Sterben Menschen in Pakistan oder
Bangladesch, weil der Westen seinen Wohlstand auf das Verbrennen
von Öl, Kohle und Gas gründet?
Storch: Nein. Ich glaube
nicht, dass irgendjemand derzeit wirklich an den Folgen des
Klimawandels stirbt. Es
gibt viele Menschen, die am Klima sterben, aber derzeit kaum daran,
dass es sich ändert. Wenn wir die Überschwemmungen in Pakistan
ansehen: da gibt es eigentlich keine gut begründeten Hinweise
darauf, dass der derzeit ablaufende Klimawandel dieses Problem
entscheidend verschärft hätte. Schon gar nicht in Bangladesch.
Bangladesch hat für die Kommentatoren den unglaublichen Vorteil,
dass es ein Land ist, in dem kaum jemand war und über das man daher
ganz hervorragend schwadronieren kann. Die meisten werden nicht
wissen, dass 1970 bei einer mit einem tropischen Zyklon
einhergehenden Sturmflut 300 000 bis 500 000 Menschen zu Tode
kamen. 1990, bei der sogenannten Bohla-Sturmflut, waren es über 100
000. In Myanmar brachte 2008 der Nargis-Sturm ebenfalls 100 000
Menschen zu Tode. Das war eine Folge miserabelsten Managements
sowie vollkommen unzureichender Schutzmöglichkeiten, die übrigens
in Bangladesch in den letzten Jahren deutlich verbessert wurden.
Deshalb haben wir dort nicht mehr solche schrecklichen Zahlen,
sondern nur noch Zahlen in der Größenordnung von einigen Tausend,
was schlimm genug ist.
Man kann eben nicht sagen, dass diese Menschen wegen des
Klimawandels sterben, sie sterben wegen des Klimas und aufgrund des
unzureichenden Umgangs mit den vorhandenen Gefahren. Es ist immer
ein bisschen zynisch, sich über Menschen zu grämen, die womöglich
in 50 Jahren sterben und heutzutage so wenig zu machen. Mir ist
nicht bekannt, dass es eine große Initiative gäbe, um etwa den
Sturmflutschutz in Myanmar deutlich zu verbessern. In Bangladesch
ist das anders.
Solbach: Globale
Klimamodelle zählen zu den komplexesten und ›unvertrautesten‹,
sprich neuesten Gebilden der heutigen Wissenschaft. Das bedeutet,
kein Laie, auch kein Politiker ist imstande, sich ein fundiertes
Urteil über die Verlässlichkeit von Aussagen in diesem Bereich zu
bilden, das über das Vertrauen in die beteiligten Wissenschaftler
und die Seriosität ihrer Aussagen hinausginge. Zugleich scheint es
einen evidenten Zusammenhang zwischen der globalen Klimaentwicklung
und dem Wohlergehen der Menschheit und der sie tragenden Biosphäre
zu geben. Liegt hier eine Versuchung für Wissenschaftler, Schicksal
zu spielen, um weltweit Prozesse in Gang zu setzen, die man aus
anderen Gründen für vernünftig oder vorteilhaft hält?
Storch: Zunächst: Die
Aussage über die globalen Klimamodelle gilt, wie ich glaube, für
jede Art von komplexer Wissenschaft. Das Glaubwürdigkeitskapital
der Wissenschaft hängt vom Vertrauen in die Wissenschaftler und vom
Vertrauen in die Seriosität ihrer Aussagen ab. Das ist insofern
auch hier von Bedeutung, als man natürlich das Vertrauen in den
Wissenschaftler und damit in die Wissenschaft per se beschädigt,
wenn man sich als Wissenschaftler von der politischen Nützlichkeit
seiner Aussagen leiten lässt. Das ist ein ziemlich problematischer
Vorgang. Wenn Sie von dem evidenten Zusammenhang zwischen globaler
Klimaentwicklung und dem Wohlergehen der Menschheit und der sie
tragenden Biosphäre reden, dann haben Sie das Problem, dass sich
zwei verschiedene – ich nenne das jetzt einmal so – Konstruktionen
von Klimawandel mischen: die wissenschaftliche Konstruktion, die an
sich verhältnismäßig ›kalt‹ ist, und die mediale, kulturelle
Konstruktion, die sich in dem Wort Klimakatastrophe ausdrückt und
in der jedes derzeitige Extremereignis dem Klimawandel angelastet
wird, obwohl dies nicht der Fall ist. Das Klima bringt eben
Extremereignisse hervor und wenn es das nicht mehr täte, dann gäbe
das Anlass zur Sorge. Aber
inzwischen ist es ja so, dass es bei jedem Sturm und jeder
Überschwemmung bereits heißt, das sei der Klimawandel. In der
Öffentlichkeit wird hier nicht mehr sauber getrennt. Insofern wird
das Thema auch nicht in der erforderlichen ›Kaltheit‹ analysiert,
sondern eben ›heiß‹ gemacht und instrumentalisiert. Das dient
durchaus auch dazu, einer als richtig angenommenen Politik eine
bessere Chance zu geben. Man hört öfter das Argument, selbst wenn
es mit dem Klimawandel nicht so schlimm wäre, seien doch die
Vorschläge, die gemacht werden, damit weniger emittiert wird,
insgesamt sehr vernünftig. Ich teile diese Ansicht, aber es wäre
für mich kein Grund, die Striktheit meiner Aussagen aufzugeben. Ich
bin nicht dafür zuständig, wie meine Aussagen genutzt werden,
sondern muss zunächst einmal dafür sorgen, dass das, was ich sage,
einigermaßen methodisch korrekt aufgearbeitet worden ist und auch
so verstanden werden kann. Dass dann andere möglicherweise mit
diesen Aussagen Unsinn anstellen, damit muss ich leben. Die Nutzung
der Aussagen gehört nicht mir. Mir gehört nur die Richtigkeit der
Aussagen.
Solbach: Modelle sind
Simulationen, in die Entscheidungen einfließen: die Auswahl der
gesetzten Faktoren beruht auf vorgängigen theoretischen Annahmen,
aber auch auf Abschätzungen praktischer Art, die sich auf die
eingesetzten Mittel, etwa verfügbare Statistiken, bis hinunter zu
Rechnerkapazitäten und verfügbarer Software beziehen.
Entscheidungen sind stets alternativ, sie müssen gewollt sein, auch
wenn viele gute Gründe für sie angeführt werden können. Das gilt im
Grundsatz für jede Art von empirischer Theoriebildung. Erzeugt die
Komplexität des Gegenstandes in Verbindung mit der Frage nach
vorhandener Rechnerkapazität in der Klimaforschung eine besondere
Situation? Schlichter gefragt: In welchem Sinn ist das heutige
Klima-Standardmodell, falls es das gibt, rational?
Storch: Hier haben wir es
mit dem Problem zu tun, dass das Wort ›Modell‹ in verschiedenen
Abteilungen der Wissenschaft und Öffentlichkeit unterschiedlich
verstanden wird. Wenn wir es zum Beispiel mit Chemikern zu tun
haben, dann meinen die oft, es handle sich um empirische Modelle,
eine Art Regressionsmodell, vielleicht ein bisschen komplexer, in
die eine Menge von Parametern eingeht, die man solange anpasst, bis
es am Ende so wie in der Wirklichkeit aussieht. Hier ist das nicht
so. Unsere Modelle sind in dem Sinne rational, dass in sie zunächst
einmal Grundwahrheiten wie »nichts geht verloren«, »Impuls bleibt
erhalten«, »Masse bleibt erhalten«, »Wasser bleibt erhalten«, »Luft
bleibt erhalten«, »der Drehimpuls bleibt erhalten«, der zweite
Hauptsatz der Thermodynamik, soll heißen, all diese Grundsätze der
Physik implementiert sind. Dieser Teil ist sauber und rational. Man
kann sagen, das ist eine Art Standardmodell. Allerdings gibt es in
diesem Modell ein paar Gemeinheiten methodischer Art, z. B. dass
viele kleinskalige Vorgänge, die wirklich wichtig sind für das
Klimageschäft, etwa die Wechselwirkung und Strahlung an
Wolkentropfen in so einem Modell nicht beschrieben werden können.
Wir müssen diese Faktoren also summarisch beschreiben, sozusagen
die Nettowirkung. Diese summarische Beschreibung nennen wir
Parametrisierung und da setzt dann schon ein bisschen Kunst ein.
Wenn die Modelle sich unterscheiden, dann unterscheiden sie sich in
diesen Parametrisierungen. Aber auch die sind rational, würde ich
meinen.
Im Grunde sind die Klimamodelle eine Art Ingenieureinrichtung, die
wir konstruiert haben, weil wir keine Experimente in der wirklichen
Welt machen können. Eigentlich bin ich mit dem Zustand dieser
Modelle zufrieden. Nicht, dass sie perfekt wären, aber sie sind
schon so vielseitig eingesetzt worden, dass ich meine, sie können
das im Wesentlichen ganz ordentlich.
Solbach: Man hört, dass
viele dieser Berechnungen enorme Rechnerkapazitäten benötigen, die
nur wenigen Forschergruppen zur Verfügung stehen. Ich habe auch
gelesen, dass dabei sehr unterschiedliche Programme zur Anwendung
kommen. Dann kommt es wohl auch immer auf die Daten an, mit denen
die Rechner gefüttert werden.
Storch: Dies ›Füttern mit
vielen Daten‹ ist eine unzulängliche Beschreibung des Vorgangs. Bei
unseren Modellen ist das anders als etwa oft in der Chemie. Es ist
nicht so, dass wir unglaublich viele Schrauben hätten und dann
alles hindrehen. Ein paar Daten brauchen wir, zum Beispiel, wenn es
um den Boden geht, die Rauigkeit des Bodens. Aber im Wesentlichen
stellen unsere Modelle physikalische Grundprinzipien da. Insofern
sind unsere vollkomplexen Modelle, die man heutzutage meistens im
Blick hat und die wirklich einen großen Rechner brauchen, schon
nachvollziehbar aufgebaut und nicht einfach geeicht worden, so dass
alles schön zusammen passt. Dass das in dem einen oder anderen Fall
auch geschieht, sei dahingestellt, das kann ich nicht übersehen.
Aber insgesamt, glaube ich, sind die Tests, die mit diesen Modellen
gemacht werden, so, dass ich da ganz gut Vertrauen habe.
Solbach: Wird die
Öffentlichkeit denn irregeführt, wenn man zum Beispiel in durchaus
seriösen Organen liest, dass Simulationen vergangener Klimaepochen
mit Hilfe gängiger Modelle zu Ergebnissen geführt haben, die von
der Wirklichkeit, soweit bekannt, abweichen, so dass man annehmen
kann, dass entweder die Modelle unterkomplex sind oder
entscheidende Daten fehlen?
Storch: Natürlich ist da
ein Rest an Unsicherheit, aber gerade wenn es um vergangene
Klimaepochen geht, dann ist ja unser Wissen doch sehr begrenzt; es
wird oft so getan, als würden wir recht genau wissen, wie es damals
aussah, aber was wir haben sind Proxies, Stellvertretergrößen, die
nur einen Teil der damaligen Realität widerspiegeln, teilweise
enorme Fehlerbalken haben. Denken Sie an das Drama der Baumringe
und des Hockeysticks. Insofern sollte man bei der Bewertung von
Simulationserfolgen von vergangenen Klimaepochen mit Klimamodellen
vorsichtig sein.
Auf der positiven Seite aber sehen wir, dass die Modelle, wenn wir
uns die Vergangenheit der letzten hundert Jahre ansehen, wenn
wir CO2 vorgeben, Aerosole, Sonnen und
Vulkanaktivität, recht ordentliche Ergebnisse liefern. Das ist
durchaus nicht trivial, das bekommt man nicht dadurch hin, dass man
ein bisschen an den Parametern dreht.
Wissenskultur und
Politik
Solbach: So spannend
Klimasimulationen in theoretischer Hinsicht auch sein mögen, die
entscheidende Doppelfrage für die Gesellschaften bleibt stets: Gibt
es einen nachhaltigen Wandel des Weltklimas? Wie hoch lässt sich
der menschliche Anteil daran beziffern? Meine Frage an den
Modelltheoretiker Hans von Storch lautet: Mit welcher Sicherheit
lässt sich dies gegenwärtig beantworten und welche Art von
(theoretischer) Gewissheit ist hier erreichbar?
Storch: Ich bin nicht ganz
sicher, ob ich die Frage verstanden habe, weil ich nicht weiß, was
nachhaltiger Wandel sein soll. Nachhaltig würde für mich immer
heißen: es ist gemanagt.
Solbach: Gemeint ist
›anhaltend‹.
Storch: Also Sie meinen, er
ist wirklich da. Dazu kann ich in der Tat etwas sagen. Die
Diskussion über die Wahrheit oder Echtheit oder Realität des
Klimawandels wird bisweilen nach Morgenstern geführt. Ich weiß
nicht, wie dieser Bursche heißt, der, eingehüllt in feuchte Tücher,
nach einem tödlichen Verkehrsunfall die Gesetzesbücher liest und
dabei feststellt: da durfte gar kein Auto fahren, also ist er nicht
überfahren worden, also lebt er noch. So wird häufig argumentiert.
Es wird gesagt, das kann gar nicht sein, aus diesen und jenen
Gründen, und deshalb ist es auch nicht. Aber das Argument läuft
anders.
In einem ersten Schritt, wir nennen ihn Detektion, fragen wir nach
dem Wandel in der Temperatur während etwa der letzten 30 Jahre – 30
Jahre deshalb, weil in dieser Zeit die CO2
-Konzentration deutlich angestiegen ist, und in der Temperatur,
weil das messtechnisch eine einigermaßen harmlose Größe ist, die
man ganz gut bestimmen kann und die seit langem gemessen wird, so
dass wir über genügend Messdaten verfügen. Insofern ist das der
harmloseste Bursche, den wir nehmen können. Das heißt nicht, dass
er theoretisch der beste ist, aber praktisch ist er der beste.
Dabei stellen wir fest, dass die Änderungen in der Temperatur in
letzter Zeit eine Stärke angenommen haben, wie wir sie aufgrund
natürlicher Vorgänge nicht erwarten sollten. Jetzt können Sie
nachfragen: Woher weißt du denn, was natürliche Vorgänge bewirken
können? Das ist in der Tat eine latente Schwäche. Aber wenn wir uns
die Daten seit etwa 1850 ansehen, stellen wir fest: die Entwicklung
ist in der Tat auffällig. Nun können Sie sagen, auch dieser
Zeitraum ist ja viel zu kurz – auch richtig. Also kann ich mir
ansehen, wie die natürlichen Schwankungen wohl ausfallen würden,
wenn ich das Ganze anhand von Proxydaten simuliere. Darauf können
Sie einwenden, Proxydaten sind vielleicht auch nicht ganz das
Wahre. Das stimmt schon. Also sehe ich mir Modellrechnungen mit
Klimamodellen an und frage: Wie sehr wackelst du, wenn du
kein CO2 verpasst kriegst? Das sind die
Möglichkeiten, die ich habe. Wenn dann jemand immer noch sagt, das
glaube ich nicht, dann muss ich sagen: Gut, dann müssen wir eben
800 Jahre warten, bis wir es wissen. Ich bekomme es nicht mehr
entschieden. Aber wenn ich irgendeine von diesen Schätzungen
akzeptiere – und ich persönlich akzeptiere sie –, dann stellen wir
fest: die Änderung in den letzten 30 Jahren ist stärker als das,
was wir aufgrund natürlicher Vorgänge erwarten sollten. Also gibt
es irgendeinen Burschen da draußen, der an dem Klima etwas
ändert.
Das erste war ein statistisches Argument, jetzt kommt das zweite.
Ich frage mich, welches die beste Erklärung für das sein könnte,
was ich erklären muss. Die Detektion hat ja geklärt, dass wir es
nicht mit einer internen dynamischen Schwankung zu tun haben. Mein
Ausgangsbefund lautet daher: da ist irgendwas. Also dekliniere ich
die verschiedenen Faktoren durch. Ich komme wieder auf meine
Modelle zurück und stelle an sie die Frage: Welche Wirkung schlägst
du vor, wenn sich dies ändert oder das? So gewinne ich gewisse
typische Strukturen für Sonnenwirkungen, für vulkanische Einflüsse,
für Aerosole, für CO2 usw. Wenn ich das
durchdekliniere, dann stelle ich fest: ohne Hinzunahme
von CO2 zu diesem Potpourri von Erklärungen komme
ich nicht zurecht. Das heißt, ich formuliere jetzt etwas defensiv,
mit meinem jetzigen Wissen kann ich diesen Vorgang nicht erklären,
ohne dass ich CO2 hinzunehme – und zwar wesentlich.
Auf Deutsch: wenn ich mit unseren Klimamodellen, in denen ja diese
Vorstellungen drin sind, eine Simulation durchführe und versuche,
das letzte Jahrhundert nachzuempfinden, ohne dass sich
das CO2
ändert, dann wird daraus nie etwas. Wenn ich
keine Vulkane drin habe, wird es nicht so gut, aber es geht nicht
völlig daneben. Also: ohne CO2 können wir die
Temperaturentwicklung mit dem jetzigen Wissen nicht erklären. Aber
natürlich ist der erste Schritt die empirische Datenerhebung ohne
jeden Hinweis auf Theorie. Die Theorie kommt erst ins Spiel, wenn
ich wissen will, was diese Ungewöhnlichkeit hervorruft.
Solbach: Es gibt
Wissenschaftler, die andere Stoffe als CO2 für den Klimawandel
verantwortlich machen.
Storch: Wenn wir
Treibhausgase sagen, dann ist immer der ganze Komplex
gemeint. CO2
ist nur schlampig gesagt. Es gibt auch Leute,
die verweisen auf Wasser. Aber in unseren Modellen ist der Effekt,
dass der Treibhauseffekt sich verstärkt, wenn Wasser im Spiel ist,
weil da ein positives Feedback besteht, explizit dargestellt. Das
mussten wir nicht von außen vorgeben – wenn ich
den CO2-Anteil erhöhe, dann
verändert sich der Wasserkreislauf in einer bestimmten Art und
Weise.
Solbach: Als Zeitfenster
(›window of opportunity‹) gilt in der Politik der Zeitraum,
innerhalb dessen eine Operation durchgeführt werden muss, wenn sie
Aussicht auf Erfolg haben soll. Das Zeitfenster garantiert keinen
Erfolg, es definiert die Bedingung seiner Möglichkeit. Auch da kann
man sich täuschen, falls man Faktoren außer Acht lässt, die sich im
Nachhinein als wirksam erweisen. Wer definiert solche Zeitfenster
in der Klimapolitik? Stützt der heutige Stand der Klimaforschung
die Annahme von Zeitfenstern für nationales und internationales
Handeln?
Storch: Darüber kann ich
nichts sagen, dafür verstehe ich zu wenig von Klimapolitik. Ich
finde die Frage interessant, ich würde auch gerne eine ordentliche
Antwort geben, aber ich glaube, damit würde ich mich
überfordern.
Solbach: Eine Organisation
wie das IPCC (›Intergovernmental Panel on Climate Change‹) hat es
vielleicht noch nicht gegeben. Seine Verlautbarungen besitzen für
den Großteil der Menschheit den Charakter von Schicksalssprüchen.
Daran hat auch der jüngste Glaubwürdigkeitsverlust einzelner
Führungspersonen nicht viel geändert. Entspricht die Bündelung von
wissenschaftlichen Ergebnissen zum Zweck der Politikberatung, wie
sie dort vorgenommen wird, dem Spektrum und dem aktuellen
Problemniveau in der Wissenschaft? Oder verzerren hierarchische
Selektionen, Gruppeninteressen von Forschern, ökonomische und
politische Einreden sowie der Zwang zur Vereindeutigung der
Forschungslage, generell gesagt, die Verwandlung hypothetischer
Aussagen von komplexem Aussagewert in Handlungsvorlagen das für
Politik und Öffentlichkeit bestimmte Bild?
Storch: Das ist sicher eine
ganz valide Frage. Ob es eine Organisation wie das IPCC noch nie
gegeben hat, da bin ich mir nicht ganz sicher. In der Wissenschaft
wohl nicht, aber ob oder in welchem Maße bestimmte Einrichtungen
der katholischen Kirche im Mittelalter vergleichbar wären, Konzile
etwa, das weiß ich nicht. ›Charakter von Schicksalssprüchen‹ – das
ist schon sehr gut gesagt. Auch der Glaubwürdigkeitsverlust
einzelner Führungspersonen hat daran nicht viel geändert. Das ist
schon wahr.
Wir haben jetzt vier Berichte gehabt, natürlich bildet sich dort
eine Kultur aus und natürlich auch ein bisschen
Wagenburg-Mentalität. Ich fand es ein wenig erschreckend, wie
einzelne Leute auf Teufel komm ’raus behaupteten, da könnten gar
keine Fehler sein oder nur ganz unbedeutende und Fehler gebe es
überall, und dabei nicht bemerkten, dass sie alle in eine Richtung
gingen. So wie eine Firma der chemischen Industrie nicht sagen
kann, wir haben ab und zu ’mal Austritte von toxischem Material, so
wenig kann der IPCC es sich leisten, kein Fehler-Management zu
besitzen und menschliche Unzulänglichkeiten, wenn sie denn
auftauchen, wie geschehen zu ignorieren. Die gehen einfach
schlampig mit Fehlermeldungen um. Zum Beispiel haben wir jetzt eine
Fehlermeldung ans IPCC gegeben: Richard Tol hat behauptet, dass ein
wesentlicher Akteur beim IPCC die Unwahrheit gesagt habe. Ich will
nicht behaupten, dass Richard Tol unbedingt recht hat. Aber ich
meine, jemand von diesem Kaliber sollte zumindest eine Antwort der
Art erwarten dürfen: erstens, wir haben den Vorwurf zur Kenntnis
genommen, zweitens, wir werden mit der Klage folgendermaßen
umgehen, drittens, du darfst eine Antwort erwarten, die dich nicht
unbedingt erfreuen wird, etwa im März. So würden andere das machen
und wahrscheinlich gleich hinzufügen: wir setzen hier ein
unabhängiges Gremium ein. So würde wahrscheinlich auch die
chemische Großindustrie das machen. Auf diese Art und Weise würde
man der Öffentlichkeit zeigen, dass man die Klagen ernst nimmt. Die
heutige Praxis nimmt die Klagen nicht wirklich ernst, jedenfalls
nicht im Bereich der Klimawirkung.
Wenn man sich dort auf Interessenorganisationen verlassen hat, die
aus einem bestimmten Teil des politischen Spektrums kommen, dann
ist das ein ganz schlechtes Zeichen. Man hat nicht verstanden, dass
es hier wesentlich darum geht, ein Vertrauen aufzubauen, das auf
Prozeduren und einer gewissen Hygiene beruht. Die Aussagen können
ja trotzdem alle richtig sein, aber man hat nicht begriffen, dass
hier Management gefragt ist und man mit einem Kapital hantiert, das
Vertrauen heißt und das man verspielen kann. Ich glaube, man hat es
teilweise durchaus verspielt, insbesondere in der Arbeitsgruppe II
und III, nicht in der Arbeitsgruppe I, aber: mitgefangen,
mitgehangen.
Solbach: Arbeitsgruppe I,
welche ist das?
Storch: Das ist die Physik.
Wir haben dort eine Vorsitzende mit Namen Frau Dr. Susan Solomon.
Es ist das erste Mal, dass wir eine Frau als Vorsitzende haben. Sie
hat mit eiserner Peitsche, oder wie man das nennen soll,
durchgesetzt, dass alle Aussagen, die getroffen werden, wohlbelegt
sind und Kritikpunkte ordentlich wahrgenommen werden. Die hat das
einfach prima gemacht und das Produkt war gut. In der Arbeitsgruppe
II ging es etwas schlampiger zu und dafür zahlt man den Preis.
Insgesamt scheint die Arbeitsgruppe I wesentlich besser aufgestellt
zu sein als die Arbeitsgruppe II, in der eine gewisse
Ideologisierung herrscht. Ich selbst bin jetzt in die Arbeitsgruppe
II berufen worden. Ich hatte mich freiwillig gemeldet, weil ich
dachte, dass ich vielleicht helfen kann, damit es nächstes Mal ein
bisschen besser wird. Was ich bisher sehe, ist nicht besonders
beeindruckend.
Solbach: Ohne Zeitdruck
keine Politik, ohne die Annahme von Zeitfenstern keine
erfolgsorientierte Entscheidungsselektion. Wie gut passen
Politikberatung und Fortschritte in der Theoriebildung generell
zusammen? Gibt es hier glückliche Konstellationen und weniger
glückliche? Wie gehen Forscher mit dem Erwartungsdruck seitens der
Entscheidungsträger im Hinblick auf Vereinheitlichung und
Vereindeutigung von Forschungsergebnissen um? Welche Rolle spielt
etwa die Vergabe von Drittmitteln in Ihrem Forschungssegment?
Storch: Schwer zu sagen.
Nach meiner Auffassung können Politikberatung und Fortschritt in
der Theoriebildung gar nicht zusammenpassen, weil die Prozesse mit
unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufen. Sie passen dann eben
’mal zusammen oder auch nicht. Nein, das stimmt eigentlich nicht.
Nehmen wir den Fall Hamburg. Hamburg denkt über eine
Anpassungsstrategie nach – nicht nur Hamburg, andere Bundesländer
auch – und braucht dazu natürlich Wissen darüber, wie denn nun der
Klimawandel in den verschiedenen Bereichen aussehen könnte: Obstbau
zum Beispiel, Tourismus, Regenwasser-Management usw. Da kann man
Forschungsprojekte ausloben und sagen, nun erklärt uns das ’mal.
Insofern passen die schon zusammen. Es kommt durchaus vor, dass die
Politik spezifische Fragen stellt. In dem Maße, in dem der Wandel
konkreter wird, nimmt das natürlich zu.
Die bisherige Debatte verlief im Wesentlichen so, dass man sagte:
Wir wissen nun einmal, dass das CO2 die Temperaturen
erhöht. Daraus entstehen am Ende für Gesellschaften und für
Ökosysteme Veränderungen, die schwierig zu handhaben sind. Also
lasst uns die lieber klein halten – je kleiner, desto besser. Damit
ist die Sache erledigt, die Wissenschaft hat da nicht mehr viel
beizutragen. Sie kann noch erzählen, wie schrecklich das wird, also
eine Art propagandistische Unterstützung liefern. Aber die Sache
ist klar: Wir müssen eine Vermeidungspolitik betreiben. Am Ende
entscheidet die Politik oder entscheiden die Bürger darüber,
welchen Umfang so eine Vermeidungspolitik annimmt.
Aber wenn wir jetzt die Anpassung ins Auge fassen, dann sind
tatsächlich ganz erhebliche Wissensdefizite da. Wir haben im
November in Hamburg den sogenannten Hamburger Klimabericht
vorgelegt, eine Art IPCC-Bericht für den Großraum Hamburg. Da wird
dokumentiert, dass vieles noch nie bedacht und untersucht worden
ist. Da besteht Forschungs- und Informationsbedarf, auch wenn
manches schon geschehen ist. Insofern stellt Politik Fragen an die
Wissenschaft und diese nimmt sie auch auf.
Sie fragen nach dem Geld. Die Situation ist sicher in den
verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen ganz unterschiedlich. An
den Universitäten, die grundsätzlich meist sehr knapp gehalten
sind, wird es immer ein stärkeres Argument sein.
Großforschungseinrichtungen wie die, an der ich beschäftigt bin,
sind etwas besser gestellt, ebenso die Max Planck-Institute, so
dass sie sich nicht ganz so nach den vorhandenen Mitteln strecken
müssen. Dass wissenschaftliche Aussagen tatsächlich durch die
Vergabe der Drittmittel gesteuert werden, würde ich nicht erwarten,
aber die Intensität der Forschung natürlich. Auch kommt es vor,
dass das Bundesministerium etwa den Einrichtungen der Helmholtz
Gemeinschaft direkt sagt: So Jungs, nun kommt ’mal in die Gänge,
macht doch ’mal dies oder das – aber ohne dass es Geld dafür
gibt.
Solbach: Wie ist das
Verhältnis zwischen Klimaforschung und Klimafolgenforschung? Man
kann gemeinsam feststellen, dass das Klima sich verändert, aber bei
der Frage, was man tun muss, um dies oder jenes zu erreichen oder
zu verhindern, fließen am Ende auch wieder bestimmte Weltsichten,
Vorstellungen etc. ein.
Storch: An der Stelle,
gewiss. Sie müssen unterscheiden zwischen Vermeidungsanstrengungen
und Anpassungsleistungen. Vermeidung, also die Reduktion
von CO2-Emissionen, ist im
Grunde eine Sache von Ordnungspolitik und Technologie, da haben die
Klimaforscher nicht viel zu melden. Die Frage ist, wie bekomme ich
das organisiert, wie bekomme ich die Leute dazu, Emissionen zu
vermeiden, und welche technischen Hilfen habe ich dazu zur
Verfügung. Ich kann auch an die Moral appellieren, aber das wird
kaum eine signifikante Wirkung zeigen. Am Ende geht es nur mit
Technik. Das ist nicht so einfach, wenn wir bedenken, dass das in
anderen Ländern dann auch verkauft werden soll, nicht nur in
Hamburg.
Der andere Bereich ist der der Anpassung. Wie gehen wir heute mit
den Klimarisiken um? Das betrifft Länder wie Bangladesch, Myanmar,
Pakistan. Wie gehen wir damit um, wenn die Klimarisiken sich
verschärfen? Dazu könnte es insgesamt mehr Forschung geben. In den
letzten – sagen wir einmal – 20 Jahren ist die Anpassung als eine
moralisch minderwertige Maßnahme vernachlässigt worden, weil sie
die Fortsetzung des Sündigens erlaubt. Die Technologie hilft und
wir tanzen weiter auf dem Vulkan. Das wurde zum Beispiel von Al
Gore explizit gesagt. Diese Arroganz ist inzwischen weg. Auch in
Deutschland wird gesehen, dass wir Anpassungsprogramme fahren
müssen.
Ich erinnere mich, dass ich 2005 dazu im Spiegel interviewt wurde.
Offenbar habe ich den Fehler begangen, nicht ausführlich genug klar
zu machen, dass wir auch die Emissionen vermindern müssen. So
konnten dann viele lesen ˗ weil sie es so lesen wollten ˗, ich
hätte Anpassung als Alternative angepriesen. Aber darum ging es gar
nicht. Vielmehr ging es darum, Anpassungsmaßnahmen zusätzlich auf
den Radarschirm nehmen. Inzwischen gehört das zum Standard, aber
damals war ich einer ziemlich deutlichen ideologischen Ausgrenzung
ausgesetzt. Das war schon bemerkenswert.
Viele Klimawissenschaftler meinen, sie seien auch Anwälte des
Guten. Als Rolle für Wissenschaftler halte ich das für
problematisch. Ich finde, dass wir ordnungspolitisch deutlicher
zwischen Faktenwissen – das hört sich ein bisschen überhöht an,
aber wir können nun einmal vorhersagen, wann morgens die Sonne
aufgeht usw. – und Wertfragen unterscheiden sollten, also den
Fragen danach, was wertkonsistent wie umgesetzt werden kann. Das
sind verschiedene Dinge und das sollte auch so gesagt werden. Viele
Klimawissenschaftler sind simpelste Physiker. Physiker verstehen
sich als geniale Leute, aber von gesellschaftlichen Prozessen, vom
kulturellen Geschäft verstehen sie in der Regel nicht mehr als
jeder andere Taxifahrer. Man hört da teilweise unglaubliche
Aussagen.
Solbach: Wenn jemand sagt,
in Hamburg werden Palmen wachsen, oder, in Russland wartet man
schon darauf, dass das Polareis schmilzt, dann setzt das auch
gesellschaftliche Prozesse in Gang: Will man das politisch haben?
In den meisten Fällen hält man es für verwerflich.
Storch: Aber es ist so eine
Art Revival vom klimatischen Determinismus, wonach es darum geht,
dass der Mensch im Einklang mit seinem Klima leben muss. Wenn er
das nicht tut, dann geht es ihm schlecht. Dieses Denken in
Begriffen der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist in
unserer Kultur nach wie vor vorhanden. Viele finden es schwierig zu
begreifen, dass wir auch unter diesem sicher nicht sehr expliziten
kulturellen Einfluss stehen.
Solbach: Das sind doch in
gewisser Weise alte Thesen. Die Klimatheorie der Kulturentstehung
war schon Herder geläufig.
Storch: Ja natürlich. Das
ist latent noch da. Wenn man sich einmal genau überlegt, wohin das
alles geführt hat, dann wird mir schon schlecht.
Wem hilft’s? Mitnahmegewinne in
der rationalen Kultur
Solbach: Klimaaspekte
bestimmen Regierungshandeln, sie motivieren den ›Umbau‹ und damit
die Konkurrenzsituation ganzer Volkswirtschaften. Das lenkt den
Blick auf die Wissenslieferanten: Wer betreibt, weltweit gesehen,
Klimaforschung? Wie gut ist die Kommunikation, wie verteilt sind
die Kapazitäten, wie ›flach‹ oder hierarchisch funktioniert dieser
Wissenschaftssektor? Welche Rolle spielt der Zugang zu
Hochleistungsrechnern auf der einen, zu Standard-Publikationsmedien
auf der anderen Seite? Gibt es Informations- und Beratungsmonopole?
Harsch gesprochen: Ist der böse Verdacht, der in hunderten
Internetforen gesät wird, es mit einem besonders korrupten, von
Wissensmonopolen und Interessengruppen beherrschten
Wissenschaftszweig zu tun zu haben, hier und da ansatzweise
gerechtfertigt oder entbehrt er jeglicher Grundlage?
Storch: Der Zugang zu
Hochleistungsrechnern ist sicher nicht der entscheidende Punkt. Das
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zum Beispiel ist in der
Hinsicht nicht besonders verwöhnt. Die sind sicher gut
ausgestattet, aber wir in Hamburg sind besser dran. Das ist nicht
der entscheidende Punkt. Man muss schon ordentlich ausgestattet
sein, aber nicht superhuper, das glaube ich nicht. Wenn wir an
Streitpunkte wie den Hockeystick denken: da waren keine Großrechner
dabei.
Wenn sie fragen, wer weltweit gesehen Klimaforschung betreibt, dann
können wir das vielleicht erst einmal national beantworten.
Zunächst wäre da der angelsächsische Raum, der sicherlich dominant
ist, auch der Lingua franca wegen. Die schreiben einfach die
schöneren Artikel für Science. Ferner haben wir traditionell
eine gute Klimaforschung im protestantischen Norden, in
Deutschland, Holland, Skandinavien. Die französische Klimaforschung
ist schon etwas anders, sprachlich etwas separiert und nicht so gut
vernetzt. Also: Gäbe es so etwas wie eine unabhängige
Klimaforschung, dann wäre das ein wenig in Frankreich der Fall. In
der ehemaligen Sowjetunion passiert eher weniger. In China kommt
die Forschung jetzt sehr gut in Gang, wobei man aufgrund der
jüngeren Vergangenheit einfach Nachholbedarf hat. Das wäre es im
Wesentlichen, Australien gehört mit zum angelsächsischen
Bereich.
Eine besondere Hierarchie sehe ich eigentlich nicht. Manche
Einrichtungen sind ziemlich politisiert. Aussagen aus diesen
Häusern gehen in der Regel in eine bestimmte, nämlich immer
dramatisierende Richtung. Ferner gibt es merkwürdige Einrichtungen,
eher Vereine, bei denen es immer in die andere Richtung geht. Ich
persönlich nehme die aber nicht ernst.
Es sind schon erhebliche Teile der Klimaforschung politisiert. Die
Aussage ›So etwas kann man eigentlich nicht sagen, weil es von
Skeptikern missbraucht wird‹ hört man häufig. Aber diese
Selbstzensur geschieht nicht systematisch und am Ende setzt sich
dann die gute wissenschaftliche Praxis durch. Eventuell dauert es
eben zehn Jahre, bis man eine Hegemonie durchbrechen kann. Ich
denke, in der Wissenschaft gibt es immer Hegemonien, das hat nicht
speziell etwas mit der Klimaforschung zu tun.
Solbach: Dennoch hört man,
bestimmte Ergebnisse, zum Beispiel aus dem angelsächsischen Raum,
seien von anderen Forschern kaum nachzuvollziehen, weil sie keinen
Zugang zu Rechnern mit den notwendigen Kapazitäten haben. Als Laie
muss man den Eindruck gewinnen, dass der Stand dieser Forschung
doch stark von Rechnerkapazitäten abhängig ist. Ist der Eindruck
falsch?
Storch: Diesen Eindruck
würde ich nicht teilen. Aber er hebt auf die Frage ab: ›Wie geht
man mit Skeptikern um?‹ Ich meine, dass wir darin nicht gut sind.
Wir sollten die Skeptiker in viel stärkerem Maße dazu bewegen,
nachprüfbare Hypothesen aufzustellen und sie von einer unabhängigen
Gruppe überprüfen zu lassen. Darauf lassen die sich in der Regel
nicht so furchtbar gerne ein. Meistens bleibt es bei eher globalen
Aussagen, aber nicht immer. Ich hätte es gern, dass wir eine
Dienstleistungsmöglichkeit schaffen, die auch solche Tests erlaubt.
Die Skeptiker müssen ja nicht unbedingt selbst an den Schrauben
drehen, aber sie sollten sagen können, wie die Schrauben gedreht
werden sollen. Eine unabhängige Einrichtung, in der Theorien in der
vorgeschlagenen Logik nachgeprüft werden können, wäre der
Wissenschaft und dem Vertrauen, das in sie gesetzt wird, sehr
nützlich.
Die Standardwissenschaft sieht nicht, dass ein wesentliches Wort,
mit dem wir zu tun haben, ›Vertrauen‹ heißt. Wie schaffen wir
dieses Vertrauen? Wenn ich sage, lasst uns dies oder jenes noch
einmal von unabhängiger Seite nachprüfen, zum Beispiel die
Temperaturdarstellung der letzten 100 Jahre, dann nicht, weil ich
meine, dass das, was wir bisher gemacht haben, falsch ist. Ich
möchte einfach ein zusätzliches Argument haben. Das Vertrauen in
das Produkt ist das Problem und nicht das Produkt selbst.
Jedenfalls ist das meine Wahrnehmung. Viele sehen es schon als
Beleidigung an, wenn einmal kritisch nachgefragt wird.
Solbach: Der Begriff der
›seriösen Forschung‹ ist jedem Studenten geläufig. Er grenzt eine
Forschung, die sich auf dem aktuellen Stand bewegt, mit
transparenten Methoden arbeitet und sich keine Mogeleien erlaubt,
von den Machenschaften derer ab, die es etwas billiger haben
wollen. Bei Disziplinen, deren Ergebnisse politisch umkämpft sind,
scheint gelegentlich eine ergebnisorientierte Auslese zu greifen.
Als seriös gilt schnell, was gängige Forschungsmeinungen stützt. Im
Fall der Klimaforschung, die mit den Erkenntnissen
unterschiedlicher Disziplinen arbeitet und diese in Modelle
integrieren muss, die ihrerseits auf dem Prüfstand stehen, ist das
besonders auffällig. Hat hier die Öffentlichkeit ein
Wahrnehmungsproblem? Wo verläuft die Grenze zwischen seriöser und
unseriöser Klimaforschung? Hat die Unterscheidung in dieser
Allgemeinheit überhaupt einen Sinn?
Storch: Sie prüfen mich
hier aber heftig. Ich finde es aber ganz interessant.
Solbach: Standardfragen
kann man immer beantwortet bekommen.
Storch: Nein, ich finde es
sehr angenehm. Ich finde es eine schöne Herausforderung, aber eben
doch eine Herausforderung. Klimaforschung ist ja, was ich
›postnormal‹ nenne. Das ist ein Konzept, das Jerry Ravetz und
Silvio Funtovicz in den achtziger Jahren eingeführt haben. Wir
werden wahrscheinlich im nächsten Jahr einen Workshop dazu
veranstalten. Nach meiner Lesart befindet sich die Wissenschaft in
einer postnormalen Situation. Das heißt, es ist immer eine
Rest-Unsicherheit da. Das bezieht sich, wie ich vorhin schon sagte,
auf den Bereich der detection und attribution. Es kann also durchaus
sein, dass meine Abschätzung und Ursachenanalyse falsch ist, obwohl
ich plausible Argumente dafür finde; ich kann es nicht vollständig
ausschließen. Zweitens: die Konsequenzen, die man zieht, die
stakes sind hoch, etwa
wenn wir die Energiepolitik umstellen. Dann handelt es sich um
values in dispute: Wollen
wir unser schönes Nordfriesland mit Windmühlen vollpflastern? Wenn
man mit dem Schiff von Norderney fährt und man blickt über die
Insel, dann sieht man Windmühlen auf dem dahinter liegenden
Festland. Mich stört es nicht, aber es gibt Leute, die sich darüber
aufregen. Dann noch das Element der Dringlichkeit: meistens sind
Entscheidungen schnell fällig, man kann nicht Jahre warten. Diese
Situation haben wir ganz zweifellos in der Klimaforschung.
Dann steht irgendwann die utility, die Nützlichkeit der Aussage
im politischen Raum, im Vordergrund und nicht mehr die
Wissenschaftlichkeit selbst – ob es die überhaupt gibt, das sei
dahin gestellt. Das ist natürlich immer eine ungesunde Situation,
weil es Forscher verführen kann, sich letztendlich als Politiker zu
geben, ohne sich der demokratischen Kontrolle auszusetzen. Ich
argumentiere natürlich auch politisch, aber mehr
wissenschaftspolitisch – nicht wirtschaftspolitisch oder
energiepolitisch oder dergleichen.
Also: wir haben diese postnormale Situation und wir können ihr
nicht entkommen. Wir müssen uns darüber klar werden, dass es so ist
und dazu brauchen wir die Kulturwissenschaften. Wir brauchen sie
nicht in dem etwas verkürzten Sinne, dass sie uns sagen, wie viel
Leute CO2
emittieren oder wieviel Wasser in der Klospülung
benutzen etc. Wir brauchen sie für Auskünfte darüber, wie wir
denken. In welchem Maße sind wir durch unsere Kultur konditioniert
– auch wir Wissenschaftler? Oder: In welchem Maße habe ich
eigentlich immer noch einen klimatischen Determinismus in meinem
Rucksack? Das heißt, sie müssen auch den Stamm der Klimaforscher
auf diese Themen hin untersuchen oder, anders ausgedrückt: wir, der
Stamm der Klimaforscher, brauchen Leute, die uns den Spiegel
vorhalten und sagen, hört mal, so funktioniert ihr
eigentlich.
Solbach: Also
Wissenschaftstheorie?
Storch: Ja, aber durchaus
auch Feldexperimente. Ich bin der Meinung, das geschieht viel zu
selten, weil sich die Kulturwissenschaften und die
Sozialwissenschaften hier einfach verweigern oder schon den
gleichen Standpunkt einnehmen und nach gut und schlecht im
moralischen Sinn sortieren. Hier haben wir ein Defizit. Wir
brauchen eine Begleitforschung, die uns Klimaforscher auf den Pott
setzt.
Solbach: Wie vermischt gut
und schlecht auf diesem Gebiet sind, zeigt sich gerade angesichts
der Diskussion über die Gefährlichkeit der Cadmiumverbindungen in
Solaranlagen bei Entsorgung. Da stehen auf einmal die ganz Guten
nicht mehr so gut da.
Storch: Das wird
interessant, wenn man sich die Umweltpolitik ansieht. Ich erinnere
mich an eine Veranstaltung in Hamburg, bei der Wert auf die
Feststellung gelegt wurde, dass der Schiffsverkehr doch umweltmäßig
sehr günstig sei, weil dabei soundso viel
weniger CO2
emittiert werde im Vergleich zum Zug oder zur
Bahn. Schließlich meldete sich einer von der Schutzgemeinschaft
Elbe und sagte, ja da kommt aber noch mehr raus aus so einem
Schornstein, was ist denn damit? Was ist mit der Wasserqualität?
Man hat den Eindruck, dass viele andere klassische Umweltthemen
durch die Hegemonie des Klimathemas unter die Räder kommen. Das ist
vielleicht auch nicht so günstig.
Wenn man vor allem die
utility, also die Nützlichkeit der
Aussage für den politischen Prozess im Blick hat, dann kann
Wissenschaft eigentlich nicht seriös sein. Wissenschaft muss in
diesem Sinn wie Justitia ein wenig blind sein – in den Aussagen,
nicht in den Fragen. Fragen können gerne gesellschaftlich motiviert
sein.
Wir haben eben eine gewisse Neigung, dass wir, wenn jemand kommt,
der schlampig gearbeitet hat und etwa sagt, unsere Stürme nehmen
zu, das gern zur Kenntnis nehmen, auch wenn in diesem Fall bereits
seit einiger Zeit gut dokumentiert ist, dass dem nicht so ist. Ich
habe schon bedeutende Klimaforscher erlebt, die so agiert haben.
Unseriös ist das in dem Sinne, dass man Informationen zu leicht
vertraut, ohne zu filtern, weil sie politisch nützlich
erscheinen.
Solbach: Eine der Fragen
Kants an die Philosophie lautet bekanntlich: »Was können wir
hoffen?«
Storch: Das habe ich noch
nie gehört. Ich bin aber auch ein Barbar, was das angeht.
Solbach: Es gibt mehrere,
um genau zu sein vier: Was können wir wissen? Was können wir tun?
Was ist der Mensch? Was können wir hoffen?
Heute wird diese Frage gern an die Naturwissenschaften gestellt:
Welche Wunderdinge sind von ihrem stetigen Fortschritt noch zu
erwarten? Sie hingegen vertreten einen Wissenszweig, der keine
Wunder erwarten und das bereits als Wunder erscheinen lässt – als
Wunder der Selbsterhaltung einer sich selbst gefährdenden Gattung,
die auf ihre Ratgeber hört. Welche Erwartungen hegen Sie gegenüber
Ihrer Wissenschaft?
Storch: Ich erwarte, ich
erhoffe ˗ ich soll ja hoffen, nicht?, dass meiner Wissenschaft
bewusst wird, dass sie in dieser postnormalen Situation operiert,
in der wir uns über unsere kulturellen Wurzeln klar werden müssen,
um unsere Wissenschaft etwas besser zu machen, etwas objektiver –
wirklich objektiv ist nicht möglich, aber etwas objektiver –, was
heißt, sie ein bisschen von der Nützlichkeit für die nächsten fünf
Jahre weg und ein wenig mehr zu
Merton* hin
orientieren.
Ich weiß nicht, ob Sie diesen Theoretiker kennen. Er wird nicht von
allen Sozialwissenschaftlern geliebt, aber er war so einer, der in
den vierziger Jahren ein paar Grundsätze aufgeschrieben hat, von
denen ich meine, dass sie im Prinzip noch immer gelten, auch wenn
die Probleme sich verlagert haben. Wir sollten auf den Grundsatz
zurückkommen, in unseren Aussagen nicht so sehr nach Nützlichkeit
zu gehen als danach, ob etwas stimmt oder nicht. Wir sollten
aufhören, aus dem, was wir treiben, direkt eine Politik
abzuleiten.
Das soll nicht heißen, dass Wissenschaftler sich nicht politisch
engagieren sollten. Aber nicht als Wissenschaftler, sondern als
Bürger. Wenn ich jetzt mit Ihnen hier über Politik rede, dann habe
ich die etwas merkwürdige Situation, das ich zwar mein Fach
besonders gut kenne, aber alle anderen nur so gut wie jeder andere
Zeitungsleser. Aus dieser Perspektive erscheint mein Fach viel
wichtiger als die anderen. Ich kann Fragen meist gut beantworten,
wenn sie mein Fach betreffen, aber alle anderen Fragen, die genauso
wichtig sind, kann ich nicht besser beantworten als irgendjemand
sonst. Deshalb, meine ich, bin ich ein bisschen behindert in der
Fähigkeit, eine ganzheitliche Antwort zu geben. Ich bevorzuge also
Taxifahrer, Friseure und Journalisten für diesen Zweck, die eine
breitere Sichtweise haben als unsereins, der nur als Fachidiot
existiert. Denn das sind wir ja. Ein guter Wissenschaftler ist ein
Fachidiot, dem kann man nicht entkommen. Zu dieser Rolle sollte ich
stehen. Ich weiß, ich habe mein spezielles tiefes Wissen in einem
engen Bereich und kein besonderes Wissen in den anderen
Bereichen.
Solbach: Was Sie gerade
gesagt haben, bezieht sich auf den Umgang mit dem Wissen und den
Forschungsergebnissen. Haben Sie Hoffnungen in Bezug auf die
Erkenntnisse oder auch auf die Mittel und Möglichkeiten, zu neuen
Erkenntnissen zu gelangen?
Storch: Ich träume immer
noch von einer schönen Simulation mit einem unserer Klimamodelle,
die noch ein bisschen ausgebaut werden müssen, weil wir einen
Stoffkreislauf von einem vollständigen Eiszeit/Warmzeit-Zyklus
haben wollen, der letzten 20 000 Jahre bis heute, mit allen
Schikanen. Das hätte ich gerne.
Solbach: Glauben Sie, dass
es das geben wird?
Storch: Das wird es geben,
ja. So wie ich mir auch erhoffe, dass in diesen Klimadaten noch
Proxydaten entstehen, dass wir etwa die Eiskernentwicklung
simulieren.
Ein anderes Thema ist die Behandlung von Fragen aus dem Bereich der
Kulturwissenschaften, also: konkurrierende Wissensansprüche,
verschiedene Konstruktionsvorgänge. Das interessiert mich sehr,
weil es bedeutet, dass wir diese postnormale Situation aktiv
wahrnehmen, wir gehen damit um, wir beschäftigen uns damit und das
wird dann auch zu etwas weniger Schäden beitragen.
Solbach: Und würde den
gesellschaftlichen Einfluss Ihrer Wissenschaft erheblich
erhöhen.
Storch: Könnte, ja. Aber
irgendwann – sicher eher nicht in meiner Arbeitszeit – könnte es
auch einmal wieder andere Themen geben. Es ist sicherlich nicht
gut, wenn ein Thema so stark dominiert.
Solbach: Denken Sie, dass
es dazu erheblicher technischer Entwicklungen bedarf?
Storch: Nein. Wir warten
ab, bis die Computer so weit sind. Wenn ich an die
Computersimulation denke, so geht sie mit der Entwicklung der
Rechnerkapazität und die Dinge geschehen eben von alleine. Wenn ich
mir meinen Laptop ansehe, so kann der mehr als der erste
Großrechner, den ich erlebt habe.
Solbach: Auch unabhängig von Klimaprognosen gibt es gute Gründe,
die Verbrennung fossiler Brennstoffe zum Zweck der Energiegewinnung
zurückzufahren und vielleicht irgendwann ganz zu beenden. Die
Problematik schwindender Vorräte und konfliktpolitische Erwägungen
sind den heute Regierenden – und Regierten – nicht ganz unbekannt.
Kann der Klimaforscher im Fall der Fälle damit leben, zu einem
vermutlich vernünftigen Zweck missbraucht worden zu sein, falls
sich herausstellt, dass er mehr in der Propagandaabteilung
gearbeitet hat als an der Entscheidungsbasis?
Storch: Es wäre schon
schlecht, wenn das der Fall wäre. Man hätte dann möglicherweise
eine vernünftige Entwicklung, aber die Wissenschaft bliebe auf dem
Schlachtfeld zurück. Sie hätte erkennbar Partei für eine bestimmte
Sache gespielt und wäre dann nicht mehr zu unterscheiden von
Greenpeace oder vom Braunkohleverband. Und Braunkohleverband und
Greenpeace sind ungleich billiger als ein Wissenschaftsbetrieb. Wir
würden ein wesentliches Element unserer westlichen Kultur
verlieren. Das wäre mir ein zu hoher Preis. Aber das ist jetzt eine
Wertentscheidung. Man könnte natürlich auch sagen, das Problem ist
so gigantisch, dass es mir das wert ist, wenn am Ende die
Wissenschaft, die Klimawissenschaft tot ist, weil sie offenbar nur
Propaganda geleistet hat.
Solbach: Aber als guter
Klimawissenschaftler dürften Sie das eigentlich nicht so
sehen.
Storch: Falls jemand das so
sähe und es so explizit formulierte, dann müsste ich sagen, ja gut,
mein Respekt!
Aber in meinem Wertesystem ist das nicht denkbar. Unter einer
solchen Entwicklung hätte ja nicht nur die Klimawissenschaft zu
leiden. Die ganze Wissenschaft knabbert noch an der Sache mit dem
Waldsterben und diese Climategate-Geschichte jetzt hat nicht nur
der Klimawissenschaft geschadet, sondern der Wissenschaft als
ganzer. Unser vielleicht wichtigstes Kapital ist das Vertrauen in
die Akteure und in die Aussagen. Dazu gehört die Offenheit
gegenüber Überraschungen, neuen Entwicklungen. Andererseits haben
wir meist gewisse Vorstellungen, was bei unseren Forschungen
herauskommen soll, und freuen uns, wenn es herauskommt. Wir achten
möglicherweise nicht immer so darauf, ob darunter vielleicht einmal
eine Aussage ist, die man möglicherweise auch anders hypothieren
kann… Na ja.
Solbach: Es ist ja nicht
nur das Vertrauen. Man könnte auch die Frage nach den Motivationen
und den menschlichen Qualitäten von Leuten stellen, die extrem
langfristig motiviert sein müssen, um Wissenschaft zu
betreiben.
Storch: Es gibt natürlich
auch merkwürdige Typen bei uns. Gerade in der Wissenschaft gibt es
besonders viele davon, deshalb sind sie vielleicht auch in der
Wissenschaft. Ich habe nichts gegen merkwürdige Typen, die finde
ich oft interessanter.
Solbach: Ich danke Ihnen
für das Gespräch.