1.
Ideen sind nichts ›Natürliches‹, sondern exemplarisch etwas Fiktives … und etwas Reales.
Eine Idee ist also zunächst nichts Gefährliches! – Sie ist diejenige grundlegende Vorstellung, nach der wir das, was uns im Kontakt mit etwas anderem affiziert und was wir dann vorläufig unsere ›Welt‹ nennen, strukturieren. »Die Idee«, so immerhin Leibniz, »besteht für mich nicht in einem bestimmten Akt des Denkens, sondern in einem Vermögen, – so dass wir die Idee eines Dinges haben können, selbst wenn wir nicht wirklich darüber nachdenken, doch … darüber nachdenken können« [Leibniz S. 63]. Ideen sind also gewissermaßen Koordinatensysteme, innerhalb derer erst Denkakte sinnvoll werden [außerhalb solcher Ideen-Netze bleibt Denken privatistisch, empirisch, formleer, idolatrisch, umständlich, weitschweifig, inkommunikabel].
Eine Idee ist also etwas Gründendes. – Damit ist aber auch klar, dass nicht alles alltäglich-lebensweltlich Gedachte schon den Rang einer Idee beanspruchen wird. Ideen sollen dazu beitragen, so Platos Einfall, uns nicht im Meer der Wahrnehmungen und des Geschwafels ersaufen zu lassen. – Das Paradox, mit dem wir seither umgehen lernen mussten, ist also: Gerade diese Fiktion soll uns also über das Fiktionale hinaus ins Reale, Objektive leiten?!
2.
Wir Modernen seien aber inzwischen so ganz anders als die Griechen, letztlich wäre uns »das Griechische sehr fremd«, sagt Nietzsche in der Morgenröthe. Der Unterschied zu ihnen, zumal im Denken, läge unter anderem in der uns Heutigen ganz eigenen mentalen Unübersichtlichkeit, im Chaotischen, auch im Unabgeschlossenen unserer Ideen- & Seelenverfassung.
Die Griechen, so Nietzsche, da ihnen die Gefahr des Lebens immer unmittelbar gegenwärtig gewesen sei, »suchten im Nachdenken und Erkennen eine Art Sicherheit des Gefühls und letztes refugium.« [KSA, Bd. 3 S. 143] Die Griechen hielten offensichtlich gerade Ideen für etwas Ungefährlich-Sicheres, so dass sie sich sogar zumuten wollten, von Philosophen regiert zu werden, – in Platos Worten: »dass keine anderen Führer der Staaten sein dürfen als solche.« [Politeia 485a] Warum? – Weil der Philosoph, so Plato, »der mit dem Göttlichen und Geregelten umgeht [dem Logos, der Idee], (auch) geregelt und göttlich (sein wird), soweit es nur dem Menschen möglich ist.« [Politeia 500c]
In der Neuzeit war man da kritischer – etwa Kant: »Daß Könige philosophieren oder Philosophen Könige würden, ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen; weil der Besitz der Gewalt das freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt.« [Kant 1984, S. 37]
3.
Wir Heutigen dagegen hätten, so Nietzsche, nun auch »die Gefährlichkeit ins Nachdenken und Erkennen getragen« [Morgenröthe S. 143]. Als Nietzsche darüber nachdachte, hat das in England Oscar Wilde noch einmal verschärft, als er jenen Satz niederschrieb, der uns hier als Titelproblem interessiert – also: Eine Idee, die nicht gefährlich ist, ist es nicht wert, überhaupt Idee genannt zu werden.
Mit dieser Prädikation werden Ideen unterscheidbar von beispielsweise ›dummen Einfällen‹, politischen Sprachbildern, ›felsenfesten Überzeugungen‹ (die, nach Nietzsche ohnehin ins Irrenhaus gehören), aber auch vom stabilen Verstandeswerk in den (von Kant noch so genannten) ›oberen‹ Fakultäten
4.
Was ist das Gefährliche einer Idee? – Ich vermute, dasjenige, was selbst das in Frage stellt, was traditionell eine Idee ist, und nicht zuerst das ›Substantielle‹ einer bestimmten Idee, oder weil sie unberechenbare Folgen hätte, wollte man sie ›realisieren‹ …
Wenn also ihr ›Gründendes‹, ihr Normativ, das ›Auratische‹ an ihr, ihr ›Absolutes‹ in Frage steht, dann wird es gefährlich! – Noch im absoluten Wissen Hegels bzw. des folgenlosen Zusammenbruchs dieser post-platonischen Ideenkonstruktion zeigt sich exemplarisch die bloße – wie er selber früher sagte – ›Positivität‹ (also Ungefährlichkeit) der Idee.
Ganz anders dagegen sein alter Tübinger Freund Schelling: er wagt sich an diese Implantation von Gefährlichkeit in die Idee, weil er sie sozusagen ontologisch (platonisch) entriegelt – sein neues Wort dafür: philosophie en devenir.
So soll die Vitalität des – performativen – Logos, des Wortes (ursprünglich als verbum dei) bewahrt werden. – Das hat eine Umkehrung in der Hierarchie der philosophischen Disziplinen zur Folge.
Nicht mehr die Idee ist als ein kognitiv Gründendes dominant, sondern das sich selbst als autopoietisch begreifbare, verwandelbare Wort, der logos spermatikos, wird in einer anthropologischen Erscheinung (Offenbarung) offenbar. – Was da etwa exemplarisch als Mensch offenbar wurde, ist nun gar nicht mehr eine absolute Substanz, ein ens perfectissimum, sondern ein nicht-fertiges, endlich-unendliches, paradoxes Wesen, – das, wie schon Kant schrieb, »unter dem Antagonism der ungeselligen Geselligkeit« [Kant 1913, 155] steht. Oder: das in Schellings Worten: »weder wesentlicher Gott noch wesentlicher Knecht« [Schelling 1992, 440] ist.
Also: Eine Idee in den Status ihrer Gefährlichkeit zu setzen, heißt ihren Mangel des Werdens zu beheben.
Kurzum: Menschwerdung (modern: Embodiment) versus Begriffsarbeit. Denn: »Jenes letzte Wissen, das Ende der Wissenschaft, kann nur der Glaube oder Nichtwissen insofern genannt werden, weil es das Wissen als Actus aufhebt, es aber nur aufhebt, weil es selbst vollendetes Wissen ist.« [Ibid, S. 414f.]
Der alltägliche Umgang mit dieser Grenzsituation einer Idee im Werden, exemplarisch der Idee des Menschen als einem Unbedingten stellt sich als Geheimnis dar – das aber auch, wenn es von Vielen rezipiert (und als ›mehrheitsfähig‹ evaluiert wird), als ›Illusion‹, ›Gespenst‹, ›Phantom‹ kleingeredet wird.
5.
Was lernt man über Ideen, die unter dem Signum ihrer Gefährlichkeit zur Selbstdekonstruktion neigen?
a) Und wie zeigt es sich zuerst, dass es uns an gefährlichen Ideen fehlt? Was ist der sozusagen ideelle Mangel an gebräuchlichen Verstandesprodukten, sog. ›Ideen‹ (im Alltag, in der Politik, in der Wissenschaft), die eine Idee zur gefälligen Gebrauchsware herabstuft? – Otto Flake, von dem wir einen Essay just über Oscar Wilde kennen, hat – in seinem »Logbuch« 1917 – schon einmal beschrieben, woran es Ideen herkömmlich vor allem mangelt, dass sie untauglich seien »für Ironie, Zynismus, Groteskes, Verachtung und Spott«, die alltägliche Idee habe, so Otto Flake weiter, bloß »eine einfache Kraft des Vorwärtsstoßes, eine unkomplizierte, eine eindimensionale Kraft, wie Schiller und Wildenbruch sie zeigen.« [Flake S. 62]
In den Jenaer Salons um 1800 konnte man so etwas wie einen Geburtsort gefährlicher Ideen identifizieren. Etwa, wenn Friedrich Schlegel einmal bemerkt : »Eine Idee ist ein bis zur Ironie vollendeter Begriff …« [Athenäum, S. 31]
Und auch der allzu späte Romantiker Nietzsche misst, wie Chirico schon früh bemerkte, »die Stärke der Intelligenz eines Menschen … an der Dosis Geist (d.i. Ironie) zu der er fähig sei.« [Chirico, S. 144] – Denn wie Cervantes' Held liegt auch Zarathustra im »Kampf nicht gegen die Dummheit, sondern gegen die Einbildungen: Beseitigung der eingebildeten Dinge aus den Köpfen« [KSA, Bd. 9, S. 184], das ist auch dessen, wie wir wissen, so rührende wie anspornende Lebensart. Die Ironie, Lachen, – das ist also die philosophische Pointe bei der Ideen-Metamorphose im Diskurs am Beginn der Moderne, inmitten einer nun ›entzauberten Welt‹. Nietzsche will, dass wir uns »als Parodisten der Weltgeschichte und Hanswürste Gottes« begreifen lernen, - »vielleicht daß, wenn auch Nichts von heute sonst Zukunft hat, doch gerade unser Lachen noch Zukunft hat!« [KSA, Bd. 5, S. 157]
So erweist sich das Lachen als Korrektiv im Umgang mit den alten Gestalten der philosophischen Denkwirtschaft, z.B. den Ideen von Gott, Seele oder Unsterblichkeit, auch Humanität, da das Lachen das Leben im Gefolge hat. – Zarathustras Wort dafür lautet: »Das Lachen sprach ich heilig; ihr höheren Menschen, lernt mir – lachen!« [KSA, Bd. 4, S. 368] – Denn es ist gerade das Lachen, nach einer Wendung aus Nietzsches Mistral, »aller freien Geister Geist.« [KSB, Bd. 6, S. 560] Der Transformationszustand einer Idee, die ins Stadium gefährlich übergeht (und dann als herkömmliche Idee gefährdet ist), wird deutlich, wenn sie sich als Lachen verkörpert. Und nur so kann man einigermaßen mit Wandel, Werden und dem damit unausbleiblichen Wirrwarr zurechtkommen.
b) Dass eine derart ›ideen-zurücknehmende‹ Idee – mit ihrer jokologischen Pointe – gerade in der Gelehrtenrepublik höchstens als ein Imitat von Gelehrtheit sollte gelten dürfen, darauf hat der späte Schelling seine Münchener Kommilitonen aufmerksam gemacht: »Es ist nicht jedem gegeben, zu sehen« [was »der Kühnste der Apostel – Paulus«] gesehen hat, »die tiefe Ironie in allen göttlichen Handlungsweisen zu begreifen, und wer sie früher bei der Weltschöpfung nicht begriffen hat, wird sie auch später in der Erlösungslehre nicht mehr begreifen.« – nämlich: »dass einer und derselbe uno eodem actu etwas setzt und negiert«, dass eben »die absolute Freiheit Gottes … in der Kraft dieses Widerspruches (besteht), in der Kraft dieser Absurdität, dieser scheinbaren Unmöglichkeit.« [Schelling, S. 420f.] – Und Freiheit, so folgert Schelling aus jener paradoxen Metamorphose des Logos, wird somit „unser und der Gottheit Höchstes.« [Ibid, S. 79]
Das aber ist keine Heilsbotschaft, sondern ein Hinweis darauf, dass, da Freiheit unter den Auspizien von Gefährlichkeit steht, Freiheit selber eine gefährliche Sache ist.
Literatur
ATHENÄUM, hrsg. von August Wilhelm & Friedrich Schlegel, Erster Band, 2. St., Berlin 1798
GIORGIO DE CHIRICO, Das Geheimnis der Arkade. Erinnerungen und Reflexionen, hrsg. von Marianne Schneider, Berlin/Potsdam 2011
OTTO FLAKE, Das Logbuch, S. Fischer Berlin 1918
ERNST JÜNGER, Blätter und Steine, Hamburg 1934
IMMANUEL KANT, Zum ewigen Frieden, hrsg. von Steffen Dietzsch, Leipzig 1984
IMMANUEL KANT, Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. Werke, hrsg. von Ernst Cassirer, Bd. 4, Berlin 1913
GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ, Was ist eine Idee? [1678]. Philosophische Schriften, Bd. 4, hrsg. von Herbert Herring
TARMO KUNNAS, Nietzsches Lachen, München 1982
FRIEDRICH NIETZSCHE, Morgenröthe, KSA, Bd. 3
FRIEDRICH NIETZSCHE, Also sprach Zarathustra. KSA, Bd. 4
FRIEDRICH NIETZSCHE, Jenseits von Gut und Böse. KSA, Bd. 5
FRIEDRICH NIETZSCHE, Nachgelassene Fragmente. KSA Bd. 9
FRIEDRICH NIETZSCHE, An den Mistral. Beilage zum Brief Friedrich Nietzsches an Heinrich Köselitz, vom 22. Nov. 1884, KSB, Bd. 6
PLATON, Politeia, hrsg. von Walter F. Otto, Rowohlt Verlag Reinbek 1968
F. W. J. SCHELLING, Urfassung der Philosophie der Offenbarung, hrsg. von W. E. Ehrhardt, Hamburg 1992
OSCAR WILDE, Der Kritiker als Künstler II und Das Bildnis des Dorian Gray. Märchen. Erzählungen. Essays, hrsg. von Friedmar Apel, München 1988