Das Ende des Geldes
Solbach: Sie haben einem jüngst erschienenen, zusammen mit Otmar Pregetter verfassten Buch den Titel Das Ende des Geldes gegeben. Die Vorbemerkung lautet: »Es könnte sein, dass zu dem Zeitpunkt, da Sie dieses Werk in Händen halten, einiges bereits hoffnungslos veraltet ist, z.B. weil Spanien, Großbritannien oder gar die USA bankrott sind bzw. sie ihren Bankrott öffentlich eingestanden haben. In diesem Fall betrachten Sie die in diesem Buch enthaltenen Zeilen zum Beginn als historische Erklärung. Die am Ende befindlichen Ausführungen zur Gesellschaft nSG (Gesellschaft nach dem Schuldgeldsystem) werden dann eine Welt beschreiben, in der Sie sich bereits befinden.« Nun: Amerika hat seine Bankrotterklärung verschoben und es ist nicht abzusehen, dass es gewillt ist, sie abzugeben, in Europa wird für ein einziges Land, Griechenland, der Staatsbankrott von einigen politischen Akteuren ins Auge gefasst, die Mehrheit scheint gewillt, ihn nicht zuzulassen. Vorfrage: Ist der Bankrott von Staaten eine Sache des politischen Willens?
Hörmann: Nicht nur des politischen Willens. Natürlich kann man den Bankrott von Staaten eine Zeit lang verschleppen, so wie man das bei Unternehmen ja auch kann. Es gibt aber ganz bestimmte Kriterien, wann das nicht mehr möglich ist. Beispielsweise, wenn über Steuerzahlungen kein Geld mehr aufgetrieben werden kann, um die Zinsen der Staatsschuld zu bedienen. Wenn man nicht einmal mehr die Zinsen zahlen kann, dann ist das eine klassische Definition für den Bankrott, der dann auch wirklich nicht mehr verschoben werden kann. Das ist aber nur ein Teilproblem. Ein zweiter Aspekt ist die Information der Öffentlichkeit über die wahren Ursachen unserer Probleme und die stecken im Geldsystem. Das bedeutet, wann auch immer ein endgültiger Crash erfolgen wird, sei es der EU – also der Eurozone in dem Fall – oder des amerikanischen Dollars, werden wir im Anschluss sicher nicht mehr ein Geldsystem erhalten, wie wir es heute kennen – weil eben das Geldsystem so nicht funktionieren kann, aus Gründen, die ich bei den nachfolgenden Fragen noch ausführen werde.
Solbach: Also dann zur eigentlichen Frage: Was macht Sie so sicher, dass der Bankrott eines oder mehrerer Staaten gleichbedeutend wäre mit einem automatischen Systemwechsel? Ist es nicht so, dass das gegenwärtig dominierende Wirtschaftssystem spielend den Zusammenbruch einzelner Akteure verkraftet und aus dieser Fähigkeit womöglich seine Überlegenheit über andere Wirtschaftsformen schöpft?
Hörmann: Einzelner Akteure sicher. Aber da wir im westlichen Kulturkreis alle das gleiche Geldsystem verwenden, haben wir momentan auch alle das gleiche Problem. In der Vergangenheit sind wirtschaftliche Schwierigkeiten einzelner Staaten von anderen Staaten aufgefangen worden. Das war möglich, weil nicht das zentrale Problem des Geldsystems der Auslöser war, sondern sogenannte Konjunkturzyklen. Die hängen zwar in einer gewissen Weise auch vom Geldsystem ab, von seinem ›Design‹, aber sie können, wie gesagt, ausgeglichen werden, solange sie in Wellen auftreten und sich ein Staat in einem Wellental und ein anderer in einem Wellenberg befindet. In diesem Fall kann eine Region der anderen Hilfestellung leisten, durch zusätzliche Aufträge, durch Kredite und Ähnliches. Wie man es ja auch zurzeit, aus der Macht der Gewohnheit heraus, immer wieder versucht. Nur hat es gegenwärtig keinen Sinn mehr. Denn jetzt bricht die systemische Krise hervor, die mit der Gelderzeugung zu tun hat – damit, dass und wie wir Geld in Wahrheit missverstehen. Die breite Bevölkerung und auch ein Großteil der Politiker – und wahrscheinlich auch ein gerüttelt Maß der Bankdirektoren und der Topmanager in Banken – verstehen eben nicht, wie das Geld funktioniert, und deshalb sind momentan alle sehr überrascht.
Solbach: Aber die sind doch alle gut ausgebildet. Hängen sie einem anderen System an? Können Sie vielleicht Ihre Position im Verhältnis zu den anderen erläutern?
Hörmann: Es ist die klassische universitäre
Ausbildung, die leider Gottes genau diese Mängel, die hier
bestehen, nicht umfasst. Es ist natürlich Spekulation zu behaupten,
es sei Absicht, dass der Bevölkerung, vor allem auch den
Akademikern, den Wirtschaftsakademikern und den
Rechtswissenschaftlern, diese Fehlfunktion des Geldsystems in
unserem heutigen offiziellen Bildungssystem vorenthalten wird. Ein
Faktum ist, dass man die Informationen bei der deutschen Bundesbank
sogar den Unterlagen für Schulen entnehmen kann. Geld ist nichts
anderes als ein Schuldschein. Man hat historisch – ich
interpretiere das so – einfach die Begriffe ›Verbindlichkeit‹ und
›Forderung‹ verwechselt. Also: Man behauptet, die Schuld, die man
als Schuldschein weitergibt, hätte einen Wert. Aber in Wirklichkeit
könnte man das allenfalls von einer Forderung behaupten, jedoch nie
von einer Verbindlichkeit. Das hat man historisch wahrscheinlich
irgendwann durcheinander gebracht. Später wurde es für die
herrschenden Schichten unserer Gesellschaft sehr praktisch, weil
sie ja mit ihrer Unterschrift in Wahrheit Geld erzeugt haben und
das auch heute noch tun. Wir tun es bei jedem Kreditkartenkauf,
ohne dass wir das wissen dürfen. Aber das ist natürlich kein
rationales und kein vernünftiges System. Es ist ein System mit
einem Ablaufdatum, das sich sogar mathematisch relativ genau
prognostizieren lässt.
Wir sind nun in diesem Stadium und deshalb muss diese Information
in die Öffentlichkeit getragen werden, denn die gesamte
Gesellschaft muss ein anderes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem
konstruieren. Es hat keinen Sinn, wenn wir vorneweg wieder Juristen
und Ökonomen damit beauftragen, denn die verfallen immer wieder in
die gleichen Denkmuster und bauen immer wieder das gleiche
fehlerhafte System nach. Das war schon nach dem Ersten und dem
Zweiten Weltkrieg so. Es gab ja in der Geschichte einige Male die
Chance, von vorne zu beginnen. Aber da immer die Rechts- und
Wirtschaftswissenschaftler vorneweg das System konstruiert haben,
hat es nie einen Durchbruch gegeben.
Solbach: Eine kleine Zusatzfrage. Das hört sich alles so grandios an: ›Systemkrise‹ und ›das System ist schuld‹ etc. Man kennt die Systemrede von Luhmann. Aber was ist eigentlich ›das System‹? Ist das Gott? Stehen da Menschen hinter, denen zum Beispiel die Banken etc. gehören und die riesige Gewinne dadurch machen, dass sie die anderen Menschen abzocken?
Hörmann: Zu einem Teil ist es sicher so. Ein geringer Prozentsatz derer, die von diesem System profitieren, kennen seine Mängel und versuchen ganz sicher auch relativ verzweifelt, es weiter aufrecht zu erhalten. Denen muss man allerdings sagen, dass sie sich selbst umso mehr in Gefahr bringen, je länger sie das weiterhin gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung versuchen. Denn wer ein solches System vorsätzlich gegen die Interessen der Mehrheit durchzusetzen versucht, der schädigt natürlich die Demokratie. Das ist eine Vorgehensweise, die die Demokratie nicht tolerieren kann. Da muss man dann ganz einfach die Gesetze ändern. Und genau das wird geschehen. Damit sind wir dann in einem neuen System. Dieses neue System wird nach anderen als den heutigen Prinzipien gesteuert werden. Eigentum zum Beispiel – z.B. Eigentum an Produktionsmitteln, wie wir das klassisch kennen, zur Erzeugung von Geld, das dann wieder Geld erzeugt, also der klassische Kapitalbegriff, der, wie man sagen muss, politisch geprägt wurde, nicht rational ökonomisch –, wird sich so nicht halten lassen.
Solbach: Das marktwirtschaftliche System in seiner gegenwärtigen Form wird von Ihnen als ein Betrugssystem beschrieben, dessen primäre Elemente, die doppelte Buchführung und die Geldschöpfung mittels Schuldverschreibungen, aus dem Spätmittelalter bzw. der frühen Neuzeit stammen. Das habe ich Ihrem Buch entnommen. Es handelt sich also um sehr alte Betrugsmechanismen, von denen Sie annehmen, dass sie einigen Marktteilnehmern bekannt, den meisten aber unbekannt seien, was ja zu ihrem Funktionieren Voraussetzung ist, wie Sie schreiben. Nun ist die Rede vom Kapitalismus als einem auf Übervorteilung bzw. Betrug basierenden Wirtschaftsmodell nicht neu. Auf die heutigen Verhältnisse bezogen: die Rede vom Casino-Kapitalismus enthält die Botschaft, dass am Ende immer die Bank gewinnt. Dennoch wird weiter gespielt. Warum?
Hörmann: Einerseits stecken sehr mächtige Interessen einer sehr kleinen Gruppe der Bevölkerung dahinter. Andererseits, das muss man ganz offen zugeben, fehlen den Leuten, die vielleicht selbst das System ändern wollen, auch einfach bessere Ideen. Das ist bis zu einem gewissen Grade nachvollziehbar, denn, wie gesagt, die Ausbildung prägt die Menschen, die jungen Menschen, und wenn sie erst ein oder zwei Jahrzehnte in der Praxis nach der immer gleichen Schablone gearbeitet haben – und auch Wirtschaftswissenschaftler denken in Schablonen –, können sie sich keine Alternativen mehr vorstellen. Es ist meiner Meinung nach vielleicht das größte Problem der heutigen Gesellschaft, dass wir es in der Wissenschaft nicht mehr verstehen, geistig frei zu denken und wirklich vollkommen neue Wege einzuschlagen. Die Freiheit der Denkprozesse ist dahin. Man findet sie in der normalen universitären Ausbildung nicht mehr. Das ist wahrscheinlich der größte Verlust.
Solbach: Hängt das vielleicht auch mit der Art und Weise zusammen, wie Forschung gefördert wird?
Hörmann: Selbstverständlich. Wir haben die Wissenschaft heute zu einem Hilfsinstrument der Wirtschaft und da insbesondere der Industrie degradiert. Wenn man sich zum Beispiel die Förderungspolitik der Europäischen Union ansieht, dann ist das so offensichtlich, dass einem eigentlich übel werden kann. Da werden die Förderungsmechanismen vorsätzlich verkompliziert. Es gibt wirklich Wissenschaftler, die ein Jahr und länger damit zubringen, sich ausschließlich mit den Formularen und den Mechanismen der Förderung zu beschäftigen. Die Förderungen, wenn sie denn einmal bezahlt werden, fließen zu einem großen Prozentsatz an Unternehmensberatungen. Die stecken das Geld, das der Wissenschaft gehören würde, gleich einmal für ihre Formularberatungsdienste ein. Vollkommen absurd! Wissenschaftler, die diesen Weg gegangen sind, müssen nachher wieder lernen, wissenschaftlich zu denken. Sie haben sich so in diesen Formularkrieg hineingedacht, dass sie sich ihrem eigenen Fachgebiet entfremdet haben. Es ist wirklich vollkommen absurd, was da passiert. Natürlich treibt man mit diesen Entwicklungen meiner Meinung nach die Wissenschaftler vorsätzlich in die Hände der Auftragsforschung der Industrie und der Wirtschaft, denn dort gibt es die Gelder einfacher. Das ist eine geplante Strategie, die verachtenswert ist und die in Wirklichkeit die Bevölkerung gefährdet. Deswegen müssen Forschungsmittel in ganz anderer Form und relativ großzügig zur Verfügung gestellt werden. Diese Forschung muss dann auch nachweislich zum Wohle der gesamten Bevölkerung erfolgen und nicht wieder nur zum Vorteil einer kleinen Familie oder einer kleinen Gruppe von Aktionären.
Solbach: Der Zusammenbruch (oder, neutraler: die Auflösung) des sowjetischen Blocks hat für die meisten Menschen unserer Hemisphäre die Überlegenheit des westlich-globalen Wirtschaftssystems bewiesen. Nun ist Überlegenheit eine relative Sache. Das Hinzutreten neuer Akteure hat das Spiel verändert, der Neoliberalismus wurde zur Heilslehre erhoben und gehört in die Liste der politischen Glaubensartikel, für die gekämpft und gelitten wird. Hat nach Ihrer Auffassung das Ende der Systemkonkurrenz die Ankunft der gegenwärtigen Krise beschleunigt oder hinausgeschoben? Oder ist das marktwirtschaftliche System immun gegen derartige Ereignisse und folgt unbeirrt seinen immanenten Gesetzen?
Hörmann: Dazu muss man vorneweg erst einmal verstehen, dass das sogenannte kapitalistische oder das System der freien Marktwirtschaft und der Staatssozialismus oder Kommunismus, wie wir ihn früher im Ostblock hatten, in Wirklichkeit kein Widerspruch sind. Das ist ein und dasselbe System. Es ist ein System von Oligarchien, von kleinen Gruppen und Familien, die eine Herrschaftsposition gegenüber dem Rest der Bevölkerung einnehmen. Nur die sprachlichen Mittel und die optische Erscheinungsform variieren. Wir hatten in den Staaten des Ostblocks Parteimitgliedschaft in Führungspositionen und in politischen Gremien als Anspruch der Überlegenheit. Die wurden aber genauso in der Familie vererbt wie die Aktien der Industrien in der freien Marktwirtschaft. Also: es ist das gleiche System – die Herrschaft einer Minderheit über eine Mehrheit. Man sieht an der Entwicklung nach dem Fall der Berliner Mauer, wie sich diese Oligarchen des Ostblocks praktisch nahtlos in das westliche System integrieren konnten, indem sie einfach weiter den gleichen Spielregeln folgten. Sie mussten nur ein paar Begrifflichkeiten und die Garderobe austauschen. Wer früher Direktor eines großen Unternehmens war, das er im Auftrag der Partei führte, der wurde anschließend in unserem System einfach zum Eigentümer erklärt, und das System lief weiter wie gehabt. Es gibt hier keine wirkliche Alternative. Es ist ein und dasselbe System. Der gesamte Kalte Krieg war in Wirklichkeit eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, um die Waffenindustrie mit Steuergeldern zu finanzieren. Das war das erklärte Ziel. Was 1962, in der Kubakrise, passiert ist, das war, wenn man so will, ein kleiner Betriebsunfall.
Solbach: Das hieße, wenn China heute mit einer kommunistischen Partei an der Macht Kapitalismus betreibt, dann haben sie sich neue Kleider angezogen, um für den Westen schön auszusehen?
Hörmann: Genauso ist es. Sie machen alle das gleiche System, wobei die Chinesen im Vergleich zur freien Marktwirtschaft einen kleinen Vorteil besitzen. Sie haben eine Staats-, eine National- und keine Zentralbank. Deswegen unterbleibt die Schuldbuchung bei der Geldschöpfung. Sie können sich das Geld erzeugen, ohne sich gleichzeitig Staatsschulden an den Hals zu buchen. Das ist der Vorteil. Eine Staatsbank – ›Nationalbank‹ hieß das früher – steht im Eigentum des Staates, schöpft Geld aus Luft wie alle Banken, aber ohne Schuldgegenbuchung. Sie verschuldet dadurch auch die Bevölkerung nicht. Den gleichen systemischen Fehler wie die freie Marktwirtschaft begehen die Chinesen bei der Art und Weise, wie das Geld wieder in den Verkehr kommt. Es geht wieder über Oligarchien und kleine Familien, es geht wieder nur an Eigentümer und nicht an kreative Menschen.
Geld, Markt, Staat
Solbach: Der zentrale Begriff Ihrer Beschreibung des gegenwärtigen Wirtschaftssystems lautet ›Schuldgeldsystem‹. Es handelt sich, wenn ich Sie recht verstanden habe, um eine Theorie des Geldes. Worin besteht der grundlegende Mechanismus dieses Systems?
Hörmann: Der grundlegende Mechanismus besteht darin, dass Menschen normalerweise annehmen, es handele sich bei gesetzlichen Zahlungsmitteln um Vermögenswerte, d. h. um irgendetwas, das man in einer Bilanz auf der Aktivseite ausweisen würde, also Kassa oder Bank. Tatsächlich entsteht unser Geld aber bei jeder kleinen Sparkasse in der Kreditvergabe. Das heißt, jeder Private oder jeder Unternehmer, der sich einen Kredit bei der Bank nimmt, erhält von dieser Bank Geld, das vor der Kreditaufnahme noch nicht existiert hat. Das passiert durch eine Bilanzverlängerung der Bank. Das heißt: es entstehen bei dieser Buchung gleich zwei Schuldner, nicht nur einer. Der Kreditnehmer sowieso, die Bank will das Geld, vermehrt um Zinsen, zurück haben. Aber auch die Bank verschuldet sich, denn sie bleibt buchungstechnisch dem Kreditnehmer auf ewige Zeiten den Kredit schuldig. Sie geht eine Verbindlichkeit ein. Diese Verbindlichkeit der Bank verwandelt sich, wenn der Kreditnehmer das Geld als Banknoten behebt, in eine Verbindlichkeit gegenüber der Zentralbank. Sie bleibt aber eine Verbindlichkeit der Bank. Genau das ist das Problem. Die Banken sind deshalb so verschuldet und kommen da nie mehr wieder heraus, weil sie sich bei jeder Kreditvergabe durch diese unsinnige Bilanzverlängerung auch selbst verschulden. Aus der Sicht des Rechnungswesens ist das eine klare Fehlbuchung, eine Falschbuchung. Das ganze Geld, das wir heute im Umlauf haben, könnte man aus diesem Grund absolut legitim als Falschgeld bezeichnen, da es durch eine Falschbuchung entsteht. Man muss sich das einmal vorstellen: konsequent gedacht ist der Betrieb einer Bank – der Bank, die der Wirtschaft Geld zur Verfügung stellt, um es dann vermehrt um Zinsen wieder zurück zu bekommen – ein Betriebsunfall. Das System kann überhaupt nicht funktionieren. Hat man das einmal begriffen, dann versteht man auch die Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Es bedeutet, wir müssen das, was wir heute als Geld bezeichnen, von Grund auf neu denken.
Solbach: Und warum macht der Staat so etwas mit?
Hörmann: Der Staat befindet sich in einer gefühlten Abhängigkeit. Die Repräsentanten des Staates verstehen eigentlich nur, dass sämtliche öffentlichen Gemeinschaften verschuldet sind. Sie führen das, fälschlicherweise, auf ihre eigene Unfähigkeit oder die Fehler ihrer Vorgänger zurück und sagen: Würden wir nur besser wirtschaften, dann wäre das nicht so. Das reden ihnen natürlich vor allem die privatwirtschaftlichen Unternehmer ein, wenngleich die selbst nie verstanden haben, wie ihre eigenen Bilanzen funktionieren. Denn dass sie Anlagevermögen überhaupt in der Bilanz in Form von Geldbeträgen ausweisen, ist schon ein Fehler. Dieses Geld ist ja bereits ausgegeben. Da Anlagevermögen nicht wie Umlaufvermögen verkauft wird, können Sie die Bewertung von Anlagevermögen in der Bilanz auch nie wissenschaftlich nachweisen. Jede Bewertung von Anlagevermögen in einer Bilanz ist reine Willkür und dient nur dazu, die Gegenbuchung, die Illusion des Eigenkapitals, zu ermöglichen. Eigenkapital hat überhaupt keine Existenz. Es ist alles Mögliche, nur kein Geld. Es ist eine Differenzgröße von willkürlich bewertetem Vermögen und Schulden. Sieht man von Handelsunternehmen ab, besteht der Löwenanteil der Aktivseite aus Anlagevermögen. Den Wert des Anlagevermögens kann ich in Wirklichkeit nur nachweisen, wenn ich liquidiere. Wenn ich aber das Unternehmen zerschlage, sind die Liquidationspreise natürlich nur ein Bruchteil der Bilanzwerte. So kann Eigenkapital in empirisch nachweisbarer, wissenschaftlicher Form überhaupt nicht existieren. Dieses Eigentum, dieses sogenannte Eigenkapital, das gar nicht existiert, sondern eine Rechengröße aus einer nicht nachvollziehbaren Bewertung ist, dient der Bank dann rein formal als Sicherheit, um für den Unternehmer Kreditgeld (also Schuldgeld) zu erschaffen, indem sie selbst sich endlos verschuldet. Diese Zusammenhänge einmal erkannt zu haben, macht den Kapitalismus und die freie Marktwirtschaft zum Witz. Wer das einmal verstanden hat, der kann unser System nicht mehr wirklich ernst nehmen.
Solbach: Würde verbindliche Beratung durch Wissenschaftler den Regierungen helfen? Oder sind diese nach ihrer Meinung so falsch ausgebildet, dass es keinen Sinn macht?
Hörmann: Das Problem liegt nicht in der Regierung, denn wie Seehofer in Deutschland so schön erklärt hat: die, die bestimmen in unserem System, die werden nicht gewählt, und die, die gewählt werden, die können nicht bestimmen. Das heißt, diese Zusammenhänge müssen – und zwar von der gesamten Bevölkerung – den Drahtziehern im Hintergrund klargemacht werden. Wenn die gesamte Bevölkerung dieses Wissen besitzt und das System aus diesem Grund ablehnt, dann können auch die sogenannten Mächtigen im Hintergrund nicht mehr mächtig sein, denn dann haben sie in Wirklichkeit keine Macht mehr. Dann wird das Geldsystem von der Bevölkerung verweigert und die Bevölkerung macht sich ein eigenes.
Solbach: Was ist Geld überhaupt?
Hörmann: Geld ist ganz sicher nicht das, was in den Büchern steht, nämlich kein Tauschmittel, kein Wertaufbewahrungsmittel und auch kein Wertmaßstab. Tauschmittel kann es aus logischen Gründen nicht sein, denn wer tauscht, der tauscht eine Sache A gegen ein Stück B, und dazu benötigt man schon mal kein Mittel. Wenn man sich auf eine Wertrelation verständigt und zum Beispiel sagt, zwei Birnen entsprechen dem Wert von einem Apfel, verwirklicht man eine Wertrelation, und das ist dann ein Preis. In Wirklichkeit hat man dann auch schon gekauft. Man sieht, dass wir auch für den Kauf gar kein Geld benötigen. Das heißt: einen selbst wieder werthaltigen Zwischenträger für Tausch- wie Kaufprozesse benötigen wir gar nicht.
Solbach: Und als Vereinfachung, weil man nicht immer rechnen oder mit Riesenlisten arbeiten kann?
Hörmann: Nein, nein. Es hat früher, über zehn
Jahre in China das sogenannte Fei Lun-System gegeben, das System
des ›Fliegenden Rades‹. Das heißt, sie sind einfach zum Händler
gegangen und haben anschreiben lassen. Daher kommt auch der
Ausdruck ›in der Kreide stehen‹. Es wurde ein Kreidekreis an die
Wand gemalt und es wurde der Schuldige mit einem Betrag
eingetragen, als Zahl. Später kam dann der Kunde mit einer anderen
Ware, gab sie dem Händler, man hat sich wieder auf einen Wert
geeinigt und um diesen Betrag wurde die Zahl im Kreidekreis dann
vermindert. So hat das funktioniert. Es hat auch unter der
mongolischen Besatzung wunderbar funktioniert. Die Mongolen haben
ja mit Gold und mit Stofflappen als Geld gezahlt und überhaupt
nicht begriffen, warum die Chinesen so prächtig weiter wirtschaften
konnten, obwohl sie nichts Wertvolles als Geld verwendet haben. In
der heutigen Zeit der Informationstechnologie und der Computer
verwenden wir ohnedies nur Bits und Bytes. Wir sind längst im
Informationsgeld, denn Buchgeld, ›Giralgeld‹, hat natürlich keinen
Wert. Unsere Euro-Scheine und unsere lustigen Metallscheiben, die
wir da in die Automaten stecken, haben auch keinen wirklichen Wert.
Und sie sind nicht einmal von etwas Werthaltigem gedeckt. Wer
behauptet, sie wären mit Wertpapieren oder mit Staatsanleihen
gedeckt, der müsste wissen, dass das Decken von Papier mit Papier
schon bei John Law nicht funktioniert hat. Das sind alles nur
Beschönigungen und Verwirrungsstrategien für die bildungsfernen
Schichten. Aufgeklärte Menschen können das nicht ernst
nehmen.
Wir sehen also: Tauschmittel, noch dazu universelles Tauschmittel,
kann es nicht sein. Das ist ein Gehirnwäschetrick, denn wer
behauptet, wir hätten ein universelles Tauschmittel, der redet den
Menschen erfolgreich ein, dass man selbst zum Tausch schon ein
Mittel braucht.
Solbach: Was psychologisch gesehen doch funktioniert. Die Leute fühlen sich gut, wenn sie Geld in der Tasche haben.
Hörmann: Genau dort müssen wir ansetzen. Diese
Gefühle müssen wir in der Bevölkerung verändern, damit sie nicht in
der Phase der Umstellung leidet.
Auch Wertmaßstab kann Geld nicht sein. Man gaukelt uns vor, das
Geld habe, insbesondere aufgrund der Wechselkurse, einen Eigenwert.
Wechselkurse sind eigentlich nur ein Geschäft für Spekulanten, denn
sie werden künstlich auseinander getrieben. Volatilität erzeugt
immer leistungslose Einkommen. Für realwirtschaftliche Unternehmen,
die in einem Land Rohstoffe kaufen und ins andere Land Produkte
verkaufen müssen, ist die Wechselkursschwankung die reine
Katastrophe. Sie müssen sich sehr teuer dagegen versichern. Sowohl
an der Spekulation als auch an den Versicherungen verdienen wieder
nur die Banken. Das heißt, das Geschäftsmodell der Banken besteht
darin, ein notwendiges universelles Mittel mit Eigenwert
vorzutäuschen, das wir weder brauchen noch haben. Das ist das
einzige zentrale Geschäftsmodell, das Banken heute bieten können.
So eine Art von Banken brauchen wir nicht. Wir können am Ende noch
einmal kurz darüber sprechen, was Banken heute wirklich tun
könnten. Die Transformation der Banken ist mir nämlich ein echtes
Anliegen. Wertmaßstab kann es, wie gesagt, nicht sein, weil es ja
keinen Eigenwert hat. Ein Meter ist die Länge, hat aber keine
Länge. Wenn man mit einem Maß nach Angebot und Nachfrage einen
Stapel Bretter und ein einzelnes Brett abmessen würde, dann hätte
ich ja, wegen der unterschiedlichen ›Nachfrage nach Zentimetern‹,
jedes Mal eine andere Länge. Das kann natürlich nicht
funktionieren.
Solbach: Dieser Sachverhalt ist nicht ganz einfach zu verstehen. Kann man es den Leuten deshalb einreden?
Hörmann: Völlig richtig. Vor allem sind unser
Schulsystem, die Universitäten, die sogenannten
Wirtschaftswissenschaften allesamt so konstruiert, dass genau diese
Fragen gar nicht gestellt werden. Die Frage nach dem Geld erscheint
nirgendwo in der gesamten Nationalökonomie.
Der letzte Punkt: ›Wertaufbewahrungsmittel‹. Da frage ich die Leute
dann immer, wie sie denn Dinge aufbewahren, die ihnen wirklich
wertvoll sind. Nur in dem einen Fall, dass sie sie alle gegen
Banknoten verkaufen und die Banknoten dann sicher einsperren, wäre
Geld ein Wertaufbewahrungsmittel. Aber man sieht sofort, dass das
nicht funktioniert.
Solbach: Der Staat, sagen Sie, überträgt den Banken das Recht, Geld zu erzeugen (»aus Luft zu schöpfen«), um sich bei ihnen in einem zweiten Schritt zu verschulden. Das klingt, als habe er die Möglichkeit, es anders zu halten. Das legt die Frage nahe, welche Not, welches Interesse oder welche Notwendigkeit den Staat dazu veranlasst, sich auf diese Praxis einzulassen und sie zu sanktionieren.
Hörmann: Der Staat hat sich in historischen Zeiten das erste Mal in die Klauen der Banken begeben, um es einmal so – etwas angriffig – zu formulieren. Das war noch zur Zeit des Adels und der Monarchie. Schon damals haben sich die Könige bei den Goldschmieden verschuldet – in erster Linie, um Krieg führen zu können. Die Goldschmiede waren natürlich jederzeit bereit, den Monarchen einen praktisch unbegrenzten Kredit zur Verfügung zu stellen, umso mehr, als der Monarch ihnen dann – auf ihren Vorschlag – das Recht der Geldschöpfung – also damals noch der Münzprägung – übertragen hat. Auf Grund dieses Monopols der Goldschmiede als Vorläufer der Banken ist es eine historische Tatsache, dass Monarchen und später dann auch die demokratischen Staaten bei den Bankern verschuldet sind. Das wurde einfach als Faktum zur Kenntnis genommen und nie hinterfragt.
Solbach: Eigenartig.
Hörmann: Nein, es ist nicht eigenartig, es ist das Ergebnis der Art und Weise, wie in der menschlichen Gesellschaft Wissen reproduziert und weiter gegeben wird. Es wird nicht hinterfragt, es wird nicht neu geschöpft, es wird – erstarkt in Institutionen – einfach kopiert. Das nennt man dann Bildung, aber es ist eigentlich der falsche Begriff dafür. Es ist Manipulation und Gehirnwäsche: das wäre der richtige Ausdruck. Daher sind unsere Bildungsinstitutionen – und das beginnt schon bei den Schulen – Gehirnwäscheinstitutionen, die die Menschen geistig versklaven und sie für unhinterfragte Autoritäten gefügig machen. Das ist ja auch der Grund, warum das Dritte Reich und solche Dinge möglich waren. Nur hat man leider Gottes diesen Zustand nach dem Zweiten Weltkrieg wohlweislich nicht behoben.
Solbach: Welche Rolle spielt die Konkurrenz der Staaten bei der Durchsetzung und Verteidigung eines Wirtschaftssystems, das mit statistischer Sicherheit auf ihren turnusmäßigen Bankrott hinausläuft? Mit anderen Worten: Steht es Staaten frei, ihr Wirtschaftssystem zu ändern, und wenn ja, welchen?
Hörmann: An sich könnte das jeder Staat. Jeder Staat hätte das Recht, selbst autonom die Geldschöpfung zu vollziehen. Man müsste nach den Spielregeln der Demokratie einfach eine Volksabstimmung durchführen. Der Slogan dafür wäre: ›Demokratie beginnt mit einem demokratischen Geldsystem‹. Leistung ist in der Tat etwas, was wir in der Gesellschaft brauchen werden. Man könnte, in Abwandlung eines Slogans, den eine Partei in Österreich immer verwendet, nicht sagen: ›Leistung muss sich wieder lohnen‹, sondern: ›Leistung muss sich erstmals lohnen‹. Denn was sich heute lohnt, ist Eigentum – Geld, das wieder mehr Geld erzeugt –, und das wird in über 75 Prozent der Fälle einfach geerbt. Daher wäre es für mich eine schöne Idee, das Erbrecht einfach komplett anzuschaffen. Denn nur dann, wenn ich weiß, dass ich meinen Kindern nichts vererben kann, werde ich mich auch wirklich nachhaltig für den gleichmäßigen Wohlstand aller Kinder in unserer Gesellschaft einsetzen. Dahinter steht eine absolute Logik. Wenn ich hingegen meinen Kindern mehr, und zwar deutlich mehr, vererbe, als der restlichen Bevölkerung zur Verfügung steht, dann muss ich meinen Kindern auch die Stacheldrahtzäune, die Bodyguards und die gepanzerten Limousinen zur Verfügung stellen. Das sind Zusammenhänge, die eigentlich ganz logisch sind, aber komischerweise auch in der öffentlichen Diskussion so nicht auftauchen. Ich frage mich wirklich, was das für ein politisches Parteiensystem sein soll, wenn genau diese Ansätze, die heute am drängendsten sind, nirgendwo in der politischen Diskussion auch nur ansatzweise erwähnt werden.
Jenseits des Schuldsystems
Solbach: Wie andere Kritiker der Deregulierung des Finanzsektors bestreiten Sie, dass reine Finanzgeschäfte, die mittlerweile den Hauptanteil der Weltwirtschaft ausmachen, Werte schaffen. Gleichzeitig betonen Sie den subjektiven bzw. rein spekulativen Charakter ökonomischer ›Werte‹, wie Sie am Beispiel eines Medikaments erläutern, das für den Gesunden keinen, für den Kranken hingegen einen hohen, eventuell lebensrettenden Wert besitzt. Eine Frage, die naiv anmuten mag, aber vielleicht an den Kern des Problems rührt: Was macht den Handel mit reinen Geldwerten, also etwa Derivaten, für bestimmte Personenkreise so wertvoll?
Hörmann: Im Prinzip ist das ganz einfach. Jedes
fungible Wertpapier, also jedes Wertpapier, das man relativ
problemlos gegen Geld weitergeben kann, stellt in Wahrheit nichts
anderes als eine verdeckte Geldmengenausweitung dar. Das beginnt
schon mit Aktien, geht zu den Anleihen und betrifft in letzter
Konsequenz natürlich auch die Derivate. Diese Geldmengenausweitung
begünstigt aber immer nur diejenigen, die dieses Spiel als erste
entwickelt haben. Unterm Strich sind all diese
Wertpapiererfindungen nichts anderes als Pyramidenspiele.
Pyramidenspiele halten, wie wir wissen, nicht ewig, sie brechen
irgendwann zusammen. Das heißt: der Pyramidenspieler, der
nachhaltig erfolgreich sein will, hat keine andere Wahl, als
laufend neue Pyramidenspiele zu erfinden und rechtzeitig vor dem
Zusammenbruch eines Pyramidenspiels in das nächste neu erfundene zu
wechseln. Es handelt sich also bei sämtlichen dieser Finanzmärkte
und ihrer Produkte um nichts anderes als verkettete
Pyramidenspiele, die einer bestimmten Gruppe in unserer Bevölkerung
eine unglaubliche Macht – gerechnet im alten Geldsystem –
einräumen. Sie verschwindet in dem Moment, in dem die Bevölkerung
das erkennt und sagt, wir als Demokratie messen dieser Form von
Papier keinerlei Werte mehr bei, insbesondere auch keinen Status
als Eigentumswert, denn Geld, das in Wirklichkeit ein Schuldschein
ist, kann nicht sinnvoll dazu verwendet werden, Eigentum zu
übertragen. Ich kann gegen einen Schuldschein nicht mein Eigentum
hergeben.
Man muss sich überlegen, wie das früher funktioniert hat.
Eigentlich war da der Goldschmied in der Schuld. Der Goldschmied,
der die Lager-, die Depotscheine hergegeben hat, musste eine
Sicherheit stellen dafür, dass er im Tresor etwas Werthaltiges,
Wertvolles, also echtes Gold hatte. Die Banken haben zu einem
bestimmten Zeitpunkt den Spieß einfach umgedreht. Sie verlangen
heute vom Bürger, also vom Kreditnehmer, eine Sicherheit, hängen
ihm aber selbst wertloses Papier an. Und wenn er kein wertloses
Papier mehr, vermehrt um Zinsen zurückzahlen kann, greifen sie auf
seine Sicherheiten, also auf sein Häuschen zu. Das ist kalte
Enteignung mit wertlosem Papier und das erfolgt momentan
flächendeckend in unserer Gesellschaft. Und das muss aufhören.
Solbach: Wie hängt denn dieses ›Pyramidenspiel‹ mit dem sogenannten Schneeballsystem zusammen, das in der Finanzkrise 2008 angeprangert wurde, und auf das auch jede Menge Reiche hereingefallen sind, z.B. auf diesen Herrn Madoff?
Hörmann: Wenn sie sich mit dem Fall Madoff
näher beschäftigen – da gibt es ein hervorragendes Buch von Harry
Markopolos, No one would listen. Es ist erstaunlich, dass
zum Beispiel die Quintessenz der Literatur, die heute darüber
verfügbar ist, in Talkshows und in politischen Diskussionen
nirgendwo erwähnt wird. Harry Markopolos war nämlich weder
FBI-Agent noch Mitarbeiter der amerikanischen Börsenaufsicht. Er
war Mitarbeiter bei einer Investmentfirma, Universitätsabsolvent,
also toll ausgebildet als Finanzberater, und sein Chef hat ihm die
Aufgabe gestellt, eine Anlagestrategie zu entwickeln, die jene von
Bernard Madoff kopiert. Er hat ihm gesagt, Bernard Madoff sei
vollkommen genial. Seine Kunden verdienten immer nur wenig, 6 bis 7
Prozent, aber das flächendeckend und durchgängig, egal, wohin der
Markt geht. Markopolos hat sich diese Performance in ihrer
geschichtlichen Entwicklung kurz angesehen und erkannt, dass das
einfach nicht gehen kann. Daher kam ihm sofort der Verdacht eines
Pyramidenspiels. Er hatte dann auch in kürzester Zeit sämtliche
Beweise dafür zusammen, ist damit dreimal zur amerikanischen
Börsenaufsicht gegangen und die sind einfach nicht tätig geworden.
Er beschreibt in dem Buch, dass er immer mit einer geladenen
Schusswaffe unterwegs war, seine Mitarbeiter geheim gehalten und
jedes Mal, wenn er in sein Auto einstieg, vorher den Wagen nach
Bomben untersucht hat. In höchster Lebensgefahr war er immer dann,
wenn er sich im Gebäude einer Bundesbehörde befand. Es gelang ihm
nur, Madoff dingfest zu machen, indem er sich an seine Kunden
wandte und ihnen erzählte, dass es sich um ein Pyramidenspiel
handelte.
Madoff wurde dann tatsächlich verurteilt, aber natürlich in allen
Ehren, mit Vorzügen und Vergünstigungen, wie man das mit solchen
Leuten in unserem System halt so macht. Er hat eine Strafe
erhalten, aber die Frage stellt sich, warum nur er? Warum nicht
alle anderen? Und das ist natürlich wieder ein Trick des Systems,
denn die Bevölkerung glaubt alle anderen wären ehrlich und keine
Pyramidenspieler, denn wären sie es, dann würde die Justiz auch
gegen sie vorgehen. Das genau ist der Trick, das war auch bei Enron
so. Die Bilanzbetrügereien von Enron sind systemisch. Was Enron
gemacht hat, haben praktisch alle anderen börsennotierten
Unternehmen auch getan. Bei Enron waren halt die Häufigkeit und das
Ausmaß deutlich erhöht Aber auch IBM und andere Firmen besitzen
Special Purpose Entities, die sie aus den Bilanzen
heraushalten. Sie hatten zwar nicht dreitausend wie Enron, aber
150, 200, 300 haben die anderen Konzerne auch. Und das ist der
entscheidende Punkt: es handelt sich beim gesamten Finanzmarkt,
schon beim Aktienmarkt, um nichts anderes als Pyramidenspiele. Auch
das verzinste Schuldgeldsystem ist ein System, das sich mit einem
demokratischen Rechtssystem nicht vereinbaren lässt.
Solbach: Geld- und Machtsystem hängen zusammen?
Hörmann: Nur solange die Bevölkerung an Geld glaubt. Denn dadurch, dass wir Geld empirisch gar nicht beweisen können, dass es nur funktioniert, solange wir daran glauben, ist es ja eine Religion. Und dadurch, dass wir es gesetzlich verwenden müssen, ist es eine Staatsreligion. Dadurch, dass die Leute das nicht wissen, ist es eine geheime Staatsreligion. Also: Unser Geldsystem ist eine geheime Staatsreligion, was auch ganz gut die ganzen Geheimbünde erklärt, die im Hintergrund mit ihren abartigen Vorstellungen agieren. Es ist eine geheime Staatsreligion, mit der die Bevölkerung versklavt wird. Und das hat einfach aufzuhören.
Solbach: Was kann man als Einzelner tun?
Hörmann: Als Einzelner kann man verschiedene Dinge tun. Der erste Schritt muss sein, sich selbst neu zu programmieren. Das heißt, von der Werthaltung, der Denkweise des Habens, in die Denkweise des Seins überzuwechseln. Das heißt einfach, geistig Inventur zu machen. Brauche ich, um mich glücklich und wohl zu fühlen, unbedingt Eigentum? Was bedeutet mir Eigentum?
Solbach: Das erinnert an Haben oder Sein von Fromm.
Hörmann: Selbstverständlich. Erich Fromm ist
die Literatur der Zeit. Er ist das, was wir jetzt benötigen, aber
wir benötigen es auf eine flächendeckende Art und Weise: eigentlich
eine Art Psychotherapie, flächendeckende geistige Hilfestellung für
die Bevölkerung. Die Reichen und Superreichen benötigen genau das
wahrscheinlich am stärksten. Denn sie leben heute in der
Vorstellung, so weit über der durchschnittlichen Bevölkerung zu
stehen, dass sie allein schon die Idee ›Irgendwann stehen wir alle
auf Augenhöhe‹ sowohl geistig wie psychisch nicht aushalten. Ich
plädiere dafür, dass wir das jetzt in die Hände von fähigen
Psychologen, Sozialpsychologen etc. legen und dass diese Menschen,
die wissen, wie Psyche funktioniert, und Kommunikationstheoretiker
gemeinsam mit Informatikern, Mathematikern, also Wissenschaftler,
die nicht Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler sind, ein Gremium
bilden, um eine funktionierende egalitäre Gesellschaft zu
konstruieren. Das ist möglich, wir haben schon sehr viele gute
Vorschläge ausgearbeitet. Im Prinzip geht das. Als ein ganz
zentraler Punkt schwebt uns vor, nicht mehr Geld, sondern
unmittelbar Gutscheine auf Waren und Dienstleistungen als
Zwischenmedium zu verwenden. Abgesichert werden müssen wir zunächst
einmal mit einer Art bedingungslosem Grundeinkommen – das ist ganz
klar. Wir benötigen den Zugriff, aber nicht auf Geld, sondern auf
Waren und Dienstleistungen für das tägliche Leben. In dem Moment,
in dem diese Gutscheine in den Verkehr kommen, muss sichergestellt
sein, dass es die Kapazitäten gibt, das in absehbarer Zeit für die
Bevölkerung zu produzieren. Jeder, der einen Gutschein erhält, wird
im gleichen Moment zum Prosumenten. Ein Prosument ist eine
Kombination von Produzent und Konsument. Er kann mitarbeiten. Er
erfährt zum Beispiel, wenn er den Gutschein für ein Kraftfahrzeug
erhält, den Grund für einen Engpass in der Supply Chain,
der Prozesskette – also, warum er den Wagen erst in sechs Monaten
erhalten kann. Wenn er jetzt eine gute Idee hat, wie man den
Engpass überwinden kann, indem man zusätzliche Leute herbeizieht,
eine andere Arbeitstechnik anwendet oder anderes Material verwendet
oder was auch immer, erhält er als Belohnung gleich wieder einen
neuen Warengutschein. Damit wird für ihn auch die nächste
Warenprozesskette offen gelegt und er kann dort helfen, mit zu
optimieren.
Das heißt, wir sollten in der neuen Gesellschaft komplett davon
absehen, ein Leben lang immer den gleichen Beruf auszuüben.
Stattdessen sollten wir in offenen Netzwerken kooperieren und immer
das tun, was wirklich notwendig ist, weil wir dann auch ganze
Menschen werden. Dann haben wir es mit Menschen zu tun, mit Natur,
mit Technologie, mit allen möglichen Dingen, und holen uns für
nachweisliche Verbesserungen immer bessere Belohnungen ab. Bei
einer solchen Verbesserung geht es nicht um Mengengrößen, also
nicht um ein Mehr von irgendetwas, sondern wir nennen die neue
gesellschaftliche Bewertungsfunktion ›ökosoziales Minimieren‹. In
der Geschichte war die erste quantitative Größe in der Ökonomie die
Anzahl durch den Einsatz von Dampfmaschinen eingesparter
menschlicher Arbeitsstunden. Leibniz war der erste ökonomische
Politikberater beim russischen Zaren und beim deutschen Kaiser. Er
hat diesen Leuten erklärt, wie sich durch den Einsatz einer
Dampfmaschine menschliche Arbeitsstunden einsparen lassen. Das
genau ist der Punkt. Wir müssen davon wegkommen, das Paradies in
der Maximierung materiellen Eigentums für einzelne Individuen zu
sehen. Potenziell sind schon unsere individuellen Wünsche nach oben
unbegrenzt. Ein Paradies, das wir so verstehen, wird auf einem
Planeten mit begrenzten Ressourcen nie möglich sein, daher muss es
ewig im Jenseits bleiben. Wenn wir aber die Zielfunktion umdrehen,
wenn wir sagen, es geht nicht um die Menge und das Haben, sondern
es geht zum Beispiel darum, alle negativen Aspekte, die wir heute
in unserer Gesellschaft finden, zu minimieren, dann stellt dort
›Null‹ die natürliche Grenze dar. Wenn wir alles Negative in der
Gesellschaft zum Verschwinden bringen, dann ist das eine sehr
schöne Definition für ein Paradies, unabhängig von knappen
Ressourcen. Das ist etwas, was wir sofort leisten können.
Solbach: Setzen Sie da nicht ein sehr positives Menschenbild voraus?
Hörmann: Ich setze einfach nur voraus, dass die Menschen logisch denken können, und dass sie vernünftige Argumente rational nachvollziehen können. Es gibt, wenn man diese Zusammenhänge verstanden hat, kein rationales Argument mehr, das uns in diesem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem halten könnte. Alle Vernunftgründe sprechen dagegen und das neue System lässt sich sogar schon entwerfen und entwickeln.
Solbach: Aber ob die Menschen immer so auf die Vernunft hören? Wie bekommt man sie dazu?
Hörmann: Natürlich ist der letztgültige Entscheidungsgrund die Emotion, das ist keine Frage. Deshalb müssen wir den Menschen helfen, diesen Schritt bewusst zu gehen. Wir stehen ja auch dafür ein, die Schulen in der heutigen Form abzuschaffen, um schon den Kindern im ersten Schritt beizubringen, mit den eigenen Gefühlen und den Gefühlen anderer Menschen richtig umzugehen. Das ist die Voraussetzung für gelingende Kommunikationsprozesse. Hier liegt vielleicht der grundlegende Fehler der Maslowschen Bedürfnispyramide, die nie empirisch nachgewiesen wurde, jenes später von den Marxisten so salopp formulierte ›Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral‹. Auch der Kapitalismus und die freie Marktwirtschaft gehen davon aus, dass wir erst die Menschen rundum versorgen müssen, damit sie dann, aus diesem Grund, glücklich sein können. Auch da sieht man wieder die Gleichheit der Ansätze. In Wahrheit ist Glück ein chemischer Prozess, ein hormongesteuerter Prozess in unserem Gehirn. Daher ist ›Glücklich sein‹ eine erlern- und optimierbare Fähigkeit. Wer diese Fähigkeit erlernt hat, der kann unabhängig von den äußeren Umständen glücklich sein. Wer diese Fähigkeit aber nicht trainiert hat, der ist auch nicht glücklich, egal wie großartig die äußeren Umstände auch sein mögen. Und es ist so, dass Menschen, die diese Form von Glück trainiert haben und sich selbst vermitteln können, automatisch sozial sind. Sie sind nicht gierig, sie sind fähig, mit Menschen aus anderen Kulturkreisen oder anderen sozialen Schichten gelingende Kommunikationsprozesse zu vollziehen. Daher ist Glück nicht das Ziel unserer Gesellschaft, sondern der Weg. Es ist die Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft. Daher muss Glück am Anfang unserer Ausbildung stehen. Das Beherrschen und das Respektieren von Gefühlen, die richtige Steuerung dieser Gefühle ist die Grundlage für Kommunikationsprozesse und für friedliche Kooperation.
Solbach: Was ist dann das Ziel der Gesellschaft? Die Leute brauchen ja auch immer ein Ziel und einen Sinn.
Hörmann: Das ist jetzt der wichtige Punkt: die
menschliche Evolution zu unterstützen. Das ist etwas, was wir
bisher nie hatten. Zum Beispiel hat unsere heutige Gesellschaft
keine Zielfunktion. Wir maximieren finanzielle Werte, herunter
gebrochen auf verschiedene Einheiten in unserer Gesellschaft. Das
kann kein sinnvolles Ziel sein. Wenn wir eine gelingende
Gesellschaft konstruieren wollen, dann muss sie die menschliche
Entwicklung unterstützen. Das gelingt meiner Meinung nach am
besten, indem sie die individuelle Entfaltungsmöglichkeit
optimiert. Wenn jeder Mensch seine Fähigkeiten optimal entfalten
kann und die eigene Neigung und die Ergebnisse dieser Tätigkeit mit
optimalem Gemeinschaftsnutzen in die Gesellschaft eingebracht
werden, haben wir genau die Gesellschaft, die wir immer haben
wollten. Das ist dann auch eine, die automatisch mit der Natur und
mit der Umwelt im Gleichklang steht. Da greift dann wieder das
›ökosoziale Minimieren‹, sobald wir uns selbst als biologische
Prozesse verstehen und erkannt haben, dass biologische Prozesse uns
genetisch laufend verbessern. Wie das zum Beispiel eine
Gentechnikerin in den Vereinigten Staaten schon macht, die durch
Viren auf biologischen Kulturen heute Handy-Akkus und Solarzellen
züchtet, diese Solarzellen sind schon die leistungsfähigsten der
Welt. Wenn wir uns um tote Materie zanken und die Weltbevölkerung
weiter steigt, dann kommen wir irgendwann hoffnungslos in den
Ressourcenkrieg. Wenn wir aber Lebewesen so programmieren, das sie
in einer Form von Symbiose uns immer genau das zur Verfügung
stellen, was wir selber brauchen, dann werden wir automatisch von
der Natur erhalten, weil wir ja selbst auch Lebensprozesse sind.
Wir müssen also vom Denken in toter Materie dort auf Lebensprozesse
umstellen, wo wir beispielsweise mit unseren täglichen Gegenständen
zu tun haben. Ein Auto zum Beispiel, das sich nach einem Unfall
selbst heilt, ist optimal. Solche Dinge sind herstellbar.
Das Ganze ist nichts anderes als sehr altes Kulturwissen. Man kann
das zum Beispiel nachlesen in dem Werk The Economics of
Abundance von Wolfgang Hoeschele. Einer der ersten, die die
Ökonomie des Überflusses in dieser Weise gedacht haben, man kann
sagen, ein Überflussökonom, der auf Symbiose, auf Lebensprozesse
zielte und die Bevölkerung entsprechend unterrichten wollte, war
übrigens Jesus, der gesagt hat: »Sehet die Vögel, sie säen nicht,
sie ernten nicht und unser himmlischer Vater erhält sie doch«. Auch
dass er die Geldwechsler aus dem Tempel verjagt hat, zeigt, dass
wir nicht in der toten Materie nach Zielen suchen dürfen, wenn wir
selbst aber doch Lebensprozesse sind, sondern uns mit den uns
umgebenden Lebensprozessen arrangieren, die Umwelt daher in Form
von Lebensprozessen gestalten müssen. Wenn wir es so verstehen, so
geistig begreifen, dann arrangieren wir uns von selbst.
Solbach: Ihr Vorschlag, das heutige Geldsystem zu substituieren, basiert nicht zuletzt auf den in den letzten Jahrzehnten geschaffenen digitalen Kommunikationsmöglichkeiten, insbesondere den Möglichkeiten, die durch die globalen Netze bereitgestellt werden. Sowohl Produktions- als auch Konsumverhältnisse bedürfen der Steuerung, wie sie der Begriff der ›unsichtbaren Hand‹ für die Selbstregulierungsprozesse des Marktes benennt. In diesem Zusammenhang spielt der Begriff der ›Schwarmintelligenz‹ bei Ihnen eine hervorgehobene Rolle. Wodurch unterscheiden sich unsichtbare Hand und Schwarmintelligenz? Was garantiert, dass Schwarmintelligenz nicht in ähnlicher Weise ökonomische Fehlentwicklungen generiert wie die unsichtbare Hand?
Hörmann: Also: die ›unsichtbare Hand‹ ist eigentlich nur ein Begriff ohne Erklärungsmodell dahinter. Man verlässt sich einfach darauf, dass etwas sich selbst regelt. In letzter Konsequenz – versucht man, das auch literaturhistorisch nachzuvollziehen – wird bei Smith ja wirklich auf die Hand Gottes vertraut.
Solbach: Das heißt, das ist ein Glaubensartikel?
Hörmann: Die ›unsichtbare Hand‹ ist ein
Glaubenssatz, eine religiöse Grundlage, es gibt keine auch nur
ansatzweise erklärbare Konstruktion, keinen Mechanismus, keinen
Zusammenhang, wie dieser Ausgleich konkret vonstattengehen sollte.
Daher kann nach dieser Theorie heute auch niemand steuernd
eingreifen. Das ist unser Problem. Wenn wir aber verstanden haben,
wie beispielsweise Informationsnetze funktionieren – da nehmen wir
als Bespiel das menschliche Gehirn, sein neuronales Netz –, dann
sehen wir, dass dort immer gleiche Knoten auf einer Ebene
miteinander vernetzt sind. Es gibt dort keine Machthierarchie, in
der eine Masterzelle den anderen Pläne vorgibt und sich dann
irgendwelche Berichte vorlegen lässt, sondern bloß eine zeitliche
Sequenzierung der Signalfolgen durch Gehirnteile unterschiedlichen
stammesgeschichtlichen Alters. Machthierarchien mittels Plan und
Kontrolle sind hingegen rein menschliche Vorstellungen. Wenn wir
einmal erkannt haben, dass auch wir selbst nur Teile eines globalen
Netzes sind, wie das durch das Internet etwa heute repräsentiert
ist, dann müssen wir auch verstehen, dass durch die
Kommunikationsform ›Internet‹ momentan eine neue Intelligenz
entsteht. Das ist die Intelligenz des global brain. Die
global vernetzte Menschheit organisiert sich selbst, aber nach
Grundsätzen, die wir als Menschen in unserem Einzelhirn nicht
nachvollziehen können, weil das ein emergentes Prinzip, ein
Emergenzprinzip ist. Wir selbst sind auf einer niedrigen Schicht
Knoten in diesem Netz und die Gesetze, nach denen sich das Netz
selbst steuert, sind uns daher nicht einsehbar. In der alten Zeit
hat man dafür den Platzhalterbegriff ›Gott‹ verwendet. Die
Menschen, die in ihrem einfachen Kopf etwas nicht verstehen
konnten, haben gesagt, irgendjemanden muss es aber geben, der das
versteht, das ist natürlich das höchste Wesen, also: Gott weiß
es.
Wir heute haben einen etwas anderen Zugang, müssen aber demütig
genug sein sagen zu können, ein einzelner Mensch kann
Schwarmintelligenz nicht verstehen, wenn er selbst Teil des
Schwarms ist. Wir können aber genau erkennen, welche
Voraussetzungen vorliegen müssen, damit Schwarmintelligenz an sich
funktioniert. Es muss ein Kommunikationsprozess zwischen gleichen
Knoten sein, weil dann die Informationen unverfälscht und in
Echtzeit transparent und klar weitergegeben werden. In unseren
Hierarchien werden die obersten Schichten ja immer von unten her
angelogen, sie haben in Wirklichkeit keine ungestörte
Kommunikation. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen zum Ausklang noch
eine kleine Geschichte dazu erzählen, da geht es dann in meine
persönlichen Glaubenssätze hinein, die ich nicht wissenschaftlich
belegen kann, die aber sehr wohl dazu beitragen zu verstehen, von
welcher Seite ich die Wissenschaft sehe.
Solbach: Ich stelle Ihnen noch die beiden nächsten Fragen und dann erzählen Sie Ihre Geschichte.
Hörmann: Aber gerne.
Solbach: Ihre Vorschläge für eine ›ökosoziale‹, nachhaltige Wirtschaftsweise erinnern entfernt an die Ideen des eigenwilligen französischen Theoretikers Charles Fourier aus dem 19. Jahrhundert: Beendigung des zinsbasierten Wirtschaftens, Produzieren und Wirtschaften nach ›Neigung‹, also auf der Grundlage des Lustprinzips, Resozialisierung der Gewinne. Wie Fourier stehen Sie vor dem Problem der Umstellung: die Menschen, insbesondere die Regierungen, sollten den Vorteil erkennen, den die andere Form des Wirtschaftens bietet, und spontan zu ihr übergehen. Davon ist weit und breit nichts zu sehen. Man könnte von einem Wunder der Transformation sprechen. Sind Sie Utopist?
Hörmann: Nein, ich bin Realist, weil ich
erkenne, dass wir heute in einer historisch völlig anderen
Situation sind als damals. Damals konnte Information noch relativ
einfach gelenkt, gesteuert und auch unterschlagen, also behindert
werden, weil man die Druckmedien im Eigentum hatte. Informationen,
von denen man nicht wollte, dass die Bevölkerung sie erfährt, hat
man einfach nicht in die Zeitung gegeben. Die wurden auch in
öffentlichen Ansprachen nicht gebracht, dafür konnte man sorgen. So
ist sehr viel von dem, was man damals schon wusste, was
intellektuell hochstehende Persönlichkeiten damals schon wussten,
in der Konsequenz unbeachtet geblieben. Dieses Wissen hat sich dann
in sogenannten Geheimgesellschaften gehalten, die leider Gottes
selbst teilweise wieder instrumentalisiert und von
Interessengruppen unterwandert wurden, die vom bestehenden System
profitieren. Aber, wie gesagt, dort hat sich dieses Wissen noch
gehalten. Heute haben wir eine völlig andere
Informationsinfrastruktur.
Jetzt muss ich Ihnen ganz einfach und wissenschaftlich erklären,
was Apokalypse bedeutet. Viele bezeichnen mich in Zeitungen, in
Interviews als Apokalyptiker und sie haben damit auch vollkommen
recht. Apokalypse ist nichts anderes als Offenbarung, Enthüllung.
Das ist ein notwendiger Entwicklungszustand, der immer dann
eintritt, wenn eine technische Zivilisation diese Entwicklungsstufe
erreicht, auf der sie sich in einem technischen Informationsnetz
global vernetzt. Historisch haben sich immer bestimmte
Entwicklungen abgespielt, aber es gab immer Informationsinseln –
das berühmte Betriebsgeheimnis. Wenn ein Händler bei A billig
einkauft und an B teuer verkauft, dann funktioniert dieses
Geschäftsmodell nur so lange, wie A und B einander nicht kennen und
jeder glaubt, dass er von diesem Händler als Zwischenhändler
abhängig ist. Solange also in unserer Gesellschaft eine
inselförmige Informationsinfrastruktur existiert und wir
Betriebsgeheimnisse bewahren können, funktioniert die Strategie der
Konkurrenz und der Informationsasymmetrie (von Menschen, die keine
Wirtschaftsakademiker sind, auch ›Betrug‹ genannt) als
Geschäftsmodell.
Solbach: Fourier ist daran gescheitert, dass er keine Kapitalgeber gefunden hat.
Hörmann: Ganz genau. Solche Leute hat man
damals fallen gelassen. Denken wir an Nikola Tesla, der fallen
gelassen wurde, weil er bei der kabellosen, drahtlosen
Stromübertragung nicht sagen konnte, wo der Stromzähler eingebaut
wird. Das sind die klassischen Wirkmechanismen, die man damals zur
Anwendung brachte. In Zeiten des Internets geht das nicht mehr.
Diese Ideen und Gedankenmuster streuen heute aus, sie streuen
unkontrollierbar aus und erzeugen ein neues Phänomen der Emergenz,
das den Anhängern der Pyramide, also der Hierarchie, nicht vertraut
ist. Sie bezeichnen das abfällig als Chaos. Aber in Wirklichkeit
ist es das Grundprinzip der Selbstorganisation. Diejenigen, die
diese Prinzipien verstehen, wissen auch, was jetzt zu geschehen
hat, damit die Gesellschaft sich richtig weiter entwickelt. Das ist
eine neue Phase, wir treten ein in die Phase der
Gesellschaftskybernetik, der sich selbst steuernden Gesellschaft.
Durch das Internet verfügen wir heute über ein globales Netzwerk,
das heißt, über eine andere Informationsinfrastruktur, was
bedeutet, dass fast jeder Teilnehmer zum selben Zeitpunkt die
gleiche Information besitzt. Das wiederum heißt zum Beispiel, dass
schon vollkommene Kapitalmärkte nicht mehr funktionieren.
Wenn ich ein Wertpapier habe, das 100 wert ist, dann ist das auch
für jeden anderen am Markt genau 100 wert. In diesem Fall wird das
keiner mehr kaufen oder verkaufen, weil niemand einen Gewinn
erzielen kann. Alle verlieren nur ihre Transaktionskosten. Aus
diesem Grund brechen heute die Geschäftsmodelle des klassischen
Händlers zusammen. A und B kennen einander plötzlich und brauchen
daher den Händler nicht mehr, weil sie ihr Geschäft direkt
abschließen können. Solange in früheren Zeiten der Händler
gleichzeitig auch gelagert hat, Spediteur war, etwas versichert hat
oder vielleicht eine Ware weiterverarbeitete, hat er aus diesen
anderen Gründen eine sinnvolle Funktion erfüllt. Heute sind alle
hochspezialisiert, heute nimmt jeder das separat wahr und der
Händler, der wirklich nur noch kauft und verkauft und sonst nichts
mehr zu tun hat, ist überflüssig – der reine Parasit. Und das wird
erkannt. Diese Leute sind aber in der menschlichen Geschichte sehr
reich geworden, besonders diejenigen, die beispielsweise mit Geld
handeln, also mit wertlosen Symbolen, die einen Wert nur
vortäuschen. Ganze Familiendynastien wurden unglaublich reich und
mächtig aus diesen merkwürdigen Symbolspielen heraus. Wenn das in
der Gesellschaft nennenswert streut, dann kommt es zum Umbruch.
Solbach: Das setzt voraus, dass das Netz störungsfrei oder vernünftig funktioniert. Aber es gibt heute schon Hacker, es gibt Viren, Vorgänge wie die Störung des iranischen Atomprogramms, Geheimdienste, die gezielt Desinformationen streuen usw.
Hörmann: Das sind relativ geringe Störungsmaßnahmen. Aufs gesamte Netz bezogen fallen die in einen ganz kleinen Bereich des Hintergrundrauschens. Ein bestimmtes Niveau an Hintergrundrauschen hat man immer. Aber das beeinträchtigt nicht die Funktionsfähigkeit des gesamten Netzes. Wir können heute auch nicht mehr das gesamte Netz abstellen.
Solbach: Die Fehlinformationen kommen bei Leuten an, die nicht unbedingt dafür ausgebildet sind, sie als solche zu erkennen.
Hörmann: Das ist schon klar. Da wirkt dann das empirische Prinzip der Wissenschaft. Diese Leute werden irgendwann aus praktischem Erleben dahinter kommen, dass es so nicht funktioniert. Denken Sie an viele Medikamente aus der Pharmaindustrie, von denen die Patienten heute schon wissen, das hilft in Wirklichkeit nicht oder es wirkt kontraproduktiv, es hat Nebenwirkungen, aber keine positiven Wirkungen. Also: die Menschen werden diesbezüglich schon kritischer, weil sie sich insbesondere in Patientenforen usw. auch austauschen können und dort ihre Erfahrungen abgleichen.
Solbach: Sie sprechen also von langwierigen Prozessen, keinen, bei denen es von jetzt auf gleich geht.
Hörmann: Was das Geldsystem betrifft, so wird es sehr schnell gehen, weil alle davon in einem so mächtigen Ausmaß betroffen sind, dass es wirklich im ersten Moment, wenn die Welle um den Globus rennt, quer durchs Netz, einfach zur Ratlosigkeit führen wird. Extreme Betroffenheit und Ratlosigkeit sind in diesem Fall unvermeidbar. Es kann auch dazu kommen, dass ein großer Teil der Weltwirtschaft kurzfristig einfach einmal stillsteht, weil man nicht absieht, ob man überhaupt noch produzieren kann, wenn man weiß, es gibt keine Gegenwerte. Wir sind ja alle so konditioniert, dass wir nicht bereit sind, eine Leistung zu erbringen, wenn uns niemand einen äquivalenten Gegenwert versprechen kann. Das ist die erste Regel, die wir sofort brechen müssen, denn sonst verhungern wir in Wahrheit.
Solbach: Und das unentwegte Wachstum...
Hörmann: Das ist sowieso ad acta zu legen. Das erledigt sich von alleine. Wenn wir aufhören, mathematisch mit Geld zu rechnen, dann ist diese Art von Schummelei auch nicht mehr notwendig. Das Wachstum hat es in Wirklichkeit zu einem großen Teil gar nicht gegeben, das wurde ja künstlich in den Berechnungen erzeugt, vor allem z.B. in den bilanziellen Bewertungen. Das haben wir dann nicht mehr nötig, insofern wird es eine ehrlichere Gesellschaft. Ein Lernprozess und damit eine Wissensgesellschaft kann ja nur von ernst gemeinten, ehrlichen Informationen leben. Wir können uns nicht pausenlos gegenseitig anlügen und dahinter dann einen gesellschaftlichen Fortschritt vermuten.
Solbach: Eine persönliche Frage zum Schluss: Welchen Rat geben Sie den Abgeordneten des deutschen Bundestages für die anstehenden Entscheidungen zur Euro-Sanierung mit auf den Weg?
Hörmann: Als erstes würde ich sie wirklich in die Pflicht nehmen, sich ausreichend zu informieren. Es ist dabei vollkommen egal, ob sie unser Buch (»Das Ende des Geldes« von Hörmann und Pregetter) lesen, ob sie sich das Wissen aus dem Internet aneignen oder aus einem anderen guten Buch. Es gibt genügend gute Literatur, die diese Zusammenhänge offenlegt. Am Geldschöpfungsprozess und dem Problem, dass das Geldsystem an sich in einem für die breite Bevölkerung immer deutlicheren Ausmaß nicht mehr funktioniert, kann die Politik heute nicht mehr vorbei sehen. Wer glaubt, das aussitzen zu können, der beschädigt nachhaltig sämtliche Institutionen, für die er steht, also Banken, große Unternehmen, Verbände, Parlamente usw., denn deren Glaubwürdigkeit bricht damit genauso zusammen.
Abschließend noch die kleine Geschichte. Sie können das gerne
nachvollziehen: es gibt im Internet auf YouTube eine kurze Sequenz,
ich glaube, es sind eineinhalb Minuten, in denen Erich von Däniken
eine kleine Geschichte erzählt. Suchen Sie nach »EvD«, der Zahl 666
und »www«, geben Sie die drei Begriffe in die Suchleiste von
YouTube ein, dann sind Sie gleich bei diesem Vortrag.
Erich von Däniken erzählt dort, dass er bei Vorträgen gelegentlich
die Offenbarung des Johannes erwähnt und die schrecklichen Dinge,
die dort passieren. Alles das geschieht angeblich, »wenn alle
Menschen die Zahl 666 in der Hand halten oder sie am Kopf tragen.
Wer diese Zahl nicht besitzt, wird weder kaufen noch verkaufen
können und aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen sein.«
Nach einem dieser Vorträge kam angeblich ein Rabbiner zu ihm und
sagte: »Wissen Sie, wie man die Ziffer 6 auf Hebräisch schreibt?«
Erich von Däniken hat das nicht gewusst. Im hebräischen Alphabet
sind Ziffern gleich Buchstaben, daher können sie die Bibel auch als
Zahlencode interpretieren. Der sechste Buchstabe ist das Waw (ו),
das als ›w‹ transkribiert wird. Somit kann man 666 auch als »www«
interpretieren. Wer das tut, erlebt dann etwas Spannendes: »Zu der
Zeit, in der alle Menschen das www in der Hand haben oder am Kopf
tragen werden und der, der es nicht hat, weder kaufen noch
verkaufen kann und aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen
wird, kommt die Apokalypse.« Erich von Däniken sagt, da sei es ihm
kalt über den Rücken gelaufen, und dann ist die Sequenz zu
Ende.
Da muss man aber natürlich noch weiter denken. Man muss zuerst
einmal erkennen, was ›Apokalypse‹ bedeutet, denn es ist ja die
Offenbarung, die Enthüllung. Sämtliche intelligenten Zivilisationen
haben das Problem, dass sie eine Zeit lang in Machtpyramiden
gefangen sind, in Hierarchien, und man erkennt, dass Hierarchie aus
informationstheoretischer Sicht ungeeignet ist, weil die unteren
Schichten die oberen belügen. Niemand an der Spitze einer Pyramide,
einer Hierarchie, kennt den wahren Zustand des gesamten Systems zum
selben Zeitpunkt. Der Überbringer der schlechten Botschaft wird
geköpft. Es wird einfach gelogen. Aus diesem Grund brechen in dem
Moment, in dem eine globale Vernetzung wie das www entsteht,
sämtliche Machtpyramiden in der Gesellschaft zusammen. Das ist ein
universelles Naturgesetz sämtlicher intelligenten Zivilisationen im
Kosmos. Das ist ein Naturgesetz der Kommunikation. Daraus erkennt
man, was die Apokalypse noch ist außer Enthüllung und Offenbarung,
wie wir sie jetzt in Wikileaks und anderen
Anti-Korruptionskampagnen erleben: der Zusammenbruch der
›göttlichen Ordnung‹. Nun muss man wissen, was ›heilige Herrschaft‹
auf Altgriechisch heißt. Die ›heilige Herrschaft‹ heißt ›hieros
archein‹ und das sind die Hierarchien. Der Ausbruch des Chaos ist
die sich selbst nach den Chaosprinzipien eines neuronalen Netzes
steuernde Gesellschaft. Das ist der wirkliche Zusammenhang dessen,
was heute in der Menschheit passiert. Die Menschheit, wie viele
andere Zivilisationen auch in ihrer Geschichte, steht durch eine
globale Informationsvernetzung einfach an diesem historischen
Punkt. Hierarchien als Steuerungsinstrumente versagen aus
informations- und kommunikationstheoretischen Gründen und ein neues
Steuerungsprinzip, das auf Chaosprinzipien und Emergenz beruht –
Schwarmintelligenz ist ein Teil davon –, greift Platz. Das braucht
natürlich andere Instrumente, da gehören dann eben auch Emotion und
empathische Kommunikation dazu und nicht die Vorgabe eines auf
Zahlen gestützten Plans, den ein einzelner Mensch in seinem Kopf
entwirft und den anderen dann aufgrund seiner Machtposition einfach
vorgibt und das dann kontrolliert. Diese Vorgangsweise ist
eigentlich Planwirtschaft, die wir aber auch haben, denn wir planen
auf der Konzernebene. Im Ostblock plante man auf Länderebene und
unsere Konzerne sind ja teilweise viel größer als Länder. Ein
Fünfjahresplan eines Konzerns ist genauso unsinnig, wie es ein
Fünfjahresplan für die UdSSR seinerzeit war. Er wird aber genauso
exekutiert und daran erkennen wir wieder: es ist das gleiche
System. Es ist ein Planungs- und Kontrollsystem, das über
individuelle Einzelhirne in einer Machtpyramide funktioniert. Diese
Einzelhirne sind, da sie selbst nur Informationsknoten sind, nicht
imstande, die Emergenz des globalen Netzes, dessen Teil sie selbst
sind, zu verstehen. Das ist die ganze, einfache Erklärung.
Solbach: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.