Vom
Enden der Kunst heute spreche ich unvermeidlich im Anschluss an Dieter
Henrich. In seinem Zugriff schlägt das Fragen nach dem Enden
von
Kunst und Subjektivität in hochreflexiver Weise
selbstwiderlegend
aus. Henrich bindet die Kunst an das Subjekt. Damit entsteht sie in
einer Dynamik zwischen beschränkter, endlicher Suche und der
Möglichkeit des Erfahrbarmachens eines kleinen oder, logisch
und
erfahrungsmäßig, auch
unverhältnismäßig
großen Abschnitts des unendlichen Unausgeschöpften.
Subjektivität bestätigt Henrich als Modus des
(endlichen)
Lebensvollzugs, der
›in einem Wissen von sich selbst
steht‹ und dessen ›Aktionen unter der
Voraussetzung eines
solchen Wissens von sich‹ (Henrich 2003, S.14) organisiert
sind.
Der Grund des Selbstbewusstseins bleibt jedoch dunkel und das Subjekt
somit der Selbstdeutung bedürftig. Als ein Modus der
Selbstverständigung mit bestimmten Eigenschaften wird die
Kunst
verankert.
›So ist die
Fähigkeit, die sogenannte
objektive Welt von den eigenen Meinungszuständen zu
unterscheiden,
ganz davon abhängig, dass wir Gedanken haben, in denen wir von
uns
als von uns selbst etwas wissen. Darin liegt, dass die Subjektstellung
von Subjekten und ein Gedanke von der Natur notwendigerweise zusammen
eintreten, dass es aber irreführend wäre, beide aus
einer
schon vorausgesetzten Korrelation zwischen Subjekt und Objekt
verständlich machen zu wollen. Damit ist auch schon angezeigt,
dass sich vom Subjektsinn her noch mehr begreifen lässt als
nur
das, was im Gedanken von einem, der von sich selbst weiß,
für sich allein schon mitgedacht ist.‹ (ebd. S.15)
Dies
verweist auf die transzendentale Vorgeschichte des Ich in der Natur,
die keinen Grund dafür erkennen lässt, dass
›ein Leben
im Wissen von sich aufkommt‹ (ebd. S.17) und somit keinen
Anhaltspunkt für einen Sinn dieses Lebens als den selbst zu
suchenden, in der Möglichkeit der Selbstbezugnahme angelegten,
hergibt.
Aus aktuellem Anlass ein Einschub zum
Verhältnis Natur und Subjektivität bei Henrich: Henrich
lehnt eine Erforschung der natürlichen Grundlagen von
Subjektivität keineswegs per se ab, wie eine sehr
populäre
Schrift in konstruktivem Kontext behauptet. ›Tatsachen [...]
auf
die sich die naturalistische Erklärung der
Subjektivität
stützt‹ (Henrich 2007, S. 175) müssten
selbstverständlich von jeder darüber hinausgehenden
Untersuchung respektiert werden, so Henrich an vielen Stellen. Henrich
sieht nicht nur die bisherigen Befunde der empirischen Forschung als
unproblematisch für den Subjektbegriff an, (vgl Henrich, 2006,
S.207), am Ende seines großen Artikels
Selbstbewusstsein in
Hermeneutik und Dialektik wünscht er geradezu eine
naturwissenschaftliche Erklärung für die in der
philosophischen Erklärung von einer Aporie bedrohte
›Koexistenz von Bewusstsein als Dimension und Kenntnis von
Bewusstsein‹ (ebd. S. 278) des passiven,
präreflexiven
Bewusstseinsgeschehens herbei. ›Eine Erklärung im
Rahmen
der Theorien und Begriffe der Neurologie könnte vielleicht den
unauflösbaren Zusammenhang zwischen zwei Prozessen aufzeigen,
die
Bewusstsein und Bewusstseinskenntnis entsprechen‹ (ebd. S.
279).
Die Auflösung einer philosophischen Aporie
in der
Erklärung von Bewusstsein durch die Aufdeckung eines
klärenden Zusammenhanges auf der Ebene der
natürlichen
Realisierung - von niemandem könnte diese Gedankenfigur mehr
wert
sein als von einem Henrich, auf höchstem Niveau philosophisch
über Bewusstsein und Subjektivität arbeitend. Von ihm
kann
der Gedanke als nun wirklich jedes Szientismus' und Reduktionismus'
unverdächtig angenommen werden. Was eine naturalistische
Erklärung jedoch nicht zu erfassen vermöge, sei das
›Für-sich-sein‹ des Subjekts und
– darauf
insbesondere richtet sich Henrichs ›extrapolierendes
Denken‹ (Henrich 2007, S.251 u.a.) – die Suche
nach der
Quelle eines Grundes oder Sinnes dieses So-seins. Henrich macht selbst
deutlich, ›dass auch der szientifische Naturalismus nicht
unsensibel für die Impulse sein muss, die in das
extrapolierende
Denken hineinziehen. (ebd. S. 278f) Die Erforschung der
natürlichen Grundlagen der Subjektivität
führt per se
keineswegs auf einen Reduktionismus. Gegen eine rein naturalistische
Selbstdeutung sei immunisiert, wer ›sich einer solche
Sinnquelle
im eigenen Lebensvollzug sicher geworden sei.‹ (ebd., S.
279)
Erste Evidenzen eines Aufschlusses seien ereignishaft sich einstellende
Erfahrungen (ebd., S. 72). Hiermit bin zurück bei den
Evidenzen
der Kunst. Der Einschub erwies sich als eng am Thema: Henrich gelingt
es, den schwer zu erfassenden Kunstbefund der jüngeren
Vergangenheit vor Augen, in der Beschreibung des Verhältnisses
von
Kunst und Subjekt mit vielfältigen Wendungen der
Selbstdistanzierung in der Selbstverständigung begriffen,
einen
Schlüssel zum Verständnis der in den
Phänomenen
disparaten Erscheinungsformen der Kunst zu liefern, wie wir sie vor uns
haben. Kunst erweist sich als eine Form des Selbst- und Welt-Erkennens,
die auch alternative Deutungen realisiert.
Aber
nicht selten scheint das Erkennen relativ wenig Konsequenzen nach sich
zu ziehen. Der
Kunstprozess scheint aufzugehen in einem Moment der
Intensität,
der Konzentration, in Henrichscher Terminologie des
›Bei-sich-selber-seins‹. Die Nachricht
über die
Möglichkeit dieser Existenzweise habe ich erhalten. Manchmal
kann
ich sie evozieren. Sie bildet mich. Es ist klar, dass Gehalte der Kunst
vielfach nicht-begrifflich organisiert sind und nicht-begrifflich
kommuniziert oder induziert werden. Die Verhaftung im Augenblick jedoch
kann irritieren: aus dem Erleben folgt allenfalls, mehr von dieser
Erfahrensart zu suchen.
Ist es ›in
Ordnung‹, wenn
Kunst nicht selten mit sich selbst zuende ist, und ohne weitere
Folgerungen bleibt, die als Deutung genommen werden könnten?
Zwar
gibt es sehr wohl Kunstarbeit, die mit ästhetischer Kraft auf
konkrete Inhalte, auch
Wie-Inhalte, lenkt, diese in die Erfahrung holt
oder überhaupt erst herstellt. Aber nicht selten ist es die
Intensität des Kunstprozesses an sich, nicht ein (manchmal
kaum
fixierbarer) Gehalt des Kunsterlebens, der uns Kunst begehrenswert
macht und gerade darum an Sinn und Berechtigung von Kunst zweifeln
lässt. Selbst wenn man Unvermögen und Leerlauf
abzieht, kann
man über diese Bilanz verzagen, sie droht wie ein schlechtes
Gewissen. Ist nicht der Kunst die Funktion von Selbstdeutung,
zugesprochen?
Hier nun sei einmal versuchsweise
die Sichtweise
angewendet, Kognition mehr als bisher im Lebensvollzug und nicht nur in
der Theorie des Lebensvollzugs zu verorten. Dies betrifft
handlungsnahe, operative Schichten ebenso wie Konstellationen hoher,
nicht mehr auflösbarer Komplexität. Welcher Status
kann
dieser Aussage zugeordnet werden? Ist sie ein Postulat, aus der
Introspektion gezogen? Eine Induktion in den Vorgang hinein? Sie hat
auch einen theoretischen Apparat und empirische Evidenzen für
sich. Zu rezipieren wäre hier der große und offene
Forschungszusammenhang um den
Enactive Approach
einschließlich
Situated und
Social Cognition in ihren verschiedenen Spielarten
innerhalb der Kognitionsforschung. Die Bezeichnung
Enaction hat die
Bedeutung von Erarbeiten, Hervorbringen, Herstellen und des Bestimmens
von ›ein Gesetz erlassen‹ in sich, ist praktisch
und
reflexiv. Genannte Ansätze folgen nicht nur prinzipiellen
Überlegungen, sie sind eng mit der empirischen Forschung
verbunden. Die natürlichen Grundlagen dieser Modi von
Kognition
geraten gegenwärtig in den Bereich des Erforschbaren.
Mögliche Realisierungsmechanismen von Kognition aufzufinden
bedeutet durchaus nicht, dass deren Inhalte dadurch zu inhaltsfremd
bestimmten Verrechnungsprodukten degradiert werden. Auch im
Konnektionismus als auf molekularer Beschreibungsebene handelndem
Erklärungsmodell ist dies nicht der Fall. Gerade in den oben
genannten Forschungsansätzen wird deutlich: die Konstitution
von
Bedeutung geschieht in der Lebenwelt, relational zum Erkenntnissubjekt,
im (über den technisch beschreibbaren Vorgang hinausgehenden)
Bedeutungsüberschuss, der dann erkannt und symbolisiert (und
dabei
in gewissem Umfang gewählt und gestaltet) werden kann. Sie ist
naturalistisch nicht vollständig beschreibbar. Bedeutung
bezieht
sich auf die (Herstellung und) Erhaltung der Identität - nicht
Existenz des Lebewesens. Damit reicht dieser Theorieansatz
über
das evolutionär Begründbare hinaus in das dem
reflexionsfähigen und mit der Möglichkeit produktiver
Freiheit ausgestatteten Subjekt Eigentümliche hinein.
Identität hat für reflexionsfähige Lebewesen
eine
relevant andere Bedeutung als für einfache, nichtreflexive
Lebewesen, für welche Identität nur
Selbstreproduktion
bedeutet. Zur Bedeutung der Herausbildung und Aufrechterhaltung von
Identität einschlägig: Henrich 2007, S. 60,
65, 67,
93ff, 176 und andere Stellen.
Wenn die
Möglichkeit zu
reflexiver Selbstbezugnahme als Merkmal der Lebensgestaltung
bewusstseinsfähiger Subjekte betont wird, so bedeutet dies
nicht,
dass Reflexivität die Grundstruktur von Bewusstsein sei.
Vielmehr
ist ein als nicht dem Ich als Leistung zurechenbares objektives
Geschehen oder als Vermögen gegebenes Bewusstsein
Voraussetzung
dafür, dass sich im Lebensprozess (in der Kontinuität
von
Vergangenheit und Zukunft und der Herstellung eines egozentrischen
Wahrnehmungsraums) ein bewusstes Selbst als organisierendes Prinzip
herausbilden und sich dabei in kognitiven Akten das Bewusstsein
aneignen kann. Erst dann kann von einer dem Ich zuzuschreibenden
Leistung der Reflexion gesprochen werden. (So Henrich 1970 besonders S.
276-279.)
Selbstdeutung bedeutet immer schon
Selbstgestaltung.
Relativ neu ist vielleicht, dass deutlicher als zuvor, und nun auch
›hirntechnisch‹, gesehen wird , dass die
Ressourcen und
Prozesse von Kognition und Lebensvollzug in erheblichem Umfang
zusammenfallen. (Zur Relativierung siehe z.B. Clark 1999.) Zu wenig
dargestellt wird zur Zeit, dass und über welche hirninternen
und
externalen Strukturen Metakognition diese Vorgänge
qualifiziert.
Kognition steht in einer tiefen Kontinuität von
Mind and Life.
Diese Formel verweist auf Thompson.
Als lebensweltlich
erfahrbare
Kriterien der Zuweisung von Sinn vor dem Hintergrund der Dunkelheit des
Grundes menschlicher Existenz beschreibt Henrich Evidenzen wie
sittliches Bewusstsein, Erfahrungen in der Tiefe gelingenden
Miteinanderseins oder Freiheit.
Dies sei auf den Modus der
Kunst
übertragen. In den oben beschriebenen flüchtigen
Zuständen sind – im Modus der Kunsterfahrung
– sodann
Evidenzen der Art zu erkennen , wie sie Henrich als
sinnbegründend
aufgeboten hat. Sie sind u. U. in eben dem Vergehenden,
Flüchtigen, mit Begehren besetzten und der Sinnlosigkeit
verdächtigten Augenblick.
Literatur
HENRICH,
DIETER, Fixpunkte, Frankfurt/Main 2003
HENRICH, DIETER,
Denken und Selbstsein – Vorlesungen über
Subjektivität, Frankfurt/Main 2007
HENRICH,
DIETER, Die Philosophie im Prozess der Kultur, Frankfurt/Main
2006
HENRICH,
DIETER, Selbstbewusstsein. Kritische Einleitung in eine Theorie (1969),
in: Bubner/ Cramer/ Wiehl (Hg.), in: Hermeneutik und
Dialektik I,
Tübingen 1970
CLARK, ANDY, From Fish to Fantasy:
Reflections on
an Embodied Cognitive Science. A shortened and amended version appears
as »An Embodied Cognitive Science?« Trends In
Cognitive
Sciences 3:9:1999, p. 345-351, als PDF siehe:
http://www.philosophy.ed.ac.uk/staff/clark/publications.html
THOMPSON,
E., Mind in Life. Biology, Phenomenology and the Sciences of
Mind, Harvard University Press 2007