Wer auf den Yagir blickt, blickt gern zurück. Das könnte einem den Gedanken eingeben, er habe seine besten Jahre hinter sich. Was sind die besten Jahre eines Gerüchts? Ganz einfach, es sind die Jahre, in denen es am intensivsten geglaubt wird. Doch was ist schon einfach? Vielleicht wollen Gerüchte nicht wirklich geglaubt werden? Gleich neben den Wirklichkeitsfanatikern hausen die Streuapostel. Fragt man sie, dann sind die besten Jahre eines Gerüchts die, in denen es die meisten Köpfe erreicht. In dieser Hinsicht hätte der Yagir seine besten Jahre noch vor sich, denn keiner, der einmal von ihm gehört hat, kann ihn wieder vergessen. Nur durch einen allgemeinen Bevölkerungsschwund ließe sich diese Erfolgsgeschichte beenden. Daher trifft es sich ausgezeichnet, dass die Bevölkerung den Bevölkerungsschwund, der dem Yagir ohne Zweifel bevorsteht, bis auf weiteres für ein übles Gerücht hält, über das zu diskutieren nichts als Scherereien einbringt. »Was soll denn schwinden«, heißt es im Yagir, »so etwas gibt es nicht.« Unentwegt wird hier über das, was es gibt, und das, was es nicht gibt, gestritten. Yagir-Artisten halten alles, was vorgeht, für ein Gerücht. Sie gelten als ausgepichte Diskurs-Experten, denen kein Unfall Beine macht. Eine andere Spezies, genannt ›die Rechtschaffenen‹, glaubt jedes Gerücht, das bis zu ihr vordringt, sie erkennt in ihm die Wahrheit und nichts als die Wahrheit und liefert sich erbitterte Kämpfe mit ihrem Provider. Warum gerade mit ihm? Sie wirft ihm vor, dass er sie verrät, statt bloß, wie vereinbart, für dumm zu verkaufen. Sie hat so etwas gehört. Nur, wie gesagt, den Bevölkerungsschwund lässt keiner gelten. »Den Yagir wird es noch in zwanzig Jahren geben.« Sicher. Was tut das zum Thema? »Irgendwann sind wir alle tot.« Sicher. Was tut das zum Thema? »Soll er doch aussterben, es ist nicht schade drum.« Sicher. Was tut das zum Thema? »Ist doch gut, dass wir weniger werden.« Aha. Wir werden weniger? Wie geht das zu? Wo beginnt das? Am Bauch oder am Kinn? »Ich persönlich halte das für ein Gerücht.« Da steckt des Pudels Kern. Nichts ist reeller als ein Gerücht. Doch, vielleicht ... zwei Gerüchte? Das zweite Gerücht lautet: Der Yagir ist doch längst tot.
Vieles läuft sich tot im Yagir, manches geht allein zu Ende. Zu den Totläufern, die nichts merken, da sie im Pulk unterwegs sind und sich gegenseitig die Sicht versperren, zählt ein junger Mann, dem die Auguren eine glänzende Zukunft prophezeien, während der restliche Yagir sich über ihn totlacht. Wie viele solcher junger Männer hat der Yagir hervorgebracht und wieder zurückgenommen, ganz nach Belieben der bleichen Chefin, die dazu lächelt? Dieser hier treibt die Anstelligkeit weiter als jeder zuvor. Ist das Stärke? Ist es Schwäche? Er hat eine Überdosis Ehrgeiz im Leib und will schön sein; nun wächst der Hals, er schraubt sich höher und höher, fast könnte man meinen, man schaue einer Giraffe bei ihrer Selbstwerdung zu. Weit gefehlt! Im Yagir gibt’s keine Giraffen, und Tiervergleiche sind streng verpönt. Sie fallen unter die Rubrik ›Evolutionsverleumdung‹ und können mit Punkte-Abzug geahndet werden, einer gestaffelten Form der Ehrabschneidung bis auf die Haut und darunter. Lupus in fabula? Undenkbar, im Yagir eine solche Frage auch nur zu erwägen. Allein die Kinderbücher sind voll davon, teils aus Einfalt, teils aus Einfallslosigkeit, weil es wegen der paar Kinder nicht lohnt, sich eine andere Kindheit auszudenken. Oder doch? Der junge Mann mit dem exorbitanten Hals jedenfalls kommt, auf der Suche nach verwandten Hälsen, aus dem Nachdenken nicht mehr heraus, das Vordenken überlässt er Mietprofis, die nichts davon verstehen außer der Abzocke. Neuerdings sollen Hasssauger beschäftigt werden, ihr Auftrag lautet, alles Gift aus der Gesellschaft herauszusaugen – unter ihnen findet man alte Hasser, die den unverhofft aufgetanen Jungbrunnen zu schätzen wissen und sich mit Feuereifer in die Sache stürzen, man könnte argwöhnen, sie werden mit jedem Tag kindischer. Wann sie der Gesellschaft zum Hals heraushängen werden, ist noch nicht abzusehen. Nur dass die Partei, an deren Gängelband sie laufen, sie am Hals hat, wenn erst wieder gewählt wird, merken einige Öffentlichkeitsarbeiter schon. Sie sind Merker, die jungen Herren des Yagir, sie merken viel, aber sie bemerken nichts. Sobald sie Bemerkungen tätigen, bekommen sie Gegenwind. Spötter, die es immer gibt, behaupten, sie hätten keinen Biss, da fragt man sich schon, warum sie dann mit den Wölfen heulen. Nun ja, es sind Wölfinnen, die ihren Lieblingen gern einen Bissen zuschieben. So zerlegt sich der Yagir in seinen Bürschchen, die nicht wissen, wie sie dem Kindergarten entrinnen sollen und ihn deshalb verordnen.