Nun, wir wissen, dass wir aus der großen Kälte ins große Licht gehen, Entropie genannt oder Erderwärmung oder x, wie die Sache morgen heißen wird, wir wissen das so sicher wie das Amen in der Kirche, das keineswegs genauso sicher gewusst wird, wenn die Anzahl der Schafe zählt, die da wissen (und was sollte sonst zählen, wo inbrünstig gewusst wird): da tut es gut, wenn Einzelne, wer immer sie sein mögen, an den gefrorenen Boden erinnern, auf dem sich befindet, wer nicht vom Außen verschluckt wurde, sondern das Innenaußen lebt, das einmal Mensch genannt wurde und sich den Hohn von Irren gefallen lassen muss, die ihre Psyche im Griff haben und die Suche nach den warmen Inseln zur Sucht werden ließen. ›Frozen solid‹: das ist, als Geste der Musik, die Hand, die nach unten zeigt, nicht um auf das zu verweisen, was unten ist und nach oben strebt, sondern auf die Grenze, an der das Gewonnene sich zur Natur verfestigt und nichts abgibt. Wer die Geste Platons auf Raffaels Schule von Athen kennt, der versteht, dass hier nichts zu holen ist, ideell gesprochen, vielleicht, weil die Ideen eine Art Panzer gebildet haben, einen Überzug, der keine Gründe zulässt, jedenfalls nichts, was sich mit menschlichen Mitteln bearbeiten ließe.
Verstehen, ohne zu wissen: das ist, als Aufforderung betrachtet, ehrenwert, aber es stößt rasch an Grenzen. Diese Grenzen werden selten benannt, noch seltener mit der Akribie untersucht, die ihrer würdig wäre. Dass eine Musik sich zu solcher Akribie versteigt, ist selten und muss einen besonderen Grund haben, der außerhalb der Konzertsäle liegt, in denen eher Langmut gefordert ist. Vielleicht liegt er im Konzertsaal zutage, in der wattierten Gleichgültigkeit, mit der sich die Anstrengung der Durchdringung beiderseits wappnet, um zu keinen Kurzschlüssen zu gelangen. Auch Kunst beweist sich auf gefrorenem Boden, sei es der Bewunderungsbereitschaft, sei es der Gleichgültigkeit, sei es der blinden mimetischen Gebärde. An diesem Sich-Beweisen und Beweisenmüssen arbeitet sie sich ab und wäre längst mit sich durch, wenn die Gebärde nicht die Tat überlebte. Es kommt nichts dabei heraus. Mit Spott ließe sich sagen: es kommt umso weniger heraus, je mehr hineingesteckt wird. ›Reden wir nicht von der Kunst, reden wir von den Verhältnissen.‹ Die Verhältnisse sind aber so, dass sie über sich das meiste verraten. Wenn die Verhältnisse mit sich durch sind, steht eine Kunst, die nichts als die Verhältnisse kennt, auf versiegeltem Boden.
Von Versiegelung versteht diese Musik viel, sie ahmt die Verfahren nach, sie streicht über ihre Konturen und lässt erfahren, wie sich anhört, was niemandem mehr angehört. Sie weiß, ohne zu verstehen, aber sie bleibt solitär. Sie erliegt nicht dem Irrtum der zweiten Natur, als ließe diese sich von der ersten säuberlich trennen. Es ist die erste Natur, in die sich die zweite verwandelt, unerbittlich, abzüglich der Deutungen, die darüber liegen. Die erste Natur ist plastischer, ›bildsamer‹ als ihr Ruf, nicht etwa, weil sie Kultur in Gene verwandelte, sondern weil ihr Kultur gleichgültig ist. Sie holt sie ein, wo immer sie ihre Erfolge vorweist, sie hat sie schon eingeholt und im voraus in etwas verwandelt, das auszusprechen sich die öffentliche Zunge weigert, etwas Unsägliches, um es in der Sprache der Kultivierten zu sagen, die noch nicht weiß, wie unsäglich sie klingt. Leben ›in einer Welt, die...‹ unterscheidet sich weitläufig von einem Leben, das sich Welt gibt, weil sonst nichts anderes da wäre außer der Schuld, die man durchs Dasein abträgt. Die Verwandlung der Schuld, da zu sein, in ein Stück Welt endet an der Grenze, an der die Schuld vor der Existenz liegt und jede ›Abarbeitung‹ sie nur stärker ans Licht bringt. Es ist viel dritte, vierte und fünfte Welt in den Menschen, die vergeblich den Eintritt in die erste begehren, der ihnen, von wem auch immer, versprochen wurde und immer noch weiter versprochen wird.
Luigi Archetti: E-Gitarre, Elektronik
Michael Heisch: Kontrabass
Moritz Müllenbach: Violoncello
David Schneebeli: Viola