ein kleiner Kreis bildet sich. sie fassen sich an den Händen.
hinter jeden in dem Kreis stellt sich jemand.
sodass es nun einen Innen- und einen Außenkreis gibt.
vor mir steht sie.
wir hatten in den letzten Wochen einige Male gemeinsam getanzt. ja, so war es gewesen: schon als ich ihre Hand nahm, bildete sich eine wunderbare Wärme, als habe ich sie entbehrt, ohne es vorher fühlen zu können. eine Wärme, die augenblicklich nichts war als sie selbst.
doch war keinerlei Absicht dabei gewesen, dass ich nun hinter ihr stehe. denn ich bemühe mich ja gar nicht um Kontakt. sondern trat auch diesmal einfach hinzu und blieb stehen. so hatte es sich geformt.
es geht darum, wie zu hören ist, den andern mit einer Handauflegung
zu schützen.
ihr Rücken und ihr Hals fast ganz frei.
nichts als ihre Haut und ihr Haar, das auf ihre Schulter leicht fällt.
ich berühre sie. meine Geste des Schutzes für sie.
ja ich berühre sie so zart ich kann.
sodass die Leiterin des Kurses zu mir tritt und es mir zeigt, etwas kräftiger soll die Berührung offenbar sein.
so lege ich meine Hand auf sie.
an verschiedene Stellen ihres Rückens bis hin zum Hals.
am Ende könne man seine Hand auf das Herz des andern legen und
innehalten.
so lege ich meine Hand von hinten über ihr Herz.
dann dreht man sich zueinander um
um dem andern für seinen Schutz zu danken.
all das wortlos.
dann ist Wechsel.
sie legt ihre Hand des Schutzes auf mich.
ihre Hand an mancher Stelle meines Rückens bis hin
zum freien Hals.
sie legt ihre Hand von hinten auf mein Herz und
hält inne.
ich spüre ihre Bewusstheit.
ich spüre ihre Tiefe. manche wundersame Bewegung darin, die sich nicht entschlüsseln lässt. Auch eine Form des Schutzes, denke ich.
dann drehe ich mich um und
höre, dass man nun miteinander tanzen könne, wenn man wolle.
kein Tanz mit vorgegebenen Schritten.
es geht – an jedem Abend und überhaupt – zunächst einmal darum, seinen Rhythmus zu finden. das kann mit geschlossenen Augen sein. um dann – gegebenenfalls – eine Begegnung mit einem andern, der sich auch in dieser, in seiner Weise bewegt hatte, zu suchen, zu finden.
wir fassen uns an den Händen. so über-bewusst.
es bildet sich sofort diese Wärme.
in ihren Augen
ist ein großer Schmerz und
eine große Freiheit.
beides wie in eins: große Reife.
als sie meine Hände nimmt
als sie mir in solcher Nähe in die Augen sieht
meine ich, sie nehme mit ihrer ganzen Liebe
die ganze Welt, alles wunde und einfach alles, in ihre Hand.
dann
bewegen wir uns im eigenen Rhythmus, der
keine Mühe hat, zusammenzufinden.
eine sehr langsame, sehr innige Musik.
es ist so intensiv, dass ich bald mehr die Augen schließe als offenhalte.
auch sie.
es ist ein Versinken und
Ganz-Gegenwärtig-Sein
zugleich.
es wird zum Wechsel aufgefordert. aber nicht zwingend. wer wolle, könne wechseln.
aber wir wechseln nicht.
sie legt ihre Arme um mich.
ich lege meine Arme um sie.
und falle immerzu abwärts, wie hin zu einem Glück.
tiefes Glück, ich weiß nicht, was davon
wahrnehmbar werden kann. denn es ist stets auch sehr in mir bedroht.
als sei es eine Nähe, die ...
Heimat sucht?
mit wem habe ich es zu tun?
mit wem hat sie es zu tun?
ich spüre ihr Atmen.
es ist, als sprächen Körper, Seele, Bauch und Geist
zueinander.
es wird noch einmal zum Wechsel aufgefordert.
aber wir wechseln nicht.
es ist ein allerzartestes
Sich-Berühren und
Berührtwordensein.
als es zu Ende geht, nimmt sie meine Hand
wie eine ganze Welt und
küsst sie auf ihr Innigstes, Wertschätzendstes, Schützendstes.
ich tue es aus ganzem Bedürfnis ihr nach und
lege hinein, was bis hierhin
mein Leben ist.
im Umkleideraum saß ich da.
saß da wie die Inversion eines angeschlagenen Boxers, angeschlagen schon, verstört schon, aber im umgekehrten Sinn. Getroffen und verstört von etwas wie Glück.
die Leiterin hatte es bemerkt. trat ein und zu mir hin und fragte, »kannst du noch fahren ...?«
ich bekam einfach kein Wort heraus. beziehungsweise es dauerte. und die Wörter schienen mir keinen Sinn zu ergeben.
dass zwei nur noch von innen heraus agieren.
endlich jede störende Außenbewertung überwinden, war das Wunder.
ich erinnerte mich an die erste Drogenerfahrung.
ich nahm dasjenige mit einem Freund. er ging dann ganz nach außen, draußen lag Schnee. ich ganz nach innen.
zwei entgegengesetzte Reaktionen.
bei diesem Tanz hatte es
keine entgegengesetzten Reaktionen gegeben.
wie die Körper endlich kommen durften. alles atmete. Körper Seele Geist zugleich.
hinter den Augen, als ich sie mehr geschlossen als offengehalten hatte, war noch diese ganze Problematik, die ein Leben ist, und zugleich dabei, in sich zu verschwinden.
filigran, zärtlich, fragil.
es war ein absoluter Zärtlichkeitswunsch.
es waren Hände, so sanft, als kämen sie aus einer anderen Dimension.
als würden sie zu einer anderen Konsistenz.
das eigene Bewusstsein, dachte ich, worauf es schon überall fühlte, wo
nur Mäßiges oder Schlechtes, Befristetes und Unerfülltes.
dass sie meine Hand nahm, am Ende, wie eine kostbare Blüte
wie sie mit ihren Augen meine Augen ergriff, als pflanzte sie einen Rosenstock in den gemeinsamen nahen Blick.
ich übertreibe, es geht mit mir durch, ich fantasiere, ich kann das leider nicht ausschließen.
»Wenn der Körper die Seele sucht«, wo las ich das?
all das, was geschehen ist, dachte ich, wird dann im Namen zusammengefasst.
als habe ich doch die Kapazität, alles fassen zu können.
Wir müßen auf unsere Seelen hören,
wenn wir gesund werden wollen.
Letztendlich sind wir hier,
weil es kein Entrinnen vor uns
selbst gibt.
Solange der Mensch sich nicht
selbst
In den Augen und im Herzen
seiner Mitmenschen begegnet
gibt er keine Geborgenheit –
Solange er sich fürchtet
durchschaut zu werden,
kann er weder sich selbst
noch andere erkennen –
er wird allein sein.
(Hildegard von Bingen)
ja, alles hängt daran, keine Abwehr zu entwickeln.
mit ihr bleibt jeder allein.
sich durch-schauen zu lassen.
hinzugeben und zu zeigen, was da auch
ist
»jede Bewegung«, so die Leiterin des Kurses, »steht noch nicht fest.«
wie die Körper magisch sofort zueinander passten, ohne einen Gedanken.
dass jene Person, ich meine die Wunde, in der gemeinsamen Bewegung, wie ein Mensch aufgebaut wurde.
Verzerrung im Innern, dachte ich, ereignet sich auch dann, wenn die eigene Bedrohlichkeit wächst.
die Hände wurden immer leiser, immer sanfter.
ich wiederhole mich in der Art eines Reigens.
und die Arme um den andern gelegt, so leicht.
mit den Händen so bewusst getastet, an der Schulter.
ihre Brust in der eignen Brustgegend so gespürt.
da war eine solche Harmonie.
sie war des Todes, war des Lebens.
ein allerzartestes
Leben
und erinnerte in der Fußgängerzone dieses Wesen, das aus einem Ei am Asphalt zersprungen war und
nie einen Schritt hat setzen können.
als habe ich den »Punkt« gefunden, an dem ich gültig weiß, in welcher Weise Menschen versagen, aus welchen Gründen jeder Einzelne eine solche Fülle davon aufweist.
das Geistige
kam zur Ruhe, es war Voraussetzung und blieb
einbegriffen.
am Problematischsten war
psychische Abdrift
in die Isolation.
in der zartesten Berührung wurde erst klar, was ich erleiden musste.
so war es schon mit 13: ich wurde so berührt und konnte
nichts mehr tun.
nicht sex war das thema
nicht streben nach wissen
allein das Berührtwordensein selbst.
was uns zustieß, wurde in
zu großem Ausmaß gedankliche Konstruktion?
mein ganzer Körper vibrierte noch um 5 morgens. am frühesten Morgen hörte ich mich selbst im ureigensten Resonanzraum.
ich erinnerte angeschnittene Rosen, die, wenn man sie nicht gleich ins Wasser stellt, eingehen.
so war das auch mit meinem Leben einst gewesen. ganz schnell vorbei.
ich fühlte, bei diesem einen Tanz, wie etwas jenseits davon segelte
offen wie
in einen glücklichen Tod.