Seit über einem Jahr verdichtet sich das mulmige Gefühl, dass der Bundesrepublik die Statik verrutscht. Es ist, als ob die Bundestagsparteien im Herbst 2017 auf Reset gewählt werden (wollen?). Reset auf das Niveau treuer Stammwählerschaft. Im Gegenzug dazu wird mit der AfD eine auf Ressentiment gepolte Partei ein unerwartetes Wachstum mit unvorhersehbaren Folgen für unsere Sicherheit erfahren. Regieren werden sie nicht, die allgemeine Stimmungslage verschlechtern sie auf jeden Fall.

Unerwartet wird das alles nicht kommen. Die erwartbar hohe AfD-Präsenz wird als Ergebnis eines jahrelangen Versagens der Bundesregierung und hier vor allem der Kanzlerin und der geradezu impotent erscheinenden demokratischen Parteienlandschaft über uns kommen.

Als ich 1990 in die SPD-Bundestagsfraktion kam, wurde ich mit vielen interessanten Menschen und Ansichten bekannt. Sehr viele und sehr vieles imponierte mir, manches kam mir rätselhaft oder schlimmer – untauglich vor. Am Beispiel ›Einwanderungsland‹ ist das schnell skizziert. ›Einwanderungsland Deutschland‹? Was sollte das? Einwanderungsländer sind völkerrechtlich Staaten, denen Fachkräfte fehlen, die dünn besiedelte Regionen aufweisen und vor allem, die sich genau aussuchen, wen sie ›brauchen‹ und ›reinholen‹.

Wo bitte fehlten der Bundesrepublik Deutschland 1990, noch dazu vor dem Hintergrund der zusammenbrechenden Ostwirtschaft, Fachkräfte? Wo bitte war Deutschland 1990 so dünn wie die klassischen Einwanderungsländer besiedelt? Wo bitte waren 1990 die Verantwortungsträger, die Zuwanderer nach nützlich und nicht nützlich sortieren wollten – was sich noch heute die politische Klasse nicht traut?

Kurz und schmerzlos, diese transgalaktischen Ansichten über ein mir unbekanntes Einwanderungsland Deutschland waren für mich reine Hybris. Ich riet vielen Kollegen, statt vom ›Einwanderungsland Deutschland‹ vernünftigerweise von der Bundesrepublik als einem internationalen Wunschzielland vieler Menschen zu sprechen. Verstanden wurde ich nicht.

Als Realpolitiker entschied ich damals daraufhin pragmatisch, diese Diskussion auch im wörtlichen Sinne links liegen zu lassen und den Schwerpunkt meiner parlamentarischen Arbeit auf den Prozess des Zusammenwachsens Deutschlands nach der Einheit 1990 zu richten. Pragmatisch, weil dieser Einwanderungsland-›Nonsens‹ durch mich nicht wirklich zu beeinflussen war. Gerade erst in der Bundesrepublik ›angekommen‹ stand ich mit meinen ebenfalls hinzugekommenen Kollegen vor der Aufgabe, selbst einen Platz zu finden und diesen sinnvoll auszufüllen. Letzteres ist mir gut gelungen. Viele Projekte und Einrichtungen in Ostdeutschland und hier speziell in Sachsen tragen auch meine Handschrift, sogar über den Tag hinaus.

Es blieb mit Thilo Sarrazin einem gestandenen Sozialdemokraten vorbehalten, die Themen Integration, Bildung und Zuwanderung 2010 brachial auf die Tagesordnung zu heben. Wobei es genau genommen die reißerische These Deutschland schafft sich ab seines Verlages war, die sein kluges Sachbuch in Verbindung mit einem muffigen inquisitorischen öffentlichen Klima zu einem Millionenseller werden ließ. Sarrazins Niederschreier waren es, die sein Buch zu einer Art verfolgter Samisdatliteratur werden ließ. So wie es die demokratischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland heute sind, die mit ihrer Negierung von Mehrheitsauffassungen in der eigenen Bevölkerung die AfD zu einem Riesenballon aufblasen.

Die AfD-Erfolge sind nicht das Resultat der AfD-Slogans. Die AfD-Erfolge nähren sich direkt aus dem Versagen der demokratischen Bundestagsparteien.

Selbstverständlich vermag auch ich nicht die Wahlergebnisse des kommenden 24. Septembers zu prognostizieren. Dies können die Meinungsforschungsinstitute genauso wenig. Im Moment sieht es jedoch so aus, dass die CDU so tut, als ob sie was aus 2015 gelernt hat und die SPD ihrerseits so tut, als ob sie nichts aus 2015 lernen muss. Die Wähler werden vermutlich diejenigen belohnen, die so tun, als ob sie was gelernt hätten. Die Republik dürfte damit nicht untergehen, nur die SPD scheint sich leider wieder einmal entschieden zu haben, vom Steuerrad nach Backbord zu wechseln, dabei ihre eigenen Graswurzeln unter ideologischem Beton ausdörrend.

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