Deutsch von Adelheid Zöfel
Der Titel meiner Rede heute Abend lautet »Afrikanische Literatur gibt es nicht« – aber Sie wissen ja vielleicht, ich lebe in Rom, und deshalb beginne ich, wie wir das so gern tun, mit einer Beichte. Beichte Nummer eins: Ich bin Akademikerin, wovon ich mich, ein Jahrzehnt nach meiner Zeit in Oxford, zwar langsam erhole, aber ich gebe trotzdem immer noch gern provozierende Statements ab, egal ob ich sie konsequent vertreten kann oder nicht. Beichte Nummer zwei: Garantiert bereue ich es, dass ich diese Rede gehalten habe, wenn sich dann die Literaturwissenschaftler darauf stürzen, aber im Moment bin ich noch jung und tollkühn genug, um das Risiko einer Niederlage genüsslich auszukosten.
Also.
Beichte abgelegt.
Und nun zum angenehmen Teil. Zur Blasphemie.
Über die Autorin
Taiye Selasi wurde 1979 in London geboren. Sie wuchs in Brookline, einem Vorort von Boston, Massachusetts, auf. Sie ist die Tochter einer nigerianisch-schottischen Kinderärztin, bekannt auch für ihr Engagement für die Rechte von Kindern, und einem aus Ghana stammenden Chirurgen, der zudem mehrere bekannte Lyrikbände verfasste. In Yale schloss Selasi im Fach Amerikastudien mit einem Bachelor of Arts summa cum laude ab; zudem erlangte sie den Mastergrad im Bereich Internationale Beziehungen am Nuffield College in Oxford.
Während ihres Studiums lernte sie u. a. die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison kennen, die sie zum Schreiben eines Prosatextes inspirierte und ihr eine Deadline setzte, zu welcher Selasi ihr einen fertigen Text zukommen lassen sollte. So entstand die Kurzgeschichte »The Sex Lives of African Girls« (deutscher Titel: Das Sexleben afrikanischer Mädchen), die im Sommer 2011 im traditionsreichen Literaturmagazin »Granta« in einer dem Feminismus gewidmeten Ausgabe publiziert wurde und später in die Anthologie »The Best American Short Stories 2012« aufgenommen wurde.
Inzwischen begann sie an ihrem ersten Roman zu arbeiten, »Ghana Must Go« (2013; dt. »Diese Dinge geschehen nicht einfach so«, 2013), und wurde sogleich von dem renommierten New Yorker Literaturagenten Andrew Wylie akquiriert. In dem Roman erzählt sie eine aufwühlende Familiengeschichte, ausgehend vom Tod des Vaters, »eines außergewöhnlichen Chirurgen«, der bereits auf den ersten Seiten an einem »gewöhnlichen Herzinfarkt« verstirbt und in jenen letzten Momenten sein Leben Revue passieren lässt.
Das literarische Debüt lässt sich als fiktionale und zugleich stark autobiografisch geprägte Ausarbeitung von Selasis viel beachtetem Essay »Bye-Bye Babar« (2005) betrachten. In diesem prägte sie erstmals den Begriff »Afropolitan« und beschrieb damit jene jüngste Generation afrikanischer und kosmopolitischer Emigranten, die auf die Frage nach ihrer Herkunft keine einfache Antwort kennt.
»Ghana Must Go« wurde bereits in über ein Dutzend Sprachen übersetzt und von der Kritik sowie Schriftstellerkollegen begeistert aufgenommen. So ließ Teju Cole (Gast des ilb 2012), der im vergangenen Jahr mit »Open City« einen ebenso beachtlichen und gleichfalls zur Definition des »Afropolitan« beitragenden Erstlingsroman vorlegte, verlauten: »Mit ihrer perfekten Prosastimme und makellosen Erzähltechnik erneuert Selasi nicht nur unser Verständnis des afrikanischen Romans, sondern der Romangattung an sich.«
»Granta« setzte Selasi jüngst auf die alle zehn Jahre erscheinende Liste der »Zwanzig besten britischen Jungautoren«, deren früheste Ausgaben einst Autoren wie Martin Amis, A. L. Kennedy, Kazuo Ishiguro oder Zadie Smith verzeichneten. 2012 initiierte Selasi das Multimediaprojekt »2154« mit dem Ziel, junge Menschen in allen 54 afrikanischen Ländern fotografisch und filmisch zu porträtieren. Zudem arbeitet sie bereits an ihrem zweiten Roman.
Selasi lebt in Rom.