Liebe Petra Wehning,

heute habe ich erfahren, dass du tot bist.

Es wurde so schwarz, so gelähmt in mir.

Es ist so kalt.

Ich begriff, dass es nur wenige Menschen gibt, an denen man wirklich hängt.

Was war schon zwischen uns? Nicht viel. Und doch.

Wir waren nie als Paar zusammen. In der Jugend aber oft zusammen, fast immer waren andere dabei.

Weißt du noch, das Jazz-Frühstück im HNH? Martin spielte Klavier. Wir sangen vor einem kleinen Publikum. Es war an einem sonnigen Sonntagmorgen 1983. Wir sahen uns beim Singen in die Augen, immer offener, und es kam endlich zum Ausdruck, was wir doch füreinander empfanden.

Es gab diesen Moment, in dem wir uns erkannten und es uns sagten. Ich wusste, wer du bist. Deine und meine Sensibilität waren sehr ähnlich.

Es gab diese Zeit, in der im Raum stand, endlich ein Paar zu werden. Du besuchtest mich, ich denke dafür, in meinem Elternhaus mit einer Freundin. Es war an einem sehr hellen Julinachmittag. Meine Eltern waren, wie du wusstest, verreist. Du begannst das nicht so geschickt. Trankst in relativ kurzer Zeit eine Flasche Sekt, sonst trankst du kaum Alkohol. Und schliefst mit einem seligen Lächeln auf meinem Bett ein. Ich sehe es noch so deutlich in meinem Innern.

Ich habe es verbockt, wie so viele männliche Jugendliche. In der Nacht habe ich dann mit deiner Freundin angebändelt und sie mit mir.

Wie musstest du dich gefühlt haben, als du erwachtest?

Die Wahrheit ist, ich hab mich nicht an dich herangetraut. Du entsprachst zu sehr meinen Wünschen.

Was bist du nun, im Grab?

Dein blondes langes Haar, dein blasser Teint, deine Lippen hatten noch etwas Babyartiges.

Wo du auftauchtest, hinterließt du etwas Schillerndes. Die andern, die in jener Zeit zugegen waren, vereinzelt sah ich später noch den ein und andern. Es kam sehr bald die Rede darauf, wie mag es Petra gehen? Und man stellte sich etwas Großes dabei vor. Und jeder wusste wohl, ohne es zu wissen, dass es wahrscheinlich nichts Großes sei. Verzeih diese Wörter, die ich hier gebrauche. Mir fehlt jetzt der Wille zu differenzieren, und ich hoffe, du verstehst schon. Du hattest Eindruck hinterlassen, bei jedem. Ich wusste, dass es dir im tieferen Inneren nicht gut ging. Und auch später – alle Jahre traf mal eine Postkarte ein, von dir oder mir –, du schienst nicht recht in dein Leben zu finden. Und jetzt steht da: Plötzlich und unerwartet rief der Herr unsere liebe Tochter

nach kurzer, schwerer Krankheit zu sich in sein Himmelreich.

Das Himmelreich, etwas davon passt. Etwas davon war in deiner Aura.

Mein Körper bleibt nun so schwer von all dem.

Deine Jugend war nicht wenig chaotisch. Meine ja auch. Lauter Fast-Erreichens-Momente. Wir hatten uns sehr oft fast erreicht.

Heißt: Wir haben uns nie wirklich und ganz erreicht.

Wie gerne würde ich dich jetzt in die Arme schließen. Und dir sagen: Es ist doch gar nicht so schlimm, das Totsein. Sieh doch, was gemacht wird, was alles nicht zu gehen scheint, auf Erden.

Ach Petra, ich wusste einmal, wer du warst.

Im Traum sah ich dich in der Wiege. So friedlich. Ein Atmen, das 51 Jahre da war.

Im Traum

erreichten wir uns einfach. Erschien gelebte Zeit. So, wie es hätte sein können.

 

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