Büchertagebuch
Ralf Willms, Phobos. Notat-Gedichte, Heidelberg (Manutius) 2012, 111 Seiten
Der Gedanke der Einseitigkeit stört die Menschen, sie denken sich gern eine andere Seite hinzu und schmücken sie mit eigenem Seelenstoff aus, vor allem, wo es sich nicht um Gegenstände, sondern um Menschen handelt – Menschen wie du und ich, vor allem ich, der ich vielseitig bin wie kaum jemand sonst. Ein Autor hat den Vorteil, dass er in seinen Büchern dem Leser eine Seite nach der anderen zum Erblättern hinhält: Da habt ihr eine Seite von mir, ihr könnt auch eine andere dafür nehmen, ganz wie es euch beliebt. Der Leser erkennt schnell, dass viele Seiten nur Übergänge darstellen. Einige hingegen stehen ganz für sich und damit für den Autor: Was will er uns damit sagen? Das fragt die lesende Vernunft, die bekanntlich stets eine ablesende ist, so wie der Stromableser keinen Strom erzeugt, sondern sich mit der Information zufriedengibt, um sie an andere weiterzureichen. Die entscheidende Frage lautet daher stets: Für wen liest der Leser?