Wolfgang Marx
Bewußtseins-Welten
Die Konkretion der
Reflexionsdynamik
Tübingen (J.C.B. Mohr) 1994
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Seite
159 >ICH< , das ist der eigentlich ganz unschuldige Name einer
Vorstellung, in der ein lebender Organismus, der seiner
Sinne mächtig und sprach-fähig ist, sich selbst bezeichnet
166 das Bewußtsein ist die Dimension seiner eigenen Freiheit
169 ohne lebendige Eigenaktivität ist Bewußtsein schlechthin undenkbar
172 die große Illusion des Bewußtseins, es könne Wege zurück
in ein Paradies spannungsloser, geschenkter, auf ewig
seligmachender Wahrheit geben
der Sehnsucht nach Kontinuität im Inneren, d.h. im Zusammenhang
des Bewußtseins, entspricht die Wahnsehnsucht nach der großen
Aufhebung aller Differenzen im Sein, die auch das Bewußtsein
einschließen soll, dann es aber auch sofort beseitigen muß
184 Der Mensch, dieses angstvolle, von den sichernden, automatisch
regelnden Einbindungen in das System des In-Seins, der Natur,
abgelöste und zur Herstellung von allerdings nur imaginären
Bindungen gezwungene Lebewesen, ist ganz undramatisch dazu
verurteilt oder sogar verdammt, sich zur Freiheit zu entschließen
und auszubilden
189 Die Dimension der Freiheit reicht immer nur so weit, wie das
Bewußtsein sich aus sich selbst entwickelt hat; aus sich aber ist es
nur, wenn es sich überschritten hat zum es übergreifenden
sozialen Kontext und durch diesen
192 Die Gedanken sind gleichsam die lebendigen Organe des Bewußtseins
224 Es ist die Sprache, die zugleich mit dem Denken da ist, die
imaginär fixiert, was die Last der Stoffe jeweils zu formen gebietet
229 Der Geist, dessen unendlich plastische Proteus-Natur an keinem
seiner Produkte verharren kann, noch will
233 So hat denn jedes lebendige Bewußtsein sein eigenes >Aussehen<
Aber die bloß vitale Individualität ist, so überzeugend sie auch – und
gewöhnlich sogar erfolgreich! - als solche erscheinen mag, doch nur
ein letztlich zufälliges, kurios-farbiges Ergebnis von Faktoren und
Konstellationen, deren Verbindung nur deren kontingenten Charakter
einfach fortsetzen muß.
So groß der Widerspruch gegen unpassende Wahrheiten auch sein mag,
selbst einem Bewußtsein, das töricht-naiv, also eitel, dem Wahn seiner
selbsteingeredeten Individualität konkret-gestisch oder verbal blind
zu folgen und sich von ihm ganz mit unverständlichen, aber gerade
deshalb wohlklingenden und überdies religiös überhöhten und deshalb
metaphysisch glanzvoll instrumentierten Phrasen überreden, übertölpeln
zu lassen, energisch, tapfer sich entschlossen hat, wird bei nur geringer
Selbstaufmerksamkeit, dem ersten dürftigen Zeichen blinzelnder
Reflexion kaum entgehen können, daß nicht viel mehr als dauerndes
Selbstplagiat in den weichen Kissen bloßer Gewohnheiten und naturaler
Dispositionen ist, was, wenn es sich – wie zumeist – darin sogar nicht
erschöpft, als der Kern des Eigenen so peinlich gern und oft, bei allen
passenden wie unpassenden Gelegenheiten, exhibitioniert wird
Wie überzart-ätherisch die >Materie< ist, aus der Individualität
gemacht sein soll, erkennt man an der Leichtigkeit des Verzichtes
auf diese, der ohne Probleme für die Selbstbildgestaltung ganz rasch,
geräuschlos, im kollektiven Dickicht aller sonstigen, unauffälligen
Durchschnittlichkeiten vollzogen wird, sobald unbequeme Forderungen
an sie gestellt werden oder aber aus ihren Ansprüchen direkt oder
indirekt sich ergeben...
…und als hohle Geste zeigt sich das Individualtheater des überzarten
Ich, das gerne zusammenbricht im einfassenden Gehege und im
kollektiven Zusammenhang, der jeweils gerade zur Verfügung steht