Gunnar Heinsohn: Die Sumerer gibt es nicht. Von den Phantom-Imperien der Lehrbücher zur wirklichen Epochenabfolge in der »Zivilisationswiege« Südmesopotamien, 2007
Nichts bewegt die Menschheit so wie Datierungsfragen. Was wann geschah, darauf kommt es an. Radikale Umdatierer halten das Schicksal der Welt in Händen und ordnen es neu. Zum Beispiel weiß das gebildete Publikum relativ gut über das Jahr 1984 Bescheid, über das detaillierte Aufzeichnungen existieren (1984, 1949). Eine Person der Zeitgeschichte, die in diesem Standardwerk nicht vorkommt, hat schlechte Karten und wir können nicht mit Gewissheit sagen, ob sie je existierte.
Der Sozialpädagoge Gunnar Heinsohn zum Beispiel gilt als Autor eines 1988 erschienenen, 2007 in korrigierter Fassung zum zweiten Mal aufgelegten Buches mit dem herausfordernden Titel Die Sumerer gibt es nicht. Einer breiteren Öffentlichkeit ist Heinsohn als Schöpfer des ›Kriegsindex‹ bekannt geworden, einer Art Treibhaustheorie der menschlichen Aggressionsgeschichte, die mit dem steilen Anstieg der Massenproduktion junger Männer im 21. Jahrhundert neuen kriegerischen Höhepunkten zustrebt. Dahinter scheint irgendein Fake der Historiker zu stecken. Was haben der radikale Vereinfacher der früh- und altgeschichtlichen Chronologie und der Aggressionsforscher des dritten Jahrtausends P.C. miteinander gemein?
Relativ wenig, sollte man annehmen. Nennen wir sie Heinsohn I und Heinsohn II. Als halbwegs gesichert gelten Heinsohn-Spuren am Berliner Dom (errichtet 1894 bis 1905) ebenso wie im Louvre (~1364-1873), in der Umgebung der Porta Nigra (~170) und in der Verbotenen Stadt Pekings (1406-1911 Residenz des chinesischen Großreichs). Hingegen fand sich keinerlei Hinweis auf seine Anwesenheit in den Zentren der Raumfahrt Baikonur (1955-?) und Cape Canaveral bzw. John F. Kennedy Space Center (1968-2011), diesen als Zeitmarken so wichtigen Grabungskomplexen. Ebenso fehlt uns jede Verbindung zum Stalinschen GULAG, dem phantasiebeherrschenden Großphänomen des Zwanzigsten Jahrhunderts, das seine Pforten, falls die herkömmliche Datierungsmethode in diesem Fall greift, erst im Jahr 1986 schließt.
Wäre es angesichts der Quellenlage nicht angemessen, Heinsohn I und II als mythologische Wiedergänger des Hexen-Heinsohn (Heinsohn III) zu begreifen, über dessen geistige Herkunft wir relativ gut Bescheid wissen, da sich seine Theorie der Weisen Frauen und ihrer Bedeutung für die Geburtenkontrolle des Mittelalters mit einem breiten Spektrum zeitgenössischer, in den 80er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts falsifizierter Forschungen deckt? Gilt demnach der Satz: Heinsohn I und II gibt es nicht? Oder vielmehr: Bei Heinsohn I, II und III handelt es sich in Wahrheit um ein und dieselbe Person? Jedenfalls sollte in dieser Richtung weiter geforscht werden. Wie gesagt, Datierungsfragen sind Menschheitsfragen. Schreiben wir das Wort, wie es sich gebührt, nämlich als Da-tier-ungs-frag-en, dann sehen wir in seinem fragmentarisch neben dem Heideggerschen Da das Tier aufscheinen, das nur das der britischen (en) Apokalypse, vulgo Brexit sein kann, womit ein chronologischer Anhaltspunkt für weitere Forschungen gegeben wäre.