Es hätte eine der modernsten Humankommunikationswissenschaften daraus werden können: Als Formalobjekt beinhaltete die Münchner Zeitungswissenschaft das prozessuale, suasive wie dissuasive, ›ungegenständliche‹, sich in den Kommunikatoren manifestierende, an gesprächsweise Mehrfachvermittlung partikularisierter Publica geknüpfte, »keineswegs an die drucktechnische Materialisation (Presse-Zeitung) gebundene«, »aller Konkretisierung vorausgehende ›Zeitungs‹-Phänomen«: das durch Meinungsbildung, Nachrichten-Austausch, Ausdrucksverhalten, Äußerungs- und Meinungs-Verstehen, maskierte Effekte, konstituierende Asymmetrien und kommunikatorspezifische, intellektuelle wie soziale Verarbeitung öffentlicher und veröffentlichter Meinungen der repräsentierten Ausgangspartner und Zielpartner mit wechselnden Rollen in unsteten Kommunikationspartnerschaften erwirkte Zeitgespräch der Gesellschaft, das Gespräch der Zeitgenoss/en\innen zu Themen der Zeit. Herleiten lässt sich das aus der Stellungnahme von Hanns Braun [Ghostwriter: Heinz Starkulla sen.] an die Philosophische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München vom 15. Oktober 1962 (Hans Wagner ed.1988: 362-364). Womit ein interdisziplinärer, medienrhetorischer, sozialpragmatischer und sachkompetenter Zeitungsbegriff adressiert wurde. Ein Pol des Zeitungsbegriffs der Münchner Zeitungswissenschaft (ZW) war in der empirisch-hermeneutischen Gesellschaftslehre, in der verstehenden Soziologie situiert und prägte das Selbstverständnis der Münchner ›ZW‹-Fachvertreter vor allem in den 1960er und 1970er Jahren. Dieser intermediär unstete, pragmatische, sozialkommunikative und zeitgesprächsvermittelte Zeitungsbegriff war und blieb außerhalb (und manchen auch innerhalb) der Münchner ›ZW‹ missverständlich und leicht karikierbar, ist jedoch in den 80 Jahren Münchner ZW 1924-2004 zu keiner Zeit wirklich abhanden gekommen. Mit einer Ausnahme: die rund zehnjährige Unterbrechung mit erzwungener Fixierung auf verdinglichte NS-Presse-Gegenstände 1935/45. In diesem Dezennium dominierte in der Münchner ZW ein zweckrational-publizistikwissenschaftlicher, auf abzählbares Menschen-und-Zeitungs-›Material‹ angewandter, gewiss nicht ohne Abstriche als empirisch-sozialwissenschaftlich charakterisierbarer, weltbildvereinfachender Begriff von Zeitung. So wie bei Dovifat 1937/67 in seiner Zeitungslehre als Teil der Allgemeinen Publizistik, worin »die Zeitung praktisch zu den publizistischen Mitteln gehört, zu den mass media, den communication media, wie sie das Ausland nennt« (Version 1967/I: 5). Demgegenüber wirkte Karl d`Ester mit seinem Handbuchartikel über Gesprochene Zeitung 1940 eher hilflos, ein Münchner Zeitungswissenschaftler in der Tradition von Kaspar Stieler 1695/97. Andererseits ist nicht verwunderlich, dass die Dovifat-Doktorandin Elisabeth Noelle-Neumann ihr massenlenkungsmotiviertes Forschungsinteresse , das sie als DAAD-Stipendiatin 1937/38 in den USA beschäftigt hatte, 1963 wieder aufgriff: Meinung und Meinungsführer. Über den Fortschritt in der Publizistikwissenschaft durch Anwendung empirischer Forschungsmethoden. Kohärente Grundlagenkritik (beispielsweise Robert Lynd 1939, Susan Hearold 1986 oder William McGuire 1986) bewegte sie kaum oder gar nicht. Etwa seit den 1980ern wird in englischsprachigen Fachtexten auch von »parasocial opinion leadership« gesprochen. Im Fachjargon der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaften flackerte dies nach jahrzehntelanger Ladehemmung als parasoziale Meinungsführerschaft auf.