Immo Sennewald: Abend

1. Lan­gua­ge Eman­ci­pa­ti­on

Das ist der Titel eines 2011 im In­ter­na­tio­nal Jour­nal of the So­cio­lo­gy of Lan­gua­ge er­schie­ne­nen Auf­sat­zes der bei­den skan­di­na­vi­schen Lin­gu­is­tin­nen Leena Huss (Uni­ver­si­tät Upp­sa­la) und An­na-Riit­ta Lind­gren (Uni­ver­si­tät Trom­sö). Er soll im fol­gen­den sei­nes Über­sichtscha­rak­ters und sei­ner in­ter­es­san­ten An­re­gun­gen wegen als Ori­en­tie­rung die­nen.

Lan­gua­ge eman­ci­pa­ti­on heißt im Grun­de, dass Spra­che aus einem ne­ga­ti­ven (un­ter­drück­ten, stig­ma­ti­sier­ten) in einen po­si­ti­ve­ren Sta­tus ver­bes­sert wird. Von gro­ßer Be­deu­tung ist nun, dass be­züg­lich der In­iti­an­ten die­ser Eman­zi­pa­ti­on zwei In­ter­pre­ta­tio­nen mög­lich sind:
a) Die Spre­cher einer Spra­che en­ga­gie­ren sich aktiv dafür, den Sta­tus ihrer Spra­che zu ver­bes­sern: die Spre­cher eman­zi­pie­ren so­zu­sa­gen ihre Spra­che ›von unten‹.
b) Eine Spra­che /Sprach­form wird von einer äu­ße­ren In­stanz in ihrer Be­deu­tung und ihrem Sta­tus an­ge­ho­ben. Die un­ter­drück­te Spra­che wird ›von außen‹, bzw. ›von oben‹ eman­zi­piert, z.B. von einer Re­gie­rung. Diese bei­den As­pek­te wer­den von den Au­to­rin­nen aus­führ­lich er­ör­tert. Es ist nicht un­wich­tig, dass die Vo­ka­beln Eman­ci­pa­ti­on oder eman­ci­pa­te durch­aus in der Fach­li­te­ra­tur Ver­wen­dung fan­den und fin­den, dies aber eher nicht in einem tech­nisch-ter­mi­no­lo­gi­schen Sinne.
Hier aber soll­te lan­gua­ge eman­ci­pa­ti­on von den bei­den Au­to­rin­nen als neue Be­griff­lich­keit ein­ge­führt wer­den.

Im Fol­gen­den sol­len die so­eben in die Fälle a) und b) un­ter­schie­de­nen Er­schei­nungs­for­men der lan­gua­ge eman­ci­pa­ti­on ge­trennt er­läu­tert wer­den und dabei zeigt sich, dass be­son­ders der unter b) skiz­zier­te Fall in den letz­ten Jah­ren sehr ak­tu­ell ge­wor­den ist, in­so­fern durch die Auf­lö­sung grö­ße­rer Staats­ge­bil­de (Viel­völ­ker­staa­ten) im Zuge eines neu auf­kom­men­den Na­tio­na­lis­mus ›von oben‹, d.h. staat­li­cher­seits, ehe­mals do­mi­nie­ren­de Spra­chen ins zwei­te Glied und die einst­mals un­ter­drück­ten Spra­che der je­wei­li­gen Eth­ni­en in den Vor­der­grund ge­rückt wer­den.

2. Wie man seine un­ter­drück­te Spra­che eman­zi­piert

2.1 Sta­tio­nen der Eman­zi­pa­ti­on

Der ak­ti­ve Pro­zess der Eman­zi­pa­ti­on aus der Sicht von Min­der­hei­ten wurde schon in IABLIS 2009 unter dem Titel Selbst­be­haup­tung: das Über­le­ben sprach­li­cher Min­der­hei­ten be­schrie­ben. Mit ei­ni­gen Bei­spie­len lässt sich zei­gen, wie es in lei­der zu we­ni­gen Welt­ge­gen­den ge­lun­gen ist/ge­lingt, ins Hin­ter­tref­fen ge­ra­te­ne Mi­no­ri­tä­ten­spra­chen zu re­vi­ta­li­sie­ren, so etwa in den USA (Na­va­jo), Neu­see­land (Maori), Mit­tel­ame­ri­ka (be­son­ders Maya), Eu­ro­pa (be­son­ders Skan­di­na­vi­en: Saa­misch). Die Stra­te­gi­en, mit denen sich Mi­no­ri­tä­ten Gehör ver­schaf­fen und ihren Sta­tus ver­bes­sern, sind viel­fäl­tig:
a) Man er­reicht, dass die un­ter­pri­vi­le­gier­te Spra­che in staat­li­chen Schu­len neben der ›Haupt­spra­che‹ un­ter­rich­tet wird.
b) Al­ter­na­tiv dazu: Man grün­det selbst Schu­len, in denen die Mi­no­ri­tä­ten­spra­che un­ter­rich­tet wird (Bei­spiel: Na­va­jo (neben Eng­lisch) in der Rock Point Com­mu­ni­ty School/Ari­zo­na).
c) Man ver­fasst im Zuge des­sen Lehr­bü­cher und Gram­ma­ti­ken.
d) Man nutzt alle zu­gäng­li­chen Me­di­en: Pres­se, Radio, TV, In­ter­net.
e) Man lan­ciert Ver­tre­ter im po­li­ti­schem Kon­text: kom­mu­nal, über­re­gio­nal, bis hin zu einer par­la­men­ta­ri­schen Re­prä­sen­ta­ti­on, so dass Ak­tio­nen in die­sen Be­rei­chen zur Pro­pa­gie­rung der ei­ge­nen kul­tu­rel­len und sprach­li­chen Be­lan­ge ge­nutzt wer­den kön­nen.

Eine we­sent­li­che Be­ob­ach­tung ist hier am Plat­ze: Huss/Lind­gren wei­sen ex­pli­zit dar­auf hin, dass die un­ter­drück­ten Spra­chen nicht un­be­dingt vom Aus­ster­ben be­droht sein müs­sen (2011:8). Eine Spra­che kann durch­aus über eine große Spre­cher­zahl ver­fü­gen, ist damit nicht in ihrer Exis­tenz be­droht, kann aber stig­ma­ti­siert sein, so wie das Fin­ni­sche oder Nor­we­gi­sche im 19. Jahr­hun­dert. Eman­zi­pa­ti­on ist somit nicht gleich­be­deu­tend mit Re­vi­ta­li­sie­rung.

2.2 Eman­zi­pa­ti­on in der Sprach­pra­xis

Es ist hin­läng­lich be­kannt, dass mit­ten in Eu­ro­pa (und dies kei­nes­wegs im Kon­text be­droh­ter Min­der­hei­ten­spra­chen) Be­stre­bun­gen im Gange sind, Spra­chen von eng­lisch­spra­chi­gen Ein­flüs­sen zu ›be­frei­en‹ und ab­zu­schir­men. Dies ge­schieht unter an­de­rem seit ei­ni­ger Zeit in Deutsch­land und be­son­ders auf­fäl­lig in Frank­reich: man er­set­ze also z.B. ›Com­pu­ter‹ durch ›Rech­ner‹ oder ›Or­di­na­teur‹. In den Spra­chen Nord­eu­ro­pas, be­son­ders im Is­län­di­schen, ist die­ser Pro­zess sehr gut zu be­ob­ach­ten.

Das Ganze wird gerne mit dem Eti­kett ›Pu­ris­mus‹ ver­se­hen. Dabei muss die oben von Huss und Lind­gren ge­trof­fe­ne De­fi­ni­ti­on zur lan­gua­ge eman­ci­pa­ti­on etwas ge­lo­ckert wer­den: Wenn im Deut­schen oder Fran­zö­si­schen der Aus­schluss eng­li­scher Wör­ter ge­for­dert wird, so ist dies nicht un­be­dingt eine ›Ver­bes­se­rung eines ne­ga­ti­ve­ren Sta­tus in einen po­si­ti­ve­ren‹, aber man könn­te hier den­noch ohne wei­te­res von ge­wis­sen ›Eman­zi­pa­ti­ons­be­stre­bun­gen‹ spre­chen.

Um so mehr kommt die­ser den Wort­schatz einer Spra­che be­tref­fen­de Eman­zi­pa­ti­ons­fak­tor bei der Re­vi­ta­li­sie­rung von be­droh­ten Spra­chen zum Tra­gen, und hier hat er einen we­sent­lich wich­ti­ge­ren Stel­len­wert, denn er sym­bo­li­siert die ›Ver­ban­nung‹ des durch Ko­lo­ni­al­mäch­te hin­ein ge­tra­ge­nen Vo­ka­bu­lars und stellt in die­sem Kon­text schon eher eine ›Be­frei­ung‹ und ›Nach-/Ver-bes­se­rung‹ dar. Im Fol­gen­den geben wir ei­ni­ge Bei­spie­le für die­sen ›le­xi­ka­li­schen‹ Eman­zi­pa­ti­ons­pro­zess. Die­ser be­trifft in allen Fäl­len Eth­ni­en in­ner­halb eines Lan­des mit mul­ti­lin­gua­lem Hin­ter­grund. Es müs­sen al­ler­dings zwei Fälle un­ter­schie­den wer­den:
a) im gän­gi­gen Wort­schatz der Spra­che be­fin­den sich Lehn­wör­ter (Eng­lisch, Spa­nisch etc.), die ent­we­der der pho­no­lo­gi­schen Form der Spra­che an­ge­passt sind oder un­ver­än­dert über­nom­men sind. In bei­den Fäl­len kön­nen diese Wör­ter dann durch Neo­lo­gis­men aus dem ›ei­ge­nen‹ Sprach­ma­te­ri­al er­setzt wer­den.
b) neue Kon­zep­te, die noch nicht in ir­gend­ei­ner Form im Vo­ka­bu­lar ver­tre­ten waren, kön­nen eben­so durch Neo­lo­gis­men ver­sprach­licht wer­den.

2.2.1 Ma­yaspra­chen

Im Auf­satz zur Selbst­be­haup­tung von Mi­no­ri­tä­ten (IABLIS 2009) wurde ins­be­son­de­re die Si­tua­ti­on in Mit­tel­ame­ri­ka (Me­xi­ko und Gua­te­ma­la) er­wähnt. Dort ist man seit ei­ni­ger Zeit be­müht, di­ver­se Ma­ya-Spra­chen wie­der­zu­be­le­ben. Im Zu­sam­men­hang mit den in­ten­si­ven An­stren­gun­gen, diese Spra­chen an Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten zu un­ter­rich­ten (mit der dazu nö­ti­gen Er­stel­lung von Lehr­ma­te­ria­li­en), ist die Re­form des Vo­ka­bu­lars zu er­wäh­nen.

Ein gua­te­mal­te­ki­sches Gre­mi­um unter der Lei­tung von Tuyuc Sucuc, R.O. Cam­po­se­co und M. Ven­tura hat unter dem Ori­gi­nal-Ki­che’-Ti­tel: K’AK TÄQ TZIJ RE KICHE‘ TZIJ ein um­fang­rei­ches Werk ver­öf­fent­licht – mit dem spa­ni­schen Un­ter­ti­tel Ac­tua­liza­ci­on le­xi­cal idio­ma Maya Kiche. Hier wird ex­pli­zit das in­ter­na­tio­na­le (= eu­ro­päi­sche, d.h. auch aus dem Alt­grie­chi­schen stam­men­de, zu­meist aber la­tei­nisch-spa­ni­sche) Lehn­wort-Vo­ka­bu­lar durch ge­nui­ne Ma­ya-Pen­dants er­setzt. Man be­trach­te:

Spa­ni­sches
Lehn­wort
Ma­ya-Ent­spre­chung
 
 
     
Nu­me­ro
(Zahl)
aji­la---------b’äl
zäh­len----IN­STRU­MENT
»das Zählin­stru­ment«
 
Ga­ra­je
(Ga­ra­ge)
k’ol-------------b’äl------------chich‘
auf­be­wah­ren—LO­KA­TI­ON—Auto
»Au­to­auf­be­wah­rungs­ort«
 
Cra­ter
(Vul­kan-Kra­ter)
u------------------chi‘--------xka­nul
POS­SES­SIV----Mund ----Vul­kan
»Mund des Vul­kans«
 
 

Bei Tä­tig­keits­be­zeich­nun­gen wird gerne ein sog. AGENS-Prä­fix mit einem Ba­sis­verb ver­bun­den, was durch­aus mit Bil­dun­gen aus dem Deut­schen auf -er (für das Agens) ver­gleich­bar ist: do­cen­te (was ja auf­grund sei­nes la­tei­ni­schen Ur­sprungs eine Par­ti­zi­pia­l­form von do­ce­re (leh­ren) ist und so ins Spa­ni­sche und Maya kam), wird er­setzt durch:

aj -------- --------tij >      ajtij      »der Leh­ren­de«
Agensprä­fix- leh­ren  

 

Ex­kurs:

In der Lin­gu­is­tik un­ter­schei­det man im Rah­men der No­mi­na­ti­on (der Be­nen­nung von Per­so­nen und Ge­gen­stän­den) eti­ket­tie­ren­de und de­skrip­ti­ve Ver­fah­ren: eine Bil­dung wie LEH­RER ist de­skrip­tiv in­so­fern, als sie di­rekt ana­ly­sier­bar ist in ein eine Tä­tig­keit be­zeich­nen­des Verb und den Ex­po­nen­ten die­ser Tä­tig­keit. Ein Wort wie ›Arzt‹ je­doch ist zu­nächst nicht trans­pa­rent, ist ein ein­fa­ches Eti­kett. Im May­a­bei­spiel AJTIJ liegt also eine de­skrip­ti­ve Form vor, und die­ses Prin­zip wird beim Er­set­zen fremd­spra­chi­ger Wör­ter durch au­to­chtho­ne For­men zir­kum­glo­bal prak­ti­ziert, sei es durch Ab­lei­tun­gen (De­ri­va­ti­on) wie bei ›Lehr-er‹ oder Kom­po­si­ta (wie etwa in ›Ra­sen­mä­her‹) oder auch in satz­ar­ti­gen Kon­struk­tio­nen z.B. bei der Na­men­ge­bung à la ›dan­ces with wolf‹ (der mit dem Wolf tanzt) statt ›Kevin‹.

2.2.2 Na­va­jo

Auch für den Er­halt des Na­va­jo (New Me­xi­co) wer­den seit Jah­ren im­men­se An­stren­gun­gen ge­leis­tet. Einen Mei­len­stein bei der Re­vi­ta­li­sie­rung die­ser Spra­che ist die Grün­dung der Rock-Point-Com­mu­ni­ty-School. Ob­wohl es keine of­fi­zi­el­le Stel­le zur Sprach­nor­mie­rung (inkl. Krea­ti­on von Neo­lo­gis­men) gibt,ist es den­noch den Be­mü­hun­gen von Ein­zel­per­so­nen zu ver­dan­ken, sei es durch münd­li­che Pro­pa­gan­da oder auch ver­ein­zel­te Pu­bli­ka­tio­nen, dass an­glo­pho­ne Ter­mi­ni durch Na­va­jo-Pen­dants er­setzt wur­den und wer­den. Zu den be­kann­tes­ten Bei­spie­len ge­hö­ren die Na­va­jo-Va­ri­an­ten für Au­to­tei­le. Hier wer­den auf der Basis des des Lex­ems chidi (car) Kom­po­si­ta ge­bil­det:

Eng­lisch: Na­va­jo:
head­lights chidi   binaa
(Front­schein­wer­fer)         car(s)   eyes

Eng­lisch:

Na­va­jo:
tire chidi   bikee
(Rei­fen)        car(s) foot

Der Be­stand­teil chidi (car ) taucht dann auch bei der Va­ri­an­te für Flug­zeug auf:

air­plane   =   chidi   naat’a’i car fly­ing

Etwas kom­ple­xer – und noch etwas de­skrip­ti­ver, da satz­ar­tig da­her­kom­mend – ist der Aus­druck für Te­le­fon, der selbst wie­der­um in der Na­va­jo-Ge­mein­de in un­ter­schied­li­chen Va­ri­an­ten dis­ku­tiert wurde. Durch­ge­setzt hat sich wohl:

 

beesh bee hane’i ap­pa­ra­tus through which one tells
In­stru­ment mit spre­chen  

 

3.2.3 Maori

Schon lange sind in Neu­see­land Ak­ti­vi­tä­ten rund ums Maori im Gange. Be­reits im 19. Jahr­hun­dert wur­den Wör­ter­bü­cher er­stellt. Seit Mitte des 20. Jahr­hun­derts wacht eine MAORI LAN­GUA­GE COM­MIS­SI­ON über den Er­halt der Spra­che. Dazu ge­hö­ren, wie im be­reits er­wähn­ten Auf­satz (IABLIS 2009) aus­ge­führt, das Durch­set­zen von in Maori ab­ge­hal­te­nem Schul­un­ter­richt, uni­ver­si­tä­re Ak­ti­vi­tä­ten, Pres­se­pu­bli­ka­tio­nen, Rund­funk, Fern­se­hen, In­ter­net – alles dies in Maori.

Das Ent­fer­nen eng­lisch­spra­chi­ger Wör­ter und deren Er­satz durch Mao­ri-Bil­dun­gen mag auch hier als Eman­zi­pa­ti­ons­stra­te­gie ge­wer­tet wer­den. Man ver­glei­che:

Engl. Lehn­wort
 
Mao­ri-Pen­dant
 
Ink (Tinte) wai   mangu
  water   black
 
Ma­the­ma­tics pan­ga----------ran
  re­la­ti­ons­hip---ma­ny
   

Auch an Ka­len­der­be­zeich­nun­gen hat man sich her­an­ge­wagt, wobei – und das gilt für alle hier er­wähn­ten Spra­chen – ge­wis­se Ge­ne­ra­ti­ons­kon­flik­te nicht aus­zu­schlie­ßen sind. Dies be­deu­tet, dass die äl­te­re Ge­ne­ra­ti­on sich mit den Neo­lo­gis­men nicht so ohne wei­te­res an­freun­den kann. So hat man die Be­zeich­nun­gen der Wo­chen­ta­ge, die ur­sprüng­lich eng­lisch waren, ins Maori um­ge­setzt:

 

Mon­day ra----hi­na
ety­mo­lo­gisch: moon-day, wird da­bei­wört­lich über­setzt:      day---moon

 

2.2.4 Ha­waii­anisch

Ki­mu­ra und Coun­cel­ler (2009) geben einen de­tail­lier­ten Über­blick über die Wort­neu­schöp­fun­gen im Ha­waii­ani­schen und Aleu­ti­schen (Alas­ka). Wir grei­fen hier die erst­ge­nann­te Spra­che her­aus. Dabei drängt sich ein Ver­gleich mit den Ma­ya-Spra­chen und dem Maori auf, denn auch hier exis­tiert ein Gre­mi­um, das die le­xi­ka­li­schen Er­neue­run­gen kon­trol­liert, das HA­WAII­AN LE­XI­CON COM­MIT­TEE. Die Er­geb­nis­se sind im In­ter­net unter dem Label Ma­ma­ka Kaiao (www.​ulukau.​org) all­ge­mein zu­gäng­lich.

Wäh­rend ›in frü­he­ren Zei­ten‹ in vie­len Fäl­len das eng­li­sche Vo­ka­bu­lar in den ha­waii­ani­schen Re­de­fluss ein­ge­baut wurde, ver­sucht man nun – wie in den oben ge­nann­ten Spra­chen – kom­ple­xe­re Aus­drü­cke aus dem Fun­dus der Mut­ter­spra­che zu kon­stru­ie­ren. Es ist zu be­ob­ach­ten, dass das klas­si­sche Wör­ter­buch des Ha­waii­ani­schen, Pukui/El­bert (1.​Auflage schon 1957) in ei­ni­gen Fäl­len eng­li­sche Ori­gi­nal­aus­drü­cke für mo­der­ne tech­ni­sche Phä­no­me­ne bei­be­hält, in an­de­ren je­doch be­reits ge­nu­in-ha­waii­ani­sche Bil­dun­gen an­gibt. Nun kommt es im Ver­gleich des Wör­ter­buchs mit der neue­ren Ma­ma­ka Kaiao-Ver­si­on zu in­ter­es­san­ten Fäl­len:
a) Das Wör­ter­buch von 1957 gibt für eng­lisch radio als un­ver­än­der­te Über­nah­me radio an.
b) In der neue­ren Fas­sung er­scheint dann der Neo­lo­gis­mus

Eng­lisch: Ha­waii­anisch:  
radio pahu   ho’olele leo
  box     send out voice

c) In­ter­es­sant ist, dass die ha­waii­ani­sche Ver­si­on für Glüh­bir­ne im Le­xi­kon von 1957 als:

  ania­ni    kukui uila
  glas        lamp electric

kom­po­niert wird. Dies wird of­fen­sicht­lich in der neue­ren Ver­si­on er­setzt durch

light bulb = ’opu’u kukui  
  bud il­lu­mi­na­te  

2.2.5 Ein kur­zer Blick nach Aus­tra­li­en

Die ur­sprüng­li­che Zahl der ›le­ben­den‹ aus­tra­li­schen Spra­chen ist mit der Zeit er­heb­lich ge­schrumpft. Aus die­sem Grund sind viele Ak­ti­vi­tä­ten zur Re­stau­rie­rung und Re­vi­ta­li­sie­rung im Gange. Von Sei­ten der Lin­gu­is­tik wur­den in den letz­ten Jah­ren in be­acht­li­chem Um­fang Gram­ma­ti­ken, Wör­ter­bü­cher und Text­samm­lun­gen zu man­chen Spra­chen er­stellt, doch bleibt immer noch eine be­trächt­li­che Zahl von Spra­chen, die ein Mau­er­blüm­chen­da­sein führt. Wenn es darum geht, diese etwas im Ver­bor­ge­nen blü­hen­den Spra­chen auf­zu­päp­peln, so muss also zu­erst in einer Art Be­stands­auf­nah­me fest­ge­stellt wer­den, was aus frü­he­ren Quel­len vor­liegt.

Die be­trof­fe­nen Spre­cher müs­sen mit Si­cher­heit grö­ß­ten­teils wie­der an ihre ›alte‹ Spra­che her­an­ge­führt wer­den. Selbst wenn ei­ni­ge noch über ru­di­men­tä­re Kennt­nis­se ver­fü­gen, so wird ihre Ver­stän­di­gungs­form ein ›code-mi­xing‹ aus aus­tra­li­scher Mut­ter­spra­che und Eng­lisch sein. (vgl. zu den Zwi­schen­stu­fen unten Ta­ta­risch). Also muss zu­nächst die Ori­gi­nal­spra­che re­vi­ta­li­siert wer­den und dann geht man – so wie das oben für die ein­zel­nen Spra­chen de­mons­triert wurde – daran, die ver­meint­lich ›fremd an­mu­ten­den‹ Lehn­wör­ter durch Neo­lo­gis­men zu er­set­zen. Schö­ne Bei­spie­le, die struk­tu­rell denen aus den bis­her ge­nann­ten Spra­chen ent­spre­chen, fin­den sich bei Amery 2009:90 zum Kaur­na, einer süd­aus­tra­li­schen Spra­che:

Eu­ro­päi­sches Lehn­wort Kaur­na –Neo­lo­gis­men
com­pu­ter mu­karn­do mu­ka­mu­ka = Ge­hirn, karn­do =Blitz
te­le­pho­ne war­rai­tyat­ti warra= Stim­me, kaiya= sen­den, --tti = Ding
pizza ku­r­i­mai kuri = Kreis, mai= Essen
mi­cro­wa­ve tu­kuwing­ku­ra tuku= klein/mikro, wing­ku­ra= Welle

Eman­zi­pa­ti­on er­folgt also in zwei Schrit­ten: zu­erst ist die in Frage kom­men­de Spra­che als sol­che von an­de­ren (sie u.U. un­ter­drü­cken­den) ab­zu­gren­zen, zum Bei­spiel als ei­gen­stän­di­ge Form, wobei Mi­no­ri­tä­ten sich häu­fig gegen plum­pe Vor­ur­tei­le zur Wehr set­zen müs­sen, sie sprä­chen ja nur einen un­be­deu­ten­den ›Dia­lekt‹. D.h. die Spra­che ist in­tern mit ihrem ei­ge­nen Vo­ka­bu­lar und ihrer ei­ge­nen Gram­ma­tik zu er­fas­sen. In einem wei­te­ren Eman­zi­pa­ti­ons­schritt kann dann, wie oben ge­zeigt, der fremd­spra­chi­ge Ein­fluss zu­rück­ge­drängt wer­den, eben durch Neo­lo­gis­men aus der ei­ge­nen Spra­che.

3. Na­tio­na­lis­mus und sprach­li­che Eman­zi­pa­ti­on

Hier­mit kom­men wir zur oben unter b) skiz­zier­ten Form der lan­gua­ge eman­ci­pa­ti­on. Im Zuge po­li­ti­scher Ver­än­de­run­gen der letz­ten 30 Jahre ist be­son­ders deut­lich ge­wor­den, dass die Auf­spal­tung ehe­mals grö­ße­rer po­li­ti­scher Blö­cke in ihre ›Ein­zel­tei­le‹ zu ver­stärk­ten Re­stau­ra­ti­ons­ten­den­zen ge­führt hat, die auch auf sprach­li­chem Sek­tor ihre Aus­wir­kun­gen haben. Dies be­trifft im eu­ra­si­schen Raum be­son­ders die alte So­wjet­uni­on und das ehe­ma­li­ge Ju­go­sla­wi­en.

3.1 De-Ser­bia­ni­sie­rung

Ein klas­si­sches Bei­spiel für Um­struk­tu­rie­run­gen im Rah­men der Sprach­po­li­tik lie­fert die Auf­lö­sung Ju­go­sla­wi­ens in seine alten Teil­re­pu­bli­ken. Es war schon immer in der Dis­kus­si­on, wel­chen Sta­tus denn nun ein so­ge­nann­tes Ser­bo-Kroa­tisch ei­gent­lich habe: Ist es eine Spra­che, eine Haupt­spra­che (Ser­bisch) mit einem Dia­lekt (Kroa­tisch) oder etwas drit­tes? – dabei ganz zu schwei­gen von den diese bei­den ›Spra­chen‹ wei­ter dif­fe­ren­zie­ren­den Un­ter­va­ri­an­ten.

So avan­cier­te die so­ge­nann­te ›De-Ser­bia­ni­sie­rung‹ nach 1989 zu einem äu­ßerst wich­ti­gen Po­li­ti­kum. In Bos­ni­en mit sei­ner über­wie­gend mus­li­mi­schen Be­völ­ke­rung hat man ›Ori­en­ta­lis­men‹ (letzt­lich Wör­ter ara­bi­schen, per­si­schen oder tür­ki­schen Ur­sprungs) ›wie­der­be­lebt‹, so dass sich in vie­len Fäl­len eine le­xi­ka­li­sche Op­po­si­ti­on bos­nisch vs. ser­bisch/kroa­tisch er­gibt:

  Bos­nisch
 
Ser­bisch und Kroa­tisch
(mit sla­vi­scher Ety­mo­lo­gie)
krank hasta (*tür­kisch) bo­les­tan
Nach­richt haber(*ara­bisch) vi­jest
Sitte adet (*ara­bisch) obi­caj

Die Tren­nung zwi­schen Kroa­tisch und Ser­bisch ist we­sent­lich dra­ma­ti­scher. Diese ›Re-Kroa­ti­sie­rung‹ wird be­son­ders in den Me­di­en pro­pa­giert (Stich­wort: No­vo­go­vor = Neue Spra­che) und stützt sich zum grö­ß­ten Teil auf sla­visch ba­sier­te Neo­lo­gis­men – im Ge­gen­satz zu nicht-sla­vi­schen Lehn­wör­tern, die noch im Ser­bi­schen ge­braucht wer­den.

 

  ›Neu-Kroa­tisch‹
 
Ser­bisch
 
Pass pu­tov­ni­ca pasos
Karte zemljo­vid (›Erd-Blick‹) mapa
Aus­weis domov­ni­ca licna karta (per­sön­li­che Karte)
Bot­schaf­ter ve­le­pos­lan am­bas­sa­dor

 

3.2. De-Rus­si­fi­zie­rung

Der unter dem Schlag­wort ›De-Rus­si­fi­zie­rung‹ er­fass­te Pro­zess des Zu­rück­drän­gens rus­si­scher Ein­flüs­se aus eth­nisch nicht rein rus­si­schen Ge­bie­ten er­folg­te in einer ers­ten Welle schon nach dem Zu­sam­men­bruch des Za­ren­rei­ches in den 20er Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts. Mit dem Er­star­ken der So­wjet­uni­on kam wie­der­um der ge­gen­läu­fi­ge Pro­zess in Gang, also eine Rus­si­fi­zie­rung. Nach der Auf­lö­sung die­ses Viel­völ­ker­staa­tes dreh­te sich das Blatt, denn seit 1989 ist er­neut eine De-Rus­si­fi­zie­rung fest­zu­stel­len. Diese ver­läuft in sehr un­ter­schied­li­cher Weise. In den neu ent­stan­de­nen sou­ve­rä­nen Staa­ten mit einer ein­deu­ti­gen rus­si­schen Min­der­heit konn­te die je­wei­li­ge Re­gie­rung die bis dahin neben dem Rus­si­schen be­ste­hen­de Spra­che re­la­tiv pro­blem­los zur Staats­spra­che de­kla­rie­ren, so etwa in Li­tau­en, das über eine rus­sisch spre­chen­de Mi­no­ri­tät von nur 5 Pro­zent ver­fügt.

Eine we­sent­lich kom­pli­zier­te­re Lage exis­tiert in Ka­sachs­tan. Dort liegt der An­teil von Ka­sa­chen zu Rus­sen (be­zo­gen auf die Ge­samt­be­völ­ke­rung) in einem Ver­hält­nis von 40 zu 30 Pro­zent vor, und dies hat in den letz­ten Jah­ren zu einem stän­di­gen Hin und Her in der Sprach­po­li­tik ge­führt. Wäh­rend nun mehr als die Hälf­te der Ka­sa­chen Rus­sisch spre­chen kann, er­gibt sich eine ekla­tan­te Asym­me­trie, in­so­fern nur um die 2 Pro­zent der Rus­sen über eine ka­sa­chi­sche Kom­pe­tenz ver­fügt, so dass die For­de­run­gen sei­tens der Re­gie­rungs­stel­len, der rus­si­sche Be­völ­ke­rungs­teil müsse sich an­pas­sen und Ka­sa­chisch ler­nen, auf große Schwie­rig­kei­ten und Wi­der­stän­de trifft. Man kann die jet­zi­ge Si­tua­ti­on als un­ent­schie­den be­zeich­nen, denn Ka­sa­chisch (eine Turkspra­che) und das Rus­si­sche be­set­zen je­weils glei­cher­ma­ßen wich­ti­ge Be­rei­che des öf­fent­li­chen Le­bens: Das Ka­sa­chi­sche neu­er­dings im po­li­ti­schen und me­dia­len Be­reich, das Rus­si­sche tra­di­tio­nel­ler­wei­se im wirt­schaft­li­chen Kon­text. Der Kom­pro­miss: Beide Spra­chen ko­exis­tie­ren und das Rus­si­sche er­hält den Sta­tus einer Spra­che für die ›in­te­reth­ni­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on‹. Hier kann also nicht von einer kom­plet­ten Eman­zi­pa­ti­on des Ka­sa­chi­schen ge­spro­chen wer­den – im Ge­gen­satz zur Si­tua­ti­on des Li­taui­schen.

Die Tat­sa­che, dass Re­gie­run­gen über den Sta­tus von Spra­chen be­fin­den, ist von ent­schei­den­der Be­deu­tung. Denn hier gilt – wie ein­lei­tend vor­aus­ge­schickt – die b-Va­ri­an­te der lan­gua­ge eman­ci­pa­ti­on: Die ›Ob­rig­keit‹ eman­zi­piert in die­sem Falle die bis dahin mar­gi­na­li­sier­te Spra­che und nicht un­be­dingt Ak­ti­vis­ten ›von unten aus dem ein­fa­chen Volk‹.

Ein wei­te­rer As­pekt der staat­lich ver­ord­ne­ten Eman­zi­pa­ti­on er­gibt sich durch die Er­set­zung der ky­ril­li­schen Schrift durch die la­tei­ni­sche. Dies wurde z.B. in den turkspra­chi­gen Re­pu­bli­ken Turk­me­nis­tan und Us­be­kis­tan durch­ge­führt. Dabei zeich­nen sich wei­te­re Trends ab: Wäh­rend Us­be­kis­tan eine pro-west­li­che Ori­en­tie­rung prak­ti­ziert, tritt die Af­fi­ni­tät der Turk­me­nen zu ihren tür­kei-tür­ki­schen Nach­barn immer stär­ker zum Vor­schein. (Wir wol­len hier al­ler­dings nicht näher über die immer noch vi­ru­len­ten Ideen des Pan­tur­kis­mus ein­ge­hen).

Als über­trie­be­ne Ver­si­on der Eman­zi­pa­ti­on al­ler­dings gilt – in den Augen von Am­nes­ty In­ter­na­tio­nal – die Sprach­po­li­tik in Est­land. Es wird be­rich­tet, dass Rus­sisch­spre­cher auf­grund ihrer schlech­ten oder nicht vor­han­de­nen Est­nisch­kennt­nis­se (Est­nisch ist eine fin­no-ugri­sche Spra­che) bei der Suche nach An­stel­lun­gen dis­kri­mi­niert wür­den.

Eben­falls zu den oben ge­nann­ten Turkspra­chen ge­hört das Ta­ta­ri­sche. Al­ler­dings liegt hier der Fall etwas an­ders, denn das po­li­ti­sche Ge­bil­de Ta­tars­tan ist nicht wie Turk­me­nis­tan oder Azer­ba­jd­schan ein selbst­stän­di­ger Staat, son­dern eine au­to­no­me Teil­re­pu­blik der Rus­si­schen Fö­de­ra­ti­on mit der Haupt­stadt Kazan. Hier wurde (wie in Turk­me­nis­tan und Us­be­kis­tan) zu­nächst die ky­ril­li­sche Schrift zu­guns­ten der la­tei­ni­schen ab­ge­schafft (1999), doch 2004 wurde das Ganze wie­der zu­rück­ge­schraubt und die ky­ril­li­sche Schrift wie­der ein­ge­führt. Trotz die­ses Hin und Her kön­nen eman­zi­pa­to­ri­sche Be­mü­hun­gen ding­fest ge­macht wer­den, be­son­ders im Vo­ka­bu­lar.

Wert­heim (2002) be­schreibt die In­ten­tio­nen der ta­ta­ri­schen Sprach­pla­ner im De­tail. Dabei zeigt sich, dass hier, wie in vie­len an­de­ren Welt­ge­gen­den, bei der Eman­zi­pa­ti­on einer Erst­spra­che immer wie­der Par­al­le­len auf­tre­ten: Man ver­sucht, Lehn­wör­ter aus­zu­mer­zen, be­son­ders rus­si­sche, und durch Neo­lo­gis­men zu er­set­zen.

Im Ta­ta­ri­schen kommt je­doch hinzu, dass man, des kul­tu­rel­len Erbes wegen, durch­aus nicht auf äl­te­re ara­bi­sche oder per­si­sche Wör­ter ver­zich­ten will. Trotz allem ist das an­ge­streb­te ›reine Ta­ta­ri­sche‹ auf­grund der lan­gen Durch­drin­gung von Rus­sisch und Ta­ta­risch letzt­end­lich nur eine von sechs mög­li­chen Sprach­for­men. Wert­heim (ebd:21) un­ter­schei­det neben der rei­nen, vom Rus­si­schen völ­lig un­be­ein­fluss­ten Form a) noch:
b) einen ta­ta­ri­schen Stil mit we­ni­gen rus­si­schen Ele­men­ten (z.B. Kon­junk­tio­nen)
c) eine über­wie­gend ta­ta­ri­sche Form mit re­la­tiv vie­len rus­si­schen Ein­spreng­seln
d) eine rus­sisch ba­sier­te Form mit gleich vie­len ta­ta­ri­schen Ele­men­ten
e) eine rus­sisch ba­sier­te Form mit we­ni­gen ta­ta­ri­schen For­men
d) rei­nes Rus­sisch.

Die hier vor­ge­nom­me­ne de­tail­lier­te Dif­fe­ren­zie­rung kann durch­aus ge­wis­se Sta­tio­nen von sprach­li­cher Eman­zi­pa­ti­on wie­der­ge­ben:
Die Ak­ti­vis­ten, die eine sprach­li­che Eman­zi­pa­ti­on pro­pa­gie­ren, könn­ten ge­wis­se ›Zwi­schen­er­fol­ge‹ er­zie­len: Man kommt vom rei­nen Rus­si­schen (bei einem eth­ni­schen Ta­ta­ren) über ›ein wenig‹ Ta­ta­risch über ›mehr Ta­ta­risch‹ zum ›rei­nen Ta­ta­ri­schen‹.

Die Spre­cher könn­ten also, je nach ihrem je­wei­li­gen Idio­lekt, die­sen un­ter­schied­li­chen Sta­tio­nen zu­ge­ord­net wer­den und könn­ten sich von Po­si­ti­on zu Po­si­ti­on hin zum ›rei­nen Ta­ta­ri­schen‹ ver­bes­sern.

Bei der Spe­zi­al­li­te­ra­tur zu allen oben ge­nann­ten Spra­chen fällt immer wie­der auf, dass sich diese Sicht­wei­se durch­aus als zu­tref­fend er­weist: Dann gibt es z.B. eth­ni­sche Na­va­jo, die ihre Spra­che über­haupt nicht be­herr­schen, sol­che, die English mit wenig Na­va­jo mi­schen, sol­che, die immer noch über viele eng­li­sche Vo­ka­bel in ihrem Na­va­jo ver­fü­gen und sol­che, die im Ide­al­fall rei­nes Na­va­jo spre­chen: Man­che sind ein wenig eman­zi­piert, man­che mehr und ei­ni­ge völ­lig.

3.3. Neue­re Ent­wick­lun­gen

Am 9.7.2011 wurde die Un­ab­hän­gig­keit des Süd­su­dans aus­ge­ru­fen. Be­trach­tet man die sprach­li­che Si­tua­ti­on dort, so soll­te man nicht son­der­lich über­rascht sein: Hier und in vie­len an­de­ren afri­ka­ni­schen Staa­ten ist eine große Zahl ver­schie­de­ner Spra­chen aus un­ter­schied­li­chen Sprach­fa­mi­li­en an­zu­tref­fen. Man geht von 50 – 60 Spra­chen aus. (Man hüte sich davor, hier und in Afri­ka ge­ne­rell von Dia­lek­ten zu spre­chen. Dies ist eine hart­nä­cki­ge fal­sche Ein­schät­zung).

An­ge­sichts der gro­ßen Zahl die­ser Spra­chen hatte man – be­reits als ehe­ma­li­ger Teil des Su­dans – Eng­lisch neben Ara­bisch in den Sta­tus der lin­gua fran­ca er­ho­ben. Kaum war die­ser neue Staat je­doch vier Wo­chen ›alt‹, da – so of­fen­bar nur über einen Wi­ki­pe­dia-Link er­fahr­bar – soll der süd­su­da­ni­sche für Kenia zu­stän­di­ge Bot­schaf­ter ver­kün­det haben, dass man das Ara­bi­sche durch das Swa­hi­li als lin­gua fran­ca er­set­zen wolle in der Ab­sicht, sich vom nord­afri­ka­nisch-ara­bi­schen Ein­fluss zu lösen und sich den süd­öst­li­chen Nach­barn (Kenia, Ugan­da) an­zu­nä­hern. Auch dies mag als Akt der Eman­zi­pa­ti­on ver­stan­den wer­den.

4. Ant­ago­nis­men und mög­li­che Sack­gas­sen

Wenn im ers­ten Teil die­ser Aus­füh­run­gen von den Ak­ti­vi­tä­ten ei­ni­ger Mi­no­ri­tä­ten die Rede war, so darf na­tür­lich nicht un­er­wähnt blei­ben, dass die Prot­ago­nis­ten der Re­vi­ta­li­sie­rung, wie zu er­war­ten, nicht sel­ten Wi­der­stän­den sei­tens der Staa­ten und ihrer Be­hör­den aus­ge­setzt sind. Als wei­te­rer Fak­tor der Ir­ri­ta­ti­on er­weist sich u.a. auch, dass in­ner­halb der Eth­ni­en im De­tail oft Kon­tro­ver­sen ent­ste­hen, wenn es um die Ak­zep­tanz von Neo­lo­gis­men geht: wäh­rend ein Teil der Eth­nie die Krea­ti­vi­tät bei der ›Er­fin­dung‹ von Neo­lo­gis­men zu schät­zen weiß, ins­be­son­de­re bei der Na­men­ge­bung für mo­der­ne Er­run­gen­schaf­ten der Tech­nik, po­chen an­de­re wie­der­um dar­auf, man solle auf diese neuen Vo­ka­beln ver­zich­ten, weil sie Ge­gen­stän­de oder In­sti­tu­tio­nen be­zeich­nen, die der ei­ge­nen Kul­tur fremd sind.

In einer hier aus Platz­grün­den nicht kom­pri­mier­ba­ren Fülle von Spe­zi­al­auf­sät­zen zur Sprach­po­li­tik rund um den Glo­bus wird ex­pli­zit (Land für Land, Re­gi­on für Re­gi­on) dis­ku­tiert, wel­che Po­li­tik staat­li­cher­seits zu be­ob­ach­ten ist. Es geht dabei u.a. nicht nur darum, wie in Kap. 3 ge­schil­dert, dass nach der Auf­lö­sung grö­ße­rer po­li­ti­scher Blö­cke be­stimm­te Ein­zel­staa­ten per Ge­setz Spra­chen pri­mä­ren oder se­kun­dä­ren Sta­tus ein­räu­men, es geht auch darum, wel­che Pro­ble­me exis­tie­ren­de Viel­völ­ker­staa­ten noch immer mit sich ›her­um­schlep­pen‹.

5. Viel­völ­ker­staa­ten und ›of­fi­zi­el­le Spra­chen‹

Die So­wjet­uni­on WAR ein Viel­völ­ker­staat. Glei­ches gilt aber auch ak­tu­ell für die Nach­fol­ge­re­pu­bli­ken, wie oben ge­zeigt, denn auch in die­sen klei­ne­ren po­li­ti­schen Ge­bil­den ist immer noch eine eth­ni­sche Viel­falt zu be­ob­ach­ten. Dies gilt ins­be­son­de­re für Ka­sachs­tan, denn dort – und das wurde oben nicht er­wähnt – leben auch Us­be­ken und Ta­dschi­ken und ei­ni­ge an­de­re Eth­ni­en. Wie ver­hält es sich nun mit an­de­ren Staa­ten in ähn­li­cher Si­tua­ti­on?

5.1 In­di­en

Die An­ga­ben zur Zahl der Spra­chen in In­di­en schwankt er­heb­lich. Hier be­rei­tet die lei­di­ge Frage, was Ein­zel­spra­che und was Dia­lekt sei, große Pro­ble­me. Selbst wenn man sich auf die nied­rigs­te Zahl be­schränkt, also um die 500, so wird den­noch klar, wie kom­pli­ziert eine Sprach­po­li­tik in die­sem Land sein muss.

Neue­re An­ga­ben no­tie­ren etwa 30 Spra­chen mit mehr als 1 Mil­li­on Spre­chern (die grö­ß­te Grup­pe ist das in­do­ger­ma­ni­sche Hindi mit über 400 Mil­lio­nen Spre­chern. Dem fol­gen – eben­falls in­do­ger­ma­ni­schen Ur­sprungs – Ben­ga­li mit 85 Mil­lio­nen und Gu­ja­ra­ti mit knapp unter 50 Mil­lio­nen Spre­chern. Die nicht zu den in­do­ger­ma­ni­schen ge­hö­ren­den dra­vi­di­schen Spra­chen (ins­ge­samt über 200 Mil­lio­nen) neh­men eben­falls einen brei­ten Raum ein: Te­lugu an die 75 Mil­lio­nen, Tamil um die 60 Mil­lio­nen, Kan­na­da um die 40 Mil­lio­nen und Ma­la­y­a­lam um die 35 Mil­lio­nen.

Den nächs­ten Block bil­den wei­te­re 30 Spra­chen mit 100.000 bis 1 Mil­li­on Spre­chern, ge­folgt von wei­te­ren etwa 60 Spra­chen mit 10.000 bis 100.000 Spre­chern. An die 200 Spra­chen wei­sen Stär­ken zwi­schen 1000 und 10.000 auf, wäh­rend um die 150 Spra­chen unter 1000 Spre­chern lie­gen.

Ein Pro­blem er­gibt sich beim Blick auf die als of­fi­zi­ell aus­ge­zeich­ne­ten Spra­chen. Deren Sta­tus soll­te sich nach der Zahl der Spre­cher rich­ten, wobei man ei­gent­lich, be­zo­gen auf eine Basis von 1 Mil­li­on, von 30 aus­ge­hen soll­te. De facto aber sind es nur 22. Zu den nicht ›be­rück­sich­tig­ten‹, also nicht als of­fi­zi­ell an­er­kann­ten, ge­hö­ren u.a. Bhili (3-4 Mill. Spre­cher) und u.a. auch Garw­ha­li (3 Mill. Spre­cher). Diese bei­den Spra­chen wer­den in ihrem Sta­tus nicht un­be­dingt als be­droht ein­ge­stuft, ob­wohl im Falle des Garw­ha­li – im Ge­gen­satz zum Bhili – ge­wis­se An­zei­chen für eine all­mäh­li­che Ver­schlech­te­rung spre­chen.

Nichts­des­to­we­ni­ger wäre es nicht ver­wun­der­lich, wenn im Falle des Bhili Ak­ti­vi­tä­ten auf­kä­men, für die Spra­che einen of­fi­zi­el­len Sta­tus zu for­dern und im Falle des Garw­ha­li ist der Ruf nach ›Ret­tungs­be­stre­bun­gen‹ laut ge­wor­den.

5.2 Ni­ge­ria, Papua Neu­gui­nea, In­do­ne­si­en

In Ni­ge­ria wer­den un­ge­fähr 500 ve­schie­de­ne Spra­chen re­gis­triert. Amts­spra­chen sind neben Eng­lisch Hausa, Yo­ru­ba, Edo, Efik, Ful, Idoma, Igbo und Ka­nu­ri. Diese Spra­chen sind sehr ver­schie­de­nen Sprach­fa­mi­li­en zu­zu­ord­nen. Dass sie of­fi­zi­el­len Sta­tus haben, liegt auch hier prin­zi­pi­ell an der hohen Zahl der Spre­cher.

Wenn nun für Papua Neu­gui­nea die enor­me Zahl von 800 Spra­chen an­ge­ge­ben wird, so soll­te man wis­sen, dass diese Spra­chen al­le­samt im Schnitt we­ni­ge bis sehr we­ni­ge Spre­cher­zah­len auf­wei­sen. Einen of­fi­zi­el­len Sprach­sta­tus nimmt keine die­ser Spra­chen ein. Die­ser ob­liegt neben dem Eng­li­schen dem Tok Pisin, also der auf dem Eng­li­schen und einem aus­tro­ne­si­schen Mix be­ste­hen­den Pidgin.

Wenn für In­do­ne­si­en über 700 Spra­chen an­ge­ge­ben wer­den, so soll­te man be­den­ken, dass das Gros die­ser Spra­chen zum Zweig des West­li­chen Ma­layo–Po­ly­ne­si­schen des Aus­tro­ne­si­schen ge­hört, d.h. diese Spra­chen sind im Ge­gen­satz zu denen in Pa­pua-Neu­gui­nea oder Ni­ge­ria sehr eng mit­ein­an­der ver­wandt, so dass die ein­zel­nen Eth­ni­en aus die­sem Grund mög­li­cher­wei­se we­sent­lich we­ni­ger Wi­der­stän­de gegen den of­fi­zi­el­len Sta­tus des In­do­ne­si­schen an­zu­mel­den haben und auch kaum eman­zi­pa­to­ri­sche Ge­lüs­te ver­spü­ren. Es mag sein, dass sie im einen oder an­de­ren Falle ihre ei­ge­ne Spra­che schon fast wie einen Dia­lekt des In­do­ne­si­schen emp­fin­den – ob­wohl dies aus neu­tra­ler lin­gu­is­ti­scher Sicht nicht zu­trifft.

Li­te­ra­tur

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Haw. Wör­ter­buch on­line