Die ko­gni­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen der theo­re­ti­schen Tä­tig­keit 

Die Ana­ly­se der Kriegs­theo­rie von Clau­se­witz wird durch die Er­läu­te­rung des Be­griffs vom Krie­ge »in an­thro­po­lo­gi­scher und kul­tur­phi­lo­so­phi­scher Sicht« ver­all­ge­mei­nernd ein­ge­lei­tet. (Theo­rie des Krie­ges (TdK) S.11) Das Vor­an­stel­len des ›phi­lo­so­phi­schen‹ oder ›rei­nen‹ Kriegs­be­griffs hat nicht nur mit mög­li­chen Er­klä­rungs­vor­zü­gen einer lo­gi­schen vor einer ge­ne­ti­schen Dar­stel­lung der be­griff­li­chen In­hal­te zu tun. Es ist Aus­druck einer Über­zeu­gung, die Auf­bau und Struk­tur jedes wis­sen­schaft­li­chen Ver­suchs be­stimmt, näm­lich die Über­zeu­gung, jede Be­hand­lung eines so­zia­len Phä­no­mens, hier das des Krie­ges, setze ein be­wuss­tes oder un­be­wuss­tes Welt- und Men­schen­bild vor­aus, au­ßer­dem be­wuss­te oder un­be­wuss­te An­nah­men über die Be­schaf­fen­heit der ge­schicht­lich-so­zia­len Wirk­lich­keit als Gan­zer. Diese jen­seits der Ra­tio­na­li­tät lie­gen­de Über­zeu­gung von der (sinn­lich nicht wahr­nehm­ba­ren) Struk­tur der so­zia­len Wirk­lich­keit be­stimmt von An­fang an die Rich­tung jeder theo­re­ti­schen Be­mü­hung, und sie be­ein­flusst ent­spre­chend ihre sub­stan­ti­el­len Re­sul­ta­te. Dabei sind für den Theo­re­ti­ker die Um­ris­se des so­zia­len Gan­zen auf der an­thro­po­lo­gi­schen und kul­tur­phi­lo­so­phi­schen oder, wie Kon­dy­lis sagt, auf der so­zi­a­lon­to­lo­gi­schen Ebene prä­sent. Es ist die Ebene der an­thro­po­lo­gisch-so­zi­a­lon­to­lo­gi­schen Kon­stan­ten, die die not­wen­di­gen Be­din­gun­gen jedes mensch­li­chen Ver­hal­tens und jedes so­zia­len Phä­no­mens be­schrei­ben. Diese Um­ris­se des so­zia­len Gan­zen lie­fern den ide­el­len Ent­fal­tungs­rah­men des theo­re­ti­schen Be­mü­hens, das sich dann in der For­schungs­pra­xis in engem Kon­takt mit dem Ge­gen­stand der Un­ter­su­chung und in den theo­re­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen zu­neh­mend kon­kre­ti­siert und ver­fei­nert. Dabei wird der Blick auf die ein­zel­nen Phä­no­me­ne – be­wusst oder un­be­wusst – im Hin­blick auf die Not­wen­dig­kei­ten einer aus den Be­ob­ach­tun­gen ab­zu­lei­ten­den Theo­rie ge­lenkt; »die In­duk­ti­on wird zu einer ver­klei­de­ten De­duk­ti­on.« (Kon­dy­lis, Macht­fra­gen (Mf) S.143 )

Der all­ge­mei­ne Den­k­rah­men, also die Aus­sa­ge über die Natur des Un­ter­su­chungs­ge­gen­stan­des (hier des Krie­ges) er­mög­licht und be­stimmt zu­gleich den Ein­satz der je­weils zweck­dien­li­chen me­tho­di­schen Mit­tel. Diese sind die lo­gi­sche Kon­se­quenz aus dem an­ge­nom­me­nen Wirk­lich­keits­bild und sei­ner Struk­tur. Die Er­kennt­nis der me­tho­di­schen Be­dingt­heit auf­grund der an­ge­nom­me­nen Be­schaf­fen­heit der so­zia­len Wirk­lich­keit ist in­ner­halb der mo­der­nen zeit­ge­nös­si­schen Me­tho­do­lo­gie und Wis­sen­schafts­theo­rie au­ßer­ge­wöhn­lich, sogar bei­spiel­los. Sie bie­tet auch eine Er­klä­rung für das be­son­de­re In­ter­es­se von Kon­dy­lis an der Theo­rie von Clau­se­witz. Das me­tho­di­sche Vor­ge­hen des Ge­ne­rals und seine me­tho­do­lo­gi­schen Ein­sich­ten in ihrer Ein­fach­heit, ihrem com­mon sense, er­lau­ben es, so er­kennt Kon­dy­lis, sich in engem Kon­takt mit einem be­stimm­ten und um­fang­rei­chen Ge­gen­stand der so­zia­len Wirk­lich­keit (in die­sem Fall des Krie­ges) zu ent­fal­ten, was Über­wu­che­rung und Leer­lauf ver­hin­dert, wie er aus mo­der­nen me­tho­do­lo­gi­schen De­bat­ten be­kannt ist. Als Me­tho­do­lo­ge hat sich Clau­se­witz nicht auf die Re­sul­ta­te der klas­si­schen deut­schen Phi­lo­so­phie be­zo­gen, »son­dern er schuf seine Me­tho­de selb­stän­dig bei sei­ner le­bens­lan­gen Aus­ein­an­der­set­zung mit den Fra­gen der ge­schicht­lich-po­li­ti­schen Welt und ver­stand sie als das ge­eig­ne­te In­stru­ment zur Er­fas­sung die­ser und nur die­ser Welt.« (TdK S.99) Die­ser Satz, der auf den ers­ten Blick Clau­se­witz gilt, ist zu­gleich auch eine Be­schrei­bung des Vor­ge­hens von Kon­dy­lis. Mit die­sem Satz be­schreibt er nicht nur das Vor­ge­hen von Clau­se­witz, son­dern auch sein ei­ge­nes. Die damit an­ge­spro­che­ne An­sicht über die selb­stän­di­ge Denk­be­mü­hung bzw. die me­tho­di­sche Be­dingt­heit auf­grund der Natur des Ge­gen­stan­des be­zeich­net den we­sent­li­chen Un­ter­schied zwi­schen der theo­re­ti­schen Ar­beits­wei­se von Kon­dy­lis und jedem rein phi­lo­so­phi­schen, also on­to­lo­gi­schen oder er­kennt­nis­theo­re­ti­schen An­satz. Der von ihm an­ge­nom­me­ne Cha­rak­ter (Hy­po­the­se) der so­zia­len Wirk­lich­keit oder, wie er es for­mu­liert, des so­zia­len Seins in sei­ner Kom­ple­xi­tät, mit der Viel­zahl der in jeder ein­zel­nen so­zia­len Er­schei­nung je­weils an­ders wir­ken­den Fak­to­ren oder Kräf­te in ihrer di­a­chro­ni­schen Sta­bi­li­tät und gleich­zei­ti­gen, aber nicht gleich­mä­ßi­gen Wir­kung ma­chen die An­wen­dung der einen uni­ver­sa­len Me­tho­de oder die Auf­stel­lung eines ri­gi­den für alle Fälle gül­ti­gen Hier­ar­chi­sie­rungs­sche­mas die­ser Kräf­te und Fak­to­ren un­mög­lich. – Dabei bie­tet sich ein Blick auf die ›Pat­tern Va­ria­bles‹ von Par­sons an oder ein Blick auf die ver­schie­de­nen Ver­su­che der Ein­ord­nung der Ra­tio­na­li­täts­ty­pen in ein ab- bzw. auf­stei­gen­des Stu­fen­sche­ma, des­sen obe­res Ende von der wis­sen­schaft­li­chen Ra­tio­na­li­tät be­setzt wird. In jedem Au­gen­blick der Ge­schich­te ist die ge­sam­te Pa­let­te bzw. das Spek­trum der so­zi­al wir­ken­den Fak­to­ren we­nigs­tens sum­ma­tiv ver­tre­ten. Die ubi­qui­tä­re An­we­sen­heit aller Kräf­te und Fak­to­ren in Ver­bin­dung mit ihrer gleich­zei­ti­gen aber asym­me­tri­schen Wir­kung be­deu­tet, dass jede oder jeder von ihnen je­der­zeit in den Vor­der­grund rü­cken kann, so dass sich die ma­ß­geb­li­chen Phä­no­me­ne und Kau­sa­li­tä­ten fort­wäh­rend ab­wech­seln, »und bald gibt ein his­to­ri­sches Er­eig­nis, bald eine so­zio­lo­gi­sche Struk­tur, ein­mal eine psy­cho­lo­gi­sche Ge­ge­ben­heit, ein an­de­res Mal eine In­sti­tu­ti­on oder eine Rolle den Aus­schlag.« (Kon­dy­lis, So­zi­a­lon­to­lo­gie (SO) S.189) Aus­sichts­rei­cher würde der Ver­such zur Auf­stel­lung von sol­chen his­to­risch ge­sät­tig­ten Ty­po­lo­gi­en er­schei­nen, die so­zio­lo­gisch pa­ra­dig­ma­ti­sche Fälle um­fas­sen wür­den. Es er­gä­be sich dar­aus keine Hier­ar­chie, die auf­grund die­ses oder jenes ›Pri­mats‹ er­rich­tet würde, son­dern ein zur all­ge­mei­nen Ori­en­tie­rung die­nen­des In­ven­tar. Dar­aus er­klärt sich die Wei­ge­rung von Kon­dy­lis, für his­to­risch-so­zia­le Un­ter­su­chun­gen all­ge­mei­ne Mo­del­le zu ver­wen­den. Ein all­ge­mei­nes so­zio­lo­gi­sches Mo­dell hat die fol­gen­de lo­gi­sche Form: »Krie­ge (Re­vo­lu­tio­nen, In­dus­tria­li­sie­rungs-, In­sti­tu­tio­na­li­sie­rungs­pro­zes­se etc. etc.) er­fol­gen dann und nur dann, wenn die Kon­stel­la­ti­on oder Hier­ar­chie der Ur­sa­che X unter den Um­stän­den Y zur Wir­kung kommt.« (SO S.131) Sol­che Mo­del­le, führt er aus, seien oft vor­ge­schla­gen wor­den, sie er­wie­sen sich aber al­le­samt als bald an­re­gen­de, bald nichts­sa­gen­de Ge­dan­ken­spie­le, denn kei­nes hat die Ge­samt­heit der re­le­van­ten Fälle er­klä­ren kön­nen. Die Un­zu­läng­lich­keit des Mo­dells in einem ein­zel­nen Fall würde an sich aus­rei­chen, das Mo­dell­den­ken auf­zu­ge­ben und zur ver­glei­chen­den Ana­ly­se von Pro­zes­sen und Phä­no­me­nen zu­rück­zu­keh­ren. (vgl. das Ka­pi­tel »So­zio­lo­gie und Ge­schich­te« in SO S.123)

Diese theo­re­ti­sche Grund­hal­tung ent­springt einer strikt his­to­risch re­la­ti­vis­ti­schen Ein­stel­lung, die pa­ra­do­xer­wei­se der theo­re­ti­schen Ar­beit feste Ori­en­tie­rungs­punk­te in einer Welt der stän­di­gen Ver­än­de­rung geben kann, Ori­en­tie­rung in den his­to­risch wan­del­ba­ren Kris­tal­li­sie­run­gen und dem sich stän­dig trans­for­mie­ren­den und per­mu­tie­ren­den Ge­flecht der Kau­sa­li­tä­ten des Spek­trums der so­zi­a­lon­ti­schen Kräf­te und Fak­to­ren – sei es in Ge­stalt pro­zess­haf­ter (›west­li­cher Ra­tio­na­li­sie­rungs­vor­gang‹) oder mehr oder we­ni­ger sta­bi­ler in­sti­tu­tio­nel­ler Ge­bil­de. Wie aber sind die ko­gni­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen des Han­delns, auch des theo­re­ti­schen, in­ner­halb einer mensch­li­chen Rea­li­tät auf­zu­fas­sen? Einer stän­dig flie­ßen­den Rea­li­tät, die nur Wahr­schein­lich­kei­ten kennt und keine fest um­ris­se­nen Ge­bie­te der Dinge und der Lagen be­ste­hen lässt, aus denen sich ir­gend­wel­che Ge­set­ze und dar­auf be­ru­hen­de Hand­lungs­nor­men ab­lei­ten lie­ßen? Die Struk­tur der Wirk­lich­keit, wie sie aus der Sicht des his­to­ri­schen Re­la­ti­vis­mus er­scheint, er­laubt keine er­folg­rei­che Tä­tig­keit eines über den kon­kre­ten Fall hin­aus ge­ne­ra­li­sie­ren­den In­tel­lekts, der sein Kal­kül auf feste Grö­ßen über­all gel­ten­der An­wend­bar­keit auf­baut. Eine sol­che Wirk­lich­keit er­for­dert als ko­gni­ti­ve Vor­aus­set­zung des Han­delns »einen ›blo­ßen Takt des Ur­teils der mehr oder we­ni­ger gut trifft, je nach­dem mehr oder we­ni­ger Genie‹ im Feld­her­ren ist und ›der, aus na­tür­li­chem Scharf­sinn her­vor­ge­hend und durch Nach­den­ken ge­bil­det, das Rech­te fast be­wusst­los trifft‹«. ( TdK S.72f zi­tiert Clau­se­witz) Was für den Feld­herrn gilt, muss in glei­cher Weise für den Wis­sen­schaft­ler und den Han­deln­den all­ge­mein gel­ten. (Über die Auf­fas­sung des Han­delns im all­ge­mei­nen und des wis­sen­schaft­li­chen Han­delns im be­son­de­ren als Kunst: s. TdK S.68ff und das Ka­pi­tel »›Ra­tio­nal choice‹ und Takt des Ur­teils« in SO S.604)

Die zwei Etap­pen der Theo­rie­ent­wick­lung

Der Titel des zwei­ten Ka­pi­tels von Theo­rie des Krie­ges nennt mit »›Rei­ner‹ und ›wirk­li­cher‹ Krieg in an­thro­po­lo­gi­scher und kul­tur­phi­lo­so­phi­scher Sicht« die zwei Etap­pen der Er­fas­sung und Er­klä­rung des Krie­ges. Die erste Etap­pe zielt auf die Er­fas­sung des Kriegs­ge­sche­hens im en­ge­ren kriegs­theo­re­ti­schen Sinn. Aus der an­ge­nom­me­nen Be­schaf­fen­heit der Wirk­lich­keit des Krie­ges er­gibt sich die ihr an­ge­mes­se­ne me­tho­di­sche Be­hand­lung.

Der Un­ter­su­chungs­ge­gen­stand ›Krieg‹ ist ein ver­än­der­li­ches, viel­schich­ti­ges und viel­fäl­ti­ges Phä­no­men. In die­ser ›Ma­te­rie‹ wirkt eine Viel­zahl von Kräf­ten und mo­ra­li­schen Grö­ßen, deren Plas­ti­zi­tät und Schwan­kungs­brei­te den Aus­gang des Ge­sche­hens un­si­cher und un­vor­her­seh­bar ma­chen. Es kommt nach Clau­se­witz so sehr auf die ›Ei­gen­tüm­lich­keit‹ und die ›in­di­vi­du­el­len Züge‹ des Fal­les an, auf so viel ›klein­li­che Um­stän­de‹, dass jeder Ver­such, die­sen schil­lern­den und viel­ge­stal­ti­gen Ge­gen­stand in ein stren­ges be­griff­li­ches Sys­tem zu zwin­gen, von vorn­her­ein zum Schei­tern ver­ur­teilt ist. Die­ses un­zäh­li­ge Ge­stal­ten an­neh­men­de Phä­no­men lässt sich be­griff­lich er­fas­sen, indem man einen fes­ten, allen Kriegs­for­men ge­mein­sa­men Kern er­mit­telt. Die­sen Kern des Phä­no­mens bil­det der Be­griff des ›rei­nen‹ Krie­ges, der, wie sein At­tri­but ›rein‹ an­zeigt, aus einer Rei­ni­gung, Kon­den­sie­rung und Stei­ge­rung der ver­wir­ren­den em­pi­ri­schen Wirk­lich­keit der ›wirk­li­chen‹ Krie­ge ent­steht. Die kom­ple­xe Natur des Ge­gen­stan­des ver­langt eine Theo­rie, die die Natur und den Zu­sam­men­hang der Dinge durch Abs­trak­tio­nen und Fik­tio­nen er­fasst, die vom Zu­fäl­li­gen des in­di­vi­du­el­len Fal­les ab­se­hen. Die Natur des Ge­gen­stan­des ist dop­pel­sei­tig: sie meint nicht nur die Natur des äu­ße­ren Kriegs­ver­laufs, son­dern und vor allem die Natur der daran Be­tei­lig­ten. Clau­se­witz setzt gleich auf der an­thro­po­lo­gi­schen Ebene an, er will um­fas­send an­thro­po­lo­gisch ar­gu­men­tie­ren, weil er von An­fang an über­zeugt ist, »die Kriegs­kunst habe ›mit le­ben­di­gen und mit mo­ra­li­schen Kräf­ten zu tun‹: kein an­de­rer als der Mensch ist aber der Trä­ger die­ser Kräf­te und des­halb muss hier die Frage nach sei­ner Be­schaf­fen­heit in den Vor­der­grund rü­cken.« (TdK S.21, zi­tiert Clau­se­witz)

Der aus der Rei­ni­gung bzw. Abs­trak­ti­on der Wirk­lich­keit des Kriegsphä­no­mens ent­stan­de­ne Be­griff des Krie­ges an sich bil­det eine Kon­stan­te, weil er auf Kon­stan­ten mensch­li­chen Ver­hal­tens, also auf an­thro­po­lo­gisch-psy­cho­lo­gi­sche Grund­ge­ge­ben­hei­ten zu­rück­ge­führt wird, die bei jedem Men­schen an­zu­tref­fen sind. Der ›reine‹ Krieg bil­det die exis­ten­ti­el­le Grund­la­ge, die ›Quel­le‹ oder den ›Nerv‹ jedes ›wirk­li­chen‹, d.h. jedes his­to­risch ge­form­ten Krie­ges. So wird das ›Zwit­ter­we­sen‹ des Krie­ges aus dem ›Zwie­spalt‹ im Men­schen selbst er­klärt.

Die zwei­te Etap­pe will die Ver­wur­ze­lung des Krie­ges im so­zio­kul­tu­rel­len Gan­zen nach­wei­sen. Es geht hier um die Be­trach­tung des Krie­ges in­ner­halb des wei­ten Ge­bie­tes der Ge­sell­schaft – in der Ter­mi­no­lo­gie von Clau­se­witz – in­ner­halb des ›po­li­ti­schen Ver­kehrs‹ oder des ›ge­sell­schaft­li­chen Ver­ban­des‹. Das Ver­las­sen der en­ge­ren an­thro­po­lo­gisch-psy­cho­lo­gi­schen oder exis­ten­ti­el­len Ebene und die da­durch ge­won­ne­ne Er­wei­te­rung des theo­re­ti­schen Blicks wird durch die zwei­te Denk­kom­po­nen­te von Clau­se­witz mög­lich. War die erste von einer tie­fen an­thro­po­lo­gi­schen Über­zeu­gung ge­prägt, so wird die zwei­te von einer strikt his­to­risch re­la­ti­vis­ti­schen Ein­stel­lung be­herrscht. Der his­to­ri­sche Re­la­ti­vis­mus er­mög­licht die Über­schrei­tung der en­ge­ren kriegs­theo­re­ti­schen Per­spek­ti­ve. Die ›Ei­gen­tüm­lich­keit‹ des Fal­les im Kriegs­ge­sche­hen wei­tet sich aus zur ›Ei­gen­tüm­lich­keit‹ einer gan­zen his­to­ri­schen Epo­che. Clau­se­witz hebt her­vor, dass alle Epo­chen ihre Krie­ge »›auf ihre Weise..., an­ders, mit an­de­ren Mit­teln und nach einem an­dern Ziel‹ führ­ten und daß ›jede Zeit ihre ei­ge­nen Krie­ge, ihre ei­ge­nen be­schrän­ken­den Be­din­gun­gen, ihre ei­ge­ne Be­fan­gen­heit hatte‹« (vgl. TdK S.67, zi­tiert Clau­se­witz) Damit wer­den die ihn be­we­gen­den Fra­gen als ge­schicht­li­che Fra­gen ge­stellt und ver­stan­den. Der his­to­ri­sche Re­la­ti­vis­mus ver­schiebt die Be­trach­tungs­wei­se der­art, dass die Natur des Krie­ges durch die Natur der Ver­hält­nis­se be­dingt er­scheint und nach die­sen Ver­hält­nis­sen ge­fragt wird.

Die Theo­rie des Krie­ges als his­to­ri­sche So­zio­lo­gie

Die Ein­ord­nung des Krie­ges in das so­zio­kul­tu­rel­le Ganze stellt die kau­sa­le Ver­bin­dung zwi­schen der Natur des Krie­ges und der Natur der Ver­hält­nis­se oder der So­zi­al­struk­tur her. Durch diese Wen­dung der Be­trach­tung ge­langt Clau­se­witz bis an die Schwel­le einer ech­ten, his­to­risch ver­fah­ren­den So­zio­lo­gie. In die­sem Zu­sam­men­hang be­deu­tet ›echt‹ für Kon­dy­lis die kon­se­quen­te epis­te­mo­lo­gi­sche Ver­ban­nung von Psy­cho­lo­gis­mus und Fi­na­lis­mus aus dem theo­re­ti­schen Kon­strukt (theo­re­ti­sche Fik­ti­on oder Ide­al­typ), das So­zio­lo­gie heißt. Für Kon­dy­lis ist die Ge­sell­schaft das Reich der un­be­ab­sich­tig­ten Fol­gen des Han­delns. Das be­deu­tet, dass alle Er­schei­nun­gen und Ge­bil­de in­ner­halb der Ge­sell­schaft ihre Ent­ste­hung der Wir­kung des Me­cha­nis­mus der He­te­ro­go­nie der Zwe­cke ver­dan­ken. (Dies ist selbst­ver­ständ­lich nur eine ex post facto und nur in der Be­ob­ach­ter­per­spek­ti­ve mög­li­che und sinn­vol­le Aus­sa­ge.) Also ist die Ge­sell­schafts­theo­rie dazu ver­ur­teilt, auf der all­ge­mein-abs­trak­ten Ebene an­zu­set­zen, die die­ser theo­re­ti­schen Ein­stel­lung ent­spricht. Kon­dy­lis schiebt von An­fang an die von nie­man­dem be­strit­te­ne Tri­via­li­tä­ten über Fak­ti­zi­tät bei­sei­te, wie etwa die, die in dem Satz for­mu­liert ist: ›Ge­sell­schaft be­steht aus­schlie­ß­lich aus In­di­vi­du­en, die ihr Han­deln an­ein­an­der ori­en­tie­ren.‹ Er fragt statt­des­sen, von wel­cher Abs­trak­ti­ons­ebe­ne an So­zio­lo­gie als au­to­no­me Wis­sen­schaft be­gin­ne. So­zio­lo­gie be­gin­ne da, wo wir von per­sön­li­chen Mo­ti­ven (Psy­cho­lo­gis­mus) und Zwe­cken (Fi­na­lis­mus) ab­stra­hie­ren, da ein Ver­wei­len bei ihnen keine epis­te­mo­lo­gisch ein­deu­ti­ge Un­ter­schei­dung zwi­schen Psy­cho­lo­gie oder Ge­schichts­wis­sen­schaft ei­ner­seits und So­zio­lo­gie an­de­rer­seits ge­stat­te. (vgl. das Ka­pi­tel »Zwei Grund­le­gun­gen der So­zio­lo­gie« in SO S.108) Der Schritt über diese epis­te­mo­lo­gi­sche Schwel­le ge­lingt Clau­se­witz nicht mehr, und zwar des­halb, weil er wei­ter­hin am Be­griff des po­li­ti­schen Zwecks fest­hält, der ihm als Ein­ord­nungs­kri­te­ri­um eine große Hilfe war, (ein be­grenz­ter po­li­ti­scher Zweck be­din­ge den be­grenz­ten Krieg, ein gro­ßer po­li­ti­scher Zweck den Ver­nich­tungs- bzw. na­po­leo­ni­schen Krieg.) Die Wech­sel­wir­kung von Zweck und Mit­tel als ab­stei­gen­de Stu­fen­fol­ge und die Ab­so­lut­set­zung des letz­ten po­li­ti­schen Zwecks ver­hin­dert die völ­li­ge Ent­sub­jek­ti­vie­rung einer Theo­rie des ›po­li­ti­schen Ver­kehrs‹, die nach ei­ge­ner Über­zeu­gung eine his­to­risch-so­zio­lo­gi­sche Ana­ly­se des ›ge­sell­schaft­li­chen Ver­ban­des‹ im­pli­zie­ren würde. Trotz­dem ist in der Struk­tur der Zweck-Mit­tel-Hier­ar­chie eine ma­ß­geb­li­che Ein­sicht ent­hal­ten, näm­lich die von der mög­li­chen Ver­wand­lung der Zwe­cke in Mit­tel.

Vom Vor­rang des Zwe­ckes zur Ei­gen­dy­na­mik des Mit­tels

Clau­se­witz wurde die Be­deu­tung des Mit­tels immer be­wuss­ter, er dach­te in diese Rich­tung wei­ter und stell­te fest, dass die Wir­kung des po­li­ti­schen Zwecks (der sub­jek­ti­ven Po­li­tik) von der Be­schaf­fen­heit des ›po­li­ti­schen Ver­kehrs‹ (von der ob­jek­ti­ven Po­li­tik, den so­zia­len Rah­men­be­din­gun­gen des Han­delns) ab­hän­ge. Denn der­sel­be po­li­ti­sche Zweck könne bei ver­schie­de­nen Völ­kern, oder selbst bei einem und dem­sel­ben Volk zu ver­schie­de­nen Zei­ten ganz ver­schie­de­ne Wir­kun­gen her­vor­brin­gen. (vgl. TdK S.86) Die all­ge­mei­nen Ver­hält­nis­se, aus denen ein Krieg her­vor­geht und die seine Grund­la­ge aus­ma­chen, be­stim­men auch sei­nen Cha­rak­ter. Dies ist im We­sent­li­chen der In­halt der be­rühm­ten For­mel. Kon­dy­lis denkt den Pri­mat des Mit­tels zu Ende und rei­nigt da­durch die Theo­rie von jedem sub­jek­ti­vis­ti­schen Motiv und Zweck. Damit wird das Mit­tel nicht eng kriegs­theo­re­tisch als Waffe, Trup­pe o.ä. auf­ge­fasst, son­dern das Mit­tel wird di­rekt auf die Be­schaf­fen­heit des po­li­ti­schen Kol­lek­tivs als Trä­ger des ge­sam­ten Kriegs­po­ten­ti­als be­zo­gen. Die Be­schaf­fen­heit des Mit­tels ent­spricht der Be­schaf­fen­heit des ›po­li­ti­schen Ver­kehrs‹ bzw. ›ge­sell­schaft­li­chen Ver­ban­des‹, es um­fasst nun so­wohl die Pro­duk­ti­ons­kräf­te und -ver­hält­nis­se als auch die einer be­stimm­ten Ge­sell­schafts­for­ma­ti­on ei­gen­tüm­li­chen so­zia­len Ver­kehrs­for­men. Mit­tel ist somit ein an­de­rer Aus­druck für So­zi­al­struk­tur.

Pri­mat des Mit­tels be­deu­tet Pri­mat der ge­sell­schaft­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen, was ge­wich­ti­ge theo­re­ti­sche und pra­xeo­lo­gi­sche Fol­gen nach sich zieht. Die ge­sell­schaft­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen set­zen den Rah­men der Hand­lun­gen (der sub­jek­ti­ven Po­li­tik) fest. Seine je­wei­li­ge ge­schicht­li­che Er­schei­nungs­form be­stimmt den Spiel­raum der sub­jek­ti­ven Po­li­tik je­weils an­ders. Der Rah­men der Hand­lung steht also un­ab­hän­gig vom Wil­len der Han­deln­den fest, und seine Be­schaf­fen­heit be­dingt das Ver­hal­ten der Ak­teu­re auf der ge­schicht­li­chen Bühne. »Ge­ra­de des­halb, weil Rah­men bzw. Gren­ze und Spiel­raum der Hand­lung zu­sam­men­ge­hö­ren, be­steht die ele­men­ta­re Auf­ga­be sub­jek­ti­ver Po­li­tik im Falle eines Krie­ges darin, durch den ›gro­ßar­tigs­ten‹ und ›ent­schie­dens­ten‹ ›Akt des Ur­teils‹ aus­fin­dig zu ma­chen, was der Krieg ›der Natur der Ver­hält­nis­se nach nicht sein kann.‹« (TdK S.76f) Die ›bel­li­zis­ti­schen‹ oder ›pa­zi­fis­ti­schen Nei­gun­gen‹ der Kriegs­geg­ner wei­chen der un­er­bitt­li­chen Logik des Mit­tels.

Die apo­ka­lyp­ti­schen In­fer­nos des 20. Jahr­hun­derts, die man als ›to­ta­le‹ Krie­ge apo­stro­phiert hat, bil­den das beste Bei­spiel der Ka­pi­tu­la­ti­on der sub­jek­ti­ven Po­li­tik vor den Zer­stö­rungs­ka­pa­zi­tä­ten des ob­jek­tiv ge­ge­be­nen ›po­li­ti­schen Ver­kehrs‹ bzw. ›ge­sell­schaft­li­chen Ver­ban­des‹. Der ›to­ta­le‹ Krieg (I. und II. Welt­krieg) voll­zog sich in Län­dern mit un­ter­schied­li­cher Vor­ge­schich­te und po­li­tisch-in­sti­tu­tio­nel­ler Struk­tur, die aber alle in­dus­tri­el­le Mas­sen­ge­sell­schaf­ten waren. (vgl. TdK S.138) Das ge­sam­te Kriegs­po­ten­ti­al um­fasst, wie oben be­schrie­ben, nicht nur die wirt­schaft­li­chen Ka­pa­zi­tä­ten, son­dern auch die so­zi­al­po­li­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen der ›to­ta­len‹ Mo­bil­ma­chung, wie sie in einer po­ten­ti­ell ega­li­tä­ren Mas­sen­ge­sell­schaft ge­ge­ben sind. Dass von die­sen Ka­pa­zi­tä­ten schlie­ß­lich Ge­brauch ge­macht wurde, ob­wohl das von den Krieg­füh­ren­den zu­nächst nicht be­ab­sich­tigt war, ver­weist di­rekt auf die Ei­gen­dy­na­mik und das Au­to­no­mi­sie­rungs­po­ten­ti­al des Mit­tels (vgl. TdK S.137): a) ent­wi­ckel­te In­dus­trie, Mas­sen­pro­duk­ti­on von Waf­fen und Kriegs­ma­te­ri­al durch die Gro­ß­in­dus­trie, hohe Zer­stö­rungs­kraft und Zer­stör­bar­keit des pro­du­zier­ten Ma­te­ri­als in gro­ßen Mas­sen­schlach­ten,
b) Exis­tenz von Mas­sen­ar­me­en, die davon Ge­brauch ma­chen,
c) Los­lö­sung der Waf­fen von der Per­son des Krie­gers,
d) Mo­bil­ma­chung der Hei­mat.

Das Vor­han­den­sein die­ser Fak­to­ren macht den Über­gang vom Ver­nich­tungs­krieg (deutsch-fran­zö­si­scher Krieg 1870/71) zum ›to­ta­len‹ Krieg zu einer Fa­ta­li­tät. (vgl. TdK S.139f) Die Ent­ste­hung der zu­neh­mend ega­li­tä­ren in­dus­tri­el­len Mas­sen­ge­sell­schaft be­güns­tigt das Ein­drin­gen pro­le­ta­ri­scher Mas­sen in die Armee. Das Ein­span­nen der Hei­mat für die Front be­deu­tet, dass der über­wie­gen­de Teil des Na­tio­nal­ein­kom­mens einer Ge­sell­schaft in den Dienst des Krie­ges ge­stellt wird. Der Sol­dat kann meh­re­re Waf­fen nach­ein­an­der ver­wen­den, die der ste­ti­gen Er­set­zung, Er­neue­rung und Ver­bes­se­rung be­dür­fen, da die Gro­ß­in­dus­trie, die sie her­stellt, gleich­zei­tig die Mit­tel ihrer Zer­stö­rung pro­du­ziert. Die schnel­le Zer­stö­rung des Kriegs­ge­räts wird dann durch die Mo­bil­ma­chung der Hei­mat wie­der­gut­ge­macht, die ihre ra­sche Er­set­zung und Ver­meh­rung si­chert. Eine Ge­sell­schaft, die das Zu­sam­men­spiel all die­ser Fak­to­ren er­mög­licht und ge­währ­leis­tet, kann nur eine in­dus­tri­el­le Mas­sen­ge­sell­schaft sein. (vgl. TdK S.140) Das Ver­hält­nis von So­zio­lo­gie und Hand­lungs­leh­re

Als Po­li­tik wird nicht die ma­ß­geb­li­che Hand­lungs­wei­se einer zi­vi­len In­stanz, son­dern der eines ›ge­sell­schaft­li­chen Ver­ban­des‹ selbst be­zeich­net. Dar­aus er­ge­ben sich für den sub­jek­ti­ven Fak­tor der Po­li­tik Fol­gen. Denn der Pri­mat der ob­jek­ti­ven Po­li­tik und der Grund­satz der po­li­ti­schen Natur des Krie­ges be­din­gen, dass die sub­jek­ti­ve Po­li­tik nicht au­to­nom ist; sie steht viel­mehr in einer po­si­ti­ven oder ne­ga­ti­ven Be­zie­hung zu den ob­jek­ti­ven Ge­ge­ben­hei­ten des po­li­ti­schen Ver­kehrs. Für die Be­schrei­bung des ge­sell­schaft­li­chen Rah­mens wäre dann die So­zio­lo­gie zu­stän­dig. Die sub­jek­ti­ve Po­li­tik agiert in­ner­halb die­ses be­stimm­ten Spiel­raums. Nur hier kommt der Ein­satz einer Hand­lungs- bzw. Zweck-Mit­tel-Leh­re in Frage. Frei­lich schlie­ßt die (theo­re­ti­sche) Gleich­gül­tig­keit ge­gen­über sub­jek­ti­ven Ein­stel­lun­gen und Mo­ti­ven nicht eine Gleich­gül­tig­keit ge­gen­über sub­jek­ti­ver Po­li­tik im Sinne des zweck­ra­tio­na­len Han­delns von Sub­jek­ten ein. Es hat ein­fach mit der Tat­sa­che zu tun, dass das hand­lungs­theo­re­ti­sche Pro­blem ge­ra­de im Span­nungs­feld zwi­schen sub­jek­ti­ver und ob­jek­ti­ver Po­li­tik ent­steht. Die Be­vor­zu­gung der ob­jek­ti­ven Po­li­tik hat einen wich­ti­gen epis­te­mo­lo­gi­schen Sinn, denn nur sie al­lein, so die Über­zeu­gung, lasse sich wis­sen­schaft­lich er­fas­sen. Der Grund­satz der po­li­ti­schen Natur des Krie­ges konn­te eben des­we­gen zur Ver­ein­heit­li­chung der Theo­rie die­nen, »weil hier die ob­jek­ti­ve Po­li­tik, also der po­li­ti­sche Ver­kehr ge­meint war, der sich im Ge­gen­satz zu den un­über­sicht­li­chen, un­vor­her­seh­ba­ren, ir­re­du­zier­ba­ren und un­klas­si­fi­zier­ba­ren Ein­fäl­len und Hand­lungs­wei­sen der sub­jek­ti­ven Po­li­tik einer wis­sen­schaft­li­chen Er­fas­sung nicht we­sens­ge­mäß ent­zieht.« (TdK S.75) Die Über­de­ckung des po­li­ti­schen Zwecks durch die Be­schaf­fen­heit des so­zi­al­po­li­ti­schen Kol­lek­tivs (des Mit­tels), scheint die Be­sei­ti­gung der Hand­lungs­di­men­si­on und die De­gra­die­rung des Han­deln­den zu einem ›blo­ßen Pflich­ten-Au­to­ma­ten‹ (Clau­se­witz) na­he­zu­le­gen. Doch die­ser ir­ri­ge Ein­druck ver­schwin­det, wenn man sich den Un­ter­schied zwi­schen der Ebene des Lo­gi­schen, und der Ebene, auf der sich die rea­len Ge­ge­ben­hei­ten ab­spie­len, je­der­zeit be­wusst macht. Man muss also un­ter­schei­den zwi­schen der Ebene der rea­len Ge­ge­ben­hei­ten und der ko­hä­ren­ten ge­dank­li­chen Er­fas­sung, die not­ge­drun­gen auf der Basis von Abs­trak­tio­nen ab­lau­fen. Diese müs­sen vom Ak­zi­den­ti­el­len des in­di­vi­du­el­len Han­delns ab­se­hen. (vgl. TdK S.98) Die Un­ter­schei­dung zwi­schen der Ebene des Lo­gi­schen (der Theo­rie) und der Ebene der Wirk­lich­keit (der Hand­lungs­pra­xis) zeigt, dass der Wi­der­spruch zwi­schen Hand­lung und so­zia­ler Struk­tur ein Schein­wi­der­spruch ist, denn die ein­an­der wi­der­spre­chen­den Be­grif­fe (Hand­lung – Struk­tur) sind von un­ter­schied­li­cher lo­gi­scher Ord­nung. Die Rede vom Pri­mat des Mit­tels heißt nicht, dass all­ge­mei­ne Ver­hält­nis­se und nicht Men­schen ent­schei­den, wo, wann und was für ein Krieg zu füh­ren sei. Diese Ent­schei­dung bil­det aber selbst ein Glied in der Kette der Ver­hält­nis­se und be­ruht auf dem Takt des Ur­teils, des­sen Haupt­auf­ga­ben eben in der sach­ge­mä­ßen Be­ur­tei­lung der Ver­hält­nis­se be­steht. (vgl. TdK S.87f) Folg­lich kön­nen dem For­scher Bin­sen­wahr­hei­ten wie z.B. die, Ge­schich­te werde durch ›free human wills and free choices‹ ge­macht, keine Hilfe bie­ten, da es eher ethisch als wis­sen­schaft­lich mo­ti­vier­te Glau­bens­be­kennt­nis­se sind. Er da­ge­gen muss sich der ewi­gen Frage stel­len. »Was war die Ur­sa­che der in­di­vi­du­el­len Hand­lun­gen und der kol­lek­ti­ven Ab­läu­fe, warum sind sie so und nichts an­ders aus­ge­fal­len? In der Tat: Das his­to­ri­sche Ma­te­ri­al und die his­to­ri­sche Er­zäh­lung müs­sen um die Achse die­ser Frage or­ga­ni­siert wer­den, [..] Denn das Kri­te­ri­um für Aus­wahl und Ein­ord­nung der Fak­ten kann nur in einem Ur­teil über ihr re­la­ti­ves Ge­wicht in­ner­halb des kau­sa­len Ge­samt­zu­sam­men­han­ges ge­sucht und ge­fun­den wer­den.« (SO S.170)

 

13. Jahrgang 2014

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