Nachgelassene Notate
Aus dem Griechischen übersetzt und kommentiert von Fotis Dimitriou

Vor­be­mer­kung

Pa­na­jo­tis Kon­dy­lis legte sei­nen phi­lo­so­phi­schen An­satz in Macht und Ent­schei­dung (1984) vor, des­sen Frucht­bar­keit er mit den bei­den geis­tes­ge­schicht­li­chen Ar­bei­ten Die Ent­ste­hung der Dia­lek­tik (1979) und Die Auf­klä­rung (1981) zuvor unter Be­weis ge­stellt hatte. Für die Er­klä­rungs­kraft sei­nes Mo­dells waren sie eine Probe, denen wei­te­re, u.a. die so­zi­al­ge­schicht­li­che Un­ter­su­chung Kon­ser­va­ti­vis­mus (1986) oder Der Nie­der­gang der bür­ger­li­chen Denk- und Le­bens­form (1991) folg­ten. Die auf drei Bände ge­plan­te So­zi­a­lon­to­lo­gie soll­te mit dem an­thro­po­lo­gi­schen An­satz wei­te­re For­schungs­ge­bie­te er­schlie­ßen. Doch Kon­dy­lis konn­te nur den ers­ten Band fer­tig stel­len; für die bei­den wei­te­ren Bände hatte er be­reits über 4000 No­ti­zen ge­sam­melt. Die hier vor­ge­leg­ten No­ta­te zwi­schen 4364 und 4411 waren für den drit­ten Band Iden­ti­tät, Macht, Kul­tur ge­plant.

Dem ›de­skrip­ti­ven De­zi­sio­nis­mus‹ von Macht und Ent­schei­dung liegt, wie ge­sagt, ein an­thro­po­lo­gi­scher An­satz zu­grun­de, der die Wir­kungs­wei­sen des bi­o­psy­chi­schen Ele­ments des Men­schen im Rah­men sei­ner Ver­ge­sell­schaf­tung un­ter­sucht. Dabei wird deut­lich, dass die Struk­tur der so­zia­len Wech­sel­wir­kung über alle Kul­tu­ren und Zei­ten der Mensch­heits­ge­schich­te die­sel­be bleibt. Nur die In­hal­te än­dern sich, und sie drän­gen sich so nach vorn, dass sie die zu­grun­de­lie­gen­de Struk­tur oft ver­de­cken. Diese zeigt sich im Stre­ben jedes In­di­vi­du­ums nach Selbst­er­hal­tung und dazu fort­wäh­rend Ent­schei­dun­gen tref­fen zu müs­sen. Die­ses Stre­ben drückt sich für den ver­ge­sell­schaf­te­ten Men­schen auf ganz un­ter­schied­li­che Weise in Macht­stre­ben bzw. Macht­an­spruch aus. Die Wir­kun­gen die­ses bi­o­psy­chi­schen Ele­ments kon­zen­trie­ren sich bei den vor­ge­leg­ten No­ti­zen auf die Iden­ti­täts- und Mo­ti­va­ti­ons­ana­ly­se.

Die Reihe der hier vor­ge­leg­ten Zet­tel hatte Kon­dy­lis noch nicht nach Ober­be­grif­fen ge­ord­net, sie wur­den wahr­schein­lich in der hier vor­lie­gen­den Rei­hen­fol­ge no­tiert und be­tref­fen einen engen the­ma­ti­schen Rah­men. Auf­grund des zeit­li­chen Nach­ein­an­ders wird deut­lich, wie auf Fra­gen über (vor­läu­fi­ge) Zu­sam­men­fas­sun­gen nach Ant­wor­ten ge­sucht wird, die wie­der zu Wei­te­run­gen an­re­gen. Dabei wer­den an­de­re For­scher be­fragt, wobei auch deren Abs­trak­tio­nen auf Wi­der­spruchs­frei­heit über­prüft wer­den. Die­ses be­stän­di­ge Be­dürf­nis nach Auf­klä­rung zeigt den For­scher Kon­dy­lis bei der Ar­beit.

Freud und Kon­dy­lis stim­men beide der Ein­sicht Scho­pen­hau­ers zu, der Selbst­er­hal­tungs­wil­le habe sich die Ratio als Werk­zeug ge­schaf­fen. Die­sen Ge­dan­ken fass­te Freud in das Bild der Ratio als Rei­ter, der die über­le­ge­nen Kräf­te des Pfer­des zü­geln soll, aber keine ei­ge­nen Kräf­te habe und sie vom Selbst­er­hal­tungs­wil­len bor­gen müsse.

Der vor­lie­gen­de Aus­schnitt der No­ti­zen be­ginnt mit einem vor­läu­fi­gen Er­geb­nis frü­he­rer Über­le­gun­gen zum Zu­sam­men­hang von Selbst­er­hal­tungs­stre­ben und Lust­prin­zip. (4364f.) Sie sind für Kon­dy­lis bi­o­psy­chisch mit­ein­an­der ver­bun­den. Unter den Be­din­gun­gen der Ver­ge­sell­schaf­tung des Men­schen und damit der Kul­tur wird aus dem Selbst­er­hal­tungs­trieb, so Kon­dy­lis, ein Macht­stre­ben, und an die­ses wird das Lust­prin­zip ge­knüpft. Somit be­deu­tet Macht Lust­ge­winn, und so be­kommt das Lust­prin­zip unter der Lei­tung des Macht­stre­bens einen an­de­ren Cha­rak­ter als unter den Be­din­gun­gen des blo­ßen Selbst­er­hal­tungs­stre­bens. Denn in der Ver­bin­dung von Macht­stre­ben und ihrem Werk­zeug Ratio ver­langt Macht­ge­winn Auf­schub, Ver­zicht, As­ke­se. Ent­spre­chend zu die­sem Er­klä­rungs­mo­dell un­ter­schei­det Kon­dy­lis zu Be­ginn in 4365 zwi­schen ›Lust­prin­zip‹ und ›Lust­af­fekt‹.

Auf den ers­ten Blick er­scheint es dem Leser nach­tei­lig, die No­ta­te schein­bar un­ge­ord­net vor­zu­fin­den. Doch der ge­naue­re Blick zeigt, dass in den No­ti­zen zwar zwei The­men­be­rei­che zu­gleich ver­folgt wer­den, doch wird nach und nach deren enge Ver­bin­dung er­kenn­bar, sie er­gän­zen und be­zie­hen sich auf­ein­an­der. Zum einen wer­den auch im Sinn der psy­cho­ana­ly­ti­schen Lehre Bei­spie­le für die Be­deu­tung des mensch­li­chen Stre­bens nach An­er­ken­nung ge­sam­melt. Zum an­de­ren geht es um die Be­stim­mung von Be­wusst­sein, Iden­ti­tät, Ego/Ich, ihrer Ver­bin­dung und dem damit ver­knüpf­ten Selbst­er­hal­tungs- bzw. Macht­stre­ben. Kon­dy­lis ent­deckt not­wen­di­ge Er­gän­zun­gen bzw. Schwä­chen des Freud­schen Mo­dells, die er in einer spä­te­ren Notiz 4511, nach den hier aus­ge­wähl­ten, noch­mals an­spricht: »4511** Die Ver­ken­nung des Macht­stre­bens führt Freud zu einer völ­lig er­zwun­ge­nen dua­len Klas­si­fi­zie­rung der Trie­be. Wenn er den Be­griff der Macht und die Me­cha­nis­men des Macht­stre­bens stu­diert hätte, würde er nicht die Ag­gres­si­on aus­schlie­ß­lich mit der De­struk­ti­on und dem To­des­trieb, noch würde er auf der an­de­ren Seite den Selbst­er­hal­tungs­trieb mit dem Eros iden­ti­fi­zie­ren. Der Selbst­er­hal­tungs­trieb kann Ag­gres­si­on aus­lö­sen, aber auch um­ge­kehrt kann die Ag­gres­si­vi­tät sich ver­edeln und in den Dienst der Kul­tur stel­len – auch als Herr­schaft.«

Die Zwei­tei­lung der Trie­be in Eros und Ta­na­tos bei Freud führt Kon­dy­lis also auf eine zu ge­rin­ge Be­ach­tung des Macht­stre­bens, dem wei­ter­ent­wi­ckel­ten Selbst­er­hal­tungs­stre­ben (4364) zu­rück. Des­halb darf Ag­gres­si­on unter den Be­din­gun­gen der Ver­ge­sel­lung nicht mit De­struk­ti­on gleich­ge­setzt wer­den, denn in der Kon­kur­renz mit an­de­ren ist sie aus dem Macht­stre­ben z.B. An­trieb zu Kul­tur­leis­tun­gen, die als dem All­ge­mein­in­ter­es­se dien­lich aus­ge­ge­ben wer­den. (vgl. P.K., Macht­fra­gen, Darm­stadt 2006, S.59)

Je nach ihrer Be­deu­tung kenn­zeich­ne­te Kon­dy­lis die No­ti­zen mit bis zu vier As­te­ris­ken. Oft ver­weist diese Aus­zeich­nung auf eine Zu­sam­men­fas­sung vor­an­ge­hen­der No­ta­te; in an­de­ren Fäl­len hebt ein As­te­ri­kus einen ein­zel­nen Ge­dan­ken oder Be­griff mit Leit­funk­ti­on her­aus.

Eine wei­te­re Kom­men­tie­rung der No­ta­te er­folgt an deren Ende nach 4411.

(4364) Das Selbst­er­hal­tungs­stre­ben sorgt für die Trieb­be­frie­di­gung oder hier­ar­chi­siert diese Be­frie­di­gung, wenn eine un­mit­tel­ba­re Trieb­be­frie­di­gung nicht mög­lich ist. Weil eine sol­che Hier­ar­chi­sie­rung not­wen­dig wird, wenn es viele Trie­be sind und sie sich zu­sätz­lich un­ter­ein­an­der ver­flech­ten, kommt das Selbst­er­hal­tungs­stre­ben beim Men­schen nicht ohne eine In­stanz aus, wie sie das Ich auf­grund sei­ner Fä­hig­keit zur so­zia­len Ori­en­tie­rung bil­det – und das be­deu­tet: das Selbst­er­hal­tungs­stre­ben reicht nicht aus, wenn es nicht durch Macht­stre­ben er­wei­tert wird.

(4365) Damit Lust in Macht ver­wan­delt bzw. Macht als hö­he­re Lust be­trach­tet wird, muss zwi­schen Lust­prin­zip und Lust­af­fekt un­ter­schie­den wer­den. Die Un­ter­schei­dung wird durch Durch­set­zung des Rea­li­täts­prin­zips und die Ak­ti­vi­tät des Ego voll­endet, die Lust­af­fek­te im Hin­blick auf eine neue, ›hö­he­re‹ Deu­tung des Lust­prin­zips op­fern kann.

(4366) Wenn je­mand nicht be­reit ist, das Wert­ur­teil der an­de­ren an­zu­neh­men, kann er ein Kom­pe­tenz­pro­blem oder Vor­ur­tei­le der an­de­ren un­ter­stel­len: Je­mand hat nicht die Be­fä­hi­gung mich zu kri­ti­sie­ren oder ist gegen mich vor­ein­ge­nom­men.

(4367) an as­pect of self will be more re­sis­tant to chan­ge when S be­lie­ves that there is con­sen­sus among si­gni­fi­cant other per­sons con­cerning that as­pect (107) C. Bacman- P. Se­cord- J. Peir­ce, Re­sis­tan­ce to Chan­ge in the Self-Con­cept as a Func­tion of Con­sen­sus among Si­gni­fi­cant Others, So­cio­me­try 26 (1963), 102-111

(4368) Feind­schaft
Die na­tür­li­che Re­ak­ti­on ge­gen­über Fremd­heit ist ent­we­der Ver­mei­dung oder Aver­si­on. In bei­den Fäl­len han­delt es sich nicht um Feind­schaft – bzw. Fremd­heit ge­nügt nicht, um Feind­schaft her­vor­zu­brin­gen (davon ab­ge­se­hen, ent­steht Feind­schaft in ähn­li­cher Weise auch bei Per­so­nen, die sich lie­ben). Die Feind­schaft ist eine po­si­ti­ve Be­zie­hung, sie ent­steht durch ein Han­deln, bei dem meine Iden­ti­tät ra­di­kal in Frage ge­stellt wird (oder vor allem ›etwas‹, mit dem ich meine Iden­ti­tät ver­bin­de.)

(4369) So wie wir mit un­se­rer Phan­ta­sie ein idea­les Ich bauen kön­nen, kön­nen wir mit der glei­chen Phan­ta­sie eine Welt auf­bau­en, die die­ses Ich be­frie­digt – in dem Fall, wo die erste Schöp­fung der Phan­ta­sie, das idea­le Ich, hart auf die Rea­li­tä­ten stößt.

(4370) Nütz­lich ist die Un­ter­schei­dung zwi­schen ego und per­so­na. Das­sel­be ego kann meh­re­re per­sonae haben, doch wird es auch ent­spre­chend der per­so­na ver­legt, ver­rückt, ver­scho­ben, die es je­weils ent­spre­chend sei­ner An­nah­me zeigt, was die an­de­ren über den Ab­stand zwi­schen ego und per­so­na usw. wis­sen. Das per­sön­li­che Leben wird zum Ka­lei­do­skop. Im Schnitt aller Bre­chun­gen be­fin­det sich Selbst­er­hal­tung als An­er­ken­nung.

(4371) Die Be­zie­hung zwi­schen Sub­jek­ten ist ein Aus­han­deln ihrer Iden­ti­tä­ten. Wenn es nicht mög­lich ist, dass das eine voll­stän­dig das Selbst­ver­ständ­nis des an­de­ren an­nimmt (weil die Über­nah­me einer Wer­te­ska­la ge­fähr­lich für die ei­ge­ne Iden­ti­tät sein würde), dann wird un­ter­sucht – weil die Be­wah­rung der Be­zie­hun­gen als vor­teil­haf­ter be­trach­tet wird – wel­che Punk­te aus­ge­löscht – igno­riert und wel­che sich bei­der­seits ver­än­dern wer­den (sei es dau­er­haft, sei es ad hoc, also im Hin­blick auf diese Be­zie­hung, ob­wohl sie bei einer an­de­ren aktiv be­ste­hen blei­ben kön­nen). Selbst wenn ein Gleich­ge­wicht er­reicht wird, ist es mög­lich auf der Basis wohl­er­wor­be­ner Po­si­tio­nen eine Wie­der­er­obe­rung des Ter­ri­to­ri­ums zu un­ter­neh­men, das zu Be­ginn ver­schenkt wurde. So wird in einem nach­fol­gen­den Sta­di­um der Kon­flikt ge­bo­ren, der zu Be­ginn ver­mie­den wurde.

(4372 **) Wenn wir er­klä­ren, wir schätz­ten die an­de­ren ent­spre­chend dem ein, wie sie unser Selbst­ver­ständ­nis be­ur­tei­len, mei­nen wir nicht, unser Selbst­ver­ständ­nis blei­be starr und ver­lan­ge von den an­de­ren ein alles oder nichts. Unter der Be­din­gung, An­er­ken­nung zu er­rei­chen, ist man­cher be­reit, nicht nur seine wahr­nehm­ba­re Iden­ti­tät zu än­dern, son­dern sein ei­ge­nes Selbst­ver­ständ­nis. Das Ver­wei­gern von An­er­ken­nung be­wirkt Ver­här­tung – und um­ge­kehrt. Es han­delt sich um ein un­end­li­ches Spiel. Die Iden­ti­tät als In­halt wird Ob­jekt vor­sich­ti­ger Ver­hand­lung mit dem Ziel, An­er­ken­nung zu er­rei­chen bzw. Iden­ti­tät als Selbst­ge­fühl zu be­stä­ti­gen. Diese bei­den Ele­men­te der Iden­ti­tät be­fin­den sich in ver­än­der­ba­ren Be­zie­hun­gen.

(4373) Wir müs­sen uns von den ein­fa­chen Auf­fas­sun­gen über den Be­griff der An­er­ken­nung be­frei­en, die oft als An­ge­be­rei ver­stan­den wird usw. Alles an­de­re als das. Beim Auf­stel­len der Sze­ne­rie der An­er­ken­nung stellt jede Per­son ihre ganze Welt auf, bzw. die für sie je­weils re­le­van­ten In­stan­zen, die ent­schie­den nicht die sind, die An­ge­be­rei be­güns­ti­gen. Auch wei­sen die­je­ni­gen Exis­ten­zen, die Prü­fun­gen fürch­ten, An­er­ken­nung zu­rück, sie pro­pa­gie­ren Demut usw. – tat­säch­lich ver­ste­cken sie das Selbst­gel­tungs­be­dürf­nis so gut, dass man es nicht fin­den kann, um es an­zu­grei­fen.

(4374) Der An­er­ken­nungs­trieb steht etwas ge­trennt vom Selbst­er­hal­tungs­trieb. Doch ver­bin­det er sich mit allen Teil­hand­lun­gen – und ge­ra­de des­we­gen kann er sich mit den un­ter­schied­lichs­ten In­hal­ten, Hal­tun­gen und Mei­nungs­äu­ße­run­gen (auf­ein­an­der­fol­gend, aber auch gleich­zei­tig) ver­bin­den.

(4375) Es exis­tiert kein von den an­de­ren Trie­ben ge­trenn­ter Selbst­er­hal­tungs­trieb, bzw. neben dem Ge­schlechts­trieb, dem Nah­rungs­trieb usw. Rich­tig ist es, über ein Selbst­er­hal­tungs­be­stre­ben zu spre­chen, das durch Er­fül­lung be­frie­digt wird, sei es durch Trie­be an sich, sei es durch ihre kul­tu­rell be­ding­ten Me­ta­mor­pho­sen. Und um­ge­kehrt, wenn der Or­ga­nis­mus sich ver­tei­digt, dann nicht, weil all seine Sys­te­me zu­gleich be­droht wer­den, son­dern er re­agiert, um sich vor einem Reiz zu schüt­zen. Aber der Teil, mit dem er re­agiert, tut es stell­ver­tre­tend für das Ganze.

(4376) Von Per­so­nen mit law self-app­rai­sal wird Lob zu­rück­ge­wie­sen, damit sie nicht zu den Leis­tun­gen ver­pflich­tet sind, die dem Lob ent­spre­chen wür­den. Ac­cep­t­ing prai­se from other im­plies that one ex­pects to par­ti­ci­pa­te ef­fec­tive­ly in dif­fi­cult ac­tivi­ties; ac­cep­t­ing cen­su­re from others im­plies that one ex­pects to par­ti­ci­pa­te in­ef­fec­tive­ly in dif­fi­cult ac­tivi­ties… the more a per­son is com­mit­ted to a low self-app­rai­sal, the less im­portant are these con­se­quen­ces for his eva­lua­ti­ve re­ac­tions to others. If a per­son has made no com­mit­ment to a low self-app­rai­sal, then ac­cep­t­ing prai­se or re­jec­ting cen­su­re from ano­ther per­son im­plies choo­sing a level of per­for­mance bey­ond his ca­pa­bi­li­ties with the ha­zard of ex­pe­ri­en­cing failu­re. Der­je­ni­ge, der is com­mit­ted to a low self-app­rai­sal wird ge­ra­de von die­sen Kon­se­quen­zen be­freit (442).
S. Jones – C. Rat­ner, Com­mit­ment to Self-App­rai­sal and In­ter­per­so­nal Eva­lua­ti­ons, Jour­nal of Per­so­na­li­ty and So­ci­al Psy­cho­lo­gy 6 (1967), 442-447

(4377) Die Freund­schaft wird er­schüt­tert, wenn die An­er­ken­nung sich ver­rin­gert, was daran er­kenn­bar ist, dass die Men­schen je­man­den sym­pa­thi­scher fin­den, der ihnen An­er­ken­nung zeigt, als einen, der sie ihnen ver­wei­gert. So wie Aron­son-Lin­der sagen: the fee­ling of gain or loss is ex­tre­me­ly im­portant – spe­ci­fi­cal­ly, a gain in es­te­em in a more po­tent re­ward than in­va­ri­ant es­te­em, and the loss of es­te­em is a more po­tent »pu­nish­ment« than in­va­ri­ant ne­ga­ti­ve es­te­em. If (others) O’s be­ha­vi­or toward P was in­iti­al­ly ne­ga­ti­ve but gra­dual­ly be­ca­me more po­si­ti­ve, P would like O more than he would had O’s be­ha­vi­or been uni­form­ly po­si­ti­ve ... Wir mögen letzt­lich je­man­den viel mehr, des­sen Ver­hal­ten uns ge­gen­über zu Be­ginn ne­ga­tiv war (156f.).
E. Aron­son- D. Lin­der, Gain and Loss of Es­te­em as De­ter­mi­nants of In­ter­per­so­nal Attrac­tiven­ess, Jour­nal of Ex­pe­ri­men­tal So­ci­al Psy­cho­lo­gy 1 (1965), 156-171

(4378) Per­so­nen mit einer ne­ga­ti­ven Selbst­ein­schät­zung einer ihrer Fä­hig­kei­ten neh­men wohl­wol­lend ne­ga­ti­ve Kri­ti­ken an, wenn eine Prü­fung be­vor­steht, wäh­rend sie, wenn eine sol­che nicht an­steht, po­si­tiv auf gute Kri­ti­ken re­agie­ren. (278)
S. Jo­nes-H. Pines, Self-Re­vea­ling Events and In­ter­per­so­nal Eva­lua­ti­ons, Jour­nal of Per­so­na­li­ty and So­ci­al Psy­cho­lo­gy 8 (1968), 277-281

(4379) Grund­le­gen­de späte Texte von Freud über die Iden­ti­tät Neue Vor­le­sun­gen – Ab­riss. Im Ab­riss wird ge­sagt, Teile der Iden­ti­tät wer­den ins Ego auf­ge­nom­men, wäh­rend sie in Vor­be­wuss­tes über­ge­hen.

(4380) Im Abriß sagt Freud, dass the power of the Id ex­pres­ses the true pur­po­se of the in­di­vi­du­al or­ga­nism’s life. Bzw: in der Iden­ti­tät müs­sen ein­fa­che Me­cha­nis­men der Selbst­er­hal­tung ge­fun­den wer­den.

(4381) Grund­le­gen­de Kenn­zei­chen der Er­schei­nung der Id im Ego oder des pri­mä­ren Pro­zes­ses im se­kun­dä­ren zei­gen, wie das Selbst­er­hal­tungs­stre­ben die ra­tio­na­le Ak­ti­vi­tät des Ich durch­tränkt. Es gibt Kenn­zei­chen des pri­mä­ren Pro­zes­ses, die für die Zwe­cke des Ego ge­braucht wer­den, z.B. die dis­pla­ce­ment [Ver­drän­gung] as a me­cha­nism of de­fen­se (A. Freud). Cha­rak­te­ris­tisch ist eben­falls die over­de­ter­mi­na­ti­on der Sym­bo­le, be­son­ders wenn sie sich auf ein Ver­hal­ten dicht am pri­mä­ren Pro­zess be­zie­hen. Die­ser hat die Ten­denz, ein ein­zi­ges Sym­bol mit einer Viel­zahl von Be­zü­gen auf­zu­la­den, und so deckt er zu­gleich meh­re­re emo­tio­na­le Be­dürf­nis­se. So ver­ste­hen wir den Über­gang zur In­ter­pre­ta­ti­ons­fra­ge als Macht­fra­ge.

(4382) Wenn wir den Be­griff des Kon­ti­nu­ums ernst neh­men, dann the strict dis­tinc­tion bet­ween im­pul­ses, men­tal pro­ces­ses, ideas, and thoughts be­co­mes ar­ti­fi­ci­al…. aus der Sicht des Kon­ti­nu­ums it be­co­mes a mat­ter of se­man­ti­cs whe­ther we speak of con­tents, ideas, or thoughts…. It is evi­dent that thought pro­ces­ses or­ga­ni­zed ac­cor­ding to the pri­ma­ry pro­cess can­not be re­stric­ted to the struc­tu­re id, but must also be used by the ego (112). The as­sump­ti­on that thought pro­ces­ses or­ga­ni­zed ac­cor­ding to the pri­ma­ry pro­cess must also take place in the ego is im­pli­cit in every dis­cus­sion of pri­mi­ti­ve wis­hes, fan­ta­sies and de­fen­ses (113) the most pri­mi­ti­ve thought pro­ces­ses un­der­ly­ing the con­cept »wish« are ex­clu­si­ve­ly or­ga­ni­zed ac­cor­ding to the pri­ma­ry pro­cess. (114) Schur, Iden­ti­ty

(4383) Die Ein­heit der Be­rei­che von Iden­ti­tät und Ego wer­den of­fen­sicht­lich, wenn die Iden­ti­tät nicht ein­fach als un­dif­fe­ren­zier­te En­er­gie ge­se­hen wird, son­dern in ihrer in­ne­ren Dif­fe­ren­zie­rung bei der Ge­stal­tung der Wün­sche und der Er­schaf­fung von Sym­bo­len. Nur bei einer dif­fe­ren­zier­ten Iden­ti­tät kön­nen wir zu einem Ego über­ge­hen.

(4384) Es be­steht kein Grund, die Id nicht be­reits als Selbst­er­hal­tungs­struk­tur zu cha­rak­te­ri­sie­ren. Sie hat die grund­le­gen­den Kenn­zei­chen: sie schafft als ers­ten psy­chi­schen Akt dif­fe­ren­ziert Wün­sche und eben­so ele­men­ta­re Ab­wehr­me­cha­nis­men. Li­bi­do und Ag­gres­si­on sind ein­fach zwei kom­ple­men­tä­re As­pek­te des Selbst­er­hal­tungs­stre­bens: du hast 1) Wün­sche und du hast 2) Ag­gres­si­on zum Teil als Trieb­kraft der Wün­sche, Wunsch der An­eig­nung – der Ver­wen­dung und zum Teil als Mit­tel zur Ver­tei­di­gung des Wunsch­ob­jek­tes bzw. als Ver­tei­di­gungs­mit­tel.

(4385) We must view the pri­ma­ry pro­cess, too, as a con­ti­nu­um. The men­tal func­tions or­ga­ni­zed ac­cor­ding to the pri­ma­ry pro­cess, range, the­re­fo­re, from the most pri­mi­ti­ve ele­ments that we at­tri­bu­te to the id, based chief­ly on pri­mi­ti­ve per­cep­ti­ons and me­mo­ry tra­ces, to such re­la­tive­ly com­plex pro­ces­ses as fan­ta­sies…This is in ac­cor­dance with the new ge­ne­ral­ly ac­cep­ted as­sump­ti­on that we can de­tect ele­ments of all three struc­tu­res of the men­tal ap­pa­ra­tus in most ma­ni­fes­ta­ti­ons of men­tal life (This ap­p­lies, of cour­se, to the phase in which the struc­tu­res ego and su­pe­r­ego…have al­re­a­dy de­ve­l­o­ped.) Schur, Id, 114

(4386) the me­mo­ry trace of the per­cep­ti­on of need gra­ti­fi­ca­ti­on is the ma­trix of the de­ve­lop­ment of a wish. It is dif­fi­cult to con­cep­tua­li­ze the men­tal re­pre­sen­ta­ti­on of the early gra­ti­fi­ca­ti­on ori­gi­nal­ly trig­ge­red by li­bi­di­nal de­man­ds…the ag­gres­si­ve drive is also sub­ject to re­gu­la­ti­on by the un­plea­su­re and plea­su­re prin­ci­ples…we hard­ly ever see ma­ni­fes­ta­ti­ons of the ag­gres­si­ve drive in its pure state. Its di­sch­ar­ge is most­ly com­bi­ned with a di­sch­ar­ge of the li­bi­di­nal drive. Schur, Id, 121
The de­ve­lop­ment of hate is its­elf the re­sult of a com­plex de­ve­lop­ment (ob­ject de­ve­lop­ment), and only the drive as­pect – which is again more »amor­phous« – can be ascri­bed to the id (122)

(4387) Not­wen­dig­keit der Selbst­er­hal­tung:
Das Lust­prin­zip könn­te nicht ab­ge­schwächt oder durch etwas ge­zähmt wer­den, wenn es nichts Stär­ke­res als die­ses selbst gäbe. Etwas, das stär­ker ist, zwingt den psy­chi­schen Me­cha­nis­mus dazu, sich zu dif­fe­ren­zie­ren, indem er neben der Iden­ti­tät auch ein ego als An­pas­sungs­or­gan er­wirbt – aber einer ak­ti­ven An­pas­sung. Wenn je­doch Id und Ego von einer vor­her­ge­hen­den Ein­heit un­ter­schie­den wer­den, wobei die Id selbst struk­tu­riert dar­ge­stellt wird, dann muss in der vor­her­ge­hen­den Ein­heit der Selbst­er­hal­tungs­trieb herr­schen, ob­wohl die­ser an­fäng­lich mit dem Lust­prin­zip ver­knüpft ist, und si­cher­lich würde er sich »wün­schen« für immer damit ver­bun­den zu blei­ben. Doch er hat die Mög­lich­keit, sich von ihm zu un­ter­schei­den, das Lust­prin­zip un­ter­zu­ord­nen oder zu re­la­ti­vie­ren.

(4388) Schur, The Id, 128ff.
Freud stützt in vie­len sei­ner For­mu­lie­run­gen das Lust-Un­lust-Prin­zip auf das prin­cip of sta­bi­li­ty to Fech­ner: Lust ist das Ver­blei­ben in der sta­bi­li­ty dank der Ver­mei­dung un­an­ge­neh­mer Reize, Sen­ken der Span­nung, Un­lust das Ge­gen­teil, also ac­cu­mu­la­ti­on of ten­si­on, dann en­steht the ne­ces­si­ty to wi­th­draw from ex­ten­si­ve sti­mu­la­ti­on. Auf jeden Fall no­tier­te Freud a dif­fe­rence in the ef­fec­tiven­ess of the pro­tec­tive bar­ri­er gegen in­ne­re und äu­ße­re Reize. Doch be­son­ders die Ent­wick­lung des Men­schen führt zur (Teil-) Be­frei­ung von der Ab­hän­gig­keit von äu­ße­ren Rei­zen (vom In­stinkt zum Trieb!). Von dem Mo­ment an, wo aus ihrer Er­in­ne­rung Wün­sche ent­ste­hen und zu­gleich der Wunsch zur Wie­der­ho­lung von Rei­zen, kann die In­ter­pre­ta­ti­on von Freud über das Lust-Un­lust-Prin­zip kei­nen Be­stand haben. Das un­plea­su­re prin­ciple re­gu­la­tes ge­wiss the wi­th­dra­wel re­s­pon­se, aber das Lust-Prin­zip, das zum Leben ge­hört und glei­cher­ma­ßen not­wen­dig ist, re­gu­la­tes genau das Ge­gen­teil, also the ap­proach re­s­pon­se. Das Sta­bi­li­täts­mo­dell von Freud gilt so nur für das Un­lust-Prin­zip, wel­ches das pri­mi­tivs­te ist, wäh­rend das Lust-Prin­zip re­gu­la­tes the need to re-crea­te by ac­tion or by fan­ta­sy any si­tua­ti­on which has crea­ted the ex­pe­ri­ence of sa­tis­fac­tion. In sei­nen Spätschrif­ten be­stimmt Freud das Nir­wa­na-Prin­zip To­des­trieb auf­grund des Kon­stanz­prin­zip[s], und stellt es dem Eros ge­gen­über, als Prin­zip der Be­we­gung und des Le­bens. Der erste je­doch kann kein Trieb sein, weil the need to wi­th­draw from the sour­ce of pain and dan­ger has not achie­ved in the cour­se of evo­lu­ti­on the de­gree of in­ter­na­liza­t­i­on which is the basis for an in­stinc­tu­al drive. There is no mo­ti­va­tio­nal force to seek an ob­ject in order to wi­th­draw from it. An­de­rer­seits geht der Wie­der­ho­lungs­zwang, den Freud für den To­des­trieb an­nimmt, nicht mit ihm, son­dern mit dem Lust­prin­zip zu­sam­men: Die Wie­der­ho­lung zielt auf eine nach­prü­fen­de Ver­nich­tung einer trau­ma­ti­sier­ten Si­tua­ti­on ab, diese ent­steht also wie­der, damit ihr die­ses Mal rich­tig be­geg­net wird. The ego’s un­con­scious wish to undo the trau­ma­tic si­tua­ti­on can­not be sa­tis­fied wi­thout re­li­ving the lat­ter in end­less va­ria­ti­on.

(4389) Die Phan­ta­sie hat zwei grund­le­gend ver­schie­de­ne, aber im Ge­samt­be­reich des Mensch­li­chen kom­ple­men­tä­re Funk­tio­nen: a) Das Leben an­ti­zi­pie­rend zu ge­stal­ten b) Män­gel zu kom­pen­sie­ren: Indem hier die Phan­ta­sie zum Ex­tre­men hin ge­reizt wird, kann sie le­bens­feind­lich wer­den.

(4390) Der Nar­ziss­mus rich­tet sich an alle, und wenn es keine an­de­ren gibt, lebt er von sich selbst, da­ge­gen hat der »Ag­gres­si­ons­trieb« kei­nen stän­di­gen und uni­for­men Aus­druck, son­dern er­scheint als Re­ak­ti­on gegen Wi­der­stän­de. Dies ist der Vor­zug des Nar­ziss­mus ge­gen­über jeder Art von Ag­gres­si­on. Es gibt keine Ag­gres­si­on ohne die vor­he­ri­ge Ge­fah­ren­ver­mu­tung (un­ab­hän­gig davon, wie groß die Ge­fahr ein­ge­schätzt wird, ist dies die Funk­ti­on der Weite des Selbst­ver­ständ­nis­ses.)

(4391**) Zu­sam­men­hang zwi­schen der Früh­ge­burt des Men­schen, sei­ner Hilf­lo­sig­keit und dem zu­sätz­li­chen Be­dürf­nis ge­liebt zu wer­den – ein Be­dürf­nis, das sich schnell in Nar­ziss­mus und Macht­stre­ben ver­wan­delt. Die­ser Zu­sam­men­hang, der zu den Fol­ge­run­gen von Bolk und Port­mann (Föt­a­li­sie­rung) passt, drückt schon Freud 1926 aus: Hem­mung, Sym­ptom und Angst, GW, XIV, 186f.

(4393) Ich
Wenn je­mand als Per­son eine be­stimm­te Ei­gen­schaft stän­dig haben will, dann soll er mit Leu­ten ver­keh­ren, die ihn höher schät­zen oder die er be­ein­druckt, wenn er als Trä­ger die­ser Ei­gen­schaft er­scheint.

(4394) Das ego bleibt un­klar und un­be­kannt. Seine Um­ris­se wer­den fik­tiv ge­ge­ben, in klar de­fi­nier­ten Wör­tern oder in Au­gen­bli­cken des Gleich­ge­wichts mit der Um­ge­bung und an­de­ren – Au­gen­bli­cke, die nicht not­wen­dig dem tie­fe­ren Wesen ent­spre­chen: Das Gleich­ge­wicht und die Zu­frie­den­heit ent­spre­chen nicht der Selbst­er­kennt­nis, son­dern der Er­wi­de­rung un­se­rer Ge­füh­le mit dem Bild vom Ego, das in sol­chen Au­gen­bli­cken auf­taucht. Dem Wesen nach bleibt die ge­nann­te Selbst­er­kennt­nis gleich, die ei­ni­ge of­fen­bar er­rei­chen. Hier trifft das Bild vom Ego mit un­se­ren Ge­füh­len zu­sam­men, und dies schafft eine un­ge­stör­te Ein­heit; weil sie un­ge­stört ist, ist klar, dass sie kei­nen un­be­kann­ten Fak­tor ent­hält. Die Tat­sa­che aber, dass die be­kann­ten Fak­to­ren ins Gleich­ge­wicht ge­kom­men sind (sei es ge­fühls­mä­ßig im Bild von un­se­rem Ego, sei es zwi­schen die­sen bei­den) be­deu­tet nicht, dass nicht doch Un­be­kann­te vor­han­den sind.

(4395) Das Ich ver­langt, alles als zu sei­ner Sphä­re ge­hö­rend dar­zu­stel­len: Die Er­kennt­nis über etwas außer dem Ich wird als Mach­t­e­le­ment des Ich dar­ge­stellt, die Er­wach­se­nen spre­chen wie Ver­tre­ter über­in­di­vi­du­el­ler Ideen, die Frau­en zei­gen sich als ver­stär­ken­de Ele­men­te ihres Ego die Schön­heit der Kin­der und ihrer Hunde Nietz­sche, II, 185
Das Ich und seine Herr­schaft über die Ver­gan­gen­heit, so wie diese in der sprach­li­chen Form des Per­fekts aus­ge­drückt wird. ibid. 184

(4396) Siehe die Be­mer­kun­gen von H. Hesse (Step­pen­wolf, 64ff) über die Nicht­exis­tenz eines ein­heit­li­chen Ich. – Es soll be­merkt wer­den, dass dann, wenn es viele Pole des psy­chi­schen Le­bens gibt, einer ver­sucht sich gegen die an­de­ren durch­zu­set­zen und sie unter seine Herr­schaft zu brin­gen. Dies muss ent­we­der zu einer Ver­stüm­me­lung oder zu einer Spal­tung füh­ren. Ge­wöhn­lich ist der herr­schen­de Pol der, den die an­dern, die Ge­sell­schaft sehen oder uns auf­er­le­gen, des­sen An­er­ken­nung wir wol­len.

(4397) Ur­sprung des Be­wusst­seins **
Be­dürf­nis der Mit­tei­lung des schwa­chen und ge­fähr­de­ten Tie­res. (Zu­gleich ent­steht daher die Spra­che.) Des­we­gen der Her­den-In­stinkt im Be­wusst­sein am stärks­ten. D.h.: das Bew. zer­stört das In­di­vi­du­el­le, stellt das Durch­schnitt­lich-Mensch­li­che in den Vor­der­grund. Seine Welt ver­flach­te Zei­chen-Welt. Nietz­sche, Fröh. Wiss., Nr. 354
Nietz­sche schätzt Leib­niz für seine Sicht­wei­sen über das Be­wusst­sein: das B. als nur ein Zu­stand un­se­rer see­li­schen Welt. (ibid. Nr. 357)

(4399) Der Trieb ist eine ein­heit­li­che En­er­gie, ein Strom von En­er­gie und Dy­na­mik. Seine je­wei­li­ge Ka­na­li­sie­rung un­ter­schei­det ihn von an­de­ren in der Art und Weise, For­men an­zu­neh­men und als das eine oder das an­de­re zu er­schei­nen (wel­ches ist der erste Trieb? Der Wille? Selbst­er­hal­tung? Herr­schaft? – all das ist das Glei­che.) Er selbst exis­tiert jen­seits von gut und böse und nur die Eti­ket­tie­rung ent­spre­chend die­ser Be­grif­fe gibt ihm das ent­spre­chen­de Bild, so wie er auch sei­nem Trä­ger das Ge­fühl der Zu­frie­den­heit oder Un­zu­frie­den­heit gibt (An­er­ken­nung oder Miss­bil­li­gung.) Der Trieb selbst ist all die­sen Fäl­len un­ter­wor­fen, er er­scheint manch­mal als Ag­gres­si­vi­tät, manch­mal als Moral.

(4400) Ich
In­wie­fern gleicht das Ich eines Zehn­jäh­ri­gen einem fünf­zig­jäh­ri­gen Men­schen? Hat es sich voll­kom­men ge­än­dert, wie bei einem Schiff, bei dem nach und nach ein Teil nach dem an­dern er­setzt wird und das am Schluss nur noch den Namen be­hält – dann ist es das Glei­che nur des­halb, weil es die an­dern als das Glei­che an­se­hen? Wenn die Ge­sell­schaft ein In­di­vi­du­um nicht als iden­tisch mit sei­nem Ich über die Zei­ten hin an­nimmt, würde es dann das glei­che Be­wusst­sein sei­ner Iden­ti­tät haben? Bzw: wenn der Fünf­zig­jäh­ri­ge sein zehn­jäh­ri­ges Selbst sehen würde, in wel­chem Grade würde O‘ [er] ein be­stän­di­ges Ego wie­der­er­ken­nen? Und mehr noch: wenn ich mein jet­zi­ges Selbst sehen könn­te, wie es sich be­wegt und ver­hält, würde ich es wie­der­er­ken­nen, wenn ich es nicht im Spie­gel ge­se­hen hätte? Denn manch­mal scheint die Ver­gan­gen­heit wie ein Traum; wie also steht es um den Wahr­heits­grad bei der Er­in­ne­rung ver­gan­ge­ner Er­leb­nis­se? Er­laubt etwa der Man­gel eines fes­ten Ego nichts an­de­res als zer­streu­te, ver­misch­te Hal­tun­gen aus der Ver­gan­gen­heit? In­wie­fern ist die Ver­gan­gen­heit als or­ga­ni­sier­te Le­bens­ge­schich­te not­wen­dig Fik­ti­on, die wir für die Ge­gen­wart brau­chen?

(4401) Ich
Auch wenn seine Exis­tenz als Ver­knüp­fung und be­leh­ren­der, un­ter­wei­sen­der We­bein­schuss an­ge­nom­men wird, zwingt uns das nicht, es für Ver­nunft = Den­ken zu hal­ten. Viel­leicht – we­nigs­tens ent­spre­chend den form­ge­stal­te­ri­schen Be­dürf­nis­sen un­se­rer Über­le­gun­gen – müs­sen wir an­neh­men, dass zwi­schen etwas [Vor­stel­lun­gen] oder in Be­zie­hung zu etwas [ihnen] ein Dar­stel­lungs­zu­sam­men­hang her­ge­stellt wer­den kann. Aber wir kön­nen im Me­ta­pho­ri­schen blei­bend, uns die­ses Me­di­um als einen dunk­len Schat­ten, der hin­ter den Vor­stel­lun­gen steht, vor­stel­len oder als eine Menge Was­ser, die immer gleich bleibt und den­noch die Form des je­wei­li­gen Be­häl­ters an­nimmt und sich in ihm be­fin­det und be­wegt – ein klei­nes Per­pe­tu­um mo­bi­le – die Teil­chen – die Vor­stel­lun­gen.

(4402) Wenn wir hier über Iden­ti­tät usw. spre­chen, kön­nen wir keine be­stimm­te Be­wusstseins­theo­rie an­neh­men, son­dern be­zie­hen uns auf das Be­wusst­sein der Sub­jek­te, eine Iden­ti­tät zu be­sit­zen und sich bei ihrem Han­deln dar­auf zu be­zie­hen, ohne uns dafür zu in­ter­es­sie­ren, ob die Iden­ti­tät fik­tiv ist oder nicht. Ent­schei­dend ist, dass auch dann, wenn sie Fik­ti­on ist, die Selbst­er­hal­tung die Fik­ti­on not­wen­dig macht.

(4403) Ich – Ent­schei­dung
Hume sagt, der Ein­druck des ein­heit­li­chen Ego sei auf op­ti­sche Täu­schung zu­rück­zu­füh­ren, wir also, ob­wohl wir die Idee der Iden­ti­tät von der Idee der Viel­falt (di­ver­si­ty) lo­gisch un­ter­schei­den, sie in der Pra­xis aber durch­ein­an­der­brin­gen: Wenn sich die Glie­der der di­ver­si­ty mit re­la­ti­ons ver­bin­den, gibt es einen glat­ten Über­gang vom einen zum an­dern, wobei der täu­schen­de Ein­druck der Ein­heit ent­steht, die wir nach­träg­lich durch fic­tions wie soul, self, sub­stan­ce be­stä­ti­gen.. – Die In­ter­pre­ta­ti­on die­ser Ver­wir­rung ist eher ober­fläch­lich: denn wenn die Rei­hen­fol­ge der Ein­drü­cke nicht nur re­la­ted ob­jects ent­hält, die einen glat­ten Über­gang si­chern, son­dern auch zu­ein­an­der ge­gen­sätz­li­che Ein­drü­cke, wie hängt dann das Ge­fühl der per­sön­li­chen Iden­ti­tät vom In­halt der Ein­drü­cke ab? Die Er­fah­rung zeigt, dass die­ses Ge­fühl nicht dar­un­ter lei­det, auch wenn die nach­ein­an­der fol­gen­den Ein­drü­cke völ­lig ge­gen­sätz­lich sind. Wenn nicht dies Ge­fühl, was sonst hält die ge­trenn­ten Vor­stel­lun­gen zu­sam­men? Nicht ein ver­nünf­ti­ges Ego, son­dern ein tie­fe­rer In­stinkt, der die Selbst­er­hal­tung ver­langt. Die Selbst­er­hal­tung ist schwach oder we­nigs­tens schwie­ri­ger ohne Zu­sam­men­hang der Ein­drü­cke. Die Ähn­lich­keit oder Un­ähn­lich­keit der Ein­drü­cke an sich ist se­kun­där oder auch un­be­deu­tend, viel­mehr wird der Zu­sam­men­hang von die­sem In­stinkt er­fun­den oder durch­ge­setzt.

(4404) De­zi­sio­nis­mus
Drei Theo­ri­en über das Ego:
a) un­un­ter­bro­chen wech­seln­de Vor­stel­lun­gen,
b) re­la­tiv sta­bi­le Vor­stel­lun­gen, von einem ver­nünf­ti­gen Ego be­ob­ach­tet,
c) Vor­stel­lun­gen, die be­zo­gen auf die Basis und den Hin­ter­grund des Selbst­er­hal­tungs­trie­bes, den Macht­trieb ver­än­dern.

(4405) Müs­sen wir uns das Ich als Hier­ar­chie vor­stel­len, bei der eine In­stanz über den an­de­ren steht und sie dis­zi­pli­niert? Oder ist das Ich etwa – als ver­bin­den­der Name, fla­tus vocis – nur das Kol­lek­tiv sei­ner Kom­po­nen­ten, die un­ter­ein­an­der kämp­fen und ver­schie­de­ne Gleich­ge­wich­te mit den je­weils ver­schie­de­nen Herr­schern fin­den?

(4406) De­zi­sio­nis­mus
Über das Pro­blem des Ich
Es ist für den Ent­schei­dungs­vor­gang gleich­gül­tig, ob das Ich mäch­tig oder schwach ist: Beide Ichs be­nö­ti­gen Fik­tio­nen und das Als Ob. Das star­ke Ich for­dert die Welt durch die Fülle sei­ner Kräf­te her­aus, das schwa­che be­nö­tigt das Als Ob als Dach und Schutz. Dies er­scheint ne­ga­tiv im Ver­gleich von Kant mit Nietz­sche: Ihre Mei­nun­gen über das Ich un­ter­schei­den sich grund­le­gend, aber der Fik­tio­na­lis­mus bringt sie näher zu­sam­men (Be­ein­träch­ti­gung von Nietz­sche durch Lang!)

(4407) Es ist kei­nes­wegs aus­ge­macht, daß Selbst­er­hal­tung und -stei­ge­rung erst auf der Grund­la­ge wah­rer Selbst­er­kennt­nis er­folg­reich sein kann. Dass der Ego­is­mus und die Ten­denz zur Do­mi­nanz trei­ben­de Kräf­te sind, be­deu­tet nicht, jeder Mensch habe das Be­wusst­sein sei­nes Ego, also Selbst­er­kennt­nis. Ge­wöhn­lich kämpft er nicht für die Durch­set­zung des Ego der Selbst­er­kennt­nis, son­dern für ein Ego, das die an­de­ren (Men­schen) (auch) mehr oder we­ni­ger auf seine Rech­nung ge­schaf­fen haben und das die­ser ad­op­tiert und für das er kämpft. Auf­grund sei­ner ur­sprüng­li­chen Ver­bin­dung mit den Mei­nun­gen an­de­rer be­nö­tigt die­ses Ego die An­er­ken­nung (die wirk­li­che Selbst­er­kennt­nis, wenn sie über­haupt mög­lich wäre, zeigt sich wahr­schein­lich viel we­ni­ger als Motiv zum Han­deln!) Die Fik­ti­on, dass die Per­sön­lich­keit kein ei­ge­nes Licht habe, schwächt nicht den Kampf um An­er­ken­nung – im Ge­gen­teil.

(4408) Man könn­te sogar wei­ter­ge­hen und sagen: Das Be­dürf­nis des Ich, sich immer hin­ter einer Ent­schei­dung zu ver­schan­zen, ist nicht auf sei­nen kris­tall­kla­ren fes­ten Cha­rak­ter und seine Kraft zu­rück­zu­füh­ren, die es von ihm be­kommt – son­dern von sei­nem davon ab­ge­lös­ten Cha­rak­ter und sei­ner in stän­di­gem Kon­flikt be­find­li­chen Natur, die ihm mit Ver­nich­tung droht, wenn es keine Gleich­ge­wich­te fin­det, die ihm er­lau­ben schlag­kräf­tig zu sein.

(4409 **) Die Grund­la­gen und die grund­le­gen­den Kenn­zei­chen der Moral* schon im Ver­hal­ten des Tie­res. Nietz­sche, II, 31f.
*(Ver­ber­gen und Er­hal­ten der ver­trau­ten Kräf­te, mit dem Ziel der spä­ter bes­se­ren Nut­zung für den Kampf. Frie­den und Ein­stel­lung. An­pas­sung an die Um­welt. Un­ter­su­chung der Ge­wohn­hei­ten des an­de­ren und das Bild des Selbst ent­spre­chend den Re­ak­tio­nen des an­de­ren.)

(4410) Wir ver­ste­hen unser Selbst ent­spre­chend Merk­mal und Rah­men der Ge­ge­ben­hei­ten, für die es Wör­ter gibt: Wir ma­chen es uns schwer und be­ob­ach­ten nicht das Un­aus­sprech­ba­re: Auch die un­end­li­chen Schwan­kun­gen der im Gro­ben be­kann­ten Ge­füh­le (Trau­er, Freu­de, Zorn usw.) fügen sich der Abs­trak­ti­on des Wor­tes, das sie sym­bo­li­siert, und so ver­lie­ren sie ihr spe­zi­el­les Ge­wicht, die spe­zi­el­le, be­stim­men­de Struk­tur für ihr Ver­hal­ten. Wir sind alle nicht das, als was wir nach den Zu­stän­den er­schei­nen, für die wir al­lein Be­wusst­sein und Worte – und folg­lich Lob und Tadel – haben; wir ver­ken­nen uns nach die­sen grö­be­ren Aus­brü­chen, die uns al­lein be­kannt wer­den.., wir ver­le­sen uns in die­ser schein­bar deut­lichs­ten Buch­sta­ben­schrift un­se­res Selbst. Un­se­re Mei­nung über uns aber, die wir auf die­sem fal­schen Wege ge­fun­den haben, das so­ge­nann­te »Ich«, ar­bei­tet für­der­hin mit an un­se­rem Cha­rak­ter und Schick­sal. Nietz­sche, II, 90

(4411) Dass Smith die Moral für künst­lich hält, wird er­kenn­bar in der Art, wie er die Ent­ste­hung des Be­wusst­seins be­schreibt (sein Pro­blem ist aber nur ge­ne­tisch). Das Be­wusst­sein ist also die Ver­in­ner­li­chung der so­zia­len Maß­stä­be. Das Sub­jekt wünscht die Bil­li­gung der an­de­ren und ver­hält sich ent­spre­chend, indem es in sei­ner in­ne­ren Welt das Spiel des »spek­ta­tors« spielt, der das Han­deln der an­de­ren be­ob­ach­tet. Auch wenn das Be­wusst­sein letzt­lich selb­stän­dig wird und als »de­mi­god« er­scheint, hat es den­noch seine Her­kunft und sein Wesen. Es ist not­wen­dig für den so­zi­al le­ben­den Men­schen: Es weist die Selbst­sucht zu­rück, die ihre Be­rück­sich­ti­gung ohne Rück­sicht auf An­de­re an­strebt. Be­wusst­sein ist weder des Got­tes noch des Logos in­ne­re Stim­me. S. Theo­ry Mor. Sent. II, II, 2; III,3; III,1; III, 2

Wei­te­rer Kom­men­tar:

Die erste Kor­rek­tur des psy­cho­ana­ly­ti­schen Mo­dells be­steht, wie ge­sagt, darin, das Lust­prin­zip nicht als ein fest an den Selbst­er­hal­tungs­trieb ge­knüpf­tes Re­ak­ti­ons­sche­ma zu sehen, son­dern die Bin­dung an das Macht­stre­ben zu be­rück­sich­ti­gen. Eine wei­te­re Kor­rek­tur der Freud­schen Be­stim­mung des Lust­prin­zips wird in 4388 vor­ge­nom­men: Das Sta­bi­li­täts­mo­dell Freuds könne nur für das Un­lust­prin­zip, nicht aber für das Lust­prin­zip gel­ten.

Mit dem Macht­stre­ben ver­bun­den, das zeigt eine Reihe von Bei­spie­len, ist das Be­dürf­nis nach An­er­ken­nung, Gel­tung. Die No­ti­zen dazu be­gin­nen mit 4366, dar­auf be­zie­hen sich 4367f, 4370-4374 und 4372** lie­fern eine vor­läu­fi­ge Zu­sam­men­fas­sung. Der Wunsch nach An­er­ken­nung be­seelt auch die­je­ni­gen, die sie auf­grund eines ge­rin­gen Selbst­ver­trau­ens zu­rück­wei­sen (4376, 4378). Auch wird die Be­deu­tung die­ses Be­dürf­nis­ses für die Freund­schaft (4377), die Feind­schaft (4368,4384,4391), die Phan­ta­sie (4369, 4389) und die Un­ter­schei­dung von ego und per­so­na (4370) be­trach­tet. Diese Über­le­gung kehrt in 4411 bei der Be­ob­ach­tung des Phä­no­mens der Ver­in­ner­li­chung mo­ra­li­scher Ge­bo­te wie­der; die These, die Ein­hal­tung ethi­scher Prin­zi­pi­en habe mit dem An­er­ken­nungs­be­dürf­nis zu tun, wird von Smith be­stä­tigt.

4411 ver­weist auch auf die Ent­ste­hung des Be­wusst­seins aus dem so­zia­len Mit­ein­an­der: Das In­di­vi­du­um müsse sein Han­deln in der Wir­kung auf die an­de­ren be­ur­tei­len, deren Ak­zep­tanz das so­zia­le Wesen be­nö­tigt. In die­sem Sinn wird 4397 bes­ser ver­ständ­lich. Be­wusst­sein und Ich/Ego haben die so­zia­le Ori­en­tie­rung ge­mein­sam, Iden­ti­tät und Ego sind »An­pas­sungs­or­ga­ne« (4387), wobei die Iden­ti­tät ein mehr pas­si­ves und das Ego ein ak­ti­ves An­pas­sungs­or­gan ist. Als In­stanz zur so­zia­len Ori­en­tie­rung (4364,4400,4401) ver­fügt das Ich über Machts­re­ben, es ist Trä­ger des Rea­li­täts­prin­zips bei Freud und Kon­dy­lis, und bei die­sem dem Macht­prin­zip zu­ge­ord­net. Bei Freud (4379) fin­det Kon­dy­lis den Hin­weis der engen Ver­bin­dung von Iden­ti­tät und Ego; und aus Freuds Be­ob­ach­tung (4380) fol­gert Kon­dy­lis, dass in der Iden­ti­tät be­reits ein­fa­che Me­cha­nis­men der Selbst­er­hal­tung ent­hal­ten sind. Selbst­er­hal­tungs­stre­ben sei auch in der »ra­tio­na­len Ak­ti­vi­tät« des Ego (4381) ent­hal­ten. Doch wird diese ra­tio­na­le Seite des Ich an an­de­rer Stel­le (4401) re­la­ti­viert. Die Ver­knüp­fun­gen zwi­schen Vor­stel­lun­gen seien nicht un­be­dingt durch Ver­nunft be­stimmt. (Die Ver­knüp­fung der Vor­stel­lun­gen reicht bis ins Bi­o­psy­chi­sche und bleibt des­halb wie die Grund­ent­schei­dung teil­wei­se rät­sel­haft, vgl. P.K., Macht­fra­gen S.34)

Mit 4379f wird deut­lich, dass Kon­dy­lis die Be­ob­ach­tun­gen und Er­geb­nis­se des Er­fah­rungs­wis­sen­schaft­lers Freud als zu­ver­läs­si­gen Aus­gangs­punkt nimmt, aber stets nach­prüft, ob bei deren Aus­wer­tung etwas über­se­hen sein könn­te, – wie etwa die Fol­ge­rung, dass be­reits »in der Iden­ti­tät ein­fa­che Me­cha­nis­men der Selbst­er­hal­tung ge­fun­den« wer­den kön­nen. Diese Prü­fung hat dann Fol­gen für das aus der Be­ob­ach­tung ab­ge­lei­te­te Mo­dell.

Die Iden­ti­tät be­dient sich bei der er­for­der­li­chen An­pas­sung an die For­de­run­gen von außen (4369) auch der Täu­schung, wenn der Kon­flikt mit der Um­ge­bung ver­mie­den wer­den soll. Auch das Ich braucht die Täu­schung, das Fik­ti­ve (4400,4401), es un­ter­stellt nur eine gleich­blei­ben­de Iden­ti­tät. Um der Selbst­er­hal­tung wil­len ist diese Un­ter­stel­lung not­wen­dig (4402,4406-4410). Nur in der Über­zeu­gung, eine gleich­blei­ben­de Iden­ti­tät zu be­sit­zen, kann das In­di­vi­du­um für seine Selbst­er­hal­tung ent­schlos­sen ein­tre­ten. Das Selbst­er­hal­tungs­stre­ben ist es, das diese An­nah­me stützt, über die Zeit hin­weg eine un­ver­än­der­te Iden­ti­tät, ein fes­tes Ego zu haben. Kon­dy­lis be­zwei­felt die Exis­tenz eines ein­heit­li­chen Ich (4400-4403), wobei er sich auf Hume be­ru­fen kann. Diese Be­le­ge für das Fik­tio­na­le, auf dem unser Sein auf­ruht, wer­den er­gänzt durch eine zen­tra­le Er­kennt­nis des ›de­skrip­ti­ven De­zi­sio­nis­mus‹, dass jedes In­di­vi­du­um sei­nem – sub­jek­ti­ven – Welt­bild Ob­jek­ti­vi­tät zu­schrei­ben muss, weil es nur unter die­ser Vor­aus­set­zung die zur Ori­en­tie­rung und zum Han­deln nö­ti­ge Si­cher­heit hat. Und von die­ser Über­zeu­gung der Ob­jek­ti­vi­tät lässt es sich auch nicht durch die Er­fah­rung ab­brin­gen, das an­de­re Men­schen an­de­re Welt­bil­der haben, die sie eben­falls für ob­jek­tiv hal­ten. (vgl. Macht­fra­gen, S.58) So be­stä­tigt die Aus­wer­tung der For­schungs­er­geb­nis­se Freuds Kon­dy­lis in sei­nem an­thro­po­lo­gi­schen Mo­dell, das er in Macht und Ent­schei­dung (hier zi­tiert nach Macht­fra­gen) vor­stell­te.

 

13. Jahrgang 2014