I

Der Name Charles Beard ist in Deutsch­land und Eu­ro­pa al­len­falls Fach­his­to­ri­kern ge­läu­fig. Selbst in den USA, wo Charles Aus­tin Beard (1874-1948) zu Leb­zei­ten eine füh­ren­de Rolle als pu­blic in­tel­lec­tu­al spiel­te, zählt er au­ßer­halb der Se­mi­na­re zu den ›ver­ges­se­nen‹ Au­to­ren einer zeit­lich ent­rück­ten Epo­che des 20. Jahr­hun­derts, was nicht al­lein dem Wech­sel in­tel­lek­tu­el­ler Moden zu­zu­schrei­ben ist. Viel­mehr er­reg­te Beard, über Jahr­zehn­te Prot­ago­nist eines in der pro­gres­si­ve era ge­bo­re­nen re­for­me­ri­schen Geis­tes, wegen sei­ner mas­si­ven Kri­tik an Fran­klin D. Roo­se­velt und des­sen Au­ßen­po­li­tik vor und wäh­rend des II. Welt­kriegs Em­pö­rung unter sei­nen in­ter­na­tio­na­lis­tisch ge­sinn­ten, von der welt­his­to­ri­schen Mis­si­on der USA über­zeug­ten His­to­ri­ker­kol­le­gen und ver­lor dabei seine Re­pu­ta­ti­on als ma­kel­lo­ser li­be­ral. (Phil­bin, 91)

In den 1950er und 1960er Jah­ren tru­gen so­dann von jün­ge­ren His­to­ri­kern vor­ge­leg­te De­tail­stu­di­en zur ame­ri­ka­ni­schen Ära der ›Grün­der­vä­ter‹ dazu bei, Be­ards Ruhm als bahn­bre­chen­der His­to­ri­ker, der sich auf das 1913 er­schie­ne­ne Werk An Eco­no­mic In­ter­pre­ta­ti­on of the Ame­ri­can Con­sti­tu­ti­on grün­de­te, zu de­mon­tie­ren. Auf der an­de­ren Seite fan­den Be­ards ›öko­no­mi­sche‹ The­sen auch wie­der Ver­tei­di­ger. (Hof­stadter III, 207-284; Ste­vens; Man­ley, 2f.)

Vor die­sem Hin­ter­grund ver­dient ein Mann wie Beard aus un­ter­schied­li­chen Grün­den unser In­ter­es­se: 1. auf­grund sei­ner Bio­gra­fie als ty­pi­scher pro­gres­si­ve in den bei­den Jahr­zehn­ten vor und nach dem I. Welt­krieg sowie als ei­gen­wil­li­ger li­be­ral in der Ära des New Deal,
2. unter his­to­rio­gra­phi­schem As­pekt als be­kann­tes­ter Ex­po­nent einer Schu­le, die unter ame­ri­ka­ni­schen His­to­ri­kern mit dem Be­griff ›öko­no­mi­scher De­ter­mi­nis­mus‹ as­so­zi­iert wird,
3. als Re­prä­sen­tant und Weg­be­rei­ter eines spe­zi­fi­schen ›Re­vi­sio­nis­mus‹ be­züg­lich der welt­his­to­risch ent­schei­den­den Rolle des Prä­si­den­ten F.D. Roo­se­velt.

II

Sei­ner Bio­gra­fie nach er­scheint der ›pro­gres­si­ve‹ Beard als Re­prä­sen­tant des klas­si­schen li­be­ra­lism, jener äl­te­ren idea­lis­tisch-ak­ti­vis­ti­schen Tra­di­ti­on, die, ver­wur­zelt in der im Ur­sprung sä­ku­lar-pro­tes­tan­ti­schen Zi­vil­re­li­gi­on der USA, von der Wende zum 20. Jahr­hun­dert bis in die Jahr­hun­dert­mit­te hin­ein po­li­tisch ma­ß­geb­lich war. (Schle­sin­ger Jr., 130-144) Etwa seit den 1960er Jah­ren, im Ge­fol­ge des Civil Rights Mo­ve­ment, wurde diese so­zi­al­re­for­me­ri­sche, ega­li­tär-de­mo­kra­ti­sche Tra­di­ti­on von im wei­tes­ten Sinne ›neu­lin­ken‹ Strö­mun­gen um­ge­formt, die den Cha­rak­ter des heu­ti­gen li­be­ra­lism, des ame­ri­ka­ni­schen Links­li­be­ra­lis­mus, aus­ma­chen.

Charles Beard, 1874 als Sohn eines wohl­ha­ben­den Land­be­sit­zers, Ban­kiers und Zei­tungs­be­sit­zers im noch länd­lich ge­präg­ten In­dia­na ge­bo­ren, be­such­te, sei­nem Fa­mi­li­en­hin­ter­grund ent­spre­chend, eine Quä­ker­schu­le (Spice­land Aca­de­my). Wäh­rend des Stu­di­ums an der De-Pauw Uni­ver­si­ty, einem Me­tho­dis­ten-Col­le­ge in Green­cast­le, In­dia­na, ver­nahm er die Bot­schaft des frü­hen So­ci­al Gos­pel. Diese ak­ti­vis­ti­sche , auf das ›Reich Got­tes auf Erden‹ zie­len­de Rich­tung eines li­be­ra­len Chris­ten­tums – ihren Namen ver­dankt sie dem Buch The So­ci­al Gos­pel (1917) des Theo­lo­gen Wal­ter Rau­schen­busch – bil­de­te eine Grund­strö­mung des pro­gres­si­vism, der all­ge­mein Züge »einer mo­der­nen pro­tes­tan­ti­schen Er­we­ckungs­be­we­gung« trug. (Hof­stadter I, 152) Eine Ex­kur­si­on führ­te den Col­le­ge-Stu­den­ten Beard (im Som­mer 1896?) nach Chi­ca­go, in die ame­ri­ka­ni­sche Sym­bol­stadt der in­dus­trie­ka­pi­ta­lis­ti­schen Ex­pan­si­on und des neuen in­dus­tri­el­len Elends. Dort ver­brach­te Beard ei­ni­ge Zeit in dem von Jane Ad­dams (1860-1935) als so­zia­le Heil­stät­te be­trie­be­nen Hull House. (Nore, 29; Gold­man, 115; Wish, 354; Hicham, 1)

Bio­gra­fisch be­deut­sam wirk­te Be­ards vier­jäh­ri­ger Stu­di­en­auf­ent­halt (1898-1902) in Ox­ford, in der au­ßer­halb ihres ehr­wür­di­gen aka­de­mi­schen Kerns vom In­dus­tria­lis­mus von Grund auf ver­än­der­ten eng­li­schen Uni­ver­si­täts­stadt. Aka­de­misch ge­för­dert von einem Ge­schichts­pro­fes­sor, der – wie sein Men­tor an der De­Pauw Uni­ver­si­ty – noch der ›teu­to­ni­schen‹ Ge­schichts­theo­rie (Teu­to­nic Theo­ry) von der Ge­burt der an­gel­säch­si­schen Frei­heits­ge­schich­te in den Wäl­dern Ger­ma­ni­ens, an­hing, wurde Beard zu einem en­ga­gier­ten Mit­strei­ter der Ar­bei­ter­be­we­gung. In Ox­ford be­geg­ne­te er dem aus Kan­sas stam­men­den ame­ri­ka­ni­schen Ge­werk­schaf­ter und christ­li­chen So­zia­lis­ten Wal­ter Vroo­man sowie dem schot­ti­schen Ge­werk­schafts­füh­rer Keir Har­die, dem Grün­der der In­de­pen­dent La­bour Party und in Lon­don lern­te er auch den An­ar­chis­ten Fürst Piotr Kro­pot­kin ken­nen. Un­ter­stützt von bri­ti­schen Ge­werk­schaf­tern sowie ins­be­son­de­re von der ILP, grün­de­te Beard 1899 das Ar­bei­ter­bil­dungs­zen­trum Rus­kin Hall, be­nannt nach John Rus­kin, dem als Künst­ler und Kunst­theo­re­ti­ker be­rühm­ten christ­lich-kon­ser­va­ti­ven So­zia­lis­ten des vik­to­ria­ni­schen Zeit­al­ters. (Nore, 24-46, 61) Ein Por­trät von Rus­kin zier­te zeit­le­bens Be­ards Ar­beits­zim­mer. (Hicham, 1)

Bil­dung und Ab­sti­nenz schie­nen dem Ak­ti­vis­ten Beard die Vor­aus­set­zung für die Eman­zi­pa­ti­on des Ar­bei­ters als eines selbst­be­wuss­ten Trä­gers der so­zia­len Evo­lu­ti­on zu sein – ein Pro­gres­sis­mus, der von Au­gus­te Comte, John Stuart Mill, Dar­win, Her­bert Spen­cer und nur zum ge­rings­tem Teil von Karl Marx in­spi­riert war. Er schrieb in der Uni­ver­si­täts­zeit­schrift Young Ox­ford es gelte, sich den Her­aus­for­de­run­gen der Ge­gen­wart an­zu­neh­men, »with a full com­pre­hen­si­on of the pro­found mea­ning of the in­dus­tri­al re­vo­lu­ti­on, a tho­rough grasp of the pro­blem of de­mo­cra­cy, a clear know­ledge of the ser­vice­a­b­len­ess of ap­p­lied sci­ence and a com­ple­te ac­cep­tan­ce of the prin­ci­ples of so­ci­al evo­lu­ti­on.« (Zit. in: Nore, 62) Der zu­kunfts­op­ti­mis­ti­sche Grund­ton blieb kenn­zeich­nend für Be­ards Wir­ken als His­to­ri­ker und Pu­bli­zist.

1902 kehr­te Beard zu­sam­men mit sei­ner gleich­falls dem Quä­ker­tum ent­stam­men­den Frau Mary Rit­ter Beard – er hatte sie wäh­rend eines Zwi­schen­auf­ent­halts an der Cor­nell Uni­ver­si­ty ge­ehe­licht – in die USA zu­rück. An der Co­lum­bia Uni­ver­si­ty er­warb mit einer Ar­beit über ein rechts­ge­schicht­li­ches Thema zum Amt des eng­li­schen ›Jus­ti­ce of the Peace‹ den Ph.D. Zu­nächst Lek­tor am Ge­schichts­de­part­ment, wurde er dort 1907 auf einen Lehr­stuhl für ›Po­li­tics and Go­vern­ment‹ am De­part­ment of Pu­blic Law be­ru­fen. Zu sei­ner ei­ge­nen ›öko­no­mi­schen Ge­schichts­in­ter­pre­ta­ti­on‹ ge­lang­te er unter dem Ein­fluss sei­nes Men­tors und Freun­des James Har­vey Ro­bin­son, be­kannt als ›neuer His­to­ri­ker‹ (An Out­li­ne of the His­to­ry of the In­tel­lec­tu­al Class in Eu­ro­pe, 1914), sowie sei­nes Kol­le­gen und Ko­au­tors E.R.A. Se­lig­man, der be­reits 1902 ein Buch mit dem Titel The Eco­no­mic In­ter­pre­ta­ti­on of His­to­ry vor­leg­te. Se­lig­man war ein Marx-Ken­ner, der einen ma­te­ria­lis­ti­schen An­satz ver­focht und zu­stim­mend den Marx­schen Satz aus Die Deut­sche Ideo­lo­gie vom Vor­rang des so­zia­len Seins vor dem Be­wusst­sein des Sub­jekts zi­tier­te. Er war gleich­wohl kein Mar­xist, son­dern ein Eklek­ti­ker, der sich bei Be­darf eben­falls auf Rus­kin be­zie­hen konn­te. (Nore, 66, 69f.) Be­ards nie ver­sie­gen­de Aver­si­on gegen den Im­pe­ria­lis­mus speis­te sich aus der Lek­tü­re von John A. Hob­sons epo­cha­lem Buch Im­pe­ria­lism. A Study (1902). (Strom­berg, 1) Seine Sym­pa­thi­en für re­for­me­ri­schen So­zia­lis­mus grün­de­ten zudem auf der Lek­tü­re der Schrif­ten von Edu­ard Bern­stein, dem Erz­va­ter des Re­vi­sio­nis­mus in der deut­schen So­zi­al­de­mo­kra­tie. (Nore, 104)

Mit sei­nem 1913 er­schie­ne­nen Werk The Eco­no­mic Orig­ins of the Ame­ri­can Con­sti­tu­ti­on, in dem er die ma­te­ri­el­len In­ter­es­sen der ›Grün­der­vä­ter‹ blo­ß­leg­te, be­grün­de­te Beard sei­nen Ruhm als his­to­ri­scher My­then­zer­stö­rer. Ähn­lich pro­vo­ka­tiv wirk­te er mit sei­nem 1915 ver­öf­fent­lich­ten Buch Eco­no­mic Orig­ins of Jef­fer­so­ni­an De­mo­cra­cy, worin er den für man­che teil­wei­se noch vom agra­ri­schen Po­pu­lis­mus der 1890er Jahre ge­präg­ten Pro­gres­si­ves lieb­ge­wor­de­nen My­thos des­avou­ier­te. Weder in den An­fangs­jah­ren der Re­pu­blik noch wäh­rend sei­ner Prä­si­dent­schaft (1801-1809) habe Jef­fer­son als selbst­lo­ser Prot­ago­nist des ein­fa­chen Vol­kes (»the peop­le«) , etwa der klei­nen Far­mer – ganz zu schwei­gen von den recht­lo­sen Skla­ven –, agiert, son­dern als Ex­po­nent der Pflan­ze­r­a­ris­to­kra­tie, mit­hin als Ver­tre­ter ei­ge­ner In­ter­es­sen. Die agra­risch do­mi­nier­te Par­tei Jef­fer­sons, die als de­zen­tral-fö­de­ral gegen die zen­tra­lis­ti­schen ›Ha­mil­to­ni­ans‹ auf­tre­te­ten­den ›Re­pu­bli­cans‹, hät­ten nur – mit Er­folg – die Über­nah­me der Macht in der neuen Haupt­stadt Wa­shing­ton aus der Hand der bis­her do­mi­nie­ren­den Ka­pi­tal­be­sit­zer an­ge­strebt. (Hicham, 2; Noble, 68; Nore, 138f.).

Neben sei­ner Lehr­tä­tig­keit an der Co­lum­bia trat Beard zu­sam­men mit sei­ner Frau, die sich in der Ge­werk­schafts­ar­beit und für das – in den USA auf Bun­des­ebe­ne erst 1920 ein­ge­führ­te – Frau­en­wahl­recht en­ga­gier­te, als Vor­kämp­fer des ›Pro­gres­si­ve Mo­ve­ment‹ her­vor. Als Di­rek­tor der pri­vat fi­nan­zier­ten ›Trai­ning School for Pu­blic Ser­vice‹, so­dann des von den Co­lum­bia-Kol­le­gen Se­lig­man und Frank Good­now ge­grün­de­ten ›Bu­reau of Mu­ni­ci­pal Re­se­arch‹ kämpf­te er für kom­mu­na­le Re­for­men, für öf­fent­li­che Ver­sor­gungs­un­ter­neh­men – für diese bür­ger­te sich sei­ner­zeit die Be­zeich­nung ›gas-and-wa­ter so­cia­lism‹ ein –, gegen die ver­brei­te­te In­kom­pe­tenz und po­li­ti­sche Kor­rup­ti­on in der Stadt New York. Als vor­bild­lich galt den Pro­gres­si­ves die Ge­mein­de­ver­wal­tung in Deutsch­land, sie nah­men indes An­stoß an den als ›au­to­kra­tisch‹ emp­fun­de­nen Struk­tu­ren. (Nore, 98). In der 1914 ge­grün­de­ten New Re­pu­blic hat­ten die Pro­gres­si­ves ihr pu­bli­zis­ti­sches Sprach­rohr, in dem ›X-Club‹ tra­fen sich deren nam­haf­te Wort­füh­rer wie der Phi­lo­soph und Päd­ago­ge John Dewey, der Jour­na­list Lin­coln Stef­fens sowie der So­zia­list Mor­ris Hill­quit, des­sen Wahl­kam­pa­gne für den ame­ri­ka­ni­schen Kon­gress Beard 1907 un­ter­stütz­te. (Ibid., 86f.)

Beard stand in Kon­takt mit dem bis 1924 der Re­pu­bli­ka­ni­schen Par­tei zu­ge­hö­ri­gen Ro­bert M. La Fol­let­te, dem lange Jahre als Gou­ver­neur (1901-1906), so­dann im US-Se­nat (1906-1925) als Ra­di­kal­de­mo­kra­ten (»Fight­ing Bob«) agie­ren­den Pro­gres­si­ve aus Wis­con­sin. (Nore, 103f.; Gold­man, 130-2, 224) Auf na­tio­na­ler Ebene neig­te er um 1914 je­doch mehr zu Theo­do­re Roo­se­velt, der wäh­rend sei­ner Prä­si­dent­schaft (1901-1909) als ›trust­bus­ter‹ auf­ge­tre­ten war, als­bald als ›pro­gres­si­ver‹ Prot­ago­nist eines ›New Na­tio­na­lism‹ in­dus­tri­el­le Ex­pan­si­on und de­mo­kra­ti­schen Fort­schritt pro­pa­gier­te. Be­ards An­ti­pa­thi­en rich­te­ten sich gegen Roo­se­velts Kon­tra­hen­ten Woo­drow Wil­son, den an­de­ren Ex­po­nen­ten des ›Pro­gres­si­ve Mo­ve­ment‹. Wil­son, den Ver­fech­ter de­mo­kra­ti­scher Moral unter der Pa­ro­le ›New Free­dom‹, zieh Beard der po­li­ti­schen Rück­wärts­ge­wandt­heit, indem er ihn zum geis­ti­gen Nach­fah­ren des der Fik­ti­on einer »agra­ri­schen De­mo­kra­tie« an­hän­gen­den Pflan­zer-Aris­to­kra­ten Tho­mas Jef­fer­son er­klär­te. (Schle­sin­ger Jr., 32) Als Roo­se­velt im Wahl­jahr 1912 die Re­pu­bli­ka­ni­sche Par­tei spal­te­te und gegen den ›kon­ser­va­ti­ven‹ – ein in den USA da­mals auf­kom­men­der Be­griff für meist wirt­schafts­li­be­ra­le Re­form­geg­ner – Amts­in­ha­ber Wil­liam H. Taft seine ›Pro­gres­si­ve Party‹ grün­de­te, ver­half er dem De­mo­kra­ten Wil­son zum Sieg. Vier Jahre spä­ter zog ›Teddy‹ Roo­se­velt mit der For­de­rung nach Kriegs­ein­tritt der USA in den Wahl­kampf, wäh­rend Wil­son mit der Frie­dens­pa­ro­le ›He kept us out of war‹ seine Wie­der­wahl si­cher­te. (Noble, 64f., 68; Nore, 102; Hof­stadter I, 206-237, 238-282; Heff­ner, 261-281)

Sein Quä­ker-Hin­ter­grund hin­der­te Beard nicht, – an­ders als Pro­gres­si­ves wie La Fol­let­te (Gold­man, 184-6) – von An­fang als vor­be­halt­lo­ser Be­für­wor­ter eines Ein­tritts der USA in den Welt­krieg her­vor­zu­tre­ten – nicht erst im März 1917, mit pa­trio­ti­schen Trä­nen in den Augen vor Stu­den­ten der Co­lum­bia Uni­ver­si­ty (Nore, 169f). Eine Er­klä­rung mag in Brie­fen zu fin­den sein, die er vor sei­nem Tode 1947 an den His­to­ri­ker Ar­thur M. Schle­sin­ger Sr sen­det, mit dem er seit den ge­mein­sa­men Co­lum­bia-Stu­di­en­jah­ren be­freun­det war sowie an einen an­de­ren ›re­vi­sio­nis­ti­schen‹ Autor, den Jour­na­lis­ten Ge­or­ge Mor­gen­stern von der Chi­ca­go Tri­bu­ne, dem er schrieb: »I have been many things but never a pa­ci­fist nor any kind of ab­so­lu­tist.« (zit. in: Nore, 9) Aus­schlag­ge­bend für Beard war – un­ge­ach­tet sei­ner Liebe zur deut­schen Spra­che und Wis­sen­schaft – die unter vie­len Pro­gres­si­ves ver­brei­te­te Ab­scheu vor deut­scher »au­to­cra­cy«, vor Kai­ser und Jun­ker­tum (»Prus­sia­nism«). (Noble, 70) Dar­über­hin­aus be­grü­ß­te Beard den Krieg als pa­trio­ti­sches Ve­hi­kel für so­zia­le Re­for­men und de­mo­kra­ti­schen Fort­schritt im In­ne­ren sowie als his­to­ri­sche Chan­ce zur Be­en­di­gung des Im­pe­ria­lis­mus. Er pries die Fi­nanz- und In­dus­trie­ma­gna­ten, die Ro­cke­fel­lers, Mor­gans, Van­der­bilts und Har­ri­mans als »crea­ti­ve pioneers« , die mit ihren »gro­ßar­ti­gen öko­no­mi­schen Struk­tu­ren« samt Kriegs­in­dus­trie die Basis für de­mo­kra­ti­sche Kon­trol­le ge­schaf­fen hät­ten, und pro­kla­mier­te zu­gleich die Um­ver­tei­lung des na­tio­na­len Wohl­stands. (Nore, 167f., 180) Aus der­lei Mo­ti­ven her­aus stell­te sich Beard zur Mit­ar­beit an einer staat­li­chen Pro­pa­gan­da­ein­rich­tung (»Civic and Edu­ca­tio­nal Co­ope­ra­ti­ve Di­vi­si­on of he Com­mit­tee of Pu­blic In­for­ma­ti­on«) zur Ver­fü­gung. (Ibid., 172)

III

Bis in die frü­hen 1920er Jahre ge­hör­te Beard ins Lager der be­ken­nen­den In­ter­na­tio­na­lis­ten, und seine Mei­nung über Wil­son, der die ›Welt für die De­mo­kra­tie si­chern‹ woll­te, wan­del­te sich vor­über­ge­hend ins Po­si­ti­ve. (Noble, 70). Gleich­wohl äu­ßer­te er sich skep­tisch zu Wil­sons ›14 Punk­ten‹. An­stel­le des von Wil­son an­ge­streb­ten Völ­ker­bunds – »an im­men­se bu­reau­cra­tic union of Go­vern­ments ins­tead of a de­mo­cra­tic union of peop­les« – ver­öf­fent­lich­te er Ende No­vem­ber 1918 zu­sam­men mit den Co­lum­bia-Kol­le­gen Ro­bin­son und Dewey ein Pro­gramm für eine ›Le­ague of Free Na­ti­ons As­so­cia­ti­on‹. Ein paar Jahre spä­ter hatte Beard an­ge­sichts der schein­bar un­heil­ba­ren Zu­stän­de in Eu­ro­pa seine Po­si­ti­on re­vi­diert. Er pro­pa­gier­te fort­an den voll­stän­di­gen po­li­ti­schen und öko­no­mi­schen Rück­zug der USA aus der alten Welt. Er übte Kri­tik am Ver­sailler Ver­trag, wobei ihm in ers­ter Linie die Rolle Ame­ri­kas miss­fiel, we­ni­ger der Um­gang mit dem be­sieg­ten Deut­schen Reich. (Nore, 167, 170, Zitat 176, 178; Noble, 73f.)

Kenn­zeich­nend für Be­ards Cha­rak­ter – ein ›idea­lis­ti­scher‹, von hoher Sub­jek­ti­vi­tät und ra­di­kal­de­mo­kra­ti­scher Über­zeu­gung ge­speis­ter Non­kon­for­mis­mus – scheint die Be­grün­dung, mit der er be­reits im Ok­to­ber 1917, seine Pro­fes­sur an der Co­lum­bia Uni­ver­si­ty nie­der­leg­te und damit seine aka­de­mi­sche Kar­rie­re be­en­de­te. Er tat dies aus Pro­test gegen die Ent­las­sung zwei­er Kol­le­gen, die sich – einer von ihnen als kon­se­quen­ter Pa­zi­fist – gegen den Krieg aus­ge­spro­chen hat­ten und die der Board of Trus­tees auf Be­trei­ben des Uni­ver­si­täts­prä­si­den­ten wegen ihrer ›un­pa­trio­ti­schen‹ Hal­tung aus dem Lehr­kör­per aus­ge­schlos­sen hatte. (Ibid., 180) Noch war Beard nicht zu der Über­zeu­gung ge­langt, dass Krieg und Bür­ger­rech­te (›free speech‹) sich wech­sel­sei­tig aus­schlös­sen, worin seine Bio­gra­fin ein Haupt­mo­tiv für seine spä­te­re ra­di­ka­le Ab­leh­nung des ame­ri­ka­ni­schen Kriegs­ein­tritts in den II. Welt­krieg sieht. Im­mer­hin be­zeich­ne­te er schon 1927 das er­wähn­te »Com­mit­tee of Pu­blic In­for­ma­ti­on« als »the grand Com­mit­tee of pu­blic mys­ti­fi­ca­ti­on«. (Ibid, 203, 172) Seine frü­he­re Kriegs­be­geis­te­rung war der Em­pö­rung über die öko­no­misch-im­pe­ria­lis­ti­schen Hin­ter­grün­de des Welt­kriegs ge­wi­chen.

Nach sei­nem Ab­schied von ddde­er Co­lum­bia fun­gier­te Beard noch zwei Jahre als Di­rek­tor des Bu­reau of Mu­ni­ci­pal Re­se­arch. 1919 grün­de­te er zu­sam­men mit J.H. Ro­bin­son die »New School of So­ci­al Re­se­arch«, die in den 1930er Jah­ren als wis­sen­schaft­li­cher Zu­fluchts­ort der aus Na­zi-Deutsch­land emi­grier­ten Ge­lehr­ten neue Be­deu­tung er­lan­gen soll­te. Zu den Mit­grün­dern ge­hör­ten die Jour­na­lis­ten Her­bert Croly – der Name steht für die in ei­ni­gen Zügen auch bei Beard er­kenn­ba­re ›tech­no­kra­ti­sche‹ Va­ri­an­te des ›pro­gres­si­ve mo­ve­ment‹ – und Alwin John­son von der New Re­pu­blic. Zu ihnen stieß der 1920 von der Uni­ver­si­tät Be­jing – Ur­sprungs­ort der re­vo­lu­tio­nä­ren, 1919 gegen ›Ver­sailles‹ und den ja­pa­ni­schen Im­pe­ria­lis­mus her­vor­tre­ten­den ›Be­we­gung des 4. Mai‹ – zu­rück­ge­kehr­te John Dewey. Nach Dis­pu­ten schie­den Beard und Ro­bin­son 1921 wie­der aus. Erst in den drei­ßi­ger Jah­ren kehr­te Beard, der sich für die deut­schen Exi­lier­ten ein­setz­te, zu Vor­le­sun­gen an die­ser Pflanz­stät­te des li­be­ra­lism zu­rück. Seine ma­te­ri­el­le Exis­tenz war durch Vor­trä­ge, Vor­le­sun­gen an Col­le­ges, nicht zu­letzt durch Tan­tie­men für seine Bü­cher ge­si­chert.

Zu nen­nen ist vor allem das mit Mary Beard ver­fass­te zwei­bän­di­ge Werk The Rise of Ame­ri­can Ci­vi­liza­t­i­on (1927), wel­ches Ge­ne­ra­tio­nen ame­ri­ka­ni­scher High School und Col­le­ge-Ab­sol­ven­ten ihr Ge­schichts­bild lie­fer­te. Ame­ri­ka wurde als ein­zig­ar­ti­ges, von der Natur be­güns­tig­tes Land des Über­flus­ses ge­schil­dert, wel­ches in allen Pha­sen sei­ner Ge­schich­te – von der Ko­lo­ni­al­zeit über die Re­vo­lu­ti­ons­ära, vom Bür­ger­krieg bis in die in­dus­tri­el­le Ge­gen­wart – einer aller eu­ro­pä­isch-feu­da­len Fes­seln le­di­gen Ge­sell­schaft den Fort­schritt der Frei­heit und De­mo­kra­tie er­mög­licht habe. Als his­to­ri­sches Ziel stand den Be­ards noch immer eine ›so­ci­al de­mo­cra­cy‹ vor Augen. Der ›öko­no­mi­sche‹ An­satz trat ge­gen­über dem Lob­preis des de­mo­kra­ti­schen Fort­schritts in den Hin­ter­grund. Zu­gleich tru­gen die Be­ards, beide Geg­ner der Ras­sen­tren­nung, mit ihrer Deu­tung des ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­kriegs als der ›Zwei­ten Ame­ri­ka­ni­schen Re­vo­lu­ti­on‹ eine These vor, die als Stan­dard­in­ter­pre­ta­ti­on in die ame­ri­ka­ni­sche Ge­schichts­schrei­bung ein­ging . Im Bür­ger­krieg sei es in ers­ter Linie we­ni­ger um Moral und Mensch­lich­keit, d.h. um die Frage der Skla­ve­rei, ge­gan­gen. An der Wur­zel habe es sich um einen Kon­flikt zwi­schen agra­ri­schen und ka­pi­ta­lis­ti­schen In­ter­es­sen ge­han­delt, aus dem der in­dus­tri­el­le Nor­den sieg­reich her­vor­ging. (Nore, 265-293; Hicham, 2, ). Mit einer sol­chen These konn­ten sich auf­ge­schlos­se­ne Geis­ter selbst im un­ter­le­ge­nen, von den ›Yan­kees‹ ge­de­mü­tig­ten Süden an­freun­den.

Zeit­le­bens pfleg­ten die Be­ards eine länd­li­che Exis­ten­z­wei­se als Be­sit­zer von einer, spä­ter zwei Milch­far­men in Con­nec­ti­cut. Der als Ge­lehr­ter, un­er­müd­li­cher Pu­bli­zist, als be­gehr­ter Red­ner und de­mo­kra­ti­sche In­stanz an­er­kann­te Beard un­ter­zeich­ne­te seine Brie­fe mit ›Charles Beard, Dairy Far­mer‹. Der­lei Selbst­sti­li­sie­rung lässt noch auf eine ge­wis­se Am­bi­va­lenz ge­gen­über dem sonst pa­ne­gy­risch ge­prie­se­nen tech­ni­schen Fort­schritt schlie­ßen. (Nore, 207-15, 217, 233)

IV

1922 reis­te Beard auf Ein­la­dung des Bür­ger­meis­ters von Tokio nach Japan, wo er – ohne Ho­no­rar – Vor­le­sun­gen an einer neu er­rich­te­ten Ver­wal­tungs­aka­de­mie hielt. Dort pro­pa­gier­te er ei­ner­seits eine zen­tra­lis­ti­sche Ver­wal­tungs­re­form, an­de­rer­seits die de­mo­kra­ti­sche Teil­ha­be von ›unten‹ auf der Basis des all­ge­mei­nen Wahl­rechts (das er in sei­nen Schrif­ten hin­sicht­lich der an­zu­stre­ben­den ›Wirt­schafts­de­mo­kra­tie‹ für po­li­tisch un­zu­rei­chend hielt). An­er­ken­nung in Japan er­warb er sich, als er auf Nach­richt von dem gro­ßen, durch ein Erd­be­ben aus­ge­lös­ten Brand von Tokio (1.9.1923), seine Rück­rei­se in die USA ab­brach, um einen Plan für den Wie­der­auf­bau der Stadt aus­zu­ar­bei­ten. Sein pro­gres­si­ves Kon­zept schei­ter­te an den Be­har­rungs­kräf­ten ja­pa­ni­scher Tra­di­ti­on, was ihn indes in sei­nem pla­ne­ri­schen Op­ti­mis­mus und in sei­nem Glau­ben an die Seg­nun­gen von Wis­sen­schaft und Tech­nik nicht er­schüt­ter­te. Ob aus sei­ner Ja­pan-Er­fah­rung seine spä­te­re Ab­leh­nung Roo­se­velts er­wuchs, ist nicht zu be­le­gen, aber auch nicht aus­zu­schlie­ßen. Im­mer­hin warn­te Beard, ve­he­men­ter Kri­ti­ker der seit der Wende zum 20. Jahr­hun­dert ame­ri­ka­ni­schen ver­folg­ten öko­no­misch-po­li­ti­schen Dok­trin der ›of­fe­nen Tür‹ (open door po­li­cy) mit pro­phe­ti­scher Sicht schon Mitte der 1920er Jahre vor der aus im­pe­ria­lis­ti­scher Kon­kur­renz in China dro­hen­den Ge­fahr eines Krie­ges zwi­schen Japan und den USA. Er sah kei­nen Grund für eine Rolle der USA als vä­ter­li­che Schutz­macht für das oh­ne­hin allen aus­wär­ti­gen Mäch­ten ab­ge­neig­te China. (Ibid., 244-60, 261-63)

Vie­len Zeit­ge­nos­sen galt Beard als ein ›ra­di­cal‹, ob­gleich er sich – an­ders als man­che sei­ner ›pro­gres­si­ven‹ Zeit­ge­nos­sen – mit En­thu­si­as­mus für die Ok­to­ber-Re­vo­lu­ti­on zu­rück­hielt. Ei­ner­seits hielt er Lenin noch für einen ›Prag­ma­ti­ker‹, an­de­rer­seits mein­te er be­reits 1922, die Bol­sche­wi­ki hät­ten nichts als ›Staub und Asche‹ her­vor­ge­bracht. (Ibid., 232, 221) In den Jah­ren 1919/1920 setz­ten die Be­ards ihre Hoff­nun­gen in eine neu­ge­grün­de­te Ame­ri­can Labor Party (ALP), im üb­ri­gen sym­pa­thi­sier­ten sie mit allen re­for­me­ri­schen So­zia­lis­ten, bei­spiels­wei­se mit dem Beard seit sei­nen Ox­ford-Jah­ren be­kann­ten Ram­say Mac­Do­nald (Gold­man, 116) und einer 1924 erst­mals – und nur kurz­zei­tig – eta­blier­ten La­bour-Re­gie­rung. Für die USA schweb­te Beard eine vom mo­der­nen Tay­lo­ris­mus (»the Tay­lor Sys­tem of ef­fi­ci­en­cy ma­nage­ment«) ge­steu­er­te Ord­nung vor, ge­tra­gen von Frei­heit, De­mo­kra­tie und Wohl­stand. Seine Vi­si­on würz­te er mit einem an Theo­do­re Roo­se­velts ›New Na­tio­na­lism‹ er­in­nern­den Pa­trio­tis­mus. Ame­ri­ka »[should] bend all na­tio­nal en­er­gies and all na­tio­nal gains upon the crea­ti­on of a ci­vi­liza­t­i­on, which in power and glory and noble li­ving, would rise above all the achie­ve­ments of the past.« (Zit. in: Nore, 233f., 238) Au­ßen­po­li­tisch plä­dier­te er für die Un­ab­hän­gig­keit der von den USA im Krieg gegen Spa­ni­en 1898 ok­ku­pier­ten Phil­ip­pi­nen und für einen Rück­zug auf Ha­waii als Basis im Pa­zi­fik. In den 1920er Jah­ren taucht erst­mals der Be­griff ›Con­ti­nen­ta­lism‹ in Be­ards Schrif­ten auf, was für die USA eine allen im­pe­ria­lis­ti­schen Ma­chen­schaf­ten ent­rück­te Po­si­ti­on mit einem se­mi­aut­ar­ken Wirt­schafts­sys­tem ver­hieß. Seine Kri­ti­ker be­spöt­tel­ten Be­ards pro­gres­si­ves Kon­zept als »Litt­le Ame­ri­ca­nism«. (Ibid., 237)

Sei­nem An­se­hen als Ge­lehr­ter tat der­lei Kri­tik in jenen Jah­ren noch kei­nen Ab­bruch. 1926 wurde Beard zum Vor­sit­zen­den der Ame­ri­can Po­li­ti­cal Sci­ence As­so­cia­ti­on (APA) ge­wählt, 1933 und 1934 ehrte ihn die Ame­ri­can His­to­ri­cal As­so­cia­ti­on (AHA) durch zwei­ma­li­ge Wahl in das Spit­zen­amt.

1927 un­ter­nahm Beard auf Ein­la­dung der Ame­ri­can-Yu­go­s­lav So­cie­ty eine Eu­ro­pa­rei­se, die ihn auf­grund sei­ner Ein­drü­cke auf dem Bal­kan – die Reise führ­te auch nach Mon­te­ne­gro, Al­ba­ni­en und Grie­chen­land – in sei­nen Über­zeu­gun­gen von der Not­wen­dig­keit und den Seg­nun­gen des in­dus­tri­el­len Fort­schritts be­stärk­te. Ur­ba­ni­tät, Wis­sen­schaft und ka­pi­ta­lis­ti­sche Ra­tio­na­li­tät seien die Vor­aus­set­zun­gen, die pri­mi­ti­ve Agrar­welt, wo ›böse Geis­ter und die Se­gens­sprü­che der Pries­ter‹ (»evil spi­rits and the priest’s bles­sing«) ob­wal­te­ten, zu über­win­den. Ent­wick­lungs­chan­cen sah er trotz aller Rück­stän­dig­keit und eth­ni­schen Span­nun­gen auch für das erst seit 1929 so be­zeich­ne­te Ju­go­sla­wi­en. (Ibid., 306-9, Zitat 311)

Auf der Hin­rei­se hielt er sich ei­ni­ge Zeit bei sei­nem Schwie­ger­sohn, dem So­zi­al­de­mo­kra­ten Al­fred Vagts (1892-1986) auf, der als His­to­ri­ker am In­sti­tut für aus­wär­ti­ge Po­li­tik der Uni­ver­si­tät Ham­burg lehr­te und be­reits 1932 emi­grier­te. Er lern­te dabei den Grün­der des In­sti­tuts, den Ju­ris­ten Al­brecht Men­dels­sohn-Bar­thol­dy, den Agrar­öko­no­men Max Se­ring sowie den Na­tio­nal­öko­no­men Wer­ner Som­bart ken­nen. An sei­nen deut­schen Ge­sprächs­part­nern ent­setz­te ihn deren ›Welt­fremd­heit‹ und Ob­ses­si­on mit der Kriegs­schuld­fra­ge, was ihm als eine Art Un­be­ha­gen (»un­e­a­si­ness«) an­ge­sichts der Frage nach ihrer ei­ge­nen Mit­ver­ant­wor­tung für den deut­schen Im­pe­ria­lis­mus und die Kriegs­ideo­lo­gie von 1914 er­schien. (Nore, 306)

Seine eins­ti­ge Po­si­ti­on ge­gen­über dem Welt­krieg hatte er um jene Zeit gänz­lich re­vi­diert. Er schrieb die Ver­ant­wor­tung für die Krieg allen Be­tei­lig­ten zu, »with Rus­sia and Fran­ce each be­a­ring a Titan´s share“ und iro­ni­sier­te die „Sonn­tags­schul-Theo­rie«: »Ac­cor­ding to that theo­ry, three pure and in­no­cent boys . Rus­sia, Fran­ce, and Eng­land – wi­thout mi­li­ta­ry guile in the hearts, were sud­den­ly as­sai­led while on the way to sun­day school by two de­ep-ey­ed vil­lains – Ger­ma­ny and Aus­tria – who had long been plot­ting cruel deeds in the dark.« Die Kriegs­teil­nah­me der USA lag für Beard im Rück­blick au­ßer­halb des ame­ri­ka­ni­schen In­ter­es­ses – ein Be­griff, der für sein Den­ken zu­neh­mend be­stim­mend wurde, etwa in dem mit dem Ko-Au­tor G.H.E. Smith ver­fass­ten Buch The Idea of Na­tio­nal In­te­rest. An Ana­ly­ti­cal Study in Ame­ri­can For­eign Po­li­cy. (Phil­bin, 94. Zitat 93)

V

Die Große De­pres­si­on stürz­te einen Mann wie Beard nicht in Ver­zweif­lung, son­dern be­flü­gel­te ihn in pro­gres­si­vem Re­form­ei­fer. Wäh­rend er in dem als In­ge­nieur aus­ge­bil­de­ten re­pu­bli­ka­ni­schen Prä­si­den­ten Her­bert Hoo­ver, der ihn in einer Rüs­tungs­be­gren­zungs­fra­ge die Ma­ri­ne be­tref­fend zu Rate zog (Nore, 342), Geis­tes­ver­wandt­schaft er­kann­te, legte er selbst 1931 einen ei­ge­nen ›Fünf-Jah­res­plan‹ zur Über­win­dung der Krise vor. Die­ser sah auf ›öko­no­mi­sche Prin­zi­pi­en‹, d.h. auf In­ves­ti­tio­nen und – so­zi­al zu nut­zen­de – Ren­di­te ge­grün­de­tes Ge­mein­ei­gen­tum an ›fun­da­men­ta­len In­dus­trie­zwei­gen‹ wie Eisen und Stahl, En­er­gie, Bau­stof­fe, Trans­port­we­sen usw. vor. Ein ›öko­no­mi­scher Kon­vent‹, ana­log dem US-Ver­fas­sungs­kon­vent von 1787, soll­te die De­tails des Re­form­plans aus­ar­bei­ten und ›dem Volk‹ zur Bil­li­gung vor­le­gen. Die ›kon­ser­va­ti­ven‹, d.h. wirt­schafts­li­be­ra­len Geg­ner Be­ards, denen er als Feind des Pri­vat­ei­gen­tums er­schien und die sich ih­rer­seits jeg­li­cher Re­form­idee ver­schlos­sen, mo­kier­ten sich über der­lei Uto­pis­mus. (Ibid., 319-21, 335-8; Schle­sin­ger Jr. , 200)

Im Ent­schei­dungs­jahr 1932, als der de­mo­kra­ti­sche Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat Roo­se­velt den ›New Deal‹ als Aus­weg aus der Krise pro­kla­mier­te, ver­wei­ger­te sich Beard dem Auf­ruf Dew­eys zur Grün­dung einer drit­ten Par­tei. Er trat als An­hän­ger Roo­se­velts her­vor. (Ibid., 340f.) Wäh­rend ihm – etwa mit dem Lob­preis auf die ame­ri­ka­ni­sche De­mo­kra­tie in der 1934 ver­öf­fent­lich­ten Schrift The Open Door at Home (Noble, 131), – noch die Rolle eines Chef­be­ra­ters des Prä­si­den­ten vor­schweb­te, un­ter­stütz­te er an­fangs die mit re­for­me­ri­scher Verve ein­ge­lei­te­ten, von bü­ro­kra­ti­schen Agen­tu­ren mit ein­präg­sa­men Ab­kür­zun­gen (NRA = Na­tio­nal Re­co­very Ad­mi­nis­tra­ti­on, AAA = Agri­cul­tu­ral Ad­just­ment Ad­mi­nis­tra­ti­on, CCC = Ci­vi­li­an Con­ser­va­ti­on Corps etc.) ex­er­zier­ten staats­in­ter­ven­tio­nis­ti­schen Pro­gram­me. Als­bald nahm er An­stoß an dem von wenig Er­folg ge­krön­ten New Deal und ließ nur noch die von der Ten­nes­see Val­ley Aut­ho­ri­ty (TVA) auf den Weg ge­brach­ten Pro­jek­te (Land­schafts­sa­nie­rung, En­er­gie­ge­win­nung, Kunst­dün­ger­pro­duk­ti­on usw.) als ge­lun­ge­ne Re­for­men gel­ten. Sei­nen Ärger er­reg­te ei­ner­seits der selbst­herr­li­che Um­gang des Prä­si­den­ten mit der Ver­fas­sung – wenn­gleich die­ser 1937 bei der Er­wei­te­rung (»packing«) des Su­pre­me Court zur Durch­set­zung po­li­tisch ge­neh­mer Kan­di­da­ten schei­ter­te –, an­de­rer­seits die füh­ren­de Rolle von Män­nern wie Au­ßen­mi­nis­ter Cor­dell Hull und Agrar­mi­nis­ter Henry Wal­lace, die in der Roo­se­velt-Re­gie­rung als Ex­po­nen­ten des in­ter­na­tio­na­len Frei­han­dels wirk­ten und Be­ards Kon­zept des ›Ame­ri­can Con­ti­nen­ta­lism‹ – igno­rier­ten. (Nore, 340f., 341-357, 366, 373)

Beard pro­pa­gier­te die wirt­schaft­li­che Ge­ne­sung der USA durch Aus­bau der Bin­nen­wirt­schaft sowie der Han­dels­be­zie­hun­gen mit dem Sub­kon­ti­nent, be­kann­te sich gleich­zei­tig zur Auf­recht­er­hal­tung der Mon­roe-Dok­trin. Auf die po­li­ti­sche Schwä­che die­ses Mo­dells ver­wies im Rück­blick Ri­chard Hof­stadter: Das kom­ple­xe Si­cher­heits­pro­blem des Lan­des, bei dem es um bri­san­te, kon­kur­renz­be­ding­te ›Kon­fron­ta­tio­nen von Macht‹ gehe, sei nicht auf bloße ›In­ter­es­sen­kon­kur­renz‹ von Han­dels­im­pe­ri­en zu re­du­zie­ren (»...​the quest for security...​involves ha­zar­dous com­pe­ti­ti­ve con­fron­ta­ti­ons of power, and it is not sim­ply a pur­su­it of com­pe­ting in­te­rests in trade and em­pi­re.«) (Hof­stadter III, 325)

Zum Bruch mit Roo­se­velt kam es über des­sen Au­ßen­po­li­tik. Der vor­be­halt­lo­se In­ter­ven­tio­nist von 1914/1917 Beard hatte sich zum pa­trio­ti­schen Be­für­wor­ter jener auf Ge­or­ge Wa­shing­tons ›Ab­schieds­bot­schaft‹ (»Fa­re­well Ad­dress«) von 1796 zu­rück­füh­ren­den Tra­di­ti­on ge­wan­delt, die Ame­ri­ka aus den macht­po­li­ti­schen Hän­deln der alten Welt her­aus­hal­ten woll­te. Ohne be­reits Roo­se­velt di­rekt zu un­ter­stel­len, er steue­re auf einen Krieg mit Japan zu, be­fand Beard, die un­ge­lös­ten Fra­gen der an­hal­ten­den De­pres­si­on könn­ten bei den De­mo­kra­ten die Ten­denz in Rich­tung Krieg als Aus­weg be­för­dern. Er schrieb schon 1935: »The Jef­fer­so­ni­an party gave the na­ti­on the War of 1812, the Me­xi­can War, and its par­ti­ci­pa­ti­on in the World War. The Pa­ci­fic War awaits.« (Zit. in Nore, 428; Leuch­ten­burg, 212). In der Folge en­ga­gier­te er sich auf Sei­ten der iso­la­tio­nis­ti­schen Po­li­ti­ker um den re­pu­bli­ka­ni­schen Se­na­tor Ge­rald P. Nye aus North Da­ko­ta, die in den Jah­ren 1935-1937 im Kon­gress die Neu­tra­li­täts­ge­set­ze durch­setz­ten. Beard, einer der en­ga­gier­tes­ten Un­ter­stüt­zer der von den fa­schis­ti­schen Mäch­ten be­droh­ten Spa­ni­schen Re­pu­blik, kri­ti­sier­te ei­ner­seits die non­in­ter­ven­tio­nis­ti­sche Po­si­ti­on des Prä­si­den­ten im spa­ni­schen Bür­ger­krieg. An­de­rer­seits miss­fiel ihm Roo­se­velts ›Qua­ran­tä­ne-Re­de‹ (5.10.1937) wegen ihres in­ter­na­tio­na­lis­ti­schen Te­nors und der auf mög­li­che In­ter­ven­ti­on zie­len­den War­nun­gen an die Staa­ten, auf deren Konto »acts of ag­gres­si­on« gin­gen, sowie des­sen Flot­ten­bau­pro­gramm. (Beard III, 477-9, 485f., 488-95) Der Prä­si­dent hatte seine frü­he­ren Be­kennt­nis­se zu au­ßen­po­li­ti­scher Selbst­be­schrän­kung ins Ge­gen­teil ver­kehrt. Roo­se­velt er­schien ihm »more or less ob­ses­sed by the uni­ver­sal phil­an­thro­py of Woo­drow Wil­son«. ( Zit. in: Nore, 440.)

In ihrem 1939 ver­öf­fent­lich­ten Buch Ame­ri­ca in Mid­pas­sa­ge rück­ten die Be­ards – in einem um­fang­rei­chen Ka­pi­tel über die »Quel­len der Au­ßen­po­li­tik« – er­neut den Pri­mat des Öko­no­mi­schen in den Vor­der­grund. Seit dem Ein­tritt der USA in den Kreis der im­pe­ria­lis­ti­schen Mäch­te im Spa­nisch-Ame­ri­ka­ni­schen Krieg 1898 kon­kur­rier­ten zwei Schu­len des Im­pe­ria­lis­mus: die äl­te­re eines auf Wil­liam McK­in­ley und Theo­do­re Roo­se­velt zu­rück­ge­hen­den ›im­pe­ria­len Iso­la­tio­nis­mus‹ und die jün­ge­re des von Wil­son in­au­gu­rier­ten ›kol­lek­ti­ven In­ter­na­tio­na­lis­mus‹ (»Collec­tive In­ter­na­tio­na­lism«), den sie, be­grün­det in den den li­be­ra­len Dok­tri­nen eines Ri­chard Cob­den (1804-1865), als ame­ri­ka­ni­sche Va­ri­an­te des vik­to­ria­ni­schen Frei­han­dels­im­pe­ria­lis­mus be­trach­te­ten. An­hand von Quel­len wie den Er­mitt­lun­gen des ›Nye-Com­mit­tee‹, des nach Nye be­nann­ten Un­ter­su­chungs­aus­schus­ses im Senat, über die Rolle der Waf­fen­in­dus­trie im Welt­krieg ge­lang­ten sie zu einer frü­hen Ana­ly­se des spä­ter so ge­nann­ten mi­li­tä­risch-in­dus­tri­el­len Kom­ple­xes. Gleich­wohl hiel­ten sie es noch für höchst un­wahr­schein­lich, dass es den in­ter­ven­tio­nis­ti­schen Frei­han­dels­pro­po­nen­ten his­to­risch be­schie­den sein könn­te, das bri­ti­sche Em­pi­re zu stür­zen und durch ein ame­ri­ka­ni­sches Im­pe­ri­um zu er­set­zen.(Beard V, 381-500; Strom­berg, 2)

In den Jah­ren 1940/41, als Prä­si­dent Roo­se­velt die Neu­tra­li­täts­ge­set­ze teils ei­gen­mäch­tig, teils mit Zu­stim­mung des Kon­gres­ses, durch In­stru­men­te wie das Leih- und Pacht­ge­setz (Lend-Lea­se, 1941) außer Kraft setz­te sowie über die At­lan­tik-Char­ta (14.08.1941) die Kriegs­be­reit­schaft der USA an­kün­dig­te, wurde Beard zu einem Wort­füh­rer des iso­la­tio­nis­ti­schen La­gers, wenn­gleich nicht in der ma­ß­geb­lich von Charles Lind­bergh an­ge­führ­ten Kam­pa­gne des ›Ame­ri­ca First‹. Auf seine Weise blieb Beard kon­se­quent: Er war stets pro-bri­tisch, zu­gleich ein ve­he­men­ter Geg­ner des bri­ti­schen Im­pe­ria­lis­mus. Er op­po­nier­te gegen den ›In­ter­na­tio­na­lis­mus‹ und die davon aus­ge­hen­de Kriegs­ge­fahr für die USA, aber er be­für­wor­te­te vom Kon­gress zu ge­neh­mi­gen­de Kriegs­kre­di­te für Eng­land. In einem 1944 fer­tig­ge­stell­ten, aber auf Zu­ra­ten sei­nes Ver­le­gers erst 1946 ver­öf­fent­lich­ten Buch zur ame­ri­ka­ni­schen Au­ßen­po­li­tik (Ame­ri­can For­eign Po­li­cy in the Ma­king, 1932-1940) warf er Roo­se­velt vor, mit sei­ner Em­bar­go-Po­li­tik den Krieg mit Japan pro­vo­ziert zu haben. (Nore, 462, 510)

Mit sei­ner ei­gen­wil­li­gen An­ti­kriegs-Po­si­ti­on ver­lor Beard die Sym­pa­thi­en der füh­ren­den In­tel­lek­tu­el­len Ame­ri­kas. Rein­hold Nie­buhr hielt Beard »mo­ra­li­sche In­dif­fe­renz« vor. (Ibid., 454) Kri­tik kam nicht nur von Sei­ten der li­be­ra­len An­hän­ger Roo­se­velts, son­dern auch von Geg­nern der de­mo­kra­ti­schen Par­tei wie dem His­to­ri­ker Sa­mu­el F. Bemis. Mit dem kurz vor sei­nem Tod voll­ende­ten Buch Pre­si­dent Roo­se­velt and the Co­m­ing of the War (1941). A Study in Ap­pearan­ces and Rea­li­ties (1948) ge­hör­te Beard schlie­ß­lich zu den ers­ten der Re­vi­sio­nis­ten, die den Kriegs­ein­tritt der USA in den II. Welt­krieg, aus­ge­löst durch den ja­pa­ni­schen An­griff auf Pearl Har­bor, auf ziel­ge­rich­te­te Täu­schungs­ma­nö­ver des Prä­si­den­ten zu­rück­führ­ten. (Beard VII, 516-569) Im Hin­blick auf die von Roo­se­velt pro­kla­mier­ten frie­dens­ethi­schen Kriegs­zie­le und die in Te­he­ran, Jalta und Pots­dam ge­trof­fe­nen macht­po­li­ti­schen Über­ein­künf­te zog er eine ne­ga­ti­ve Bi­lanz. Falls der Krieg ›not­wen­dig‹ ge­we­sen sei, um Hit­lers Des­po­tis­mus zu be­sei­ti­gen, so habe man an des­sen Stel­le nur einen an­de­ren Des­po­tis­mus mit noch hö­he­rer Macht­ent­fal­tung her­vor­ge­bracht (»ano­ther des­po­tism was rai­sed to a hig­her pitch of power«). Beard schloss seine An­kla­ge gegen Roo­se­velt mit der Be­schwö­rung dro­hen­den Un­heils; keine Gott­heit könne die ame­ri­ka­ni­sche Re­pu­blik künf­tig vor einem Cäsar schüt­zen (»with no di­vini­ty hedging our Re­pu­blic against Cae­sar«). (Ibid., 577, 598)

VI

Wegen sei­ner als ›un­pa­trio­tisch‹ und his­to­risch un­mo­ra­lisch emp­fun­de­nen po­li­ti­schen Po­si­ti­on im II. Welt­krieg war Beard – als Gast­pro­fes­sor an der Johns Hop­kins Uni­ver­si­ty ge­riet er in Kon­flikt mit His­to­ri­ker­kol­le­gen – in der Zunft zum Au­ßen­sei­ter ge­wor­den. Un­be­rührt davon wirk­te sein Ruf als Iko­nok­last, als Ver­tre­ter eines ›öko­no­mi­schen De­ter­mi­nis­mus‹ bis in die 1960er Jahre nach. Noch 1959 er­schien sein frü­hes Werk An Eco­no­mic In­ter­pre­ta­ti­on of the Ame­ri­can Con­sti­tu­ti­on in der sech­zehn­ten Druck­auf­la­ge. (Beard I)

Womit er­reg­te Beard 1913 Auf­se­hen, was mach­te ihn in den Augen em­pör­ter Geg­ner – wie des Ex-Prä­si­den­ten Wil­liam H. Taft (Beard I, viii) – zu einem ›muck­ra­ker‹ (ein in der pro­gres­si­ve era ge­läu­fi­ges Schimpf­wort für ra­di­ka­le Kri­ti­ker der so­zia­len und po­li­ti­schen Miß­stän­de)? Als Pro­vo­ka­ti­on emp­fand man Be­ards ›ma­te­ria­lis­ti­sche‹ Um­deu­tung ihrer Frei­heits­ge­schich­te, re­vo­lu­tio­när be­grün­det und von den ›Grün­der­vä­tern‹ be­sie­gelt in einem als zeit­los tran­szen­dent wir­ken­den Do­ku­ment, der Ver­fas­sung. Schon Fre­de­rick Jack­son Tur­ner hatte mit sei­ner 1893 erst­mals vor­ge­tra­ge­nen Fron­tier-The­se Ab­schied ge­nom­men von dem vor­herr­schen­den Ge­schichts­bild, wo­nach der Frei­heits­ge­dan­ke der ame­ri­ka­ni­schen Ge­schich­te seit den Pil­ger­vä­tern ein­ge­schrie­ben war. Tur­ner ver­or­te­te die Durch­set­zung und Ent­fal­tung der ame­ri­ka­ni­schen De­mo­kra­tie an der kon­ti­nu­ier­lich nach Wes­ten wan­dern­den ›Gren­ze‹ und er­klär­te den In­di­vi­dua­lis­mus selbst­be­wuss­ter, frei­heits­lie­ben­der Sie­der für die ei­gent­li­che Wur­zel der ame­ri­ka­ni­schen De­mo­kra­tie. Mit der Be­to­nung des Frei­heits­wil­lens an der ›fron­tier‹ ließ die Tur­ner-The­se, die in ›ma­te­ria­lis­ti­schem‹ Sinne den Blick auf »die geo­gra­phi­schen , so­zia­len und öko­no­mi­schen Be­din­gun­gen« (zit. ibid., 5) ame­ri­ka­ni­scher Ge­schich­te rich­te­te, noch Raum für ein an hö­he­ren Idea­len ori­en­tier­tes Ge­schichts­bild. (Wish, 282-4; Tur­ners epo­cha­ler Auf­satz The Si­gni­fi­can­ce of the Fron­tier in Ame­ri­can His­to­ry (ibid., 302-334).

In der Ein­lei­tung zu sei­ner ›Eco­no­mic In­ter­pre­ta­ti­on‹ er­klär­te Charles Beard die vor­herr­schen­den Schu­len der ame­ri­ka­ni­schen Ge­schichts­schrei­bung – die von Ge­or­ge Ban­croft (1800-1891) be­grün­de­te idea­lis­ti­sche Ge­schichts­auf­fas­sung, die ›teu­to­ni­sche‹ Theo­rie sowie die auf hy­po­the­sen­freie Fak­ten­samm­lung ge­rich­te­te Me­tho­de – für wis­sen­schaft­lich frag­wür­dig. Er dis­tan­zier­te sich von Ban­crofts – von Hegel sowie der Ro­man­tik in­spi­rier­ten – Vor­stel­lung einer ›hig­her power‹, die den Lauf der Mensch­heits­ge­schich­te durch­wal­te. (Ibid., 1f.) Hin­ter all dem – in mo­dera­ten For­men aus­ge­tra­ge­nen – Streit im Kon­vent von Phil­adel­phia (1787) er­blick­te Ban­croft in sei­nem Werk zur Ent­ste­hung der ame­ri­ka­ni­schen Ver­fas­sung »the mo­ve­ment of di­vi­ne power which gives unity to the uni­ver­se, an order and con­nec­tion to events.« ( Beard zi­tiert aus der Aus­ga­be Wer­kes Ban­crofts von 1882, ibid.,1.)

Mit leich­ter Mo­kanz er­klär­te der ›neue His­to­ri­ker‹ Beard den His­to­ri­ker und Di­plo­ma­ten Ban­croft für be­fan­gen in den Vor­stel­lun­gen sei­ner Klas­se (»often sway­ed by his de­fe­rence to the sus­cep­ti­bi­li­ties of the so­ci­al class from which he sprang«, ibid., 1). Er selbst be­kann­te sich zur Me­tho­de des öko­no­mi­schen De­ter­mi­nis­mus: »The theo­ry of eco­no­mic de­ter­mi­nism has not been tried out in Ame­ri­can his­to­ry, and until it is tried out, it can­not be found wan­ting.« (Ibid., 7)

Als Au­to­ri­tä­ten für seine ›wis­sen­schaft­li­che Me­tho­de‹ (sci­en­ti­fic his­to­ry) zur Ana­ly­se eines his­to­ri­schen – oder rechts­ge­schicht­li­chen – The­mas wie der ame­ri­ka­ni­schen Ver­fas­sung be­rief er sich auf den deut­schen Ju­ris­ten Ru­dolf Jhe­ring und des­sen ›epo­cha­les Buch‹ Der Zweck im Recht (1877-1883) sowie auf Fer­di­nand Las­sal­le und des­sen Werk Das Sys­tem der er­wor­be­nen Rech­te (1861). (Ibid., 13f.) Als schwer zu wi­der­le­gen­den Haupt­zeu­gen sei­ner ›öko­no­mi­schen‹ Reinter­pre­ta­ti­on der US-Ver­fas­sung zi­tier­te er indes den foun­ding fa­ther und spä­te­ren Prä­si­den­ten James Ma­di­son, der in The Fe­dera­list (nr. 10) selbst eine prä­zi­se De­fi­ni­ti­on sei­ner ›po­li­ti­cal sci­ence‹ ge­ge­ben habe.

Ma­di­son schrieb: »The di­ver­si­ty in the fa­cul­ties of men, from which the rights of pro­per­ty ori­gi­na­te, is not less an in­su­pera­ble obst­a­cle to a uni­for­mi­ty of in­te­rests. The pro­tec­tion of these fa­cul­ties is the first ob­ject of go­vern­ment...« Des wei­te­ren iden­ti­fi­zier­te Ma­di­son die Ur­sa­che von ›fac­tions‹ (Par­tei­un­gen) in der un­ter­schied­li­chen und un­glei­chen Ver­tei­lung von Ei­gen­tum (»the va­rious and un­e­qual dis­tri­bu­ti­on of pro­per­ty«). »Those who hold and those who are wi­thout pro­per­ty have ever for­med dis­tinct in­te­rests in so­cie­ty.« Er spe­zi­fi­zier­te diese In­ter­es­sen­grup­pen, wel­che in zi­vi­li­sier­ten Na­tio­nen zwangs­läu­fig er­wüch­sen und diese in so­zia­le Klas­sen schie­den, an­ge­trie­ben von ver­schie­de­nen Emp­fin­dun­gen und An­sich­ten »grow up of ne­ces­si­ty in ci­vi­li­zed na­ti­ons and di­vi­de them into dif­fe­rent clas­ses, ac­tua­ted by dif­fe­rent sen­ti­ments and views«, als Gläu­bi­ger und Schuld­ner, als In­ter­es­sen­ver­tre­ter von Land­be­sitz, von Ma­nu­fak­tu­ren, Han­del, Geld und »many les­ser in­te­rests«. »The re­gu­la­ti­on of the va­rious and in­ter­fe­ring in­te­rests forms the prin­ci­pi­al task of mo­dern le­gis­la­ti­on, and in­vol­ves the spi­rit of party and fac­tion and or­di­na­ry ope­ra­ti­ons of go­vern­ment.« (Zit. ibid., 14.f.)

Beard kom­men­tier­te den Aus­zug aus dem Fe­dera­list wie folgt: »Here we have a mas­ter­ly state­ment of the theo­ry of eco­no­mic de­ter­mi­nism in po­li­tics.« In einer Fuß­no­te zi­tier­te er so­dann die ent­spre­chen­de, an Marx an­ge­lehn­te Pas­sa­ge aus dem oben ge­nann­ten Buch von Se­lig­man. (Ibid., 15). Ein paar Sei­ten wei­ter er­läu­ter­te er seine ›Theo­rie‹ als eine mil­de­re Ver­si­on der Klas­sen­kampf­dia­lek­tik: »The whole theo­ry of the eco­no­mic in­ter­pre­ta­ti­on of his­to­ry rests upon the con­cept that so­ci­al pro­gress in ge­ne­ral is the re­sult of conten­ding in­te­rests in so­cie­ty – some fa­vor­able, others op­po­sed to chan­ge.« (Ibid., 19)

In sei­ner frü­hen Eco­no­mic In­ter­pre­ta­ti­on ziel­te Beard dar­auf, gemäß sei­nen pro­gres­si­ven Über­zeu­gun­gen, die be­reits im zwei­ten Grün­dungs­akt – nach der Un­ab­hän­gig­keits­er­klä­rung von 1776 – an­ge­leg­ten de­mo­kra­ti­schen De­fi­zi­te der ame­ri­ka­ni­schen Ge­schich­te und Po­li­tik auf­zu­zei­gen. Mit dem Bezug auf Ma­di­son und die Fe­dera­list Pa­pers ver­füg­te er über ein schwer an­greif­ba­res theo­re­ti­sches Ge­rüst sowie über eine an­er­kann­te Quel­le. Für die De­tai­lar­gu­men­ta­ti­on sei­nes Bu­ches nutz­te er Akten des US-Schatz­mi­nis­te­ri­ums mit Do­ku­men­ten über die Be­sitz- und Steu­er­ver­hält­nis­se in den frü­hen Jah­ren der Re­pu­blik.

Über weite Stre­cken wir­ken Be­ards Aus­füh­run­gen zur Zu­sam­men­set­zung der Kon­vents von Phil­adel­phia wie eine Il­lus­tra­ti­on der von Ma­di­son ge­nann­ten In­ter­es­sen­trä­ger. Er un­ter­schied zwei Haupt­grup­pen, die Be­sit­zer von ›real pro­per­ty‹ (Grund­be­sitz) und von ›per­so­nal pro­per­ty‹. Unter letz­te­ren, oft ein­fach auch als ›ca­pi­ta­lists‹ be­zeich­net, deren po­li­ti­sche Ziele von ›per­so­nal­ty in­te­rest‹ – so der ju­ris­ti­sche Ter­mi­nus – be­stimmt waren, un­ter­schied er vier Grup­pen, und zwar die Be­sit­zer von Geld­ver­mö­gen, von ›pu­blic se­cu­ri­ties‹ (um 1787 un­ge­si­cher­te Staats­an­lei­hen), von Ma­nu­fak­tu­ren, Schiffs­bau (ship­ping) sowie jene, die Ka­pi­tal in Land­spe­ku­la­ti­on in den west­li­chen Re­gio­nen der Ein­zel­staa­ten in­ves­tiert hat­ten. (Ibid., 19-51). Aus die­sen Grup­pen kamen die lau­tes­ten For­de­run­gen nach einer Über­ar­bei­tung der unter den ›Ar­ti­cles of Con­fe­de­ra­ti­on‹ (1777/1781) be­ste­hen­den Ver­fas­sungs­ord­nung. (Ibid., 17, 52-63) Ihr Haupt­in­ter­es­se war die Über­win­dung der in­fla­tio­nä­ren Krise durch Schaf­fung einer ein­heit­li­chen sta­bi­len Wäh­rung. Mit ihnen li­ier­te sich eine An­zahl von skla­ven­hal­ten­den Plan­ta­gen­be­sit­zern, so dass im Kon­vent geo­gra­phi­sche Tren­nungs­li­ni­en nicht zum Tra­gen kamen. Die ge­nann­te In­ter­es­sen­al­li­anz bil­de­te die deut­li­che Mehr­heit im Ver­fas­sungs­kon­vent. Ihre Geg­ner, so Beard, waren die klei­nen Far­mer, viel­fach ver­schul­det und daher an der Bei­be­hal­tung von Pa­pier­geld und Ab­wer­tungs­me­cha­nis­men in­ter­es­siert. Die ›Schuld­ner‹ (debtors) waren im Kon­vent nur als Min­der­heit re­prä­sen­tiert, da die Be­sitz­klau­seln in den ein­zel­staat­li­chen Ver­fas­sun­gen einer stär­ke­re Re­prä­sen­ta­ti­on in Phil­adel­phia ver­hin­der­ten.

Im um­fang­rei­chen Ka­pi­tel V des Bu­ches führ­te Beard an­hand von Kurz­bio­gra­phi­en der fünf­und­fün­zig in Phil­adel­phia ver­sam­mel­ten ›Grün­der­vä­ter‹ den Nach­weis sei­ner aufs Öko­no­misch-Ma­te­ri­el­le aus­ge­rich­te­ten Deu­tung des his­to­ri­schen Grün­dungs­ak­tes. In al­pa­be­ti­scher Rei­hen­fol­ge wurde jeder einer Über­prü­fung sei­ner ›per­so­nal­ty in­te­rests‹ sowie im Falle der süd­staat­li­chen Plan­ta­gen­be­sit­zer ihrer ›real­ty in­te­rests‹ un­ter­zo­gen. In die­sem Licht ver­lo­ren nicht we­ni­ge der il­lus­tren Namen – die meis­ten waren Rechts­an­wäl­te – an po­li­tisch un­ei­gen­nüt­zi­gem Glanz: Nicht nur Alex­an­der Ha­mil­ton, Vor­kämp­fer einer star­ken Union und Be­für­wor­ter einer Zen­tral­bank, war als Ban­kier an der Schaf­fung einer sta­bi­len Wäh­rung in­ter­es­siert. Zu den gro­ßen Gläu­bi­gern zähl­ten Ben­ja­min Fran­klin und Ge­or­ge Wa­shing­ton, der Gou­ver­neur von Vir­gi­nia Ed­mond Ran­dolph sowie mut­ma­ß­lich Wil­liam Li­vings­ton, der, als Ver­tre­ter von New Jer­sey, aus einer der reichs­ten Fa­mi­li­en von New York stamm­te. Wil­liam Mor­ris aus Penn­syl­va­nia hatte es als Ree­der und Gro­ß­kauf­mann, als Ma­nu­fak­tur­be­sit­zer, als Fi­nan­zier und Land­spe­ku­lant zu Ver­mö­gen ge­bracht. Als Plan­ta­gen­be­sit­zer und Skla­ven­hal­ter in Vir­gi­nia war James Ma­di­son der Nach­bar von Wa­shing­ton, der wie­der­um – nicht an­ders als Fran­klin und Ha­mil­ton – mit Land spe­ku­lier­te. (Ibid. 73-151) An­de­rer­seits: »Not one mem­ber re­pre­sen­ted the small far­ming and me­cha­nic clas­ses.« (Ibid. 149).

In der Ver­fas­sung von 1787 fan­den die ma­te­ri­el­len In­ter­es­sen­la­gen ihren ju­ris­ti­schen Nie­der­schlag, was wie­der­um aus den Fe­dera­list Pa­pers selbst her­vor­ge­he. Laut Beard dien­te die Ver­an­ke­rung des ba­lan­ce-of-power-Prin­zips – ge­mein­hin be­kannt als Sys­tem der checks and ba­lan­ces – der Ab­wehr von sys­tem­ge­fähr­den­den Mehr­heits­an­sprü­chen und somit de facto der Ver­tei­di­gung der er­wor­be­nen Be­sitz­stän­de (»the pro­tec­tion of pro­per­ty rights«, ibid. 164). Warum sah dann die Ver­fas­sung – an­ders als die ein­zel­staat­li­chen Ver­fas­sun­gen – keine Be­schrän­kun­gen des Wahl­rechts vor? Ge­rin­ge, an Grund­be­sitz ge­bun­de­ne Qua­li­fi­ka­tio­nen hät­ten die klei­nen Far­mer, die Geg­ner der gro­ßen ›real­ty in­te­rests‹, nicht aus­schlie­ßen kön­nen, um­ge­kehrt hätte eine sol­che Ein­schrän­kung viele Be­sit­zer mo­bi­len Ver­mö­gens selbst ge­trof­fen. Der Obers­te Ge­richts­hof sowie der Senat seien als macht­vol­le Kon­troll­in­stan­zen der all­ge­mei­nen Wahl ent­zo­gen ge­blie­ben. Im üb­ri­gen hätte der Um­stand, dass in den Ein­zel­staa­ten nach wie vor Wahl­be­schrän­kun­gen be­stan­den, mit der Idee des un­be­schränk­ten Wahl­rechts ver­söhnt. Ihre Be­sit­z­in­ter­es­sen sahen sie in den For­meln der Ver­fas­sung ge­si­chert. (Ibid., 152-188)

Beard zu­fol­ge kam so­dann das in Phil­adel­phia be­schlos­se­ne Ra­ti­fi­zie­rungs­ver­fah­ren – es fand 1787-1789 statt – einem ›re­vo­lu­tio­nä­ren Akt‹ gleich, indem es über die be­ste­hen­den ein­zel­staat­li­chen Par­la­men­te (state le­gis­la­tu­res) hin­weg die Ein­be­ru­fung von Kon­ven­ten in den Grün­der­staa­ten vor­sah. (Ibid., 217f.) Bei der Wahl zu den Ein­zel­kon­ven­ten hätte nur ein Bruch­teil der Be­völ­ke­rung, nicht mehr als ein Sechs­tel der männ­li­chen Er­wach­se­nen, an­nä­he­rungs­wei­se 160 000 Per­so­nen (Ibid., 16, 239-253, 325), teil­ge­nom­men, davon hät­ten nur 100 000 die neue Ver­fas­sung be­für­wor­tet – ein zu­tiefst un­de­mo­kra­ti­sches Ver­fah­ren. In den zur Ab­stim­mung über die Ver­fas­sung in den Ein­zel­staa­ten ge­wähl­ten De­le­gier­ten er­kann­te Beard wie­der­um die­sel­be Spal­tung wie in Phil­adel­phia: zu den Be­für­wor­tern ge­hör­ten die Ver­tre­ter der Ver­mö­gens­in­ter­es­sen, die Geg­ner be­stan­den aus klei­nen Far­mern und ›Schuld­nern‹. (Ibid. 290f.)

An­ders als in den her­kömm­li­chen Ge­schichts­bü­chern der USA ver­mit­telt, ging es laut Beard beim Streit um die neue Ver­fas­sung zwi­schen ›Fe­dera­lists‹ und ›An­ti-Fe­dera­lists‹, zwi­schen den Zen­tra­lis­ten um Alex­an­der Ha­mil­ton (»the co­los­sal ge­ni­us of the new sys­tem«, ibid., 100) und den Be­für­wor­tern einer stär­ker de­mo­kra­tisch-de­zen­tra­len Ord­nung – spä­ter als ›Jef­fer­son-ians‹ be­kannt – nicht um abs­trak­te Ver­fas­sungs­prin­zi­pi­en, son­dern um Kon­flik­te von ma­te­ri­el­len In­ter­es­sen­trä­gern. Gegen die ›po­pu­la­re Par­tei‹, ge­grün­det auf Pa­pier­geld und agra­ri­sche In­ter­es­sen, setz­te sich die kon­ser­va­ti­ve Par­tei der ›per­so­nal­ty in­te­rests‹ und der Städ­te, durch. (Ibid., 291) In sei­nen spä­te­ren Bü­chern sprach Beard häu­fig vom grund­le­gen­den Kon­flikt von Land und Stadt.

In­mit­ten sei­ner Ana­ly­se des ame­ri­ka­ni­schen Grün­dungs­ak­tes, die, ob­gleich be­wusst un­aus­ge­spro­chen, kaum an­ders denn als ra­di­kal­de­mo­kra­ti­sche Kri­tik zu lesen ist (Hof­stadter III, 247, 263), kam Beard zu einer über­ra­schend po­si­ti­ven Bi­lanz. An­ders als die »doc­tri­n­ai­res in the Frank­fort as­sem­bly of 1848« hät­ten die ›Foun­ding Fa­thers‹ ein dau­er­haf­tes Werk voll­bracht: [The men of 1787] were able to build the new go­vern­ment upon the only foun­da­ti­on upon which go­vern­ment can be sta­ble: fun­da­men­tal eco­no­mic in­te­rest.« (Ibid., 151).Der Satz soll­te als pa­trio­ti­sches Be­kennt­nis ver­stan­den wer­den.

VII

Ent­ge­gen sei­nem Be­kennt­nis zum ›öko­no­mi­schen De­ter­mi­nis­mus‹ war Be­ards Me­tho­de in sei­nem Buch zur ame­ri­ka­ni­schen Ver­fas­sung mehr il­lus­tra­tiv als ana­ly­tisch im Sinne einer aus­ge­ar­bei­te­ten Theo­rie. Auch in dem – aus Vor­le­sun­gen am Am­herst Col­le­ge 1916 ent­stan­de­nen – schma­len Buch The Eco­no­mic Basis of Po­li­tics (1922) ging es nicht um eine theo­re­ti­sche Grund­le­gung des Pri­mats der Öko­no­mie ge­gen­über allen an­de­ren Sphä­ren des Po­li­ti­schen, son­dern um eine ide­en­ge­schicht­li­che Ein­füh­rung in die Pro­ble­ma­tik. Als ›Phi­lo­so­phen der Alten Welt‹, wel­che die po­li­ti­sche Be­deu­tung von öko­no­mi­schen Klas­sen er­kannt hat­ten, bezog er sich auf Aris­to­te­les, Ma­chia­vel­li und John Locke. Für die Neue Welt zi­tier­te er er­neut Ma­di­son, so­dann Da­ni­el Webs­ter (1782-1852) und John C. Cal­houn (1782-1850), be­kannt als die gro­ßen An­ti­po­den in der Vor­ge­schich­te des ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­kriegs. Er wand­te sich gegen die Vor­stel­lung, dass in der auf all­ge­mei­nen, glei­chem Wahl­recht ge­grün­de­ten De­mo­kra­tie das Ideal der Gleich­heit be­reits po­li­tisch ver­wirk­licht sei. Statt­des­sen er­teil­te er in sei­nen Über­le­gun­gen zur Be­deu­tung der Ar­beits­tei­lung in mo­der­nen in­dus­tri­el­len Ge­sell­schaf­ten nicht nur der kom­mu­nis­ti­schen Gleich­heits­idee und dem dar­aus re­sul­tie­ren­den dik­ta­to­ri­schen Zwang eine Ab­sa­ge, son­dern kam zu einer prag­ma­ti­schen Aus­sa­ge be­züg­lich der stets fort­be­ste­hen­den Klas­sen­tei­lung und Klas­sen­in­ter­es­sen. »Mit an­de­ren Wor­ten, es gibt keine Ruhe für die Mensch­heit, keine end­gül­ti­ge Lö­sung der ewi­gen Wi­der­sprü­che. Dies ist der Lauf der Welt. Mit der Er­kennt­nis die­ser Tat­sa­chen be­gin­nen Weis­heit und Staats­kunst.« (Beard II, 59).

Ein Werk zur his­to­ri­schen Me­tho­do­lo­gie oder eine ei­gen­stän­di­ge Ge­schichts­theo­rie feh­len in Be­ards um­fang­rei­cher Pro­duk­ti­on. Im­mer­hin setz­te er sich An­fang der 1930er Jahre mit ge­schichts­phi­lo­so­phi­schen und mit me­tho­do­lo­gi­schen Fra­gen aus­ein­an­der, in deren Kon­se­quenz er seine ›öko­no­mi­sche In­ter­pre­ta­ti­on‹ nur noch in ab­ge­schwäch­ter Form prä­sen­tier­te. Beard hatte sich mit Wer­ken be­schäf­tigt, die in Eu­ro­pa die ›Krise des His­to­ris­mus‹ ver­kün­de­ten, um die von der deut­schen Ge­schichts­schrei­bung im Ge­fol­ge von Ranke be­grün­de­te Re­la­ti­vi­tät allen his­to­ri­schen Ge­sche­hens und die dar­aus re­sul­tie­ren­de epis­te­mo­lo­gi­sche – und phi­lo­so­phi­sche – Apo­rie zu über­win­den.

Seine Er­kennt­nis­se trug Beard auf dem Hö­he­punkt sei­nes Ruhms 1933 vor der AHA unter dem Titel Writ­ten His­to­ry as an Act of Faith vor. Seine Über­le­gun­gen kreis­ten um die Gren­zen ›ob­jek­ti­ver‹ Ge­schichts­schrei­bung, um die un­end­li­che Fülle der Ge­schich­te als ›ver­gan­ge­ne Wirk­lich­keit‹ (his­to­ry as past ac­tua­li­ty) und um die Re­la­ti­vi­tät his­to­ri­schen Den­kens (thought about past ac­tua­li­ty). Unter dem Ein­druck des ›most pro­found con­tem­pora­ry thought about his­to­ry‹ – Beard be­rief sich auf Be­nedet­to Croce, auf den (spä­ter mit ihm be­freun­de­ten) Ex-Di­plo­ma­ten und Phi­lo­so­phen Kurt Riez­ler, auf den So­zio­lo­gen Karl Mann­heim, auf den So­zi­al­theo­re­ti­ker Al­fred Mül­ler-Arm­ack sowie auf den Kir­chen­his­to­ri­ker Karl Heus­si (Die Kri­sis des His­to­ris­mus, 1932) – ver­kün­de­te er seine Ab­sa­ge an die Vor­stel­lung, Auf­ga­be und Ziel der Ge­schichts­schrei­bung sei die Re­kon­struk­ti­on der Ver­gan­gen­heit, ›as it ac­tual­ly was‹. Als Be­grün­der des un­er­reich­ba­ren Ob­jek­ti­vi­täts­be­griff nann­te er – in of­fen­sicht­li­cher Fehl­deu­tung des be­kann­ten Wor­tes ›Wie es ei­gent­lich ge­we­sen‹ – Leo­pold Ranke: »...​the Ranke for­mu­la of his­to­ry has been dis­car­ded and laid away in the mu­se­um of an­ti­qui­ties.« (Beard III)

An­ge­sichts der Re­la­ti­vi­tät alles his­to­ri­schen Ge­sche­hens im Flu­xus un­über­seh­ba­rer Fak­ten ei­ner­seits, der his­to­ri­schen Re­la­ti­vi­tät alles Den­kens an­de­rer­seits, sei der His­to­ri­ker zu einem ›Glau­bens­akt‹ (act of faith), zu einer sub­jek­ti­ven Ent­schei­dung hin­sicht­lich sei­nes ›Be­zugs­rah­mens‹ (frame of re­fe­rence) ge­nö­tigt. Beard be­kann­te sich – unter Ab­leh­nung eines blo­ßen Cha­os­be­griffs sowie der Speng­ler­schen Zy­klen­theo­rie – zu einem Ge­schichts­kon­zept im Sinne des auf­klä­re­ri­schen Fort­schritts­den­kens: »The third [con­cept] is that his­to­ry as ac­tua­li­ty is mo­ving in some di­rec­tion away from the low level of pri­mi­ti­ve be­gin­nings on an up­ward gra­di­ent toward a more ideal order as ima­gi­ned by Cond­orcet, Adam Smith, Karl Marx or Her­bert Spen­cer.« Er ver­tei­dig­te aus­drück­lich die em­pi­risch-wis­sen­schaft­li­che Me­tho­de als einen hohen ›Wert an sich‹ in der Hier­ar­chie der Werte einer De­mo­kra­tie (»a value high in the hier­ar­chy of va­lues in­dis­pensa­ble to the life of de­mo­cra­cy«). Sein his­to­rio­gra­phi­sches Kon­zept, be­grün­det »on a study of long trends and on a faith of the in­do­mi­ta­ble spi­rit of man­kind«, ver­knüpf­te Beard mit einer his­to­risch-po­li­ti­schen Pro­gno­se: die ge­schicht­li­che Be­we­gung führe hin zu einer »collec­tivist de­mo­cra­cy«. Hier sprach ein un­er­schüt­ter­li­cher Pro­gres­si­ve. (Ibid.)

In einem zwei Jahre spä­ter ver­öf­fent­lich­ten Auf­satz setz­te er sich er­neut mit dem ver­meint­lich von Ranke her­kom­men­den, in der ame­ri­ka­ni­schen Ge­schichts­schrei­bung vor­herr­schen­den Ob­jek­ti­vi­täts­dog­ma – ›that noble dream‹ – aus­ein­an­der. Seine Kri­tik an dem – in die­ser be­griff­li­chen Re­zep­ti­on miss­ver­stan­de­nen – ›His­to­ris­mus‹ – Beard plä­dier­te sei­ner­seits für den Be­griff ›his­to­ri­cism‹ – be­grün­de­te er unter an­de­rem mit dem Ver­weis auf Ran­kes vagen Pan­the­is­mus (›der Fin­ger Got­tes in der Ge­schich­te‹), der den An­spruch ›zu zei­gen, wie es ei­gent­lich ge­we­sen‹, selbst in Frage stel­le. Er­neut wand­te sich Beard gegen die Über­trag­bar­keit der na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Me­tho­de auf his­to­ri­sches Den­ken und ver­wies auf die As­pek­te der Sub­jek­ti­vi­tät bei Aus­wahl und Ge­wich­tung des his­to­ri­schen Ma­te­ri­als, nicht zu­letzt be­grün­det in der Per­sön­lich­keit des His­to­ri­kers. Der Be­griff ›frame of re­fe­rence‹ taucht in die­ser neu­er­li­chen Zu­rück­wei­sung des ›edlen Trau­mes‹ als Be­griff nicht auf, wohl aber die Ver­tei­di­gung der ›eco­no­mic in­ter­pre­ta­ti­on of his­to­ry‹ als einer gül­ti­gen An­ti­the­se zu Ranke (›an an­ti­the­sis of the Ranke for­mu­la‹). In die­sem Kon­text be­kann­te sich Beard er­neut zur Me­tho­de sei­nes Bu­ches zur ame­ri­ka­ni­schen Ver­fas­sung, indem er die Un­ter­stel­lung, ihr Ur­sprung liege in ›Mar­xi­an theo­ries‹ zu­rück­wies. Sein Kon­zept be­ru­he auf den Wer­ken der gro­ßen Den­ker – von Aris­to­te­les' Po­li­tik bis zu den Schrif­ten der ›Grün­der­vä­ter‹ (the wri­tings of Fa­thers of the Re­pu­blic“ – ›as well as [upon] the wri­tings of Marx him­s­elf.‹ (Beard IV, 364-367, 370-374).

VIII

Seine ›öko­no­mi­schen‹ The­sen zur Ge­ne­se der ame­ri­ka­ni­schen Ver­fas­sung hatte Beard um diese Zeit be­reits deut­lich ab­ge­schwächt. In spä­te­ren Jah­ren wan­del­te er sie voll­ends ins Po­si­ti­ve – nicht zu­letzt als Waffe für seine At­ta­cken gegen Roo­se­velt. (Noble, 133f. ) In der Ein­lei­tung zu einer 1935 er­schie­ne­nen Auf­la­ge ver­tei­dig­te er noch ein­mal sei­nen auf his­to­ri­sche Ana­ly­se zie­len­den öko­no­mi­schen An­satz. Als Au­to­ri­tä­ten für der­lei his­to­ri­schen und po­li­ti­schen Rea­lis­mus dien­ten ihm wie­der­um Aris­to­te­les, Ma­chia­vel­li, Locke, Mon­tes­quieu, nicht zu­letzt Karl Marx, in des­sen Wer­ken er die Ideen ent­deck­te, »which had been co­gent­ly ex­pres­sed by out­stan­ding thin­kers and sta­tes­men in the pre­ce­ding cen­tu­ries.« So­dann pries er die Weis­heit der ›Grün­der­vä­ter‹: »It was lar­ge­ly by re­co­gni­zing the power of eco­no­mic in­te­rests in the field of po­li­tics and ma­king skil­ful use of them that the Fa­thers of the Con­sti­tu­ti­on pla­ced them­sel­ves among the grea­test prac­tising sta­tes­men of alle ages and gave in­struc­tions to suc­cee­ding ge­ne­ra­ti­ons in the art of go­vern­ment.« (Ibid., xiii, xvii).

Die Wen­dun­gen Be­ards im Um­gang mit sei­nen ei­ge­nen ›öko­no­mi­schen‹ The­sen sind nicht zu über­se­hen. Die späte Ab­leh­nung Be­ards grün­de­te nicht auf der­lei ge­dank­li­chen Wi­der­sprü­chen, son­dern ent­zün­de­te sich an sei­ner po­li­ti­schen Po­si­ti­on vor und nach dem II. Welt­krieg. Seine Kri­ti­ker, oben­an Sa­mu­el E. Mo­ri­son und Ri­chard Hof­stadter, at­ta­ckier­ten Beard nicht al­lein wegen sei­nes Iso­la­tio­nis­mus, son­dern zie­hen ihn – im Hin­blick auf Hit­ler, Japan und die Un­ver­meid­bar­keit des ame­ri­ka­ni­schen Kriegs­ein­tritts – eines grund­sätz­li­chen Wer­tere­la­ti­vis­mus. Hof­stadter warf Beard man­geln­de Ur­teils­kraft hin­sicht­lich der welt­po­li­ti­schen Al­ter­na­ti­ven Roo­se­velts an­ge­sichts der fort­ge­setz­ten ja­pa­ni­schen Ag­gres­si­on sowie der von Hit­ler-Deutsch­land aus­ge­hen­den Ge­fah­ren vor (Hof­stadter III, 333-344). Be­ards po­li­ti­sche Fehl­ur­tei­le, seine Feind­schaft gegen Roo­se­velt, ent­spran­gen, so Mo­ri­son in sei­nem Vor­trag Faith of His­to­ri­an vor der AHA im Jahr 1950, sei­ner ver­meint­lich pro­gres­siv-kri­ti­schen At­ti­tü­de, die ihm einst den Bei­fall der So­zia­lis­ten ein­ge­bracht, zu­letzt die Be­geis­te­rung der Hearst-Pres­se her­vor­ge­ru­fen habe. Un­ge­ach­tet sei­nes Pa­zi­fis­mus habe Beard eine ›Ent­wick­lung von links nach rechts‹ voll­zo­gen. Die Wur­zel die­ser Ent­wick­lung sah Mo­ri­son in Be­ards Zwei­fel am his­to­ri­schen Wahr­heits­be­griff, in des­sen Be­to­nung der Sub­jek­ti­vi­tät des His­to­ri­kers sowie in dem – die his­to­ri­sche Rea­li­tät will­kür­lich ein­engen­den – Be­griff des ›Be­zugs­rah­mens‹. Wie­der­um höchst zeit­ge­bun­den, gip­fel­te Mo­ri­sons Kri­tik an Beard – unter Ver­weis auf Ge­or­ge Or­wells Ni­n­e­teen Eigh­ty-four – in dem Satz, Ge­schichts­schrei­bung nach den Vor­ga­ben eines ›frame of re­fe­rence‹ sei die his­to­ri­sche Me­tho­de unter einer Dik­ta­tur. (Mo­ri­son, 384-8; Phil­bin).

»Today Beard’s re­pu­ta­ti­on stands like an im­po­sing ruin in the land­scape of Ame­ri­can his­to­rio­gra­phy«, schrieb Hof­stadter anno 1968. (Hof­stadter III, 344). An­er­ken­nung als non­kon­for­mer In­tel­lek­tu­el­ler und His­to­ri­ker fand Beard da­nach nur noch bei ›Re­vi­sio­nis­ten‹ in bei­den La­gern. Auf der Lin­ken wür­dig­te ihn Wil­liam A. Wil­liams, re­vi­sio­nis­ti­scher Kri­ti­ker des Kal­ten Krie­ges, als »Tory ra­di­cal« (Nore, 329). In sei­ner Ana­ly­se der zu Im­pe­ria­lis­mus und ver­häng­nis­vol­lem In­ter­ven­tio­nis­mus ten­die­ren­den Po­li­tik der »of­fe­nen Tür« folg­te Wil­liams einem ähn­li­chen An­satz wie Beard. (Wil­liams) Von ame­ri­ka­ni­schen con­ser­va­ti­ves im Um­feld des In­ter­col­le­gia­te Stu­dies In­sti­tu­te ISI wird Beard als ›un­ge­woll­ter Kon­ser­va­ti­ver‹ (in­ad­ver­tent con­ser­va­ti­ve) in An­spruch ge­nom­men (Strom­berg). Unter den zeit­ge­nös­si­schen pa­laeo­cons ver­focht seit den 1990er Jah­ren der Jour­na­list Pat Bucha­n­an, ehe­dem Re­den­schrei­ber des Prä­si­den­ten Ri­chard Nixon, eine nicht­in­ter­ven­tio­nis­ti­sche Au­ßen­po­li­tik. (Phil­bin, 91, http://​en.​wikipedia.​org/​wiki/​Charles_​A._​Beard) Die These vom kei­nes­wegs ah­nungs­los er­folg­ten ja­pa­ni­schen An­griff auf Pearl Har­bor hat – ohne Bezug auf Beard – wie­der ver­ein­zelt Ver­fech­ter ge­fun­den (Sti­nett). Schlie­ß­lich wird Beard auch von auf der ex­tre­men Rech­ten an­ge­sie­del­ten, selbst­er­nann­ten ›Re­vi­sio­nis­ten‹ – zu deren Prot­ago­nis­ten ge­hör­te der eins­ti­ge Pro­gres­si­ve und frühe Mit­strei­ter Be­ards an der New Yor­ker ›New School‹ Harry Elmer Bar­nes, – als Kron­zeu­ge ihrer Kri­tik an Roo­se­velts Kriegs­stra­te­gi­en sowie an der der­zei­ti­gen von den li­be­rals ver­foch­te­nen ame­ri­ka­ni­schen Au­ßen­po­li­tik ver­ein­nahmt. (Mar­tin)

IX

Charles Beard er­scheint als Re­prä­sen­tant einer ab­ge­schlos­se­nen Epo­che der ame­ri­ka­ni­schen Ge­schich­te, sein Werk ver­staubt weit­hin un­ge­le­sen in den Bi­blio­the­ken. Die po­li­ti­schen Po­si­tio­nen Be­ards – seine Ab­leh­nung des In­ter­na­tio­na­lis­mus, seine Vor­be­hal­te gegen den als un­frei­heit­lich emp­fun­de­nen Ka­tho­li­zis­mus, nicht zu­letzt seine Be­für­wor­tung der – 1965 auf­ge­ho­be­nen – re­strik­ti­ven Ein­wan­de­rungs­ge­set­ze der 1920er Jahre (Beard VI, 594-601; Noble, 137) – pas­sen nicht im min­des­ten ins Bild des heu­ti­gen links­li­be­ra­len Pro­gres­sis­mus. Im­mer­hin ziert noch ein frü­hes Werk der Be­ards (His­to­ry of the Unites Sta­tes, 1921) ein mar­xis­ti­sches In­ter­net-Archv (Mar­xists In­ter­net Ar­chi­ve, https://​www.​marxists.​org/​archive/​beard/​history-us/​index.​htm).

Weder mit sei­ner ›eco­no­mic theo­ry‹ noch mit sei­ner spe­zi­fi­schen Re­zep­ti­on der Kri­tik am His­to­ris­mus ist Beard unter die gro­ßen Ge­schichts­den­ker ein­zu­rei­hen. Er­in­nerns­wert ist er gleich­wohl ob sei­ner Rolle als ›pro­gres­si­ver‹, von po­li­ti­schem Sen­dungs­be­wusst­sein er­füll­ter His­to­ri­ker sowie als Au­ßen­sei­ter unter den li­be­rals der Ära Roo­se­velt. Vor dem Hin­ter­grund der welt­po­li­ti­schen Rolle der USA im 20. und 21. Jahr­hun­dert ge­winnt noch ein an­de­rer As­pekt sei­ner Denk­be­we­gun­gen Re­le­vanz: Trotz all sei­ner Be­to­nung der ›ge­schicht­li­chen Wirk­lich­keit‹ (ac­tua­li­ty in his­to­ry), trotz sei­ner Aver­si­on gegen den Im­pe­ria­lis­mus, sind bei Beard dis­tan­zier­te Re­fle­xio­nen über den Be­griff ›Macht‹ – sei es als po­li­ti­sche Trieb­kraft, sei es als his­to­ri­sche Ka­te­go­rie – nicht zu fin­den. Viel­mehr legte er in dem Werk The Ame­ri­can Spi­rit (1942) – un­ge­ach­tet eines pes­si­mis­tisch an­ge­hauch­ten Schlu­ßpas­sus, worin der Krieg als wie­der­keh­ren­de his­to­ri­sche Kon­stan­te be­nannt wird – ein Be­kennt­nis zur his­to­ri­schen Ein­zig­ar­tig­keit der ame­ri­ka­ni­schen Zi­vi­li­sa­ti­on ab: »This idea of civilization...​embraces a con­cep­ti­on of his­to­ry as a strugg­le of human beings in the world for in­di­vi­du­al and so­ci­al per­fec­tion – for the good, the true the be­au­ti­ful – against ignoran­ce, di­sea­se, the har­sh­ness of phy­si­cal na­tu­re, the forces of ba­raba­rism in in­di­vi­du­als and in so­cie­ty. It as­signs to his­to­ry in the United Sta­tes, so con­cei­ved, uni­que fea­tures in ori­gin, sub­stan­ce, and de­ve­lop­ment.« (Beard VI, 674, Zitat, 672) Mit sei­ner Ver­tei­di­gung des Prag­ma­tis­mus gegen die Idee des ›Ab­so­lu­ten‹ stell­te er sich in die Tra­di­ti­on von Wil­liam James, John Dewey und deren ethi­sche Ver­tie­fung der Prin­zi­pi­en der ame­ri­ka­ni­schen De­mo­kra­tie (ibid., 665). Wie seine in­ter­na­tio­na­lis­ti­schen Kri­ti­ker, die ihn des ›Re­la­ti­vis­mus‹ be­zich­tig­ten, war Beard auf seine Weise ein von der welt­his­to­ri­schen Son­der­rol­le der USA und ihrer De­mo­kra­tie über­zeug­ter Ame­ri­ka­ner.

Li­te­ra­tur:

BEARD, Charles A.: An Eco­no­mic In­ter­pre­ta­ti­on of the Con­sti­tu­ti­on of the United Sta­tes, New York 1959 (=Beard I)
ders.: Die wirt­schaft­li­che Grund­la­ge der Po­li­tik, Stutt­gart 1949, (am. Orig. The Eco­no­mic Basis of Po­li­tics 1945, erstm. 1922) (= Beard II)
ders.: Writ­ten His­to­ry as an Act of Faith, in: Ame­ri­can His­to­ri­cal Re­view 39,2 (1933) http://​www.​historians.​org/​about-aha-and-membership/​aha-history-and-archives/​presidential-addresses/​charles-a-beard (=Beard III)
ders.: That Noble Dream, in: H. Wish (Hg.), Ame­ri­can His­to­ri­ans, 361-377 (s.u.);(=Beard IV); s.a.: http://​www.​jstor.​org/​discover/​10.​2307/​1943481?​uid=3737864&​uid=2&​uid=4&​sid=21104175983807
BEARD, Charles A., BEARD, Mary R.: Ame­ri­ca in Mid­pa­pas­sa­ge, New York 1946 (erstm. 1939) (=Beard V)
dies.: The Ame­ri­can Spi­rit. A Study of the Idea of Ci­vi­liza­t­i­on in the United Sta­tes, New York, 1942 (=Beard VI)
BEARD, Charles A.: Pre­si­dent Roo­se­velt and te Comig of the War 1941. A Study in Ap­peare­naces and Rea­li­ties, New Haven 1948 (=Beard VII)
BREI­SACH, Ernst: Beard, Charles A. 1874-1948; Beard, Mary Rit­ter 1876-1958, in: Kelly Boyd (Hg.): En­cy­clo­pe­dia of His­to­ri­ans and His­to­ri­cal Wri­tings, Bd. 1, 84
HEFF­NER, Ri­chard D. (Hg.): A Do­cu­men­ta­ry His­to­ry of the United Sta­tes, 7. (er­wei­ter­te) Aufl., New York 2002
HICHAM, John: Charles Aus­tin Beard, in: In­ter­na­tio­nal En­cy­clo­pe­dia of the So­ci­al Sci­en­ces (1968), http://​www.​encyclopedia.​com/​topic/​Charles_​Austin_​Beard.​aspx.​ encyclopedia.​com. 13 Jul. 2014
HOF­STADTER, Ri­chard: The Ame­ri­can Po­li­ti­cal Tra­di­ti­on and the Men Who Made It, New York 1948 (=Hof­stadter I)
ders.: The Age of Re­form. From Bryan to F.D.R., New York 1955 (=Hof­stadter II)
ders.: The Pro­gres­si­ve His­to­ri­ans. Tur­ner Beard, Par­ring­ton, Lon­don 1969 (erstm. 1968) (=Hof­stadter III)
LEUCH­TEN­BURG, Wil­liam E.: Fran­klin D. Roo­se­velt and the New Deal, New York 1963
MAN­LEY, John F.: Class and Plu­ra­lism in Ame­ri­ca: The Con­sti­tu­ti­on Re­con­side­red (1987) http://​www.​iefd.​org/​articles/​class_​and_​pluralism.​php.​ (Zu­erst in: John f. Man­ley – Ken­neth Dol­be­a­re (Hgg.): The Case Against the Con­sti­tu­ti­on, 1987)
MAR­TIN, James J.: Charles A. Beard: A Tri­bu­te, Pre­sen­ted at the 1981 Re­vi­sio­nist Con­fe­rence http://​www.​ihr.​org/​jhr/​v03/​v03p239_​Martin.​html.​ (Auf­ruf 18.06.2014)
MO­RI­SON, Sa­mu­el E.: Faith of a His­to­ri­an, in: H. Wish (s.u.), 379-397
PHIL­BIN, James P.: Charles Aus­tin Beard: Li­be­ral Foe of Ame­ri­can In­ter­na­tio­na­lism, in: Hu­ma­ni­tas XIII,2 (2000), S. 90-107, http://​www.​nhinet.​org/​philbin13-2.​pdf
SCHLE­SIN­GER Jr., Ar­thur M.: The Cri­sis of the Old Order 1919-1933, Bos­ton 1957
STE­VENS, Den­nis G.: On Charles Beard’s Con­sti­tu­ti­on, in: An Eco­no­mic In­ter­pre­ta­ti­on of the Con­sti­tu­ti­on of the United Sta­tes. By Charles A. Beard. Ed. by For­rest Mc­Do­nald. New York 1986., S. 219-237, http://​www.​mmisi.​org/​pr/​21_​01/​stevens.​pdf
STROM­BERG, Jo­seph R.: Charles A. Beard: The Pro­regs­si­ve His­to­ri­an as In­ad­ver­tent Con­ser­va­ti­ve, in: First Prin­ci­ples. ISI Web Jour­nal v. 22.052009, http://​www.​firstprinciplesjournal.​com/​articles.​aspx?​article=1262
WIL­LIAMS, Wil­liam Apple­man: Die Tra­gö­die der ame­ri­ka­ni­schen Di­plo­ma­tie (Am. Orig. 1959), Frank­furt/M. 1973
WISH, Har­vey: (Hg.): Ame­ri­can His­to­ri­ans. A Selec­tion, New York 1962

 

13. Jahrgang 2014

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Sie sind essenziell für den Betrieb der Seite (keine Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.