»… also, die einen ar­bei­ten ein­fach so viel, und die an­de­ren legen sich ein­fach hin… das ist fau­len­zen…« (Emma, 6 Jahre alt)

 

Ein­la­den­de Be­trach­tun­gen

In einem so­zi­al­psy­cho­lo­gi­schen Ex­pe­ri­ment wurde die Leis­tungs­fä­hig­keit fau­ler mit der von flei­ßi­gen Grup­pen ver­gli­chen. Bei an­sons­ten sehr ähn­li­chem So­zi­al­pro­fil, ope­ra­tio­na­li­siert in Merk­ma­len wie Ge­schlecht und Alter, Bil­dung und In­tel­li­genz, be­deu­te­te ›faul‹ nied­ri­ge, ›flei­ßig‹ hohe Leis­tungs­mo­ti­va­ti­on. Bei­den Grup­pen wur­den ein­fa­che und kom­ple­xe Auf­ga­ben ge­stellt. Ge­mes­sen und ver­gli­chen wur­den Zeit­auf­wand und Ef­fi­zi­enz der Lö­sungs­we­ge je Grup­pe. Das Re­sul­tat: Flei­ßi­ge Grup­pen sind schnel­ler und ef­fi­zi­en­ter beim Lösen ein­fa­cher Auf­ga­ben, weil sie eine hohe Be­reit­schaft mit­brin­gen, Auf­ga­ben gleich wel­cher Art lösen zu wol­len. Diese eil­fer­ti­ge Be­reit­schaft min­dert die Ko­ope­ra­ti­ons­fä­hig­keit der Flei­ßi­gen aber beim Lösen der kom­ple­xe­ren Auf­ga­be. Sie gön­nen sich nicht die Zeit, um nach­zu­den­ken und über ihr Nach­den­ken mit an­de­ren zu kom­mu­ni­zie­ren. Sie den­ken und gehen am liebs­ten schnell vor, den­ken un­gern nach und gehen un­gern nach und nach vor. Da­ge­gen ist die faule Grup­pe lang­sa­mer und in­ef­fi­zi­en­ter beim Lösen der ein­fa­chen und schnel­ler und ef­fi­zi­en­ter beim Lösen der kom­ple­xe­ren Auf­ga­be. Bis sie sich Ge­dan­ken ma­chen, ist die ein­fa­che Auf­ga­be von der flei­ßi­gen Grup­pe be­reits ge­löst; weil sie sich Ge­dan­ken ma­chen und Zeit las­sen, lösen sie die kom­pli­zier­te­re Auf­ga­be schnel­ler und ef­fi­zi­en­ter als die flei­ßi­ge Grup­pe.

Ob­wohl es land­läu­fi­ge Vor­ur­tei­le wi­der­legt, zeigt die­ses Bei­spiel auf grel­le Weise, wie wenig dem Main­stream der so­zi­al­wis­sen­schaft­li­chen For­schung zum Main­stream des Le­bens ein­fällt. Es ist ein in­stru­men­ta­lis­tisch ver­kürz­ter Be­griff von Faul­heit, der nur eine Fa­cet­te die­ses Phä­no­mens in den Blick be­kommt, die tra­di­tio­nell Ge­gen­stand der mo­ra­lis­ti­schen Kri­tik ge­we­sen ist: ihr of­fen­sicht­lich kri­ti­sches Ver­hält­nis zur Leis­tung, wor­auf immer eine Kri­tik der Faul­heit ant­wor­tet. Faul­heit oder, ge­nau­er und etwas we­ni­ger pe­jo­ra­tiv be­zeich­net, Fau­len­zen wird in die­sem Grup­pen­ex­pe­ri­ment mit Pro­blem­lö­sen iden­ti­fi­ziert, also mit einem Han­deln, das üb­li­cher­wei­se beim Fau­len­zen ge­mie­den wird. ›Faul­heit‹ ver­sucht doch ge­ra­de, sich von Pro­ble­men und ihren Lö­sun­gen frei- und fern­zu­hal­ten, um in Ruhe und Frie­den op­ti­mal fau­len­zen zu kön­nen.

Das heißt nun aber wie­der­um nicht, dass Faul­heit oder Fau­len­zen kein Han­deln ist. Zu­min­dest lässt sich das ›Faul­sein‹ als ›Fau­len­zen‹ hand­lungs­theo­re­tisch ent­fal­ten. So um­fasst der Hand­lungs­be­griff nicht nur äu­ße­res oder in­ne­res Tun, son­dern auch Un­ter­las­sen und Dul­den. Ent­schei­dend für die At­tri­bu­ie­rung des Hand­lungs­be­griffs auf ein mensch­li­ches Ver­hal­ten ist dabei der sub­jek­ti­ve Sinn, den Han­deln­de mit ihrem Ver­hal­ten ver­bin­den, und für so­zia­les Han­deln ist dar­über hin­aus re­le­vant, dass es sei­nem Sinn nach auf das Ver­hal­ten an­de­rer be­zo­gen und ›da­durch in sei­nem Ab­lauf ori­en­tiert ist‹, wie das etwa Max Weber in sei­nen so­zio­lo­gi­schen Grund­be­grif­fen aus­führt.

So be­trach­tet, lässt sich Fau­len­zen plau­si­bel als eine Form von Han­deln be­grei­fen. Die fol­gen­den Über­le­gun­gen ver­su­chen ers­tens zu er­kun­den, ob und in wel­chem Sinn sich Faul­heit oder Faul­sein oder Fau­len­zen als Hand­lung ver­ste­hen lässt, um zwei­tens zu er­grün­den, ob und wie Fau­len­zen als ein Tun und ein Un­ter­las­sen auf­ge­fasst wer­den kann. Schlie­ßen möch­ten diese Über­le­gun­gen drit­tens mit der Be­ant­wor­tung der Frage, wes­halb das Fau­len­zen einen so üblen Ruf be­sitzt.

Fau­len­zen als Han­deln

Fra­gen wir zu­nächst, ob und in wel­chem Sinne Fau­len­zen über­haupt ein Han­deln ist. Dazu stei­gen wir am bes­ten über das ›Tun‹ ein, mit dem unser All­tags­ver­ständ­nis Ak­ti­vi­tä­ten ver­bin­det, die sich in phy­si­schen, psy­chi­schen und mo­to­ri­schen Ak­tio­nen ma­ni­fes­tie­ren. Zu­nächst scheint klar, dass es ein im ab­so­lu­ten Sinne voll­kom­me­nes Nichts­tun für Men­schen als le­ben­de Or­ga­nis­men eben­so wenig gibt wie einen voll­kom­men frei­en Wil­len. Jeder le­ben­de Or­ga­nis­mus und ein mensch­li­cher oh­ne­hin ›tut‹ oder in jedem ›tut sich‹ zu­min­dest immer etwas. Seine Phy­sio­lo­gie, sein Stoff­wech­sel und seine Or­ga­ne ar­bei­ten un­un­ter­bro­chen, so dass man sagen kann, Leben al­lein ist eine Leis­tung und manch­mal auch schon eine Ar­beit. Über­dies ›tut‹ sich auch Ei­ni­ges im Raum des see­lisch Un­be­wuss­ten, das uns im Traum oder im Sym­ptom zu­gäng­lich ist, falls wir den dazu pas­sen­den Schlüs­sel der Ana­ly­ti­ker be­sit­zen. Al­ler­dings fällt ein sol­ches Tun ohne unser ak­ti­ves Zutun noch nicht unter den Be­griff des Han­delns. Dazu ist min­des­tens eine ge­woll­te Ab­sicht not­wen­dig, ohne die so­wohl das ve­ge­ta­ti­ve Wir­ken un­se­rer Phy­sis als auch die un­be­wuss­te Um­trie­big­keit un­se­rer Psy­che gut aus­kom­men kön­nen, wes­halb es kein ›Han­deln‹, son­dern blo­ßes ›Ver­hal­ten‹ ist.

Davon zu un­ter­schei­den sind For­men des Tuns, mit denen ein ge­mein­ter Sinn, eine ge­woll­te In­ten­ti­on ver­bun­den ist. Und die­ses Kri­te­ri­um kann auch gut für das Un­ter­las­sen und das Dul­den ver­wen­det wer­den. Immer dann, wenn ein Un­ter­las­sen oder Dul­den als Aus­druck einer mensch­lich ge­woll­ten In­ten­ti­on zu ver­ste­hen ist, darf es als Han­deln an­ge­spro­chen wer­den.

Wie in der Hand­lungs­theo­rie üb­lich, las­sen sich vierer­lei Arten der sinn­haf­ten Ori­en­tie­rung des Tuns, des Un­ter­las­sens und des Dul­dens un­ter­schei­den: die ra­tio­na­le an Zwe­cken, die ra­tio­na­le an Wer­ten und das an Af­fek­ten und Tra­di­tio­nen ori­en­tier­te Han­deln. Von die­sen vierer­lei Arten Sinn, an denen mensch­li­ches Han­deln sich ori­en­tiert, möch­te ich im fau­lenzi­schen Zu­sam­men­hang zwei Sinn­ori­en­tie­run­gen: zweck­ra­tio­na­le und wer­tra­tio­na­le sowie zwei Hand­lungs­for­men: Un­ter­las­sen und Tun un­ter­su­chen. So er­ge­ben sich fol­gen­de Zu­ord­nun­gen und Fra­ge­stel­lun­gen, die für ein Ver­ständ­nis des Fau­len­zens aus­ge­lo­tet wer­den: In wel­chem Sinn kann Fau­len­zen als wer­tra­tio­na­les Tun und als Un­ter­las­sen von Zweck­ra­tio­na­li­tät auf­ge­fasst wer­den? [Fau­len­zen wäre dem­nach ein Tun, das sei­nem Sinn nach immer in ge­wis­sem Grade wer­tra­tio­nal ori­en­tiert ist, weil es aus­ge­führt wird, um sei­nes »E i g e nwert(es)« (Max Weber: Wirt­schaft und Ge­sell­schaft, Tü­bin­gen: Mohr, 1980, S. 12) wil­len, d.h. »…un­ab­hän­gig vom Er­folg« (ebd.); wei­ter ist es sei­nem Sinn nach af­fek­tu­ell ori­en­tiert, weil es in be­son­de­rer Weise »emo­tio­nal: durch ak­tu­el­le Af­fek­te und Ge­fühls­la­gen« (ebd.) sinn­haft be­stimmt sein kann. Zwei­tens wäre Fau­len­zen ein Un­ter­las­sen und ein Nicht-Dul­den, das sei­nem Sinn nach sich der ra­tio­na­len Ori­en­tie­rung an Zwe­cken ent­hält und wi­der­setzt, weil es sich ge­ra­de nicht an der »Er­war­tung des Ver­hal­tens von Ge­gen­stän­den der Au­ßen­welt und von an­de­ren Men­schen und unter Be­nut­zung die­ser Er­war­tun­gen als ›Be­din­gun­gen‹ oder ›Mit­tel‹ für ra­tio­nal, als Er­folg er­streb­te und ab­ge­wo­ge­ne eigne Zwe­cke« (ebd.) aus­rich­ten mag. Dul­den als ei­ge­ne Hand­lungs­form lasse ich weg, da es als Nicht-Dul­den oder mit Un­ter­las­sen iden­tisch ist. Tra­di­tio­nal ist Fau­len­zen nach der hier vor­ge­tra­ge­nen Kon­zep­ti­on des­halb nicht, weil es ge­nu­in ak­tua­lis­ti­sches Tun und ge­ra­de nicht als ein­ge­leb­te Ge­wohn­heit zu ver­ste­hen ist.]

Be­gin­nen wir mit der Frage da­nach, in wel­chem Sinne Fau­len­zen als Un­ter­las­sen von Zweck­ra­tio­na­li­tät zu ver­ste­hen ist.

Fau­len­zen als Nicht-Tun. Un­ter­las­se­ne Zweck­ra­tio­na­li­tät

Vor­ur­tei­le ge­gen­über dem Fau­len­zen las­sen leicht ver­ges­sen, dass für das Fau­len­zen kein ge­ne­rel­les Nichts-Tun, son­dern ein be­son­de­res Nicht-Tun cha­rak­te­ris­tisch ist. Und die­ses ›Nicht-Tun‹ kann ein Han­deln sein, und zwar ak­ti­ves Un­ter­las­sen der Ak­ti­vi­tät, die sich be­wusst an Zweck-Mit­tel-Er­war­tun­gen aus­rich­tet.

Was also un­ter­las­sen wir, wenn wir fau­len­zen? Wir tun nichts, was ir­gend­wie durch fremd ge­setz­te Zwe­cke be­stimmt ist und von uns ver­langt, dass wir unser Ver­hal­ten, Den­ken und Füh­len als Mit­tel ver­ste­hen. Wir tun nichts, was ir­gend­wie me­tho­disch-sys­te­ma­ti­sches Han­deln wäre, das rück­sichts­los ge­gen­über un­se­ren ak­tu­el­len Ge­stimmt­hei­ten und spon­ta­nen Lüs­ten und Lau­nen uns auf ir­gend­wel­che fremd­be­stimm­te Zwe­cke hin­ab­zieht und un­se­re En­er­gi­en zu frem­den Diens­ten presst. Wir ent­sa­gen der Ver­pla­nung un­se­rer Zeit und der Funk­tio­na­li­sie­rung un­se­rer Auf­ent­halts­räu­me, las­sen die ge­plan­ten Ziele und ihre Mit­tel und das ziel­füh­ren­de Han­deln über­haupt fah­ren, pfei­fen auf die Zü­gig­keit und die Er­geb­nis­ori­en­tie­rung, kurz: wir ver­wei­gern alles, was uns von der Au­ßen­welt und der Mit­welt, von den In­sti­tu­tio­nen und Sys­te­men an­ge­son­nen wird, wir kün­di­gen aller He­te­ro­no­mie. Dies aber be­deu­tet: Wer fau­lenzt macht sich un­brauch­bar und un­nütz­lich, und das hat zur Folge, dass, wer fau­lenzt, nicht an­schluss­taug­lich ist.

An­schluss­un­taug­lich­keit heißt in un­se­rer mo­der­nen Welt haupt­säch­lich Sus­pen­si­on aller zweck­ra­tio­na­len In­dienst­nah­me, heißt Sub­ver­si­on sys­te­mi­scher He­te­ro­no­mi­en, die uns durch Be­rufs­ar­beit, Kon­sum­ar­beit und Fa­mi­li­en­ar­beit und alle ir­gend­wie sys­te­misch de­fi­nier­ten Rol­lenskrip­te ver­nut­zen wol­len. Daher ist Fau­len­zen auch nicht mit Re­la­xen oder Chil­len iden­tisch, und schon gar nicht mit Frei­zeit. Zwar sind in die­sen ver­wand­ten, aber eben nur auf Re­ge­ne­ra­ti­on aus­ge­rich­te­ten For­men des Un­ter­las­sens die zweck­ra­tio­na­len Hand­lungs­mo­ti­ve aus­ge­schal­tet, aber doch nur vor­über­ge­hend und mit aus­drück­li­cher Er­laub­nis. Denn Re­la­xen oder Ab­hän­gen, Chil­len oder Ent­span­nen, An­ti-Stress-Pro­gram­me fol­gen dem re­ge­ne­ra­ti­ven Im­pe­ra­tiv, der zwar be­fiehlt: ›Du musst auch mal run­ter­kom­men!‹, aber nur, um ›wie­der drauf­zu­kom­men‹ und sei­nen Rol­len­pflich­ten im Er­werbs- und Bil­dungs­sys­tem, in Fa­mi­lie und Frei­zeit wie­der nach­kom­men zu kön­nen. In­so­fern ver­ste­hen und recht­fer­ti­gen sich diese le­gi­ti­men For­men re­ge­ne­ra­ti­ver Re­pro­duk­ti­on we­sent­lich als Vor­be­rei­tung auf das neu­er­li­che Sich-Ein­hän­gen in und Sich-An­span­nen für sys­te­mi­sche Zweck-Mit­tel-Rei­hen. Sie sind letzt­lich auf das Um-Zu-Mo­tiv hin ori­en­tiert, das seine Adep­ten bald wie­der in sei­nen Ord­nun­gen sehen will, und zwar ›frisch‹ und ›er­holt‹, um sich für die frem­den Zwe­cke zu funk­tio­na­len Mit­teln ma­chen und ver­brau­chen zu las­sen – gegen Geld ver­steht sich und nicht um ihrer selbst wil­len.

Zu die­sem Ver­ständ­nis des pri­mär re­ge­ne­ra­ti­ven Ab­hän­gens steht das an­schluss­un­taug­li­che Fau­len­zen kon­trär. Fau­len­zen als Un­ter­las­sungs­han­deln kol­li­diert in mo­der­nen Ge­sell­schaf­ten daher am hef­tigs­ten mit den Er­war­tun­gen des ka­pi­ta­lis­ti­schen Ar­beits­zeit­re­gimes, dem zu­min­dest in un­se­rer ok­zi­den­ta­len Welt nie­mand ent­kommt, ohne er­heb­li­che Ent­beh­run­gen in Kauf neh­men zu müs­sen. Die An­schluss­un­taug­lich­keit des Fau­len­zens nimmt in die­ser Front­stel­lung gegen die cal­vi­nis­tisch ge­präg­te Ar­beits­men­ta­li­tät die Form einer ra­di­ka­len Ver­wer­tungs­ver­wei­ge­rung an. Wer fau­lenzt, ist an­schlus­s­un­fä­hig, weil er nicht ar­bei­tet und sich damit fürs Er­werbs­sys­tem un­ver­wert­bar macht. Kurz: An­schluss­un­taug­lich­keit als Ver­wer­tungs­ver­wei­ge­rung be­deu­tet Ar­beits­un­taug­lich­keit.

Das Fau­len­zen ver­wei­gert sich dem af­fir­ma­ti­ven Schuf­ten um des Schuf­tens, dem Ma­lo­chen um des Ma­lo­chens, dem Ar­bei­ten um des Ar­bei­tens wil­len und damit dem durch­ge­setz­ten Ar­beits­selbst­ver­ständ­nis der Mo­der­ne. Diese hatte seit der Re­for­ma­ti­on all­mäh­lich den Spieß um­ge­dreht, das Ar­bei­ten als blo­ßes Mit­tel dis­kre­di­tiert und zum sinn­ge­ben­den Zweck, ge­nau­er: zum Selbst­zweck ha­bi­li­tiert. Der erste, der offen gegen diese fol­gen­rei­che Um­wer­tung einer Last in eine Lust op­po­nier­te, war Paul La­far­gue, der Schwie­ger­sohn von Karl Marx. In sei­ner Schrift Das Recht auf Faul­heit von 1883 po­le­mi­sier­te er gegen den Wahn des la­bo­ris­ti­schen Le­bens­zeit­fres­sers, zu dem das Ar­bei­ten unter dem ka­pi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tem ge­wor­den war. Statt ein ›Recht auf Ar­beit‹ im Namen der so­zia­lis­ti­schen Be­we­gung zu for­dern, plä­dier­te La­far­gue für das ›Recht auf Faul­heit‹ im Namen der Mensch­lich­keit.

Auch La­far­gue war na­tür­lich klar, dass die For­de­rung nach einem ›Recht auf Ar­beit‹ dem Be­dürf­nis ent­sprang, die ei­ge­ne Exis­tenz an­ge­sichts des Elends der Ar­beits­lo­sig­keit über Rechts­ga­ran­ti­en auf Ar­beit ab­zu­si­chern. Ge­mes­sen an der Aus­beu­tung und dem Fak­tum ent­frem­den­der Ar­beit aber, die den Pro­du­zen­ten im In­dus­trie­ka­pi­ta­lis­mus nicht zum Kon­su­men­ten sei­ner Pro­duk­tio­nen macht, und ge­mes­sen an der tech­no­lo­gisch immer wei­ter er­höh­ten Ar­beits­leis­tung aber, die die Pro­duk­ti­vi­tät der Ar­beit bis zur Über­pro­duk­ti­on stei­gert, ver­rin­gert sich ja weder die Ar­beits­zeit, noch wird die tat­säch­lich zu leis­ten­de Ar­beit we­ni­ger. Im Ge­gen­teil: »Je pro­duk­ti­ver die ge­sell­schaft­li­che Or­ga­ni­sa­ti­on der Ar­beit wurde, umso stär­ker wurde zu­gleich der ge­sell­schaft­li­che Druck, mehr Ar­beit zu mo­bi­li­sie­ren.« (La­far­gue, Das Recht auf Faul­heit, 12, S. 7-28) Und die­ser Be­fund gilt bis heute: Denn weder sinkt mit jeder tech­no­lo­gi­schen Ma­schi­nen-In­no­va­ti­on die zu leis­ten­de Ar­beits­men­ge, noch schrumpft die Ab­sorp­ti­ons­kraft des Ar­beits­mark­tes. Noch nie zuvor wurde so viel ge­ar­bei­tet und noch nie ar­bei­te­ten so viele für so wenig Lohn wie heute.

Warum aber soll immer noch mehr ge­ar­bei­tet wer­den, wenn die Ar­beits­leis­tung immer grö­ßer ge­wor­den, also schon groß genug ist? An­ge­sichts die­ses ›Pro­duk­ti­vi­täts­pa­ra­do­xes‹ (Ste­phan Les­se­nich) er­scheint die For­de­rung nach einem ›Recht auf Ar­beit‹ als ir­ra­tio­nal und die nach einem ›Recht auf Faul­heit‹ als ra­tio­nal. So be­trach­tet, gibt es gute Grün­de, die Ar­beits­ge­sell­schaft und ihre »Liebe zur Ar­beit« als »ra­sen­de Ar­beits­sucht« oder als Psy­cho­pa­tho­lo­gie zu dia­gnos­ti­zie­ren, die die »Le­bens­en­er­gie des Ein­zel­nen und sei­ner Nach­kom­men« (Paul La­far­gue: Das Recht auf Faul­heit, in der­sel­be, Das Recht auf Faul­heit und an­de­re Sa­ti­ren, Ber­lin 1986, S.31) rui­niert, oder, wie wir heute sagen wür­den, den Mas­sen-Burn Out ge­ne­riert.

Und La­far­gue emp­fiehlt eine ein­fa­che Ver­hal­tens­the­ra­pie: Ar­bei­tet we­ni­ger, kon­su­miert mehr und ge­nie­ßt mehr freie Zeit! Sein Rat, immer mal wie­der von mu­ti­gen, aber er­folg­lo­sen Ge­werk­schaf­tern auf­ge­grif­fen, ging auf Ra­tio­nie­rung aus: ›Man muss, um Ar­beit für alle zu haben, sie ra­tio­nie­ren wie Was­ser auf einem Schiff in Not.‹

Die Rea­li­sie­rung die­ses ar­beits­diä­te­ti­schen Vor­schlags läuft al­ler­dings auf eine Re­vo­lu­ti­on der Ar­beits­ge­sell­schaft und ihres ar­beits­zen­trier­ten Zeit­re­gimes hin­aus. Wir ma­chen uns sel­ten klar, dass wir 8 Stun­den ›durch-‹schla­fen und 8 plus n-Stun­den ›durch-‹ar­bei­ten sol­len, dass wir un­se­re Kin­der ohne Not um 6 Uhr aus dem Bett schre­cken, um sie vor 8 Uhr in der Frühe in die Schu­le zu het­zen. Wir ma­chen uns also sel­ten klar, dass un­se­re Le­bens­zeit he­te­ro­nom ge­tak­tet und einem ri­gi­den Zeit­re­gime un­ter­wor­fen ist, das sich letzt­lich vom ka­pi­ta­lis­ti­schen Be­trieb und sei­ner Ef­fi­zi­enz­ver­ses­sen­heit her­lei­tet. Und auch hier be­geg­nen wir einem Pa­ra­dox, dem ›Zeit­pa­ra­dox‹: Noch nie war der All­tag – Haus­halt, bin­dungs­pfle­gen­de Kom­mu­ni­ka­ti­on und not­wen­di­ge Ar­beit – tech­no­lo­gisch der­art zeit­spa­rend zu be­wäl­ti­gen und noch nie zuvor klag­ten die Men­schen der­art über Zeit­knapp­heit. Die sub­jek­ti­ve Emp­fin­dung von Zeit­ver­lust bei ob­jek­ti­vem Zeit­zu­ge­winn geht so weit, dass Zeit­not­stand zum ob­jek­ti­ven Sta­tus­merk­mal ar­ri­viert: Wer ihn mit­teilt, er­hält Ver­ständ­nis und Zu­stim­mung, wer ihn nicht teilt, ir­ri­tiert und lebt ver­kehrt.

Lebt ver­kehrt? Ja, gerät unter den Ver­dacht, sein Leben sub­op­ti­mal zu or­ga­ni­sie­ren und die Fülle in­di­vi­du­el­ler Ge­stal­tungs­chan­cen un­ge­nutzt zu las­sen, also seine Zeit mit un­öko­no­mi­schem, un­ver­wert­ba­rem Nichts­tun zu ver­geu­den, vulgo: zu ver­fau­len­zen. Eine sol­che fau­lenzi­sche Zeit­ver­wen­dung aber wird heute als Zeit­ver­schwen­dung stig­ma­ti­siert. Schon Nietz­sche sah das in der Fröh­li­chen Wis­sen­schaft sehr scharf: »Man schämt sich jetzt schon der Ruhe; das lange Nach­sin­nen macht bei­na­he Ge­wis­sens­bis­se. Man denkt mit der Uhr in der Hand, wie man zu Mit­tag ißt, das Auge auf das Bör­sen­blatt ge­rich­tet – man lebt wie einer, der fort­wäh­rend etwas ›ver­säu­men könn­te‹…« ( Fried­rich Nietz­sche: Fröh­li­che Wis­sen­schaft, Frank­furt/M. 1982, 329­tes Stück, Muße und Mü­ßig­gang, S. 203) So ge­se­hen hat die Rück­ge­win­nung der Ver­fü­gung über die ei­ge­ne Le­bens­zeit das Zeug zur re­vo­lu­tio­nä­ren Ak­ti­on. Und auf wel­che Weise könn­te eine sol­che ef­fek­ti­ver ver­wirk­licht wer­den als durch Fau­len­zen?

La­far­gue schlägt kon­kret 3 Stun­den Ar­beit pro Tag vor, den Rest zur frei­en Ver­fü­gung. Auf diese Weise wür­den die Ver­hält­nis­se wie­der ins rich­ti­ge Ver­hält­nis ver­kehrt: Dann leb­ten wir nicht, um zu ar­bei­ten, son­dern ar­bei­te­ten, um zu leben! Und das ist, mit Ver­laub, keine uto­pi­sche Träu­me­rei! Ver­sucht uns die Eth­no­gra­phie doch schon seit eh und je na­he­zu­brin­gen, dass die Men­schen in Samm­ler-Jä­ger-Ge­sell­schaf­ten we­sent­lich ent­spann­ter als in den mo­der­nen High-Tech- und so ge­nann­ten Hoch­kul­tur-Ge­sell­schaf­ten leben. Sie sam­meln und jagen im Durch­schnitt 2 bis 3 Stun­den täg­lich und ver­brin­gen den Rest der Zeit in einem »mu­ßein­ten­si­ven Zu­stand, der, was vie­len nicht be­wusst ist, der na­tür­li­che ist.« (Ire­nä­us Eibl-Ei­bels­feld: Men­schen­for­schung auf neuen Wegen. Die na­tur­wis­sen­schaft­li­che Be­trach­tung kul­tu­rel­ler Ver­hal­tens­wei­sen. Wien/Mün­chen/Zü­rich 1976, S. 267) Und dabei man­gelt es den Jä­gern und Samm­lern an kei­nem der er­näh­rungs­phy­sio­lo­gisch wich­ti­gen Nähr­stof­fe wie Pro­te­ine, Vit­ami­ne und Ka­lo­ri­en, son­dern ganz im Ge­gen­teil, sie sind bes­tens mit ihnen ver­sorgt und leben recht ei­gent­lich »sa­lu­to­ge­ne­tisch«: »In Samm­le­rin­nen- und Jä­ger­kul­tu­ren, die im­mer­hin das Gros der mensch­li­chen Ge­schich­te (rund 3 Mil­lio­nen Jahre) aus­ma­chen, hatte man also nicht nur aus­rei­chend und gut zu leben, son­dern ver­füg­te auch über eine ab­so­lut voll­wer­ti­ge Kost… Ärzt­li­che Un­ter­su­chun­gen er­ga­ben, daß ihre Er­näh­rung nicht nur voll aus­rei­chend, son­dern auch op­ti­mal zu­sam­men­ge­setzt war und sie in­fol­ge­des­sen über eine her­vor­ra­gen­de Ge­sund­heit ver­füg­ten. An Ar­beit brauch­ten sie dafür le­dig­lich 2 Stun­den pro Tag auf­zu­wen­den.« ( Zi­tiert nach Klaus E. Mül­ler, Klei­ne Ge­schich­te des Es­sens und Trin­kens. Vom of­fe­nen Feuer zur Haute Cui­sine. Mün­chen, 2009, S.22)

Unter sol­cher­ma­ßen zu­recht­ge­rück­ten Zeit­pro­por­tio­nen würde sogar Ar­bei­ten wie­der at­trak­tiv, man muss es nur von der fau­lenzi­schen Le­bens­form her ins Per­spek­tiv neh­men. Denn zeit­lich re­du­ziert, würzt Ar­beit die Exis­tenz und wird zu einer der Ver­gnü­gun­gen der Faul­heit, zu einer »dem ge­sell­schaft­li­chen Or­ga­nis­mus nütz­li­che(n) Lei­den­schaft.» (La­far­gue a.a.O., S.22) Das Pro­blem dabei ist, wie bei allem, was gut und schön zu­gleich ist, dass mög­li­ches und schö­nes Glück die Leute eher über­for­dert als wirk­li­ches und häss­li­ches Elend. So mein­te schon Paul La­far­gue mit Blick auf die Än­de­rung die­ses fal­schen Be­wusst­seins der Ar­bei­ter­klas­se, genau dies sei »eine schwie­ri­ge Auf­ga­be, die meine Kräf­te über­steigt.« (ebd., S.26)

Und wie recht La­far­gue hatte! Aus der Ar­bei­ter­klas­se wurde keine Fau­lenz­er­klas­se. Weder der So­wjet­kom­mu­nis­mus noch die deut­sche So­zi­al­de­mo­kra­tie be­wie­sen welt­his­to­ri­sche Klas­se, als sie die Chan­ce dazu hat­ten, son­dern beide setz­ten alles daran, die per­ma­nen­te Stei­ge­rung der Ar­beits­leis­tung im Wett­be­werb der Sys­te­me zu glo­ri­fi­zie­ren, zu he­roi­sie­ren, ja zu ver­göt­tern. So wurde nicht nur im ame­ri­ka­ni­schen Tay­lo­ris­mus jeder als Bumm­ler und Fau­len­zer kri­mi­na­li­siert, der im Ar­beits­tem­po zu­rück­blieb. Auch in der sta­li­nis­ti­schen Fa­brik wurde Bum­meln, also eine dem la­bo­ris­ti­schen Schuf­ten ab­ge­trotz­te Mi­nia­tur­form des Fau­len­zens scharf ver­ur­teilt, wie etwa ein Be­richt des Ly­ri­kers Ser­gej M. Tret­ja­kow zeigt, der 1937 selbst als Opfer einer sta­li­nis­ti­schen ›Säu­be­rungs­ak­ti­on‹ hin­ge­rich­tet wurde. Tret­ja­kow schrieb 1931 ganz eu­pho­risch über ein in­ner­be­trieb­li­ches Tri­bu­nal »Ar­bei­ter rich­ten über Ar­bei­ter«, das den Ar­bei­ter Ale­xej Bal­du­in aus der Fa­brik aus­schloss, weil er das Ar­beits­tem­po nicht hal­ten konn­te und mit 50 Pro­zent unter dem Plan­soll ge­blie­ben war: »Nie­der mit den Faul­pel­zen! Nie­der mit den Si­mu­lan­ten in der Fa­brik! Hoch die Kämp­fer an der Auf­bau­front, die Ver­wirk­li­cher der Ideen des Le­ni­nis­mus, die Stoßb­rigad­ler!« (Ser­gej M. Tret­ja­kow: Eine Sache der Ehre – eine Sache des Ruh­mes, in: Gerd Stein: Lum­pen­pro­le­ta­ri­er-Bon­ze-Held der Ar­beit. Ver­rat und So­li­da­ri­tät. Kul­tur­fi­gu­ren und So­zi­al­cha­rak­te­re des 19. Und 20. Jahr­hun­derts Band 5. Frank­furt/M.1985, S.258) Und die­sel­be stig­ma­ti­sie­ren­de Ten­denz gegen das Fau­len­zen setz­te sich in der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Re­form des Ar­beits­mark­tes fort, die der So­zi­al­de­mo­krat und Ex-Bun­des­kanz­ler Ger­hard Schrö­der, heute Lob­by­ist des rus­si­schen En­er­gie­ka­pi­tals, 2001 in einem Bild-In­ter­view mas­sen­wirk­sam zum Aus­druck brach­te: ›Es gibt kein Recht auf Faul­heit in un­se­rer Ge­sell­schaft.‹

In­so­fern ist im Hin­blick auf einen ge­sell­schaft­li­chen Ge­sin­nungs­wan­del in Sa­chen Fau­len­zen mehr als Skep­sis an­ge­sagt, wenn schon die Ver­tre­ter der Ar­beit sich mit denen des Ka­pi­tals darin einig sind, dass wir mehr und immer mehr statt we­ni­ger ar­bei­ten sol­len. Schär­fer denn je wird das Fau­len­zen ver­folgt und so­zi­al­mo­ra­lisch sank­tio­niert, und genau daran ist seine An­schluss­un­taug­lich­keit schuld, die im Fau­len­zen sich ma­ni­fes­tie­ren­de Ver­wer­tungs­ver­wei­ge­rung, wel­che der Ar­beit als prio­ri­tä­rer Sinn­stif­te­rin die An­er­ken­nung ver­wei­gert. Die Ar­beits­sucht herrscht vor und es ver­hält sich mit ihr so, wie Lud­wig Börne das mit Blick auf die po­pu­lä­re Ver­eh­rungs­sucht der ›Gro­ßen Män­ner‹ be­klag­te, die Län­der und Völ­ker mit Krieg über­zie­hen und Mas­sen von Men­schen ihrer un­er­sätt­li­chen Ruhm­sucht zu op­fern be­lie­ben: ›Daß doch die wahn­sin­ni­gen Men­schen immer am meis­ten lieb­ten, was sie am meis­ten hät­ten ver­ab­scheu­en soll­ten!‹

Doch viel­leicht hängt diese ein­ge­fleisch­te Feind­schaft gegen das Fau­len­zen auch damit zu­sam­men, dass bis­lang kaum phä­no­me­no­lo­gi­sche Er­kun­dun­gen in seine süß-sanf­ten Ge­fil­de vor­lie­gen? Viel­leicht braucht es hier mehr Auf­klä­rung, um die Leute auf den Ge­schmack zu brin­gen. Denn das ist ein De­si­de­rat, an dem sich weder La­far­gue noch sonst einer ex­pli­zit ver­sucht hätte. In ihren Träu­men, My­tho­lo­gi­en und Kos­mo­lo­gi­en al­ler­dings, in den ver­kehr­ten Wel­ten, den Pa­ra­die­sen und Schla­raf­fen­län­der haben die Men­schen schon immer in den Ge­gen­wel­ten des Fau­len­zens ge­schwelgt. Es kommt aber nicht dar­auf an, eine sol­che Welt nur zu fan­ta­sie­ren, son­dern sie zu rea­li­sie­ren! (Siehe hier­zu aus­führ­lich Mir­cea Elia­de, Die Ge­schich­te der re­li­giö­sen Ideen, Frei­burg i.​Br., 2002.) Daher ist der nächs­te Ab­schnitt un­se­rer klei­nen Ein­la­dung zur Fau­len­ze­rei der Phä­no­me­no­lo­gie oder der Sinn­struk­tur des Fau­len­zens ge­wid­met.

Im Lie­gen nach Lust und Laune. Fau­len­zen als wer­tra­tio­na­les Tun

Den vo­ri­gen Ar­gu­men­ta­ti­ons­fa­den wie­der auf­neh­mend, wird hier die Sinn­struk­tur des Fau­len­zens hand­lungs­theo­re­tisch ge­fasst. Wäh­rend Fau­len­zen bis­her als Un­ter­las­sen von Zweck­ra­tio­na­li­tät the­ma­tisch wurde, also quasi ex ne­ga­tivo, soll es im Wei­te­ren po­si­tiv be­stimmt wer­den. Ne­ga­tiv ist Fau­len­zen als Hand­lungs­ty­pus nicht als Nichts-Tun, son­dern als ak­ti­ves Nicht-Tun zu ver­ste­hen. Po­si­tiv ist Fau­len­zen dem­ge­gen­über ein Han­deln, das ra­di­kal wer­tra­tio­nal ori­en­tiert ist, soll hei­ßen, wer fau­lenzt, tut etwas um sei­nes »Eigen-wert(es)« (Weber, a.a.O., S.12) wil­len, und zwar »…un­ab­hän­gig vom Er­folg.« (ebd.) Die Frage ist, was die­ses ei­gen­wer­ti­ge Tun ei­gent­lich ist und worin es sich äu­ßert? Was ist es, das den Reiz des Fau­len­zens aus­macht und von denen ge­sucht wird, die Fau­len­zen um sei­ner selbst wil­len immer wie­der zu tun wün­schen? Ant­wort: Das Ei­gen­wer­ti­ge des Fau­len­zens, die spe­zi­fi­sche Qua­li­tät sei­nes Tuns er­gibt sich aus sei­ner Ei­gen­sin­nig­keit.

Ist das Un­ter­las­sen von Zweck­ra­tio­na­li­tät ge­wis­ser­ma­ßen die not­wen­di­ge Be­din­gung zum Fau­len­zen, so ist die Ori­en­tie­rung an Ei­gen­sin­nig­keit die hin­rei­chen­de, die ganz we­sent­lich für die fau­lenzi­sche An­schluss­un­taug­lich­keit kon­sti­tu­tiv ist.

Not­wen­di­ge Be­din­gung des Fau­len­zens ist der Rück­zug aus der So­zia­li­tät, aus Ge­sell­schaft und Ge­mein­schaft und aus ihren Ver­ge­sell­schaf­tungs- und Ver­ge­mein­schaf­tungs­zu­mu­tun­gen. Indem wir uns aus der So­zia­li­tät zu­rück­zie­hen, tun wir den letz­ten Schritt weg von den An­de­ren und den ers­ten hin zu uns selbst. Die­ses gänz­lich un­mi­li­tä­ri­sche, also nicht über­has­te­te Re­ti­re­ment um­fasst nicht nur die be­spro­che­ne Ver­wer­tungs­ver­wei­ge­rung ge­gen­über dem ok­zi­den­ta­len La­bo­ris­mus, son­dern in einem ganz ele­men­ta­ren Sinne auch den Rück­zug aus den Sinn­zu­sam­men­hän­gen und Sys­tem­s­e­lek­tio­nen des so­zia­len Le­bens und des­sen Er­war­tungs­zu­mu­tun­gen, die uns sei­tens der An­de­ren, der Grup­pen, der Or­ga­ni­sa­tio­nen, kurz: der Ge­sell­schaft an­ge­son­nen wer­den.

Im be­rufs­ar­beits­ge­stress­ten Abend­land fau­lenzt es sich am bes­ten und schöns­ten al­lei­ne, indem wir uns jeg­li­cher ›Um-zu-Mo­ti­ve‹ ent­le­di­gen und an­spruchs­vol­ler An­er­ken­nungs­er­war­tun­gen sei­tens an­de­rer ent­pflich­ten. Erst so sind wir be­freit genug, die Pfor­te zu un­se­ren Lau­nen, zur ei­ge­nen Kon­tin­genz und damit zum ei­gent­li­chen ›Ter­ri­to­ri­um des Selbst‹ (Er­ving Goff­man) zu durch­schrei­ten und ihnen um ihrer selbst wil­len vol­ler Be­ha­gen be­wusst zu ob­lie­gen, kurz: zum ei­gen­sin­ni­gen Fau­len­zer zu wer­den.

Diese Ei­gen­sin­nig­keit des Fau­len­zens be­steht im Drang zum Eig­ner der ei­ge­nen Ei­gen­heit zu wer­den und auf diese Weise den ech­ten und rech­ten Ei­gen­sinn frei­zu­set­zen. Denn im so­zia­li­täts­ent­las­te­ten Rück­zug wird der fau­len­zen­de Ein­zi­ge zu sei­nem Ei­gen­tum, und es ist der lau­ni­sche Fau­len­zer, der Max Stir­ner vor­ge­schwebt haben muss, da nur fau­lenzi­sche Men­schen mit vol­lem Recht von sich be­haup­ten kön­nen, dass sie ihre »Sach’ auf Nichts ge­stellt« (zi­tiert nach der Re­clamaus­ga­be, Stutt­gart 1972, S.412) haben, mit an­de­ren Wor­ten, auf nichts als den ei­ge­nen und da­durch ein­zi­gen Sinn. So die ul­tra­kur­ze Quint­es­senz des Bu­ches von Max Stir­ner Der Ein­zi­ge und sein Ei­gen­tum, die im Ori­gi­nal lau­tet: »Ich hab’ mein Sach’ auf Nichts ge­stellt«. Fau­len­zen ist ei­gent­lich der Zu­stand, den Max Stir­ner im Sinn ge­habt haben muss. Kein Wun­der also, dass ihn die Pro­gres­si­ven wie die Kon­ser­va­ti­ven an­ge­fein­det haben, bis heute.

Ei­gen­sin­nig un­ter­las­sen Fau­len­zer alles He­te­ro­no­me und tun alles Au­to­no­me, sie tun nur das, was ihnen ak­tu­ell in den Sinn kommt und ge­nie­ßen genau die­ses um sei­nes Sin­nes wil­len, ohne sich um des­sen Vor­aus­set­zun­gen und Fol­gen zu sor­gen. So er­weist sich der Ei­gen­sinn fau­lenzi­schen Tuns in der Hin­ga­be an die Laune des Au­gen­blicks, aus der das spe­zi­el­le fau­lenzi­sche Be­ha­gen, die­ses köst­li­che Sich-Trei­ben­las­sen, die­ses Ein­stei­gen in und Aus­stei­gen aus dem Be­wusst­seins­strom, das Chan­gie­ren zwi­schen Ge­dan­ken­lo­sig­keit und Be­sinn­lich­keit, zwi­schen Dif­fu­si­on und Kon­zen­tra­ti­on ent­sprin­gen, be­glei­tet von un­an­ge­streng­ter mo­to­ri­scher Mi­ni­mal­ak­ti­on, um die Glie­der zu deh­nen, die op­ti­mals­te Lo­cke­rung zu er­zie­len und so das per­fek­te La­ge­opti­mum ein­zu­neh­men.

Fau­len­zen ist somit we­sent­lich ak­tua­lis­tisch be­stimmt, d.h. durch die Nei­gungs­frei­heit, einem Tun und Las­sen ein­zig aus ak­tu­el­ler Lust und Laune zu fol­gen. Tun und Las­sen nach Lust und Laune heißt, so lange etwas tun, als die Auf­merk­sam­keit, das Quan­tum an lust­vol­ler En­er­gie, das es auf­ge­regt hat, sich ver­braucht, also so lange auf dem Kla­vier klim­pern, in der Ga­ra­ge herum wer­keln, Mu­sik­hö­ren, TV glot­zen und es lau­fen las­sen, bis uns etwas An­de­res ein­fällt, das sich gut an­fühlt und dem wir darum fol­gen wol­len. Das läuft auf ra­di­kal sub­jek­ti­vier­te, also po­si­tiv ge­wen­de­te idio­syn­kra­tri­sche Kon­tin­genz hin­aus, auf die pure Lust an der ei­ge­nen Laune.

Im Reich des Fau­len­zens also keh­ren wir ei­gen­sin­nig bei uns sel­ber ein, beim ent­spann­ten, sich selbst über­las­se­nen ›Ich‹ und sei­nem ei­ge­nen und ein­zi­gen Sinn­be­reich. Aus einem Un­ter­tan der ›Über-Ich-In­stan­zen‹ und aus einem Spiel­zeug des ›Es‹, das unter dem Druck des la­bo­ris­ti­schen Re­gimes ver­ständ­li­cher­wei­se auf Wi­der­spens­tig­keit schal­tet, ma­chen wir fau­len­zend einen in­ter­es­se­lo­sen, weil selbst­in­ter­es­sier­ten, einen selbst­be­stimm­ten, weil mit sich in Über­ein­stim­mung ge­kom­me­nen, ein­zi­gen Eig­ner der ei­ge­nen Ei­gen­heit aus uns, wie sich das Max Stir­ner nicht schö­ner hätte wün­schen kön­nen.

Aus der ra­di­ka­len Ori­en­tie­rung am Ei­gen­sinn er­gibt sich schlie­ß­lich auch ein spe­zi­el­les Ver­hält­nis zu Zeit, die plötz­lich wie­der sub­jek­tiv wird, also ganz mir und nicht mehr den an­de­ren und den Sys­te­men ge­hört. Fau­len­zen er­öff­net die Chan­ce, auf das Er­le­ben eines ab­so­lu­ten Hier und Jetzt, ent­las­tet von Ver­gan­gen­heit und Zu­kunft. Im Fau­len­zen ge­win­ne ich mir die Ge­gen­wart zu­rück, in der wir wie Kin­der von einem zum nächs­ten Ein­fall stol­pern, sprin­gen, tau­meln, einer Laune nach der an­de­ren nach­ge­bend. So er­mög­licht der ak­ti­ve Rück­zug auf uns selbst die Re-Sub­jek­ti­vie­rung der Zeit und er­öff­net mir auch die Chan­ce auf Hal­tun­gen und auf ein Tun, das sich aus­schlie­ß­lich an dem ori­en­tie­ren kann, was mir ge­ra­de ein­fällt.

Sind damit es­sen­ti­el­le Züge des fau­lenzi­schen Geis­tes, der Fau­len­zer-Men­ta­li­tät be­schrie­ben, zeigt ein Blick in die Ety­mo­lo­gie eine wei­te­re we­sent­li­che Ei­gen­tüm­lich­keit des fau­lenzi­schen Han­delns, die für die von Fau­len­zern an­ge­wen­de­te ›Kör­per­tech­nik‹ (Mar­cel Mauss) cha­rak­te­ris­tisch ist, und das ist die Mo­del­lie­rung der Kör­per­hal­tung nach der Idee der Ho­ri­zon­ta­li­tät. Denn Fau­len­zer su­chen doch am liebs­ten eine Lage auf, die mehr Be­quem­lich­keit bie­tet als Sit­zen und Ste­hen, und die fin­den sie im Lie­gen.

Das zu­min­dest be­stä­tigt seine Ety­mo­lo­gie. Im Fau­len­zen ste­cken das ›Fau­len‹ und das ›Len­zen‹. Mit Len­zen ist die ty­pi­sche Raum­la­ge des fau­len­zen­den Kör­pers be­zeich­net, der sich im ›hin­ge­streck­ten Ruhen‹, in einer Kör­per­hal­tung der Kom­fort­la­ge­rung der tä­tig­keits­ent­las­te­ten Ho­ri­zon­ta­len be­fin­det. (Vgl. Grimm­sches Wör­ter­buch)

Der Rück­zug aus der So­zia­li­tät ist somit auch ein Rück­zug aus der Ver­ti­ka­li­täts­zu­mu­tung des auf­rech­ten Gan­ges, ein Rück­zug aus der von Peter Slo­ter­di­jk so ge­nann­ten Ver­ti­kal­span­nung und ein Ein­zug in die faul­heits­in­du­zier­te Ho­ri­zon­ta­l­ent­span­nung.

Ein schö­nes Bei­spiel für fau­lenzi­sche Ho­ri­zon­ta­li­tät gibt Gil­bert Keith Ches­ter­ton in sei­nem Essay über das Im-Bett-Lie­gen-Blei­ben. (in: der­sel­be, Ball­spiel mit Ideen, klei­ne Prosa, Frei­burg/Basel/Wien 1963, S.120-123) Dem op­ti­schen Sinn des in­ter­es­se­los in der Ho­ri­zon­ta­le Ge­bet­te­ten öff­nen sich Di­men­sio­nen, die den Lau­fen­den oder Sit­zen­den nicht ohne an­ge­streng­te Abs­trak­tio­nen zu­gäng­lich sind. Lie­gend neh­men die Augen die Decke über dem Boden, den Him­mel über der Erde, die ge­wölb­te Weite über der pla­nen Flä­che wahr und über­schrei­ten die vi­su­el­le Pro­fa­ni­tät des Ge­er­de­ten und Zu­han­de­nen, das den Blick nicht er­holt, son­dern mit sei­nen rea­lis­ti­schen Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten be­un­ru­higt und durch die Dis­har­mo­ni­en der For­men be­läs­tigt. Ho­ri­zon­ta­li­tät ge­währt so eine op­tisch ver­mit­tel­te Ah­nung von Tran­szen­denz. Mit an­de­ren Wor­ten: Im Bett ist alles wett, weil wir erst lie­gend ganz bei uns sind und so gleich­zei­tig ohne An­stren­gung, ohne Ziel, in der Schau des un­be­grenz­ten Rau­mes über uns uns über­schrei­ten.

Zwar ist die Ho­ri­zon­ta­li­täts­kom­po­nen­te für rei­nes Fau­len­zen es­sen­ti­ell, den­noch kann auch sit­zend im Lehn­stuhl, ste­hend am Fens­ter und mehr lust­wan­delnd als ge­hend im Gar­ten ge­fau­lenzt wer­den. Doch ber­gen diese auf­rech­ten Hal­tungs­ar­ten das Ri­si­ko aller Ver­ti­ka­li­tät, leich­ter in den Gel­tungs­be­reich des Tä­tig­wer­dens oder gar des Ar­bei­tens ab­zu­drif­ten oder ge­walt­sam hin­ein­ge­zo­gen zu wer­den. Denn, wäh­rend das Fau­len­zen im Ide­al­fall das auf­rech­te Um­her­wan­dern lässt und sich ganz dem lau­ni­schen Lie­gen­blei­ben an­heim gibt, er­for­dert schon der Mü­ßig­gang Be­we­gun­gen in der Ver­ti­ka­li­tät und ver­lei­tet un­will­kür­lich dazu, die ho­ri­zon­ta­le Kom­fort­la­ge­rung des Fau­len­zens auf­zu­ge­ben.

Vom fau­lenzi­schen Ho­ri­zon­ta­li­täts­stand­punkt aus ge­se­hen ist der reine Mü­ßig­gang nur eine tem­po­rär be­fris­te­te Op­ti­on, ein ent­spann­tes Sich-Auf­rich­ten auf Zeit, die nicht mit Fla­nie­ren oder mit Pro­me­nie­ren zu ver­wech­seln ist. Denn beide Ver­ti­kal­for­men gehen ge­ra­de nicht auf ei­gen­sin­ni­ges Fau­len­zen nach Lust und Laune, son­dern auf die ur­ba­ne Übung von Sta­tus­de­mons­tra­ti­on aus, frem­de An­er­ken­nung hei­schend und nicht ei­gen­sin­ni­ges An­eig­nen der ei­ge­nen Ein­zig­ar­tig­keit pfle­gend.

Au­ßer­dem macht Ver­ti­ka­li­tät in jed­we­der Form ex­po­nier­ter als Ho­ri­zon­ta­li­tät und setzt uns Adres­sie­run­gen aller An­de­ren aus, die immer etwas von uns wol­len, also letzt­lich uns von uns weg auf ihre In­ter­es­sen, Zwe­cke, Ziele hin ent­fer­nen wol­len. Dies alles sind ge­läu­fi­ge Macht­spiel­chen, in die ver­strickt zu wer­den, die fau­lenzi­sche Hal­tung kei­nen Wert legen kann.

Al­ler­dings kön­nen sonst sehr ar­beit­sa­me Men­schen, die be­wusst fau­len­zen, im fau­lenzi­schen Zu­stand, beim mü­ßi­gen Um­her­wan­deln, Her­um­flät­zen und Rum­ste­hen mit man­cher Über­ra­schung rech­nen. So sind so­wohl die ho­ri­zon­ta­le Kom­fort­la­ge­rung als auch das ver­ti­ka­le Um­her­wan­deln und ihre Af­fi­ni­tät zur Ei­gen­sin­nig­keit und Laune sehr gute Sti­mu­li für Geis­tes­blitz und Ein­fall, die die Hirn­mar­ter am Schreib­tisch und beim re­gel­rech­ten Ar­bei­ten scheu­en, son­dern nur »kom­men, wenn es ihnen, nicht, wenn es uns be­liebt…bei einer Zi­gar­re auf dem Ka­na­pee…beim Spa­zier­gang auf lang­sam stei­gen­der Stra­ße, oder ähn­lich, je­den­falls aber dann, wenn man sie nicht er­war­tet…«. (Max Weber, Wis­sen­schaft als Beruf, S.590) Nicht als Folge me­tho­di­scher Be­mü­hung und schwe­rem Grü­beln am Schreib­tisch, son­dern mü­ßig­gän­ge­risch oder mü­ßi­glie­gend fällt über­haupt etwas ein. Ein­fäl­le las­sen sich nicht be­feh­len, son­dern ge­sche­hen von selbst, wo nichts He­te­ro­no­mes sie er­war­tet, um sie an Zwe­cke bin­den und ihrer Au­ra­ti­zi­tät be­rau­ben zu wol­len. Genau dies aber ver­hü­tet die fau­lenzi­sche At­mo­sphä­re der Ei­gen­sin­nig­keit und Lau­nen­haf­tig­keit, wo alles, was kommt, um sei­ner selbst wil­len Wert­schät­zung und An­er­ken­nung un­ein­ge­schränkt er­fährt. Und nichts über­zeugt no­to­ri­sche Ar­bei­ter mehr vom Fau­len­zen als die nur noch auf sei­nem Boden er­leb­ba­re Er­fah­rung, dass nicht me­tho­di­sches und kal­ku­la­to­ri­sches, letzt­hin tech­ni­sches Han­deln die be­gehr­te In­no­va­ti­on und das Neue be­wusst her­vor­lockt, son­dern ge­ra­de die Un­ter­las­sung sei­ner und das ei­gen­sin­nig ein­zi­ge Sich-Ge­hen-Las­sen.

Prin­zi­pi­ell lässt sich in der Ho­ri­zon­ta­len da­ge­gen struk­tu­rell nicht viel Er­werbs­mä­ßi­ges aus­füh­ren, al­len­falls Ge­werbs­mä­ßi­ges wie das etwas zy­nisch als ›ho­ri­zon­tal‹ be­zeich­ne­te Ge­wer­be, eine der de­mü­ti­gends­ten und an­stren­gends­ten Ar­beits­wei­sen, oder aber Kunst­ge­werbs­mä­ßi­ges wie das De­cken­ma­len, das wir von Mi­che­lan­ge­lo her ken­nen oder vom KFZ-Me­cha­ni­ker, der auf dem Roll­brett un­term PKW liegt und ihn re­pa­riert – lau­ter ex­tre­me Zu­mu­tun­gen an Kör­per und Geist und Seele, in denen der La­bo­ris­mus die Ho­ri­zon­ta­le ap­pro­pri­iert und sich als das ent­larvt, was er ver­ti­kal schon immer war und ist, ob­wohl nicht mehr als sol­ches wahr­ge­nom­men, Müh­sal, Er­nied­ri­gung, Tor­tur.

Nach all dem Po­si­ti­ven des Fau­len­zens regt sich die Frage: Wo bleibt das Ne­ga­ti­ve? Auch hier hilft die Se­man­tik wei­ter, die das ›Fau­len‹ als zwei­tes Be­deu­tungs­stück mit dem ›Len­zen‹ ver­bin­det und auf die eine Ge­fahr auf­merk­sam macht, die ra­di­ka­len Fau­len­zern dro­hen kann, auf den Zer­fall, die Zer­set­zung im Sinne von etwas Schlech­tem, Fal­schem, Schlim­mem, Üblem. Davon weiß auch Ei­chen­dorffs be­rühm­ter Tau­ge­nichts zu be­rich­ten, der nach ta­ge­lan­gem Nichts-Tun zu der Emp­fin­dung ge­langt, ›…als würde ich vor Faul­heit noch ganz aus­ein­an­der­fal­len.‹ Diese Pa­tho­lo­gie der Selbst­auf­lö­sung kommt in Gang, wenn fau­lenzi­sches Nicht-Tun mit pa­tho­lo­gi­schem Nichts-Tun ver­wech­selt wird, wenn Fau­len­zen also nicht auf an­ge­neh­me, ei­gen­sin­ni­ge Zu­stän­de führt, son­dern von ihnen ab, auf un­an­ge­neh­me Leere wie Lan­ge­wei­le, Me­lan­cho­lie oder schlim­mer noch auf De­pres­si­on.

Fau­len­zen, so zeigt sich hier­an, ist nicht ohne Ge­fahr. Dies gilt be­son­ders für die unter uns, wel­che zwar wie wir alle auch vom ›stäh­ler­nen Ge­häu­se‹ (Max Weber) des ok­zi­den­ta­len La­bo­ris­mus um­schlos­sen sind, aber sich in einem Maße wi­der­stands­los und af­fir­ma­tiv von ihm in Be­sitz neh­men las­sen, dass sie als Workaho­lics und Ma­ni­ker des Schuf­tens in den Tret­müh­len und Lauf­rä­dern der Ar­beit enden müs­sen. Sie müs­sen sich das Fau­len­zen ver­nei­nen, um durch­zu­hal­ten, und als Folge es nur mehr auf la­bo­ris­ti­sche Weise aus­hal­ten, ihr Leben. Ro­land Barthes sieht und be­dau­ert genau dies an sich selbst. In einer Art Selbst­dia­gno­se bringt er das in wün­schens­wer­ter Klar­heit auf den Punkt: »Ich wäre ver­sucht zu sagen, daß ich der Faul­heit in mei­nem Leben gar kei­nen Platz ein­räu­me, und darin liegt der Feh­ler. Ich emp­fin­de das als Man­gel, als ein Un­recht.« (Ro­land Barthes, Mut zur Faul­heit, in: David Dil­mag­ha­ni/Nas­si­ma Sa­haoui, Klei­ne Phi­lo­so­phie der Faul­heit, Frank­furt/M., S.159f.) Genau: Im La­bo­ris­mus gibt es bloß schuld­haf­tes Fau­len­zen, das see­lisch schmerzt und lei­den macht. Im herr­schen­den La­bo­ris­mus feh­len die Kraft und die Frei­heit zum Fau­len­zen, die uns von der Krip­pe an und so über alle ge­sell­schaft­li­chen Agen­tu­ren ab­so­zia­li­siert wird. »Wenn Sie wol­len«, so Ro­land Barthes im näm­li­chen In­ter­view, »bin ich un­fä­hig, Mü­ßig­gang…in mein Leben ein­zu­be­zie­hen. Außer den Freun­den lasse ich nur mür­ri­sche Faul­heit hin­ein.« (ebd.)

So setzt das Fau­len­zen unter mo­der­nen Kul­tur­be­din­gun­gen Selbst­kennt­nis und Selbst­ge­spür vor­aus, also die Fä­hig­keit, Lau­nen und Ein­fäl­le zu schme­cken und zu be­ur­tei­len und ihnen Ab­hil­fe zu schaf­fen, falls sie üble und schlech­te Stim­mun­gen ma­chen, die letzt­lich der Ar­beits­stress uns ein­brockt, und uns wie böse Träu­me bis ins In­ners­te der fau­lenzi­schen Ho­ri­zon­ta­len nach­hän­gen. Auf die­sem Feld er­weist sich Fau­len­zen als Frei­zeit­schu­le der Selbst­er­kennt­nis, indem es uns die Er­fah­rung des schein­bar grund­lo­sen Lei­dens zeigt und uns zu­gleich eine Übung darin bie­tet, sie durch einen Wech­sel in an­de­re Zu­stän­de, schlimms­ten­falls in ver­ti­ka­le Ar­beits­zu­stän­de zu über­win­den. Denn nichts ver­treibt schlech­te Laune so gründ­lich wie schlech­te Laune: Erst ein­mal ins Ar­bei­ten ge­kom­men, wächst das Be­dürf­nis eben­so rasch, wie­der mit ihm auf­zu­hö­ren. Denn wie ge­sagt: Erst vom fau­lenzi­schen Stand­punkt aus macht Ar­bei­ten wie­der als Mit­tel, als Würze des Le­bens Sinn, das dazu bei­trägt, sich im Fau­len­zen umso an­ge­neh­mer ge­nie­ßen zu kön­nen.

Warum hat Fau­len­zen einen so üblen Leu­mund?

Nach dem bis­her Ge­zeig­ten ist klar, dass die mo­der­ne Ar­beits­wut- und Zeit­ver­knap­pungs­ge­sell­schaft nicht nur mit Fau­len­zen im dar­ge­leg­ten Sinne nichts an­fan­gen kann, son­dern dass sie es von Grund auf ab­leh­nen und ver­ur­tei­len muss. Po­li­ti­ker, Öko­no­men und Er­zie­her, Ge­set­zes­ma­cher und Welt­ver­schlech­te­rer, Be­triebs- und Volks­wirt­schaft­ler, Leh­rer und Pro­fes­so­ren müs­sen und wol­len zum Ar­bei­ten und zur Nütz­lich­keit, zur Ef­fek­ti­vi­tät und zur Ef­fi­zi­enz, zur Ge­schwin­dig­keit und zur Be­schleu­ni­gung mo­ti­vie­ren, um ihre gut be­zahl­ten Rol­len zu er­fül­len und die li­nea­re Kul­tur des Wes­tens vor­an­zu­brin­gen.

Wie aus der Dis­kus­si­on der fau­lenzi­schen Un­ter­las­sung von Zweck­ra­tio­na­li­tät ge­nü­gend klar ge­wor­den sein soll­te, steht Fau­len­zen als Form der Ver­wer­tungs­ver­wei­ge­rung grund­sätz­lich gegen ka­pi­ta­lis­ti­sches Wirt­schaf­ten und die durch sie ge­präg­te la­bo­ris­ti­sche Men­ta­li­tät. Zudem zeigt die po­si­ti­ve Be­stim­mung des Fau­len­zens als so­zia­li­täts­ent­las­te­te, ei­gen­sin­ni­ge und ho­ri­zon­ta­le Selbsta­n­eig­nung des Men­schen im Zei­chen von Lust und Laune ihre An­schluss­un­taug­lich­keit an eine ef­fi­zi­enz­ra­tio­na­lis­tisch ver­ein­sei­tig­te Mo­der­ne aber in einem noch viel grund­le­gen­de­ren als bloß dem öko­no­mi­schen Sinn.

Das Ei­gen­schafts­wort ›mo­dern‹ kommt von la­tei­nisch ›mo­der­nus‹, was so viel heißt wie ›vor kur­zer Zeit ent­stan­den‹. Die Se­man­tik des ›Mo­der­nen‹ be­stimmt sie in nuce über ein be­son­de­res zeit­li­ches Ver­hält­nis, in dem die als ›mo­dern‹ be­zeich­ne­ten Men­schen und Dinge zu Men­schen und Din­gen ste­hen. Etwas ist mo­dern, weil es zeit­lich erst vor ›kur­zem ent­stan­den‹ oder im zeit­li­chen Sinne ›neu‹ ist. Mo­der­ne Kul­tur ist ver­zeit­lich­te Kul­tur ist In­no­va­ti­ons­kul­tur.

Das lässt sich nicht nur am De­gout ge­gen­über all dem ab­le­sen, was als ›alt‹ oder ›ver­al­tet‹ und syn­onym als ›un­mo­dern‹ eine spon­ta­ne Emp­fin­dung der Ab­wer­tung pro­vo­ziert. Indem mo­der­ne Kul­tur das Neue be­jaht und die Neue­rung be­güns­tigt, wen­det sie sich nicht nur vom Ver­gan­ge­nen ab, son­dern auch vom Ge­gen­wär­ti­gen, das noch nie zuvor so rapid als ›alt‹ emp­fun­den und miss­bil­ligt wurde als heute. Das hat die oft be­merk­te Kon­se­quenz, dass sich das Ver­hält­nis von Ver­gan­gen­heit,Ge­gen­wart und Zu­kunft än­dert. Durch schnel­le­res Ver­al­ten und schnel­le­res Er­neu­ern schrumpft und schwin­det das Ge­gen­wär­ti­ge schnel­ler und das Ver­gan­ge­ne nimmt in dem Maße zu, wie es sich ent­fernt und wie die Zu­kunft näher rückt. In der In­no­va­ti­ons­kul­tur ›sind‹ Men­schen und Dinge immer kür­zer ›neu‹ und immer län­ger ›alt‹, oder wie es der Film­ti­tel sagt: Wer frü­her stirbt, ist län­ger tot.

Vor die­ser Folie lässt Fau­len­zen sich als Kom­pen­sa­ti­ons­form lesen, die unter den Be­din­gun­gen einer tech­no­lo­gisch be­schleu­nig­ten Welt, einer la­bo­ris­tisch ent­frem­de­ten Ar­beit und eines mo­der­nen Zeit­re­gimes einen Kon­tra­punkt set­zen könn­te. In­ter­es­sant ist hier ein Ver­gleich mit der Ka­te­go­rie ›Kom­pen­sa­ti­on‹, wie Odo Mar­quard sie im An­schluss an Joa­chim Rit­ter ent­wi­ckelt hat. Die An­schluss­un­taug­lich­keit des Fau­len­zens ge­währt Mo­ra­to­ri­en der Lang­sam­keit in­mit­ten der or­kan­ar­ti­gen Mo­der­ne, er­mög­licht au­then­ti­schen Selbst­ge­nuss im Me­di­um von Lust und Laune und ge­winnt der sub­jek­ti­ven Kul­tur die Zeit zu­rück, die die ob­jek­ti­ve Kul­tur chro­no­me­trisch ent­eig­ne­te. So er­weist sich fau­lenzi­sche An­schluss­un­taug­lich­keit als Oase des Selbst, in dem die Zeit da ist, damit sich be­wäh­ren kann, was ihm zur ein­zi­gen und ei­gen­sin­ni­gen ›Wäh­rung‹ wer­den soll. Denn, wenn es einen Sinn der von Men­schen ge­schaf­fe­nen Kul­tur gibt, dann doch den, dass sie zur Ent­wick­lung, wenn nicht gar zur Ver­voll­komm­nung ihrer Mensch­lich­keit taugt und nicht um­ge­kehrt.

 

13. Jahrgang 2014

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