Vom 6. bis 8. April 1917 tagte in Gotha die zweite Reichskonferenz der innersozialdemokratischen Opposition, hauptsächlich Delegierte aus 91 Wahlkreisen, daneben 15 SPD-Reichstagsabgeordnete und vier sonstige Teilnehmer, um die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) zu gründen. In Absetzung von der Mehrheitssozialdemokratie erneuerte dieser Gründungsparteitag (der auf Anordnung der Militärbehörden unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand) die grundsätzliche Gegnerschaft der Vorkriegs-SPD zum bestehenden politischen und sozialen Herrschaftssystem, ergänzt um den Krieg und die Kriegspolitik der kaiserlichen Regierung. Das alte Statut der SPD wurde fast unverändert ebenso wie das Erfurter Programm von 1891 bis auf weiteres beibehalten.
In seinem Referat betonte der alte (seit 1911) und neue Mitvorsitzende Hugo Haase die Kontinuität zur Bebelschen Sozialdemokratie und das Ziel der Neugründung, die gesamte Bewegung wieder zu ihren Grundsätzen zurückzuführen. Wilhelm Dittmann klagte den Anspruch auf das Erbe mit den Worten ein: »In Wahrheit sind wir die Partei.« Der USPD schlossen sich erhebliche Teile der Mitgliedschaft in den SPD-Bezirken Groß-Berlin, Leipzig, Halle, Erfurt und Groß-Thüringen, Frankfurt am Main, Niederrhein und Ostpreußen an, insgesamt etwa 100.000 Männer und Frauen gegenüber 243.000 Mehrheitssozialdemokraten, wegen der Einberufungen und der kriegsbedingten Verarmung insgesamt nur noch ein Drittel der Zahlen von 1913/14.
Aus dem politischen Spektrum der klassischen Sozialdemokratie gehörten der neuen Partei – in gewünscht lockerer Verbindung – die radikal-linke »Gruppe Internationale« oder »Spartakusgruppe« um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Vorläuferin der KPD, an, aber auch einige ›Revisionisten‹, darunter der bekannteste, Eduard Bernstein. Das Schwergewicht lag beim linken Zentrum, repräsentiert u.a. von Haase und von dem einflussreichsten marxistischen Theoretiker der SPD Karl Kautsky. Allerdings verblieb ein nicht kleiner Teil der innerparteilichen Kritiker an der Politik der Parteiführung in der Mehrheits-SPD.
Die sachlichen Gegensätze, die seit Beginn des Ersten Weltkriegs in der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion entstanden waren, hätten nicht zwingend zur Parteispaltung führen müssen, die die Minderheit nicht wollte. In Österreich, wo es ähnliche Differenzen gab, in Italien und in Frankreich gelang es, die organisatorische Einheit zu wahren und unter diesem Dach eine in der zweiten Kriegshälfte zunehmend deutliche Distanz zur jeweiligen Regierungslinie zu artikulieren. Das war möglich, weil den Kriegsgegnern ein größerer Spielraum eingeräumt wurde, ihre Position innerhalb wie außerhalb der Partei zur Geltung zu bringen. Das von der alten, noch fundamental-oppositionellen SPD verinnerliche Prinzip, im Reichstag stets geschlossen abzustimmen, einerseits, das von der wachsenden Zahl der Dissidenten als Gewissensfrage angesehene Negativvotum bei der Abstimmung über die Kriegskredite: im Dezember 1915 intern schon 44 zu 66 (18 votierten auch im Reichstag mit Nein) andererseits ließen letztlich keinen Kompromiss mehr zu.
Die organisatorische Trennung ging hauptsächlich von der Fraktionsmehrheit aus, zunächst von einigen der vorbehaltlos kriegsunterstützenden Männer auf dem dezidiert rechten Parteiflügel wie Eduard David, der in seinem Tagebuch vermerkte, wenn die Kreditverweigerer weiter in der Partei geduldet würden, »so werden sie die ganze Position des 4. August [1914] versauen«. Die rechtszentristischen Pragmatiker um Friedrich Ebert traten zunächst für die Erhaltung der Parteieinheit ein, waren dann aber nicht bereit, den offenen ›Disziplinbruch‹ hinzunehmen. Im März 1916 wurden die achtzehn Abweichler des vorangegangenen Dezember aus der SPD-Fraktion ausgeschlossen; sie gründeten eine »Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft« (SAG). Auf einer im September 1916 gemeinsam abgehaltenen, von heftigen, auch persönlichen Auseinandersetzungen begleiteten Parteikonferenz der Sozialdemokratie stellte die innerparteiliche Opposition nahezu die Hälfte der gewählten Delegierten. Doch erst nach deren erster separater Reichskonferenz und dem unmittelbar folgenden Parteiausschluss der SAG-Abgeordneten, nachdem Hugo Haase den Mitvorsitz der Gesamtpartei Ende März 1917 niedergelegt hatte und als ganze Ortsvereine aus der SPD auszutreten begannen, zeichnete sich die USPD-Gründung deutlich ab. Den Spaltungsprozess vertiefte und vergiftete das schon 1916 wiederholt vorkommende administrative Vorgehen des SPD-Vorstands gegen oppositionelle Stützpunkte, insbesondere die Absetzung der Redaktion des »Vorwärts«, des Zentralorgans der Partei (»Vorwärts-Raub«), und zugleich die auch in der Folgezeit selektiv deutlich schärfere Anwendung des Belagerungszustands (mit Zensur, Zeitungs- und Versammlungsverboten usw.) gegen den kriegsgegnerischen Teil der Sozialdemokratie bzw. gegen die USPD.
Grundsätzlich bestritt die SPD-Minderheit, von der radikalen Linken abgesehen, keineswegs das Recht auf Landesverteidigung, sah aber in dem Krieg der beiden Mächtegruppierungen einen beiderseits imperialistischen Konflikt (wobei einige, wie namentlich Bernstein, schon bald von einem besonderen Schuldanteil des kaiserlichen Deutschland überzeugt waren), jedenfalls keinen Verteidigungskrieg des Deutschen Reiches. In dieser Situation bestünde die Aufgabe der Arbeiterbewegung aller beteiligten Länder darin, durch massiven, auch außerparlamentarischen Druck auf die jeweiligen Herrschaftsträger einen Verständigungsfrieden ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen zu erzwingen, in dem strittige territoriale Fragen auf der Grundlage des nationalen Selbstbestimmungsrechts geregelt würden. Es war der Petersburger Sowjet der Arbeiter und Soldaten, der dieser Position in seiner Proklamation »An die Völker der ganzen Welt« vom 27. März 1917 ein realpolitisches Gewicht gab. Dem Aufruf stimmte auch die Mehrheits-SPD zu, doch hielt diese an der Linie des 3./4. August 1914 fest, die Kriegskredite im Parlament zu bewilligen, und vertiefte die Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Mittelparteien. Zusammen mit der des katholischen Zentrums und der liberalen Fortschrittlichen Volkspartei und somit die Reichstagsmehrheit repräsentierend, die spätere Weimarer Koalition, verabschiedete die SPD-Fraktion am 19. Juli 1917 eine parlamentarische Friedensresolution, die den USPD-Abgeordneten jedoch zweideutig erschien und – aus entgegengesetzten Gründen wie seitens der Konservativen und Rechtsliberalen – von ihnen abgelehnt wurde.
Die sich im Sommer 1918 an der kriegsentscheidenden Westfront abzeichnende militärische Niederlage Deutschlands führte im Lauf des Herbstes zu einem moralischen Zusammenbruch der ›Heimatfront‹ und zur Aktivierung der radikal-linken Kräfte, die sich, wie die Spartakusgruppe und die Berliner Betriebsobleute, meist der USPD angeschlossen hatten, einerseits, der mehrheitssozialdemokratischen Führung andererseits. Gegen Bedenken selbst im Parteivorstand setzte Friedrich Ebert die Beteiligung der SPD an der Anfang Oktober auf bereits parlamentarischer Basis zusammen mit den anderen Parteien der Friedensresolution vom Juli 1917 (auch auf Druck der Obersten Heeresleitung) gebildeten Regierung Max von Badens durch. Dieser Schritt wurde von der USPD heftig kritisiert, deren Leipziger Volkszeitung bemerkenswerterweise als erste die Wahl einer souveränen, verfassunggebenden Nationalversammlung durch alle erwachsenen Männer und Frauen forderte. Gegenüber dem um sich greifenden Verlangen nach Abdankung Wilhelms II. wurde betont, es ginge nicht um Personen, sondern um die ›Beseitigung des Systems‹.
Der revolutionäre Staatsumsturz entwickelte sich dann in den Tagen ab dem 3. November 1918, ausgehend von der Meuterei der Hochseeflotte und von den norddeutschen Seestädten, als spontanes Aufbegehren des Heimatheeres und der Arbeiterschaft flächenbrandartig und, weil die alten Gewalten kaum Widerstand wagten, fast unblutig. Am 9. November erreichte die Aufstandsbewegung in Gestalt eines Generalstreiks und von Massendemonstrationen die Reichshauptstadt Berlin, wo die Soldaten wiederum schnell auf die Seite der Aufständischen übertraten. Die Hohenzollernmonarchie brach gleich einem Kartenhaus zusammen – wie schon zwei Tage zuvor unter der Führung des der USPD angehörenden künftigen bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner in München die Herrschaft der Wittelsbacher und in der Folge die der übrigen Fürstengeschlechter.
In allen großen und den meisten kleinen Städten konstituierten sich Arbeiter- und Soldatenräte, meist aus den beiden sozialdemokratischen Parteien und den Gewerkschaften, die die oberste Gewalt beanspruchten, sich gegenüber den bestehenden Verwaltungs- und Militärinstitutionen jedoch in der Regeln auf eine – unterschiedlich rigoros praktizierte – Kontrolle beschränkten und in ihrer praktischen Tätigkeit überwiegend mit der Regelung der Versorgungsprobleme, der Demobilisierung, der inneren Sicherheit usw. befasst waren, von der neuen ›sozialistischen Regierung‹ in Berlin zugleich grundlegendere politische und soziale Eingriffe erwarteten, zunächst eine auch personelle Demokratisierung der kommunalen und staatlichen Verwaltungsbehörden. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den an den Arbeiter- und Soldatenräten Beteiligten der beiden aus der alten Sozialdemokratie hervorgegangenen Parteien war dabei anfangs nicht zu erkennen; selbst die wenigen stärker von der radikalen Linken dominierten Räte fügten sich in hohem Maß in dieses Bild.
Bei der Bildung der Revolutionsregierung am 9./10. November 1918 bewies die Führung der Mehrheits-SPD ihre taktische Überlegenheit, indem sie den Übergang aus der letzten kaiserlichen Regierung Max von Baden zur maßgeblichen und mäßigenden Beteiligung am Aufstand bewerkstelligte, die USPD, begeistert begrüßt von einer Vollversammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte, für den paritätisch besetzten »Rat der Volksbeauftragten« gewann, in dem Friedrich Ebert faktisch als Regierungschef fungierte und die USPDler (Haase, Dittmann und Emil Barth) generell passiver agierten als ihre Kollegen. Ebert war am 9. November von seinem Vorgänger das Reichskanzleramt übergeben worden, ein verfassungsrechtlich unmöglicher Vorgang, der dem SPD-Vorsitzenden bei den weiteramtierenden bürgerlichen Fachministern (›Staatssekretären‹), der Bürokratie und den Militärs jedoch eine zusätzliche Legitimität verlieh. Diese für unverzichtbar gehaltenen ›Fachleute‹ trafen sich in ihrer höchst selektiven Loyalität und Kooperationsbereitschaft mit einer Mentalität der mehrheitssozialdemokratischen Spitzenleute, bei der die ›Aufrechterhaltung der Ordnung‹ ganz weit oben rangierte, verbunden mit dem Wunsch schnellstmöglicher Überleitung der Revolution in ein legales, parlamentarisches Stadium. Immerhin hatte die SPD-Führung in die Feststellung einwilligen müssen: »Die politische Gewalt liegt in den Händen der Arbeiter- und Soldatenräte, die zu einer Vollversammlung aus dem ganzen Reiche alsbald zusammenzuberufen sind«.
Die USPD-Volksbeauftragten akzeptierten die – unmittelbar vor dem Umsturz ja sogar aus ihren Reihen verlangte – Wahl einer Nationalversammlung, wollten deren Zeitpunkt aber möglichst hinausschieben, um zunächst die neuen Machtverhältnisse zu konsolidieren und erste, schwer revidierbare demokratische und antikapitalistische Strukturreformen durchzuführen. Allerdings tendierte der linke Parteiflügel zu einer grundsätzlichen Gegnerschaft gegen die Konstituante als Instrument der ›bürgerlichen Konterrevolution‹, so dass die Bemühungen der USPD-Volksbeauftragten auch von dieser Seite infrage gestellt wurden. Auf dem Reichsrätekongress vom 16.-20. Dezember 2018, auf dem die Mehrheitssozialdemokraten etwa im Verhältnis drei zu eins die Unabhängigen zahlenmäßig dominierten, stimmte rund die Hälfte von diesen mit für die Wahl der Nationalversammlung am 19. Januar 1919. Allerdings fasste der Rätekongress noch andere, weniger der Ebert-Linie entsprechende Beschlüsse, so den Aufbau eines neuen, demokratischen Volksheeres anstelle der alten Armee und den sofortigen Beginn der Sozialisierung dafür ›reifer‹ Wirtschaftszweige, ›insbesondere des Bergbaus‹. An dem als Kontrollorgan gegenüber der Regierung der Volksbeauftragten geschaffenen »Zentralrat« beteiligte sich die USPD nicht, weil ihr dessen Kompetenzen unzureichend schienen.
Das Ende der Regierungszusammenarbeit war erreicht, als die SPD-Volksbeauftragten unter Umgehung ihrer USPD-Kollegen zu Weihnachten 1918 gegen die rebellierende »Volksmarinedivision« Truppen einsetzten. Der nun neu hinzugezogene Gustav Noske (SPD) wurde zur Inkarnation einer Politik rücksichtslosen Einsatzes militärischer Gewalt, vor allem seitens der ab Dezember 1918 rekrutierten gegenrevolutionären Freiwilligen-Einheiten (›Freikorps‹), gegen radikalisierte Teile der Arbeiterschaft in einem schleichenden Bürgerkrieg, der erst nach der Niederschlagung der Münchener Räterepublik Anfang Mai 1919 zu einem Ende kam. Für die Zustände, die die Freikorps dabei teilweise herbeiführten, ist der Ausdruck ›weißer Terror‹ keine polemische Übertreibung. Anders als im November 1918, der ersten ›friedlichen Revolution‹ in Deutschland, waren jetzt Tausende von Opfern zu beklagen, wobei der Berliner Januaraufstand mit der anschließenden Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht die Wasserscheide der Revolutionsereignisse bildete. Hervorgegangen war dieser dilettantische Aufstand aus einem sich in Generalstreik und Massendemonstrationen äußernden Protest gegen die Entlassung des der USPD angehörenden Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn.
Es war die Erbitterung immer größerer, auch mehrheitssozialdemokratischer Teile der Arbeiterschaft über den Noske-Kurs und allgemein die Politik der Revolutionsbegrenzung, die der heterogenen USPD ständig neue Anhänger zuführte. Sie war eher der Ausdruck einer Bewegung in Richtung einer ›zweiten Revolution‹, die die Ergebnisse des Novemberumsturzes sichern und erweitern sollte, als dass sie imstande gewesen wäre, diese Bewegung zu strukturieren und ihr klare Leitlinien zu geben. Hugo Haase hatte am 14. November 1918 vor der Vollversammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte postuliert, »dass das Proletariat die Aufgabe hat, … auch eine sozialistische Regierung vorwärts und immer wieder vorwärts zu treiben«. Der Unmut der Arbeiter nach den Entbehrungen der Kriegsjahre kam im Frühjahr 1919 in mächtigen überparteilichen und quasi syndikalistisch orientierten Streiks, hauptsächlich im Ruhrgebiet, in Mitteldeutschland und in Berlin, zum Ausdruck, wo es neben materiellen Forderungen auch um die ›Sozialisierung‹ der Betriebe ging: nicht allein als Maßnahme von oben, sondern vor allem im Sinne der Selbstbestimmung und Selbstverwaltung der Beschäftigten. Einen überparteilichen Charakter, wenngleich mit einem Schwerpunkt im Linkssozialismus, hatte dann auch der bewaffnete Aufstand eines beträchtlichen Teils der Ruhrarbeiterschaft im Frühjahr 1920, der aus dem erfolgreichen Generalstreik (die Beamtenschaft einschließend) gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch hervorging; zu seiner Niederschlagung setzte die Reichsregierung auch Truppenteile ein, die eben noch am Staatsstreich beteiligt gewesen waren.
Das für die USPD ernüchternde Resultat der Wahl vom 19. Januar 1919 zur Nationalversammlung, erstmals unter Beteiligung von Frauen, bestärkte sie in ihrer Oppositionsstellung. Obwohl die Sozialdemokratie in Addition mit 45,5 Prozent der Stimmen gegenüber der letzten Reichstagswahl beträchtliche Gewinne verbuchen konnte, wurde die ›sozialistische Mehrheit‹ verfehlt, so dass eine SPD-USPD-Regierung auf Tolerierung aus dem bürgerlichen Spektrum angewiesen gewesen wäre. Tatsächlich wollte die USPD unter diesen Umständen nicht an der Exekutive beteiligt sein. Sie hatte ganze 7,6 Prozent der Stimmen erhalten – trotz beachtlicher Zustimmung in ihren Hochburgen (Leipzig und Umgebung: 38,6 Prozent, Groß-Berlin: 27,6 Prozent), auch deshalb, weil sie in der Fläche der Provinz organisatorisch bislang nur schwach vertreten, teilweise kaum existent war, was sich in der Folge änderte. Die scharfe linke Profilierung der USPD kam zum Ausdruck in ihrer Ablehnung der Weimarer Reichsverfassung, die zwar im Kompromiss der SPD mit den liberalen und katholischen Koalitionspartnern zustande gekommen war, aber zweifellos einen großen Rechtsfortschritt markierte. Die Bezeichnung der Weimarer Verfassung als eine der ›Gegenrevolution‹, die einen ›neuen Obrigkeitsstaat‹ begründe, ist nur vor dem Hintergrund der Enttäuschung über die seit Dezember 1918 eingetretene innenpolitische Entwicklung zu verstehen. Doch war der Maßstab der Zurückweisung von ›Weimar‹ durch die USPD (noch) nicht das Modell einer umfassenden Rätedemokratie, sondern die tradierte sozialdemokratische Vorstellung der uneingeschränkten Konzentration der politischen Macht im volksgewählten Parlament.
Als einzige der im Reichstag vertretenen Parteien trat die USPD in seltener Geschlossenheit (und anders als die KPD) für die Annahme des von den Siegermächten buchstäblich diktierten Friedensvertrags ein, und sie setzte nach Bekanntgabe der alliierten Bedingungen im Frühjahr und Sommer 1919 sogar eine regelrechte Kampagne mit Demonstrationen und Streiks für die Unterzeichnung in Gang. Ihr widerstrebte angesichts drohender Wiederaufnahme des Krieges die Erneuerung des ›Burgfriedens‹, dem sie die Hoffnung auf den Fortschritt der Weltrevolution, welcher den Vertrag von Versailles zunichtemachen werde, entgegenstellte. Speziell verwies sie auf den noch brutaleren Frieden von Brest-Litowsk des kaiserlichen Deutschland mit dem bolschewistischen Russland vom März 1918 und auf die Schuld der ›Kriegstreiber und Kriegsverlängerer‹. In der Sache verurteilte man den ›Gewaltfrieden schlimmster Art‹ mit seiner Verletzung des nationalen Selbstbestimmungsrechts und seinen vermeintlich konterrevolutionären Intentionen.
Die russischen Bolschewiki und die von ihnen ins Leben gerufene Kommunistische (Dritte) Internationale, konzipiert als eine Art Weltpartei, wurden zu Nutznießern eines in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs mehr oder weniger in allen am Krieg beteiligten und auch in neutralen Staaten einsetzenden und bis 1920/21 andauernden Radikalisierungsprozesses der sozialistischen Parteien, angetrieben zunächst vom stetig zunehmenden sozialen Protest, hauptsächlich bezogen auf die Lebensmittelversorgung, und dem immer entschiedener vorgetragenen Friedensverlangen, teilweise verbunden mit Demokratisierungsforderungen, aus der Arbeiterbevölkerung. Die kriegsgegnerischen Gruppierungen der verschiedenen Länder, die seit 1915 auf neutralem Boden wiederholt zu Konferenzen zusammenkamen, riefen im September 1917 von Stockholm aus die Arbeiter hier wie dort zu ›Massenaktionen‹ und zu einem ›Massenstreik‹ auf, um einen demokratischen Frieden zu erzwingen.
In Deutschland war es, praktisch zeitgleich mit der USPD-Gründung, Mitte April 1917 aus Anlass der Senkung der Brotrationen in Berlin, Leipzig, Halle, Braunschweig und anderen Orten zu Massenstreiks Hunderttausender gekommen, die neben ökonomischen auch politische Forderungen erhoben; die Streiks ließen einen teils direkten, teils indirekten Einfluss linker Sozialdemokraten erkennen. Noch deutlicher war die Beteiligung von USPD-Mitgliedern, vor allem der »Revolutionären Obleute« in den Berliner Betrieben, und die Orientierung an der neuen Partei bei den über eine Million Teilnehmer erfassenden, auch geografisch weiter verbreiteten Streiks um die Wende vom Januar zum Februar 1918. Der linkssozialistische Aktionsausschuss, der den Ausstand in Berlin leitete, kooptierte zuerst drei führende Unabhängige (Haase, Dittmann und Georg Ledebour), dann auch drei Spitzenleute der SPD-Mehrheitspartei (Ebert, Otto Braun, Philipp Scheidemann). Der Ausgangspunkt und ein wesentliches Anliegen des schnell scheiternden und mit zehntausenden Einberufungen beantworteten Januarstreiks 1918 war die Unterstützung der sowjetrussischen Friedensdelegation, die in ihren Verhandlungen mit dem Deutschen Reich mit weitgehenden, aggressiv vorgetragenen Forderungen konfrontiert war. Schon im Sommer 1917 hatte eine geheime Matrosenorganisation in der Hochseeflotte Verbindung mit der USPD gesucht. Zwei ›Rädelsführer‹ waren von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und erschossen worden.
Das Prestige, das die Bolschewiki weit über ihre engeren Sympathisanten hinaus erlangten, beruhte vor allem darauf, dass sie nicht nur deklaratorisch dazu übergingen, dem ›Völkermorden‹ ein Ende zu machen, sei es zunächst durch einen Separatfrieden, und die Herrschaft der alten Eliten und der besitzenden Klassen durch eine ganz neue Staatsordnung, vermeintlich getragen vom werktätigen Volk, zu ersetzen. Aus dem Elend des Krieges schien jetzt endlich ein sozialistischer Ausweg möglich; Gewalt und selbst das Risiko eines Bürgerkriegs schien angesichts der durchlittenen und bis November 1918 noch nicht beendeten Schrecken vielen durchaus als gerechtfertigt. Beeinflusst von dieser Stimmungslage machte sich nach Kriegsende in etlichen großen sozialistischen Parteien eine starke, teilweise übermächtige Strömung geltend, die auf den Anschluss an die Moskauer Internationale drang. In der USPD setzte die Diskussion darüber im Spätsommer 1919 ein und wurde über ein Jahr lang engagiert und intensiv geführt.
Nur durch das Eingehen der Parteiführung auf den Beitrittswunsch als solchen konnte sie verhindern, dass bereits Ende November / Anfang Dezember 1919 ein Parteitagsbeschluss im Sinne eines sofortigen Anschlusses an die Dritte Internationale zustande kam. Dieser Leipziger Parteitag offenbarte, dass mit der dramatisch wachsenden Unterstützung für die USPD eine ebenso auffällige Linksentwicklung einherging. Ein neues, einstimmig angenommenes Aktionsprogramm legte die Partei auf das (basisdemokratisch verstandene) Rätesystem als ›Herrschaftsorganisation des Proletariats‹ fest.
Nachdem eine USPD-Delegation im Juli 1920 zum 2. Weltkongress der Komintern nach Moskau gereist war und dort über den Beitritt der Gesamtpartei Gespräche geführt hatte, konzentrierte sich die innerparteiliche Diskussion auf die 21 Bedingungen, die der Kongress für die Mitgliedschaft von Parteien beschlossen hatte, darunter manche, so der Aufbau eines illegalen Apparats neben dem legalen und der Ausschluss ›reformistischer‹ und ›zentristischer‹ Parteiführer, in der Tradition der mittel- und westeuropäischen Arbeiterbewegung befremdliche bis abwegige Richtlinien. Der führende USPD-Politiker Arthur Crispien meinte, die Moskauer Kominternführung strebe anstelle eines breiten internationalen Zusammenschlusses der revolutionär-sozialistischen Kräfte nach »despotischer Herrschaft, einer obersten ›Bonzenschicht‹ über eine Masse geistiger Eunuchen«. An oberster Stelle, so Rudolf Hilferding, stehe für die USPD »die Rücksicht … auf Gegenwart und Zukunft des deutschen Proletariats«, das seine Revolution, selbst durchzukämpfen habe. Nach und nach geriet auch die innere Politik der Bolschewiki ins Visier der Anschlussgegner in der USPD, insbesondere die Unterdrückung der übrigen sozialistischen Richtungen und der ›rote Terror‹. Hier war von Anfang an Karl Kautsky mit einer scharfen grundsätzlichen Kritik des Sowjetsystems hervorgetreten, der jedoch in der USPD nach 1918 schnell zu einem Außenseiter geworden war. (Bernstein, der beiden sozialdemokratischen Parteien angehören wollte, war aufgrund eines Unvereinbarkeitsbeschlusses der USPD schon im Dezember 1918 zur SPD zurückgekehrt.) Die Mehrheit der USPD-Mitglieder war indessen, wie eine Urabstimmung ergab, bereit, bedingungslos der Kommunistischen Internationale beizutreten. Mitte Oktober 1920 stimmten in Halle dementsprechend 236 Parteitagsdelegierte dafür und 156 dagegen, worauf die Minderheit auszog.
Die (zumindest relative) Mehrheit der – vielfach nicht mehr aus der alten Sozialdemokratie stammenden – am Ende rund 900.000 Mitglieder ging mit der USPD-Linken zunächst in die Vereinigte KPD und machte diese erstmals zu einer Massenpartei, die auch bei Wahlen eine Konkurrenz zur Sozialdemokratie darstellte. Ein Großteil der USPD-Mitgliedschaft ging der Parteipolitik aufgrund der Spaltung entweder sofort oder im Lauf der folgenden Monate verloren. Die VKPD verfügte 1922 nur noch über die gute Hälfte der über 400.000 beim Vereinigungsparteitag registrierten Mitglieder. Bei der Rest-USPD verblieben im April 1921 ca. 340.000, hauptsächlich in den früheren Hochburgen (SPD: 1,2 Mio.). Bei der USPD, die weiterhin über 50 Tageszeitungen verfügte, blieben auch die meisten Reichstags- und Landtagsabgeordneten, die Mehrzahl der Gewerkschaftsfunktionäre und der überwiegende Teil des Parteiapparats samt der Redakteure. Verstärkung erhielt die Rest-USPD bald durch einen Zirkel teilweise ehemals hochrangiger VKPD-Mitglieder, darunter frühere Spitzenleute der USPD-Linken, die sich als Kommunistische Arbeitsgemeinschaft eigenständig organisiert hatten; über die USPD stießen sie 1922 wieder zur SPD.
Dass es sich auch bei der USPD-Wählerschaft von 1919/20 (mit dem Höhepunkt der Reichstagswahl vom 6. Juni 1920, als 17,9 Prozent der Stimmen – SPD 21,7 Prozent, KPD 2,0 Prozent – auf die USPD entfielen) eher um linke Sozialdemokraten bzw. Linkssozialisten als um Kommunisten Moskauer Richtung handelte, zeigte sich schon im Winter 1920/21. Bei sieben Landtagswahlen erzielte die SPD 5,3 Mio., die USPD 1,48 Mio. und die KPD 1,44 Mio. In Groß-Berlin lag die SPD jetzt mit 22 Prozent wieder vorn, während die USPD 17 Prozent und die KPD lediglich 10 Prozent erzielte. Unmittelbar nach dem Hallenser Spaltungsparteitag votierten bei der sächsischen Landtagswahl wieder 28 Prozent für die SPD, 14 Prozent für die USPD und nur 9 Prozent für die vereinigte Liste von KPD und USPD-Linker. Zwei Jahre später, im November 1922, erreichten in Sachsen die Kommunisten mit gut 10 Prozent kein wesentlich besseres Ergebnis; 42 Prozent Wählerstimmen für die inzwischen vereinigte SPD machten deutlich, dass der Massenanhang der Unabhängigen auch die Wiedervereinigung mit der Mehrheitssozialdemokratie überwiegend mittrug.
Die Rest-USPD, geführt von Arthur Crispien, grenzte sich zunächst sowohl vom ›Putschismus links‹, bezogen vor allem auf die mitteldeutsche ›Märzaktion‹ 1921 der KPD, als auch vom ›Opportunismus rechts‹ innerhalb der Arbeiterbewegung ab, hoffte auf eine in beide Richtungen ausstrahlende, sammelnde und aktivierende Rolle als ›marxistisches Zentrum‹, auch international durch die Beteiligung an der zwischen der Sozialistischen Arbeiter-Internationale und der Kommunistischen Internationale stehenden Internationalen Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Parteien. Schon das kommunistische Märzabenteuer veränderte die Akzentsetzung im mehrheitlich eher gemäßigten USPD-Parteivorstand hin zur privilegierten Annäherung an die SPD; diese Tendenz erhielt aber durch die Verabschiedung des betont republikanisch-staatstragenden Görlitzer SPD-Grundsatzprogramms vom September 1921 vorübergehend einen starken Dämpfer.
Es waren vor allem zwei Umstände, die letztlich die Rückkehr der USPD zur Mutterpartei, pro forma als gleichberechtigte Wiedervereinigung, bewirkten: Erstens die Bedrohung der Republik von rechts, wie sie im Kapp-Putsch und in den Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 sichtbar geworden war und sich daneben in einer Reihe politischer Morde, u.a. auch an den einflussreichsten Unabhängigen Sozialdemokraten, Kurt Eisner und Hugo Haase, äußerte. Als am 26. August 1921 der demokratisch-soziale Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, Unterzeichner des Waffenstillstands vom 11. November 1918 sowie progressiver Finanzpolitiker, und schließlich am 24. Juni 1922 der liberale Außenminister Walter Rathenau von Rechtsextremisten erschossen wurden, drängte sich in der USPD-Führung der Eindruck auf, man befinde sich in einer ›Situation wie vor dem Kapp-Putsch‹.
Als in Reaktion darauf gewaltige Massendemonstrationen, die Kommunisten wie auch entschieden demokratische Segmente des bürgerlichen Spektrums einschließend, und ein Protest-Generalstreik die Abwehrbereitschaft der Gesamtlinken dokumentierten, erwies sich namentlich der Rathenau-Mord als Beschleuniger einer engeren Zusammenarbeit und dann organisatorischen Vereinigung der USPD mit der SPD. Der zweite, nicht minder wichtige Faktor war die finanzielle Misere der USPD, welche besonders schwer unter der Geldentwertung litt, weil sie, anders als die SPD, kaum über Sachwerte verfügte. Die Geldnot verschärfte sich im Sommer 1922 in existenzbedrohender Weise. In mehreren Ländern hatten beide sozialdemokratischen Parteien inzwischen bereits Koalitionsregierungen gebildet. Über das Vorstadium einer Arbeitsgemeinschaft der beiden Reichstagsfraktionen und die Erarbeitung eines gemeinsamen Aktionsprogramms mit tagespolitischen Forderungen erfolgte, trotz eines gewissen Widerstrebens des letzten USPD-Parteitags, der Zusammenschluss am 24. September 1922 auf einem gemeinsamen Parteitag in Gera. Ungefähr ein Drittel der USPD-Mitglieder machte die Vereinigung nicht mit. Eine Splittergruppe um Ledebour und Theodor Liebknecht, die sich 1924 ihrerseits spaltete, blieb unter dem alten Namen bis 1931 bestehen.
Dass die früheren USPDler in den Leitungsgremien der wiedervereinigten Sozialdemokratie unterrepräsentiert waren, entsprach dem Stärkeverhältnis der beiden Partner. Vorübergehend verfügte die SPD im Reichstag über 36 Prozent der Mandate und blieb mit Schwankungen die in Mitgliedschaft wie Wählerschaft bis 1932 stärkste Partei und auch gegenüber der KPD, allerdings ab 1930 abnehmend, eindeutig im Vorteil.
Die SPD war bis zum Schluss die wichtigste und gegen Ende fast die einzige verlässliche Stütze der Weimarer Demokratie. Das galt, ungeachtet des flügelübergreifend weitertransportierten Ziels der Überwindung der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, für frühere USPDler nicht anders als für frühere MSPD-Leute. Das unzweideutige Bekenntnis zur demokratischen Republik im wieder stärker marxistisch geprägten Heidelberger Programm der SPD von 1925, an dessen Erstellung frühere Mitglieder der USPD maßgeblich beteiligt waren, ließ diesbezüglich keinen Zweifel. Frühere Unabhängige standen nach 1922 in unterschiedlicher Schärfe eher auf dem linken Flügel der SPD, dessen profilierteste Gestalt indessen der ursprünglich eng mit Rosa Luxemburg verbundene und 1919-21 sogar den Vorsitz der KPD innehabende Paul Levi wurde. Die prominenten ehemaligen Unabhängigen Rudolf Breitscheid (außenpolitischer Sprecher, Fraktionsvorsitzender) und Rudolf Hilferding (Finanzminister, Theoretiker und konzeptioneller ›Vordenker‹ der Innen- und Außenpolitik) standen seit der Vereinigung eher für die Mitte der SPD, nicht zuletzt in der stets strittigen Frage der Bildung von Koalitionen mit bürgerlichen, nichtsozialistischen Parteien.
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