Renate Solbach: Der Bogen

1. Einleitung

Wie andere emotionale Reaktionen sind auch Ekelreaktionen in Ausdrucksformen und Prozessualität historisch, kulturspezifisch und zugleich kulturprägend, sie sind bedingt durch Geschichte und Geschichten kultureller Formationen, deren Geschichte sie wiederum gestalten. Daher kommt Ekelforschung nicht ohne Referenz auf Kultur als offenes, konstruktives Gestaltungskonzept der Lebensformen eines Kollektivs und seiner einzelnen Mitglieder aus. Als grundsätzlich dynamisches und temporäres Ergebnis von Grenzüberschreitungen und Austauschprozessen verfügt – in der Regel jede – Kultur über intrakulturelle Gegebenheiten, die inter- und transkulturelle Referenzen anzeigen, um diese positiv (Aktivitäten der Akzeptanz, Nachahmung) oder negativ (Aktivitäten der Ablehnung, Distanzierung) zu integrieren.

Kastens »Annahme, dass der Mensch zwar über die Disposition verfügt, Gefühle zu empfinden, dass diese Gefühle aber historisch und kulturell modelliert werden« (Kasten 2010, 1), gilt auch für das diesem Beitrag zugrunde gelegte Verhältnis von Universalität und Situationsbezug von Ekel. Nimmt das Ekelsubjekt eine Situation und deren Kontext deutend als veränderungsbedürftig wahr, so vermitteln Ekelreaktionen geradezu Weltauslegungsangebote, die emotional-kognitive Dimension des Ekels kann sich zum »Pathos der Distanz« (Friedrich Nietzsche), zu Kulturpessimismus und Suizidgedanken, aber auch zum lebensgeschichtlichen Neuanfang erweitern. Daher ist Ekelforschung kulturwissenschaftlich ausgerichtet und offen für inter- bzw. transkulturelle Perspektiven. Für das angemessene Verständnis literarischer oder künstlerischer Ekelgestaltungen ist der Bezug auf Phänomene außerkünstlerischer Kontexte unverzichtbar.

Die Wortfamilie Ekel, ekelerregend, ekelhaft, ek(e)lig, sich ekeln gehört zur Standardsprache des Deutschen. Damit steht ein gängiges Ausdrucksreservoir zur Markierung intensiver emotionaler Reaktionen der Distanzierung, Ablehnung, Weigerung, Meidung, Vermeidung zur Verfügung. Als Indikator für Negatives und dessen kompensatorische Produktivitätsformen kann sich die Reaktionsform Ekel mit anderen distanzierenden Emotionen wie Angst, Abscheu, Hass, Verachtung verbinden. Dass es um körperliche und kognitive Prozesse geht, zeigt sich an physischer (Erbrechen, Kontraktion innerer Organe und Bauchmuskulatur), psycho-somatischer (Erbleichen, Schweißausbruch, Sprachstörung, Zittern, Übelkeit, Handlungshemmung) und sozial gerichteter (Isolation, Aufmerksamkeitssteigerung, Komplexitätsreduktion) Symptomatik. Auch gilt die Diagnose Ekel als nicht steigerungs-, wohl aber als wiederholungsfähig, sie bezeichnet ein Extrem, einen Endpunkt emotionaler Erfahrung. Rosenkranz (2015, 294) geht davon aus, dass »das Ekelhafte unsere Sinne empört und uns schlechthin von sich abstößt«. Ekelreaktionen können ausgelöst werden von Objekten (z.B. Speisen, Exkrementen, Verwesendem, Erbrochenem, von mangelnder Hygiene), Einstellungen (z.B. politischen Positionen, Fundamentalismen, Lebensperspektiven), Personen.

Stellen Sie sich vor, Sie treten mit bloßen Füßen auf eine Nacktschnecke. Malen Sie sich nun aus, dass ein Kind Ihr Geschirr mit einer Toilettenbürste schrubbt. Wird Ihnen langsam flau im Magen? Was, wenn Sie plötzlich herausfinden, dass Ihr Nachbar seine Notdurft nicht auf der Toilette, sondern im Garten verrichtet? Das finden Sie eklig? Das ist nicht nur normal, sondern sogar überlebenswichtig... (Viciano, SZ 19. 06. 2018; vgl. Gassmann, SZ 14./15.08.2018).

Hier erhalten Ekelempfindungen und die Wahrnehmung entsprechender Auslöser die Funktion einer Warnung vor gesundheitlichen Gefahren. Um etwas als ekelhaft empfinden, wahrnehmen und begründen zu können, sind eine Norm, ein Wert oder Ordnungssystem Voraussetzung, deren Geltung durch den Ekelanlass bedroht oder gestört zu sein scheint. Mit der Emotion Ekel wird auf einen Reiz reagiert, der Unordnung hinsichtlich Form, Inhalt, Aufbau der Ordnung im weiten Sinne generiert und zu dem daher Distanz hergestellt oder dessen Wirkung aufgehoben werden soll. Erst nachdem das Ekelsubjekt in seiner Vorstellung geordneten Lebens vom Ekelauslöser emotional und kognitiv ge- oder betroffen worden ist, setzt die Abwehrhandlung ein. Ekelwahrnehmung basiert auf der Erfahrung einer Grenzüberschreitung. Für die Forschung folgt daraus die Berücksichtigung von Taburegistern als negative Kanonbildungen und entsprechend von Tabubrüchen.

Rahmen Deutungskonzepte von Ordnung und Unordnung die Ekelhandlung, ist deren Symbolizität aufgerufen und die Erfahrungssituation als außeralltäglich markiert. Denn mit der symbolischen Dimension ist der Verweis auf etwas verbunden, das in der gegebenen Situation nicht präsent, aber gemeint ist. Die Wahrnehmung der Unordnung bzw. der bedrohten Ordnung verschafft dem Bild harmonischer Ganzheit symbolische Präsenz. Daraus folgen die narrative Sinnkonstitution der Ekelhandlung – deren Geschichte vom Anfang der Reizwirkung bis zu deren Aufhebung – und die Aufmerksamkeit für mögliche rituelle oder ritualisierte Formen der Ordnungssicherung. Für soziale Einheiten wie Familie, Welt, Leben oder eigenes Ich als Ekelauslöser stehen Begriffe wie Lebens-, Welt-, Selbst- oder »Erkenntnisekel« (Thomas Mann) zur Verfügung. Dabei kann es sich um situativ und zeitlich begrenzte wie um lebensgeschichtlich prägende Formen der Betroffenheit und Ekelabwehr handeln. Als Indikator von Unordnung verweist Ekel damit auf Wirklichkeiten oder Lebensmöglichkeiten neben jenen der gestörten Ordnung. So kann Ekel die Erkenntnis der Krisenhaftigkeit, der Defizienz einer Ordnung vermitteln und den Suchmodus nach einer akzeptanzfähigen Veränderung oder einer begründeten Kontinuität der Ordnung auslösen. Häufig bewirkt die Emotion Ekel intensive Formen – auch künstlerisch – produktiver Selbstreflexion, sie ist nicht interesselos, sondern Mittel zum Zweck. So konfrontiert Komplexitätsreduktion als Folge einer Ekelerfahrung das Ekelsubjekt mit der Notwendigkeit, die Wirksamkeit des Ekelreizes aufzuheben und womöglich eine neue Ordnung zu finden. Ekel generiert Bewegung, nach der Ekelerfahrung ist das Ekelsubjekt in der Regel ein/e andere/r geworden, als es zuvor gewesen ist.

Zur Sequenz einer Ekelhandlung gehören der Ekelauslöser, das Ekelsubjekt mit seiner Ekelwahrnehmung und -reaktion sowie seiner Bemühung um die Aufhebung des Ekelreizes als Bestätigung einer zumeist modifizierten Ordnung. Auch ist Ekel eine Zuschreibungs-, keine Selbstauslegungskategorie und bezeichnet keine ›objektive‹ Eigenschaft, impliziert aber tendenziell eine Selbstdefinition der Sprecher als überlegen, elitär, auserwählt. Gegen Kolnais (2007, 61) These, dass es Objekte wie »Exkremente und die schlechthin fauligen Stoffe, [die] ›Abfälle‹ der Natur« gebe, »die sozusagen schon von Natur wegen ekelhaft sind«, spricht das empirisch nachweisbare Faktum, dass professionelle Rahmungen der Entsorgung oder Reinigung von Ekelobjekten gegen den als ›natürlich‹ gemeinten Ekel immunisieren. Dass solche Immunisierungen auch für sozial begründete Rahmungen als möglich gelten, gestaltet Döblin in seinem Roman Wang-lun (vgl. Kap. 5.3). Kollokationen wie ich ekele jemanden/ andere sind standardsprachlich nicht gebräuchlich, womöglich als poetische Lizenz nachweisbar. Dagegen sind Wendungen wie jemandem Ekel verursachen durch die Konfrontation mit Reizobjekten, auf die die betreffende Person mit Ekel reagiert, durchaus möglich.

In diesem Beitrag wird nach Möglichkeiten der Genese des Sozialen aus Ekelreaktionen gefragt, was für Nähebeziehungen mit ihren gemeinschaftsbildenden Ritualen wie Mahlzeiten, Geselligkeiten, Feste fraglos vorausgesetzt wird. Gehört der rituelle Handlungstyp mit geschichtsbildender Funktion zu den Abwehrreaktionen gegen Ekelerfahrungen? Lassen sich Strukturen von Ekelreaktionen isolieren, die für objektbezogene (z.B. Speise-, Berührungsekel) und kognitive (z.B. Weltekel) Ekelerfahrungen gelten? Diese Fragen werden anhand einiger literarischer Ekelgestaltungen als Modellen für den Umgang mit Negativem untersucht. Grundsätzlich gelten literarische Weltauslegungsangebote als zeitgeschichtlich bedingte Reaktionen ihrer Autoren, was ihnen nicht nur die Bedeutsamkeit von Zeitzeugenkommentaren gibt, sondern auch die historischer Quellentexte für bestimmte Fachgeschichten (z.B. Krankheit, Krieg, Flucht, Sport) und allgemeiner Erfahrungen. Daraus folgt der semasiologische Ansatz dieses Beitrags, da die Textfunktion als zeitgeschichtlicher Autorkommentar die explizite Deutung einer Szene als Ekel durch die Instanz Autor/Autorin fordert. Eine Geschichte des Ekels erscheint nur als Geschichte tatsächlicher und/oder fiktionaler Ekelreaktionen (Aufführung des Ekels) möglich. Zunächst geht es um Hinweise zur Forschung (2), um die Etymologie (3) und die Thematisierung von Ekel in Medien (4) schließlich um literarische Ekelgestaltungen (5).

2. Zur Forschung

Winfried Menninghaus (2000, 7) formuliert in seiner umfassenden Untersuchung zum Phänomen Ekel folgende binäre Leitthese: »Das elementare Muster des Ekels ist die Erfahrung einer Nähe, die nicht gewollt wird. [Dagegen steht die] Theorie der Liebe, des Begehrens und des Appetits als Formen des Umgangs mit einer Nähe, die gewollt wird«. Geradezu als Bestätigung dieser die Extreme explizit trennenden und damit zugleich verbindenden These mag Thomas Manns Engführung beider Seiten zur Beschreibung von Castorps Leidenschaft für Clawdia Chauchat im Zauberberg gelten, für die »das sonderbarste Gemisch aus Ekel- und Gemeinschaftsgefühlen« (Mann 1967, 223) prägend ist. Kolnai (2007, 8) zählt Ekel neben »Mißfallen, Haß, Leid (an etwas), Schaudern (über etwas)« zu den »Abwehrreaktionen«, die – wie schon erwähnt – eine Ordnung voraussetzen, welche die Abwehr als unausweichlich begründet. Demnach ruft Ekel ein als Analyseparameter in der Regel allzu grobes, daher untaugliches Freund-Feind- oder Schwarz-Weiß-Schema auf, zwischen dessen extremen Positionen keine Vermittlung möglich erscheint. Im Unterschied dazu wird mit dem modernen Begriff ›Mobbing‹ ein Abwehrprozess bezeichnet, der sich auf Personen bezieht und sich von Ekel eben durch seine nicht selten lange Dauer der Kontaktnahme mit der betroffenen Person unterscheidet. Auch kann Mobbing in bestimmten Fällen mit der Umkehr zur Akzeptanz der gemobbten Person enden. Dagegen gilt Ekel als kompromisslos, das Ekelsubjekt ist existentiell betroffen, sodass nur die Distanzierung vom Ekelauslöser in Betracht kommt. Menninghaus resümiert umfassend Stationen des literarisch-philosophischen Ekeldiskurses vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart sowie zugehörige Forschungsarbeiten. »Eine Geschichte des ›wirklichen‹ Ekels zu schreiben […] stößt auf beinahe unüberwindbare Schwierigkeiten. Die entsprechenden Daten sind nur zu einem verschwindenden Teil ins kulturelle Archiv eingegangen« (Menninghaus 2000, S. 9). Das Kursbuch 129 (Sept. 1997) Ekel und Allergie thematisiert zahlreiche Ekelaspekte wie Speise-, Textilekel, Nähe als Ekelauslöser, Ekellust, philosophische Aspekte des Ekels, Allergien als Ekelsymptome. Zelle geht davon aus, dass »wir noch nicht jenseits der Tabus [leben], die die Avantgarden dieses Jahrhunderts aufsprengen wollten« (Zelle 1998, 198). An historischen Beispielen untersucht er, »warum in der Kunst gerade das besonders anzieht, was uns im Leben abstößt« (Zelle 1998, 206). Seine Leitthese lautet: »Nicht nur das Schöne« gehöre zur Ästhetik, »sondern auch dessen Kehrseite: das Häßliche« (Zelle 1998, 202), wofür er sich auf Rosenkranz (2015, 13) berufen kann: »Allein das Häßliche ist vom Begriff des Schönen untrennbar, denn dies hat in seiner Entwicklung dasselbe beständig als diejenige Verirrung an sich, in die es mit einem oft geringen Zuviel oder Zuwenig verfallen kann«. So wie das Schöne damit als Mitte zwischen den Extremen definiert wird, fasst Rosenkranz (2015, 5) »den Begriff des Häßlichen als die Mitte zwischen dem des Schönen und dem des Komischen«.

Ich rolle gleichsam den Kosmos des Häßlichen auf von seinen ersten chaotischen Nebelflecken, von der Amorphie und Asymmetrie an bis zu seinen intensivsten Formationen in der unendlichen Mannigfaltigkeit der Desorganisation des Schönen durch die Karikatur. Die Formlosigkeit, die Inkorrektheit und die Deformität der Verbildung machen die verschiedenen Stufen […]. Es ist versucht worden zu zeigen, wie das Häßliche an dem Schönen seine positive Voraussetzung hat, dasselbe verzerrt, statt des Erhabenen das Gemeine, statt des Gefälligen das Widrige, statt des Ideals die Karikatur erzeugt. (Rosenkranz 2015, 6)
 
»Das Widrige« teilt er in »das Plumpe, das Tote und Leere, das Scheußliche« und zählt »das Ekelhafte« neben dem »Abgeschmackten« und dem »Bösen« zum »Scheußlichen«. Während für die Medizin »auch das Scheußlichste gerechtfertigt« sei, gelte »für die Kunst hingegen [, dass] die ekelhafte Krankheit nur unter der Bedingung darstellbar [sei,] daß ein Gegengewicht ethischer oder religiöser Ideen mitgesetzt wird« (Rosenkranz 2015, 298). Besonders zwei Elemente dieser Definition der Erscheinungsformen des Hässlichen, d.h. auch des Ekelhaften, bekräftigen die Tradition des Ekeldiskurses: dessen Verortung in einer Zwischenposition zwischen Extremen und dessen Relativität oder Abhängigkeit von je unterschiedlichen konstruktiven Voraussetzungen, d.h. Ekel hat als zusammengesetztes Phänomen zu gelten.

Hannelore Schlaffer gibt einen Überblick über Ekelgestaltungen in moderner Literatur (bei Franz Xaver Kroetz, Werner Schwab, Patrick Süskind, Robert Schneider, Hans-Joachim Schädlich u.a.) und Kunst (Damien Hurst). Allerdings ist mit der bloßen Aufzählung oder Paraphrase ›ekelhafter Stellen‹ in literarischen Texten wenig an Erkenntnis gewonnen, vielmehr kommt es auf die kontext- und interessenbezogene Analyse und Deutung dieser Stellen an. Seine Bedeutung in der Moderne verdanke der Ekel dem »Interesse an der Wirkung«, nicht dem an der »Kunstgestalt des Werkes«, es handle sich um »eine der wirkungsvollsten Varianten der Betroffenheitsliteratur«, es komme auf die Identifikation der Leser »mit dem ›Körperdrama‹« (Schlaffer 2000, 96-108; vgl. Penning 1984) an. Schlaffer führt die künstlerische Konjunktur des Ekels auf sein weitgehendes Verschwinden aus dem Alltag zurück (Schlaffer 2000, 107f.). R. Schnell geht aus mediävistischer Perspektive von einer Symbiose des Schönen mit seinem Hässlichen aus, wobei eine ästhetische Grenzziehung zwischen beiden kaum möglich sei. Künstlerisch vermittelte Ekelerfahrungen hätten gleiche Wirkung wie reale. Weil über Ekelerfahrungen im Mittelalter keine belastbaren Daten vorliegen, versucht Schnell, aus literarischen Texten entsprechende Informationen auch mit Hilfe der Emotionsforschung zu gewinnen. Außerdem seien pragmatisch ausgerichtete Texte wie Tischzuchten, Fürstenspiegel usw. zu berücksichtigen. Die »heimliche Attraktion des Ausgegrenzten« (Schnell 2005, 399) sei darin begründet, dass unter dem moraldidaktischen Vorwand der Ekelmarkierung Tabubestände ausführlich dargestellt werden könnten, was die Verbindung von Ekel und Lust zeige.

Obwohl Ekel Lust auf Distanz erregt, Begehren dagegen auf deren Aufhebung zielt, ist zu berücksichtigen, dass für beide Emotionen die Wirksamkeit einer produktiven Beziehung konstitutiv ist. Wird ein Begehren nicht erfüllt, sind oft Traurigkeit, Trauer und Weinen die Folge.

Tränen sind nicht nur ein Symptom unserer Traurigkeit, sondern ein starkes Signal, um unseren Wunsch nach Verbundenheit auszudrücken. Weinen macht uns Menschen menschlich. Es funktioniert wie ein moralischer Kompass, es bringt uns bei, was gut ist und was schlecht. […] Tode, Scheidungen und Vermissen – immer geht es um ein vorübergehendes oder dauerhaftes Getrenntsein. Tränen zeigen also nicht so sehr unsere Traurigkeit, sondern eher wie hilflos und hoffnungslos wir sind. […] Natürlich wollen wir mit unseren Tränen immer etwas bezwecken. Wir wollen Trost, wir wollen Verständnis... (Vingerhoets in Gassmann SZ 22. 06.2018, 20f.).

Ekelforschung bezieht sich auf Körperlichkeit und das kognitiv-intellektuelle Selbstbild einer Person (z.B. begründetes Verzichts- und Vermeidungsverhalten, Modifikation des Ordnungssystems) und gehört zu Medizin, Natur-, Sozial- und Kulturwissenschaften im weiten Sinne. Sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum sind Ekelerfahrungen möglich. Deutet jemand eine emotionale Referenz als ekelhaft, hat dies zumeist auch soziale Wirkungen. In der Regel versucht das Ekelsubjekt, sich vom Ekelanlass oder -auslöser zu befreien (Verzicht), zu entfernen (Fluchtreflex) oder dessen Wirksamkeit durch passende Maßnahmen aufzuheben. Auch eine ambivalente Reaktion zwischen Ablehnung und Anziehung ist möglich; denn durch seine Aufmerksamkeit für die Ekelreferenz bleibt das Ekelsubjekt an diesen Reiz bis zu dessen Aufhebung gebunden und damit im Status verdichteten Selbstbezugs und häufig auch sozialer Anteilnahme. Gelingt die Kontinuität der Ordnung, wird das Bedrohungspotential des Ekelauslösers – zumeist – langfristig reduziert (Machtverlust).

3. Etymologie und Wortgeschichte

Sowohl das Nomen Ekel in der Bedeutung »›Abscheu‹ (eigtl. ›was zum Erbrechen reizt‹)« als auch das Adjektiv »ekel [als] ›Ekel erregend‹, (veralt. für:) ›wählerisch‹ […] erscheinen erst im 16. Jh. als mitteld. e[c]kel (mnd. Ekel ›Greuel‹), ihre Herkunft und das Verhältnis zu oberd. heikel sind ungeklärt« (Duden 2014, 246). Zu »heikel« heißt es: »›schwierig, mißlich, bedenklich‹«, oberd. auch für ›wählerisch [im Essen]‹: Die Herkunft des erst seit dem 16. Jh. bezeugten, zunächst oberd. Wortes ist unklar. Vielleicht handelt es sich um ein von mhd. hei[g]en ›hegen, pflegen‹ abgeleitetes Adjektiv, das sich mit dem Adj. ekel gekreuzt hat« (Duden 2014, 374). Die Bedeutungsvariante wählerisch in Bezug auf die Genussqualität von Speisen zeigt – als kulturgeschichtliches Detail – die handlungsproduktive Differenzierung von sicheren (Lust generierenden) und unsicheren (Unlust generierenden) Speisen.

Den Erstbeleg datiert das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch (Bd. 5, 2017, Sp. 2027-2030) auf 1521, er stammt von Martin Luther: »Wan der [mage] aber voll ist, das es oben anstoest, ists im ein sulch eckel und grawen, das ers nicht sehen kan«. Der Satz bestätigt das Ekelmerkmal Übermaß und ruft die Polarität von Ekel und Genuss auf. In seiner Studie zum Begriff des Extremen zählt Schmieder zu dessen Erscheinungsformen »Übermaß und Mangel« in jeder Hinsicht. Was für die politische Theorie dann »Maß und Mitte« (Schmieder 2016, 88) als Ergebnisse von Aushandlung sind, nennt Raulff (1982, 248) hinsichtlich der »Gebirge Ekel und Genuß« den dazwischen liegenden »Geschmack«, der jeweils von der Küche hergestellt werde.

In Zedlers Universal-Lexikon findet sich ein Artikel zu »Eckel« unter dem Aspekt medizinischer Symptomatik und entsprechender Therapien:

»Eckel, Nausea, ist eine Beschwerde des Magens mit Sammlung des Speichels im Munde, dabey sich ein Bemühen zum Brechen findet. Die nächste Ursache ist in denen Fibris des Schlundes und Magens zu suchen, welche von unterschiedlichen andern Ursachen, als Cruditaeten im Magen, wenn man andere kotzen siehet, von Consensu derer Nieren, des Zwerg-Fells, der Gebähr-Mutter, derer Gedärme usw. widernatürlich beweget werden. Die Cur ist auf die Ursachen gerichtet, dahero dienet, die Lebens-Geister zu besänfftigen, ein Saffran-Sack auf den Magen geleget. [folgen weitere Therapievorschläge und ein Verweis auf den Artikel Brechen] Denn Eckel und Brechen sind nur Gradweise von einander unterschieden« (Zedler Bd. 8, 1735, 149).

Im nachfolgenden Lemma wird die somatische Symptomatik auf nicht materielle Gegenstände als Auslöser erweitert. Entscheidend ist die Heftigkeit der Ekelreaktion als Gesamtablehnung:

»Eckel, eckeln, zeiget in Heil. Schrifft einen gar hefftigen Unwillen an, da sich alles im Leibe gleichsam drüber umkehret, man kan eine Sache weder sehen noch rüchen, weder angreiffen noch davon reden hören, ja es ist einem so zuwieder, daß man gleichsam Stechen darüber empfindet als von spitzigen Dornen, wie etwa das Ebr. Wort einen solchen Nachdruck führet, und wird gesunden von denen Kindern Israel, die das Manna überdrüßig waren, und sprachen: Unsere Seele eckelt vor dieser losen Speise. Num. 21, 5. Von denen Egyptiern, denen vor dem Blut-Wasser zu trincken eckelte. Exod. 7, 18 etc. Sonst finden wir auch dieses Wort von Gott dem Herrn, wie er einen Eckel habe an denen Abgöttern, Lev. 26, 30. an dem Berge Zion. Jer. 14, 19. Wodurch nichts anders als sein gerechtes Mißfallen und Strafe angedeutet wird« (Zedler Bd. 8, 1735, 149).

Im Lemma »Nachtekel« bei Zedler (Bd. 23, 262) findet sich eine ähnliche Krankheitssymptomatik wie im Artikel Ekel; neu ist der Hinweis auf den Verzehr »viele[r] oder fetter[r] Speisen« und darauf, »sehr viel getruncken [zu] haben«.

In Adelungs Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart wird die »Empfindung« Ekel als medizinischer Befund differenziert erwähnt, wichtiger aber ist die Bedeutung eines anlässlich beliebiger, auch »geistiger«, Objekte möglichen »Abscheues« des Ekelsubjekts. Adelung erwähnt bis in die Gegenwart anerkannte Merkmale der Form und Materialität von Ekelobjekten – quasi objektiver Befund – und benennt außerdem gewöhnliche Wahrnehmungsarten von Ekel, indem er eine Hierarchisierung der Sinne vornimmt. Außerdem zeigt er Ekel als Gegenstand alltäglicher Kommunikation durch die Auflistung entsprechender Kollokationen:

»Der Ekel 1) Eigentlich, diejenige unangenehme Empfindung, welche vorher gehet, wenn man sich übergeben will; die Übelkeit. Einen Ekel bekommen. Der Ekel ist wieder vergangen. Jemanden einen Ekel verursachen, eine Neigung zum Erbrechen bey ihm erregen. Noch mehr aber, 2) in weiterer Bedeutung, ein sinnlicher Abscheu gegen solche Gegenstände, welche durch den Geschmack und Geruch empfunden werden, weil sie ein Erbrechen, folglich auch einen Ekel in der eigentlichen Bedeutung, erregen können. Einen Ekel vor gewissen Arten von Speisen haben. Einen Ekel vor etwas bekommen. Dieser Ekel entstehet nicht nur von gewissen dem Geschmacke und Geruche widerwärtigen Dingen, sondern auch von einem Übermaße der Sättigung, weil man sich auch bis zum Ekel satt essen kann, so daß man von allen Arten von Speisen einen Ekel empfindet. Vermöge einer sehr gewöhnlichen Verbindung der Begriffe können auch Gegenstände, die durch das Gesicht, durch das Gefühl und durch das Gehör empfunden werden, einen Ekel erwecken. Körper, welche widerwärtig weich anzufühlen sind, häßliche, scheusliche Gegenstände für das Gesicht, öftere Mißtöne und lauter Consonanzen können figürlich gleichfalls einen Ekel erwecken; obgleich in Ansehung des Gehöres die Figur ein wenig hart zu seyn scheinet. Bis zum Ekel häßlich seyn. Jemanden mit Ekel ansehen. In allen diesen Fällen druckt Ekel den hohen Grad eines sinnlichen Abscheues aus. Nach einer noch weitern Figur, gebraucht man dieses Wort, 3) auch von einem hohen Grade des geistigen Abscheues, des Unwillens, Widerwillens. [Folgen Zitate aus der Bibel] 4) Ein Gegenstand, welcher sinnlichen, noch mehr aber geistigen Ekel erwecket. Dein Betragen, deine Aufführung ist mir ein Ekel« (Adelung Bd. 1, 1811, Sp. 1783-1784).

Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm heißt es zu Ekel:

»Ekel, m. fastidium, taedium nausea, eins der auffallendsten wörter unserer sprache, heute feststehend und besonders im adj. zu feinen unterscheidungen ausgeprägt, war es ehmals unerhört, tritt auch in den übrigen deutschen sprachen fast nirgends auf. Man spricht das anlautende e durchweg lang, und die frühere schreibung eckel ist darum zu verwerfen, wie sich auch zuweilen eickel findet.

Das substantivische ekel drückt aus
1) sinnlichen widerwillen und abscheu, zumal, wie das griechische wort ausdrückt, im schiffe seefahrender, bis zum erbrechen
2) geistigen widerwillen
3) den gegenstand des ekels und widerwillens selbst die sache oder auch die person (von einer person ›der ekel‹)« (Brüder Grimm Bd. 3, 1862, 394f.)

Für die in der Ekelforschung häufig begegnenden Hinweise auf lat. ›fastidium‹ und ›taedium‹ gibt Georges folgende Erläuterungen: »fastidium: I: Der Ekel, Widerwille gegen einen Genuß, der Überdruß aus Ekel in bezug auf Geschmack, Gehör u. Gesicht. II. im allg. der geistige, moralische Ekel, Widerwille, die Abneigung« (Georges 101907, 373) und »taedium: der Ekel, Überdruß einer Sache, absol. od. m. obj. Genet. (vor, an)« (Georges 101907, 889). Mit dem Hinweis auf lat. nausea, Seekrankheit, ist die Symptomatik von Übelkeit und Erbrechen und damit die Empfindung von Unordnung, Schmutz, Befleckung, defizitärer Selbstbestimmung konnotiert, des Weiteren in Bezug auf das Meer das Gefühl des Schrecklichen und Erhabenen. Als Ursache dieses Zustands gilt die ungewohnte Bewegungsart, die mit neuer Wahrnehmung und Perspektive verbunden und der auf einem Schiff im Meer nicht zu entgehen ist. So mag Ekel einerseits anzeigen, dass es neben dem Normalen, Gewohnten noch andere Möglichkeiten der Weltwahrnehmung und -deutung gibt, andererseits mag zu Ekel die Konnotation von Ausweglosigkeit und Gefangenschaft in einem begrenzten Raum gehören. Im Französischen steht la nausée für die medizinische Symptomatik, le dégoût allgemein für Distanzierung und Abwehr. Das Englische kennt nausea und disgust.

Nur in bestimmten Kontexten sind Widerwille oder Abscheu synonym mit Ekel. Komposita wie Ekelfleisch bilden aktuelle Skandalbestände ab, haben daher hohen zeit- und sozialgeschichtlichen Quellenwert und bestätigen überdies die produktive Funktion von Ekel für Wortbildungsprozesse. In Bezug auf künstlerische Werke, Speisen u.a. wird vom Ekelfaktor gesprochen. Gilt eine Person als unbelehrbar hinsichtlich der Vorurteilshaftigkeit und Oberflächlichkeit ihrer als ›absolut‹ geäußerten Urteile, als intrigant, spießig, streitsüchtig, also als umfassend unangenehm und schwierig im Umgang, wird sie als das Ekel bezeichnet. In der Jugendsprache bedeutet eklig oft nur unangenehm oder – bloß spontan situativ – abstoßend. Als Gegensatz gilt alles, was fasziniert, anziehend und attraktiv wirkt oder Genuss verspricht, d.h. alles, was Lust auf Wollen, Haben weckt (z.B. Liebe, Zuwendung, Mitleid, Leibgericht).

4. Zum Thema Ekel in Medien

Als Gegenstand der Alltagserfahrung hat Ekel seinen Platz in den Medien. So wird im Nachruf auf den amerikanischen Fernseh-Koch Anthony Bourdain und seine Sendung No Reservations dessen weltweite »Suche nach dem Genius der lokalen Küche« als Begründung dafür angeführt, dass »er sich dann vorsetzen ließ, was die meisten Touristen nie anrühren würden. Natürlich war seine Sendung auch Reality-TV. Wird er die gerösteten Schweineohren runterkriegen? Welches Gesicht wird er machen, wenn er die Heuschrecken zwischen den Zähnen hat?« (Häntzschel in SZ 9./10. 06.2018). Bourdain zeigt sich frei von kulturspezifischen Vorbehalten oder Ressentiments gegenüber Speiseangeboten anderer Kulturen – wie mangelnde Hygiene, mögliche Verunreinigung des Wassers, krankheitserregende Keime, allergene Substanzen, weiche, klebrige Konsistenz der Speisen, Vermischung unbekannter Zutaten –, was offenbar häufig Ekelreaktionen und den Verzicht auf den Verzehr dieser Speisen hervorruft. Für sich selbst hat Bourdain die Ekelgrenze aufgehoben oder stark erweitert. Als Möglichkeit für Erfahrungserweiterung und den Abbau von Vorurteilen reflektiert er die Fremdheit der Speisen (vgl. Streck 1997). Demnach scheint alles essbar zu sein, Ekelreaktionen sind kulturspezifisch und durch den Sozialisationsprozess vermittelt, das Ekelverhalten kann verändert werden. (Selbstverständlich geht es hier nicht um religiöse Speiseregeln, die den Verzehr des Fleisches bestimmter Tiere und die Mischung verschiedener Zutaten untersagen.) Grundsätzlich besteht kaum eine Notwendigkeit, auf den Abbau von Speiseekel zu drängen. Ein Verzicht löst das Problem. Auch sollte niemand wegen bestimmter Speisevorlieben und -abneigungen kritisiert werden. Bourdains Verfahren, für seine Zuschauer ungewohnte Speisen selbst zu verzehren und über deren Geschmack, Konsistenz und Verträglichkeit, insgesamt über deren Genussdimension zu sprechen, mag auch (schul)didaktisch usw. praktikabel sein.

Dass die Öffnung und Offenheit für ungewohnte Speisen inzwischen den Bereich individuellen Ermessens und jugendlicher Mutproben verlassen hat und EU-Recht geworden ist, wird langfristig Ekelempfindungen z.B. gegenüber Insekten als Nahrungsmitteln verringern. Womöglich vermögen Insektenprodukte wesentlich zur Entspannung der Welternährungssituation beitragen (vgl. Grossarth in FAZ 18.07.2018). Seit dem 1. Januar 2018 ist die »Novel Food-Verordnung der EU« (2015/2283) in Kraft, die es in die Entscheidung jedes einzelnen Mitgliedsstaates stellt, »Insektenprodukte« und den Verzehr ganzer Tiere nach vorhergehender gesundheitlicher Bewertung zuzulassen bzw. die Zulassung in Brüssel zu beantragen, was bei Genehmigung deren Vertrieb in der gesamten EU einschließt (vgl. Lander/ Messelhäußler 2018). »Viele Menschen ekeln sich vor den Krabblern und daran wird sich so schnell nichts ändern« (Gurk in SZ 26./27.05.2018). Obwohl Insekten als Speise wohl ihre Geltung als Distinktionsmerkmale behalten werden, sind immer mehr Start-ups der Insektenzucht und -vermarktung am Markt aktiv. Es geht um Ameisen, Ameiseneier, Wasserschaben, Maden, Heuschrecken, Raupen- und Käferarten. Angeboten werden vor allem »Riegel für Sportler, Protein-Pulver, Kekse oder Pasta. […] Experten predigen schon lange, dass Insekten das bessere Fleisch sind. Sie enthalten viele Proteine und Vitamine, sie brauchen wenig Futter und wenig Platz und sie verursachen kaum Abfälle. Kurz: Insekten sind eigentlich das perfekte Essen« (Gurk 2018). An diesem Beispiel zunehmender Akzeptanz von Insektenprodukten trotz deren traditioneller Tabuisierung und Ausschlusses aus den Regalen der Supermärkte wegen des Verdachts auf Ekelerregung und folgenden Konsumverzichts der Kunden wird deutlich, dass Ekel vor Speisen, besonders vor deren Rohstoff und Rohzustand verändert werden kann. Möglich sind ritualisierte Verkostungen, bei denen die Rohstoffe appetitlich verarbeitet sind. Bezüglich der Insekten geht es um die Vorstellung von Gewimmel, Krabbeln, Fliegen, Kriechen, Springen und der weichen Konsistenz verschiedener Insektenarten. Eine Neuausrichtung der symbolischen Ordnung hinsichtlich der Akzeptanz von Speisen verändert auch das Spektrum zugehöriger Ekelanlässe, was tendenziell die Aufhebung von Speisetabus bewirken könnte. So heißt es, dass REWE »in zwei Filialen in Aachen [den] Insekten-Burger ins Sortiment« genommen habe. »In zwei Wochen seien 400 Packungen verkauft worden« (Gurk 2018). Auch die Kategorie »Ekelfilm«, die Jeggle (1997, 15) für Mondo Cane als Beispiel für »das Eklige als das Fremde« benutzt, dürften im Laufe dieser Entwicklung hinfällig werden.

Für den kulinarischen Bereich lassen sich folgende Grundformen der Ekelauslöser und -objekte für westliche Gesellschaften unterscheiden:

Fühlen / Tastsinn: das Formlose, Amorphe, Weiche, Gallertartige
Geruch / Geschmack: ranzig, käsig, Schwefel-, Buttersäure, saure Milch, Körperflüssigkeiten (z.B. Eiter, Urin)
Nicht identifizierbare vermischte Zutaten in grauer Färbung und dickflüssiger Konsistenz
Überfülle, Übermaß, Gewimmel, zu süß
Blutiges, Blut in unterschiedlichen Aggregatzuständen
Objekte im Verwesungs-, Auflösungs-, Zersetzungsprozess, Verdorbenes
Innere Organe, ganze Köpfe (z.B. Fischköpfe in Suppen)
Geschlachtete Tiere
Verzehrtabu: Hunde, Affen, Insekten (mit abnehmender Tendenz)

Mechanismen der Ekelauslösung setzen voraus, dass die Essenden wissen, dass sie Speisetabus brechen. Wissen sie nicht, was sie essen, bleibt die Ekelreaktion nicht selten aus.

Vermittelt wird die Emotion Ekel als Reaktionsform vor allem durch die sogenannten niederen Sinne Geruch, Geschmack und Tastsinn/Fühlen, deren Leistung Nähe zum jeweiligen Objekt voraussetzt. In einem Bericht über die Arbeit von Park Rangers in Berlin heißt es, dass sie »eklige Hinterlassenschaften […] anderer Leute wegzuräumen« haben, wozu »Knochen und Schädel von Lämmern, die gegrillt wurden, auch Fäkalien, Scherben von Flaschen«, wohl auch Kondome gehören. Dennoch sagt der interviewte Ranger, dem die Beseitigung von Ekelobjekten Gewinn sozialer Aufmerksamkeit einträgt, »Die Arbeit mache Freude« (Schneider in SZ 17.05.2018, 10). Wiederhergestellt wird die symbolische Ordnung eines Parks als harmonischer Naturraum durch Wegräumen der Ekel auslösenden Objekte, die als Schmutz gelten, weil sie nicht mehr brauchbar sind und sich in dieser Gegebenheitsform nicht am vorgesehenen Platz – Mülleimer, Papierkorb – befinden. Indem Sauberkeit hergestellt wird, wird auf die intendierte Reinheit des Ortes als Gegen- oder Kompensationsraum zum Alltag verwiesen (zum Wechselverhältnis von Reinheit und Ekel, Schmutz, Bösem vgl. Groebner in SZ 03.07.2018). Dass absolute Ordnung nicht möglich ist, zeigt schon das biblische Beispiel des Paradieses: Hier sind Entwicklung und Geschichte, d.h. Bedrohung und Aufhebung der Ordnung durch das Ver- oder Gebot, bestimmte Früchte nicht zu essen, in die Ordnung integriert. Den Verursachern der Unordnung im Park verursacht ihr eigener Schmutz offenbar keinen Ekel, sei es, weil es ihr eigener ist, weil sie dessen Nähe nach dem Grillfest verlassen oder weil sie wissen, dass der Schmutz vom Ranger weggeräumt wird. Ähnlich scheint es mit dem Verpackungsmüll an den Rändern vieler Autobahnen zu sein, den die Autofahrer aus den Fenstern entsorgen. Ekel mag sich einstellen gegenüber einer Gesellschaft, die diese Unordnung verursacht und zulässt, zugleich aber den möglichst weitgehenden Verzicht auf Plastikmaterialien (Tüten, Einweg-Verpackungen) fordert, Umwelt-, Meeresschutz und Mülltrennung propagiert. So bleibt die Struktur des Handlungsprozesses Ekel erhalten: Ekelreaktionen setzen in der Regel voraus, dass Ekelauslöser als entsprechende Zeichen zur symbolischen Ordnung des Ekelsubjekts gehören.

Ekelemotionen sind als Indikatoren von Grenzüberschreitungen oder -verschiebungen innerhalb eines kulturellen Systems von symbolischer Ordnung und zugehöriger Unordnung beschreibbar. Sie reagieren sowohl auf Auflösungsprozesse als auch auf Verdichtungs- und Verfestigungsprozesse innerhalb der Ordnung (z.B. immer gleiche Abläufe, Routine, Langeweile). So sagt Ziemßen in T. Manns Roman Der Zauberberg kurz nach der Ankunft Castorps im Sanatorium zu diesem: »›Wir alle hier oben, kannst du mir glauben, haben sie [Luft, Gegend] ganz unaussprechlich satt‹ […] und sein Mund wurde von einem Ausdruck des Ekels verzogen, der übertrieben und unbeherrscht wirkte und ihn wiederum nicht gut kleidete« (Mann 1967, 13). Es geht um die Bedrohung oder Störung einer Ordnung durch Überdruss an ihren immer gleichen Phänomenen.

Im Zusammenhang des Ekelkomplexes bezeichnet Schmutz über jene alltäglichen Objekte, die regelmäßig gesammelt, entsorgt, verbrannt oder recycelt werden und daher keine Störung bewirken, hinaus Phänomene, die sich außerhalb dieses institutionell legitimierten Kreislaufs befinden und den Vorstellungen mancher Menschen von Ordnung besonders im öffentlichen Raum widersprechen. Damit auf Schmutz öffentlich mit Ekel reagiert und über ihn gesprochen wird, muss er Alltagsabläufe bedrohen oder behindern. Wird Schmutz dagegen als Trash-Kunst oder ›Abject‹-Art (Julia Kristeva, vgl. Menninghaus 2002, 526-534) im institutionell legitimierten Raum eines Museums ausgestellt, bindet er als zugehörig zum künstlerischen Feld entsprechende Erzählungen, erhält eine Geschichte und wird Teil des geschichtsbildenden ästhetischen Diskurses (zu Schmutz und »Ekelgrenze« vgl. C. Enzensberger 1971).

Ekelreaktionen markieren einen komplexen Handlungsprozess, in dem körperliche, psychische und kognitive Ausprägungen von Ekel – wie Erbrechen, Depression, Perspektivelosigkeit – als Reaktionen auf einen sach- oder personbezogenen Anlass erscheinen. Dessen Wirksamkeit und Macht sollen aufgehoben, zumindest beschränkt werden, damit die Situation nicht mehr durch den Komplex Ekel zu deuten sei. Zumeist bewirkt Ekel ein Verlangen nach Distanz, Meidung, Verbringung oder Beseitigung seines Anlasses, auch nach präventiven Maßnahmen zur Verhinderung erneuter Reizwirkungen. Demnach stellt Ekel eine abhängige (bedingte) und unabhängige (wirkungs- und reaktionsoffene) Variable dar, die auf entsprechende Reize reagiert. Dadurch dass Ekel als Situationsdeutung anzeigt, dass eine Situation nicht so ist, wie sie sein soll (Indikatorfunktion), erhält er zugleich die Funktion, alle verfügbaren Energien des/der Betroffenen zu aktivieren, um die Differenz zwischen Sein und Sollen aufzuheben (Faktorfunktion). Indem Ekel wahrnehmbar wird, setzt der (Handlungs-) Prozess seiner Aufhebung – zumeist – zur Bestätigung und Erhaltung der bedrohten Ordnung ein.

1. weil es zugleich diagnostische (Wahrnehmung) und therapeutische (Verhalten, Handeln) Funktion hat,
2. weil es als Bedrohung einer symbolischen Ordnung und als Warnung vor möglichen Folgen dieser Bedrohung erscheint,
3. weil es als Reaktion auf einen Reiz oder Auslöser über sich selbst hinausweist auf die Notwendigkeit, die Unversehrtheit oder Reinheit der symbolischen Ordnung zu sichern oder wiederherzustellen,
4. weil es in allen sozialen Bereichen auftreten kann, weil es weder geschlechts-, alters- noch schichtspezifisch ist,
5. weil es in vielfältigen Ausprägungen und situativen Kontexten auftreten kann,
6. weil es mitunter ausreicht, Ekelobjekte in künstlerischer Gestaltung (bildende Kunst, Fotografie, Theater, Literatur) zu erleben, um entsprechende Reaktionen zu entwickeln,
7. weil es Gegenstand zahlreicher Wissenschaften ist wie Anthropologie, Biologie, Ernährungs-, Geschichts-, Kultur-, Kunst-, Literatur-, Rechts-, Religions-, Wirtschaftswissenschaft, Ethnologie, Medizin, Philosophie, Psychologie, Theologie.

In einer Welt, die sich weitgehend mittels kultureller Zeichen verständigt (Semiotisierung), bringen auch Speisen und Nahrungsmittel eine symbolische Dimension, ein Narrativ, mit und haben Funktionen als soziale Distinktionsmerkmale, die als solche immer schon mit am Tisch sitzen und die Menuwahl oder den Einkauf in Bezug auf das Essritual bestimmen: Sich einen Namen machen, sich in gewünschter Weise selbst darstellen, indem man bestimmte Speisen isst, andere ausschließt, auch erfolgversprechende Speisesituationen inszeniert (z.B. Robert Fähmels öffentliche Aufführung seines Frühstücks als Beginn seiner Karriere in Heinrich Bölls Roman Billard um halb zehn, 1959). Was für Mahlzeitenrituale gilt, dass Speisen und ihre Inszenierung spontane Begehrlichkeit und Zustimmung auslösen, andere dagegen starke Abwehrgefühle, gilt auch in anderen Kontexten.

5. Gestaltungen von Ekelerfahrungen in literarischen Texten

Vor allem seit dem 18. Jahrhundert wird die Wortfamilie Ekel in Formaten wie Tagebuch und Fragment, in literarischen und theoretischen Texten eingesetzt, um Erkenntnis- und Deutungssysteme zu entwerfen oder um Erfahrungen und Situationen zu gestalten, die die Normalität von Alltagsabläufen und Lebensordnungen der Protagonisten bedrohen oder diese mit Außeralltäglichem konfrontieren. In der bildenden Kunst gibt es den Begriff Ekelbild (engl. desaster) z.B. für Fotos von Cindy Sherman (vgl. Lange 2009), auch Happenings von Otto Muehl und Hermann Nitsch unter Einsatz z.B. von Blut, rohem Fleisch, Nacktheit, religiösen Symbolen werden im Zusammenhang mit der Emotion Ekel kritisiert. »Die Darsteller« seiner Happenings (›Abreaktionsspiele‹) »proben ja wochenlang vorher. Die, denen es nicht gefällt, gehen nach drei Tagen«, sagt Nitsch. Daher sei nur »sehr selten« jemandem schlecht geworden. Ihm gehe es um die Zusammenführung von »Kunst und Therapie« (Bärnthaler-Nitsch in SZ Magazin 20.07.2018, 29). Dadurch dass Ekelgestaltungen zum literarischen oder künstlerischen Feld gehören, von Institutionen wie Museum, Verlag, Theater usw. betreut werden, wird ihr provokatorisches Potential begrenzt. Dass aber mit dieser Zulassung des Ekelkomplexes eine umfassende, prinzipiell unbegrenzte Erweiterung kanonischer Motive, Gegenstands- und Bildbereiche verbunden ist, zeigen auch begriffliche Differenzierungen ästhetischer Systeme. (Juristisch sanktionierte Grenzen der Gestaltung sind selbstverständlich einzuhalten.) Nicht nur wird der ästhetische Diskurs für Alternativen zum Schönen wie das Eklige und Hässliche geöffnet, auch privilegiert die Kategorie Ekel als ambivalenter Diagnosebegriff – völlige Ablehnung, gleichzeitiger Appell zur Neuorientierung – systematisch die Präsenz der Extreme. Zu fragen ist, ob dies für Ekel eine grundsätzlich aufklärerische Karriere bedeutet, weil diese Emotion gebraucht wird, um Selbstbild bezogene Einstellungen, Sichtweisen, Beurteilungen zu reflektieren und womöglich zu verändern.

Im 82. Literaturbrief vom 14. Februar 1760 stellt Moses Mendelssohn – in Auseinandersetzung mit Johann Adolf Schlegels Anmerkungen zu dessen Übersetzung Batteux' – Ekel als »widrige Empfindung« vor (Mendelssohn 1976, 11). Die Merkmale seiner Erläuterung prägen die Ekelforschung tendenziell bis heute, was ihm einen festen Platz in der Forschungsgeschichte verschafft. Vorgeformt findet sich schon in seiner Schrift Ueber die Empfindungen die Opposition von gewollter und nicht gewollter Nähe, von Genuss, Begehren und Ekel: »Wir lernen aus der Erfahrung, daß die Seele die Vorstellung einer Vollkommenheit lieber haben, als nicht haben; und die Vorstellung einer Unvollkommenheit lieber nicht haben, als haben wolle« (Mendelssohn 1972, 121).

Wir wollen zusehen, wie diese widrige Empfindung natürlicherweise zu entstehen pflegt. Welche Sinne sind derselben am meisten ausgesetzt? Mich dünkt, der Geschmack, der Geruch und das Gefühl. Jene beide durch eine übermäßige Süßigkeit, und dieses durch eine allzu große Weichheit der Körper, die den berührenden Fibern nicht genugsam widerstehen. Diese Gegenstände werden sodann auch dem Gesichte unerträglich, bloß durch die Association der Begriffe, indem wir uns des Widerwillens erinnern, welchen sie dem Geschmacke, dem Geruche oder dem Gefühle verursachen. Eigentlich zu reden aber, giebt es keine Gegenstände des Ekels für das Gesicht. Endlich kann die bloße Vorstellung ekelhafter Gegenstände, wenn sie lebhaft genug ist, an und für sich selbst schon Widerwillen erregen, und zwar, welches wohl zu merken ist, ohne daß sich die Seele die Gegenstände als wirklich vorzustellen nöthig hat. (Mendelssohn 1976, 11).

Damit begründet Mendelssohn auch, »warum der Ekel von den unangenehmen Empfindungen« künstlerischer Nachahmung wie »Furcht, Traurigkeit, Schrecken, Mitleid« ausgeschlossen sei: Ekel sei nur »den allerdunkelsten Sinnen« zugänglich, die aber »nicht den geringsten Antheil an den Werken der schönen Künste« hätten. Außerdem könne die Einsicht in die Nachahmung im Fall des Ekels nicht helfen, da dieser »aus der bloßen Vorstellung desselben« wirksam werde, die stets »wirklich da« sei. »Die Empfindungen des Ekels sind also allezeit Natur, niemals Nachahmung« (Mendelssohn 1976, 11f.).

Lichtenberg, der im Briefwechsel mit Mendelssohn steht, lehnt Johann Georg Zimmermanns »Vergleichung Lavaters mit einem Schnupftuch« als »über alles schlecht eckelhafft unverständig und unsatyrisch« (an H. C. Boie 23. 04. 1778, Lichtenberg Briefwechsel 1983, 820) ab und schreibt zu Anfang von Heft A (1765-1770) seiner Sudelbücher I aus physiognomischer Perspektive:

Die Gesichter der Menschen sind oft bis zum Ekelhaften häßlich. Warum dieses? Vermutlich konnte die nötige Verschiedenheit der Gemüts-Arten nicht erhalten werden ohne eine solche Einrichtung; man kann dieses als eine Seelen-Charakteristik ansehen, welche zu lesen wir uns vielleicht mehr befleißigen sollten. Um einigen Grund in dieser schweren und weitläuftigen Wissenschaft zu legen müßte man, bei verschiedenen Nationen, die größten Männer, die Gefängnisse und die Tollhäuser durchsehen, denn diese Fächer sind so zu reden die 3 Hauptfarben, durch deren Mischung gemeiniglich die übrigen entstehen. (Lichtenberg 61998, 9)

Auffällig ist die Hierarchisierung der Distanzen vom Hässlichen zum Ekelhaften, die einerseits als naturbedingt erscheint, d.h. beide Eigenschaften gehören als notwendige Ausprägungen zur Vielfalt des Schönen; andererseits werden beide Attributionen sozial auf die »Mischung« extremer, üblicherweise voneinander getrennter Milieus zurückgeführt. Aufgrund seiner Leitthese, dass Gott seine Schöpfung auf »Vollkommenheit«, d.h. für die Menschen auf allgegenwärtiges Vergnügen angelegt habe, kommt Mendelssohn zur integrativen Einschätzung des Hässlichen:

Die häßlichsten Gestalten, die die menschliche Haut bedeckt, die innersten, die kleinsten Theile der Schöpfung, dahin kein Auge dringt, hören nicht auf vollkommen zu sein; hören nicht auf, in gegenseitiger Uebereinstimmung so viel zum allgemeinen Endzwecke beizutragen, als sie vermögen; hören nicht auf, weder Ueberfluß noch Mangel zu dulden. Alles in der Natur zielet nach einem Zwecke; alles ist in allem gegründet, alles ist vollkommen. (Mendelssohn 1972, 125)

Wenn sich in den Gesichtern »Gemüts-Arten« ausprägen, diese also nur Medien des Inneren sind, dann sind die gemeinten Ekelobjekte Verhaltensweisen, Charaktere, Mentalitäten der Personen. Um zu belastbaren Aussagen zu kommen, schlägt Lichtenberg einen Kulturvergleich vor. Als Gegenstand der Wissenschaft befördert Ekel Aufklärung als Rahmen internationaler Verständigung, d.h. er weist über sich hinaus.

Auch in einem weiteren Beleg – Heft D (1773-1775) – wird Ekel als Mittel zur Transgression instrumentalisiert. Wieder ist der Ausgang eine Defizitdiagnose.

Aus dem jetzigen Zustand der Gelehrsamkeit da sich Nützlichkeit, Gründlichkeit und Tändelei wie 1, 3 und 5 verhalten gleich einen Verfall der Wissenschaften schließen wollen heißt die Sache mit gar zu mikroskopischen Augen ansehen, dieses Zickzack wird im allgemeinen doch nur ein steter Weg, ob er zur Aufnahme oder zum Verfall führt läßt sich so geschwind nicht beurteilen. […] Wenn ein Volk sich einmal aus der edlen Einfalt in das mehr Schimmernde verloren hat, so geht wie ich glaube der Weg zurück nach der Einfalt durch das höchst affektierte Neue das mit dem Ekel endigt. (Lichtenberg 1998, 268)

Der unübersichtliche Zustand der Wissenschaft und der diesem Gegenstand nicht angemessene, weil interessenmäßig vermischte Umgang damit sind bis zum Ekel zu verdichten, damit dann Wiederherstellung oder Neugeburt der ursprünglichen Ordnung »der edlen Einfalt« möglich werde. Diese Denkfigur, dass das Erreichen eines Extrems Voraussetzung für die Wiederherstellung eines ursprünglichen Zustands als polares Extrem sei, verweist auf Kleists Aufsatz Über das Marionettentheater und dessen Denkbild, »nach dem Durchgang durch das Unendliche plötzlich wieder auf der andern Seite« zu sein. Auch bei Kleist geht es um die komplementären Extreme, dass die »Grazie« als Inbegriff der Seinsmerkmale vor dem ›Sündenfall‹ »in demjenigen menschlichen Körperbau am reinsten erscheint, der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewußtsein hat, d.h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott« (Kleist 1964, 77f.).

In E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann (1816) wirkt das Äußere des Advokaten Coppelius auf den Erzähler und seine Geschwister »widrig und abscheulich«.

Aber vor allem waren uns Kindern seine großen knochigen, haarichten Fäuste zuwider, so daß wir, was er damit berührte, nicht mehr mochten. Das hatte er bemerkt, und war es seine Freude, irgendein Stückchen Kuchen oder eine süße Frucht, die uns die gute Mutter heimlich auf den Teller gelegt, unter diesem oder jenem Vorwande zu berühren, daß wir […] die Näscherei, der wir uns erfreuen sollten, nicht mehr genießen mochten vor Ekel und Abscheu. (Hoffmann 1967, 11)

Aus der Polarität der Extreme Genuss und Ekel entfaltet der Erzähler zwei konsistente Weltauslegungsangebote, die durch die Oppositionspaare Mutter und Coppelius, »heimlich« und offen, das Eigene und das Fremde, Handlungshemmung/Angst und Handlungsfreiheit, Kinder als Gruppe der Opfer gegen den Advokaten als Täter markiert werden. Sichtbar und praktisch wirksam wird die Grenzaufhebung zwischen Innen und Außen, dem Eigenen und dem Fremden, wenn Coppelius im Beisein der Mutter das Wissen seiner besonderen Wirkung auf die Kinder intentional und offen zur Machtausübung über diese einsetzen kann. Zwar hebt der Ekelreiz das Familienritual gemeinsamer Mahlzeiten auf und verursacht Nathanaels Erkrankung, aber schon vor dem ersten Auftreten des Advokaten ist die Ordnung bedroht, da der Vater sich auf dessen Seite gestellt hat, d.h. der Ekelauslöser gehört dispositionell schon zur Ordnung, was der Konstellation im Paradies strukturell entspricht. Coppelius' über Jahre wiederholte automatisierte Ekelpraxis (Berühren einer »Näscherei« – Ekelreaktion der Kinder) prägt das Leben des Protagonisten nachhaltig traumatisch, noch verstärkt durch das Erlebnis des Sandmanns und den Tod des Vaters, so dass Nathanael unter Beziehungsunfähigkeit leidet und nur das Verhältnis mit dem Automaten Olimpia und dessen immer gleichen Reaktionen möglich sind. Beim Festritual Spalanzanis möchte er von Olimpia Anerkennung für die Erzählung seiner Lebenspraxis erhalten.

Als Teil der Standardsprache kann Ekel prinzipiell in jedem literarischen Text begegnen. Daher gehört auch Stefan George in die Untersuchung des Ekelkomplexes als Kulturphänomen. Er verwendet Ekel (vgl. Bock 1964, 115) prominent in Die Fibel (1901), Der Siebente Ring (1907) und Das Neue Reich (1928). Im ersten der drei Bände bezeichnet Ekel im Gedicht Einer Sklavin aus dem Kapitel Zeichnungen in Grau (1889) die Gesamtheit jener Phänomene, die das Heilige als umgrenzten, selbst geschaffenen Bereich von Außeralltäglichkeit für die nach eigener Definition Auserwählten nicht nur bedrohen, sondern auch zu ersetzen scheinen: »Werd ich ihr sagen: schweig! / Damit nicht süsser ruf und widerruf /Der rede sich entweihe! /Dass nicht törichte niedre worte /Aus künstlichem himmel mich reissen /Zur abwesenheit des heiligen /Den ekel fügen . . « (George, Fibel, 78). In ebenso programmatischer Funktion markiert Ekel die Grenze zwischen Fremdem und Eigenem in den Abschnitten Zeitgedichte und Tafeln des Siebenten Rings. Zeit- und gegenwartskritische Warnung vor den Verführungen des Fremden (Abwehr, stärkste subjektive Grenzziehung) und Appell zur Bestätigung und Kontinuität der eigenen Kultur (Faszination) bilden eine Einheit. »Die Reflexion geschichtlicher Abläufe tritt an die Stelle bloßer Historie [, um so] das Bewusstsein, eine geschichtsbildende Aufgabe zu haben« (Eschenbach 2013, 865), umzusetzen. Aurnhammer (2017, 339) hält »die gemeinschaftsstiftende Funktion der Zeitgedichte […] allerdings bislang [für] unterschätzt«. Andres (2007, 176) spricht von der »poetischen Kulturkritik der Zeitgedichte« und zählt diese wie auch die Tafeln »zum Kernbestand von Georges Kulturtopologie« (Andres 2007, 178). Als programmatische Kontexte für Ekel geht es um die (Zeit-)Gedichte ›Franken‹, ›Die tote Stadt‹ und aus Tafeln ›Rhein: IV‹, ›Kolmar: Gruenewald‹. Gleich in der ersten Strophe des Gedichts Franken heißt es: »Es war am schlimmsten kreuzweg meiner fahrt: /Dort aus dem abgrund züngelnd giftige flammen /Hier die gemiednen gaue wo der ekel /Mir schwoll vor allem was man pries und übte« (George 51920, 18). Auffällig ist die Bewegung des Ekels, der schwillt und das lyrische Ich parallel zu den rhetorisch geprägten (preisen) und praktischen (üben) Formen der Selbstpräsentation der fränkischen Kultur immer mehr mit Ablehnung und Überlegenheitsgefühl aus- und auffüllt, bis schließlich Auguste Villiers de l'Isle-Adam, Paul Verlaine, Stéphane Mallarmé »seine poetische Konversion in Paris« (Aurnhammer 2017, 343) auslösen. Im Gedicht Die tote Stadt ist es der »falsche […] prunk der unsren knaben /Zum ekel wird!« (George 51920, 31). Bloßer Schein, Oberflächlichkeit und Äußeres verführen aber nicht, sondern rufen den Ekel der »knaben« mit den üblichen Mechanismen von Abwehr und Wendung zur eigenen Ordnung hervor. In An die Kinder des Meeres (Das Neue Reich) wird die Figur »des göttersohns« als »Ersehnter kömmling« in ambivalenter emotionaler Position gezeichnet: »Auf der erblühten lippe heiliger Ekel /Und liebliche begier des göttersohns!« (George, Neues Reich, 22). Zwar weiß der »kömmling« um die Beschaffenheiten der Welt, die eigentlich zu meiden ist, dennoch aber sucht er moderat ihre Nähe. Die Verbindung »heiliger ekel« scheint die reflektierte Abwehr gegen die Nähe der Welt zur Bereitschaft zu überhöhen, dennoch – womöglich versuchsweise – mit ihr in Kontakt zu treten. Eine ähnliche Erkenntnisüberlegenheit drückt der erweckte »Gehenkte« im Gestus des Erlösers aus: »Als ich zum richtplatz kam und strenger miene /Die Herrn vom Rat mir beides: ekel zeigten /Und mitleid musst ich lachen: ›ahnt ihr nicht /Wie sehr des armen sünders ihr bedürft?‹« (George, Neues Reich, 68). Immerhin diagnostiziert der »Gehenkte« Abwehr und Zuwendung bei seinen Richtern. In Der Mensch und der Drud ist es letzterer, der seine Überlegenheit über den orientierungslosen Menschen verkündet: »wenn dein sinn /Der vieles kann in wolken sich verfängt /Das band zerrissen hat mit tier und scholle – /Ekel und lust getrieb und einerlei /Und staub und strahl und sterben und entstehn /Nicht mehr im gang der dinge fassen kann« (George, Neues Reich, 74). Ohne Bindung an die ihn tragende Natur und kulturelle Tradition, nur ausgerichtet auf das eigene, gegenwartsbezogene Vermögen hinsichtlich Technik und kompromisslosem Fortschritt ist der Mensch nicht mehr fähig, fundamentale Gegebenheiten seiner existentiellen Lebenswelt zu erfassen. Er weiß nicht mehr, welche Nähe er meiden, welche er erstreben soll. Dennoch sorgt Ekel als Markierung von Bedrohung und Stärke der eigenen Ordnung letztlich dafür, dass diese erhalten bleibt. Mittels Ekelerfahrung erkennt das lyrische Ich, wohin es gehört, es wird sich seiner vorgängigen Überlegenheit bewusst.

In Jean-Paul Sartres Roman Der Ekel (1938) dokumentiert der Protagonist Antoine Roquentin in Tagebuchnotaten die Geschichte seines intellektuellen Ekels; Symptome sind Handlungshemmung, Gefühl der Fremdbestimmung, Unfähigkeit zu narrativer Sinnkonstitution, schließlich die Einsicht:

Die Dinge dürften einen nicht berühren, denn sie leben nicht. […] Aber mich, mich berühren sie, und das ist unerträglich. Ich habe Furcht vor ihrer Berührung, ganz als wären es lebende Tiere. [Der Kieselstein in der Hand] war so etwas wie ein süßlicher (!) Abscheu. Wie scheußlich war es! Er ging von dem Stein aus, ich bin ganz sicher, und vom Stein aus griff er auf meine Hände über. Ja, das ist es, das ist es ganz bestimmt: eine Art Ekel in den Händen (Sartre 1970, 17).

Roquentin scheint den Kiesel selbst belebt zu haben, ihm Einfluss auf sich und seine Ordnung eingeräumt zu haben, er macht sich womöglich zur Projektionsfläche eigener, nicht eingestandener Ängste. Weil der Ekel starke analytische und deutende Wahrnehmungsfähigkeit hervorruft, deutet Roquentin das Verhalten der Anderen, denen er sich überlegen fühlt, als bloße Selbstinszenierungen bis zur Selbsteinsicht: »Ich kann nicht mehr! Ich halte es nicht mehr aus: mich hat der Abscheu gepackt – der Ekel. Und diesmal ist etwas Neues dabei: er hat mich im Café gepackt. Bis jetzt waren die Cafés mein einziger Schutz, denn sie sind voller Menschen und gut erleuchtet: jetzt wird es nicht einmal mehr das geben. Wenn ich es im Zimmer nicht mehr aushalte – ich weiß nicht, wo ich hingehen soll« (Sartre 1970, 24). Dem Ekel ist nicht zu entfliehen, denn der Ekel »ist ich selbst« (Sartre 1970, 135). Wie andere Ekelsubjekte – z.B. Julius in Lucinde (Kap. 4.1), Tonio Kröger (Kap. 4.2) – sieht Roquentin im Erzählen seiner Geschichte die Möglichkeit neuer Sinnfindung und Ordnungsstiftung als Krisenbewältigung. Er erkennt, dass »das Wesentliche das Zufällige« ist und »Existieren, das heißt einfach: da sein« (Sartre 1970, 139), keine Programmatik zu haben, scheint die gegen Ekel immunisierende Programmatik zu sein. Weil auf diese Weise Ekel die Persönlichkeit ›macht‹ und die Ekelreferenz nicht nur Einfluss auf das Ekelsubjekt gewinnt, sondern auch – in welcher Intensität auch immer – Faszination ausüben mag, kann Ekel das Ekelsubjekt dessen Umgebung schließlich entfremden. Aufgehoben wird diese Entwicklung durch die Erzählung des Ekelsubjekts als Beziehungskonstruktion zwischen sich und einem Adressaten/einer Adressatin.

Konventionell verbindet Brigitte Reimann in ihrer Erzählung Ankunft im Alltag (1961) »Schmutz« und »Ekel«, um die destruktive Position des bürgerlichen Denkens Curts für den sozialistischen Aufbau zu kennzeichnen. »Mag sein, es gibt noch allen möglichen Schmutz. Aber man kann ihn wegräumen. Vielleicht schnüffelst du am liebsten in Ecken herum, wo's stinkt. […] Was hast du denn auszustehen, daß dir alles zum Ekel ist? Du kriegst, was du dir wünschst, alles fällt dir in den Schoß. - Darum. Nichts ist langweiliger, als wenn einem alles in den Schoß fällt« (Reimann 2010, 74). Schließlich führen diese Diagnose von Überdruss und Fülle sowie die daraus folgende Entwicklung Curt – wie schon Roquentin – zur selbstkritischen Einsicht »Ich bin mir bald selbst zum Ekel« (Reimann 2010, 125), die wiederum Wendepunkt und Neuanfang markiert.

In Peter Handkes Roman Die Hornissen (1966) geht es ähnlich wie bei Lichtenberg um die Physiognomie des Ekels. Hier ist es der ältere Bruder, der dem jüngeren durch die Konfrontation mit dem Geruch aus einem für die Entsorgung von Milchresten und Fliegenkadavern gebrauchten Ausguss sowie – nur angedeutet – dem Geschmack dieser Reste eine Ekelempfindung – offenbar als Demonstration eigener Macht – verschaffen will.

Ich […] sog den Geruch ein; mein Mund war geöffnet; die Flügel der Nase regten sich nicht; ich atmete flach, wie wenn ich gelaufen wäre; das Gesicht sei ohne Schatten geblieben. In ein verzerrtes Gesicht wäre Schatten gesprungen, die Wangen wären dick geworden, die Lippen hätten sich eingestülpt. Dies sei die herkömmliche Miene des Ekels, sagte mein Bruder (Handke 1973, 75).

Die Szene gewinnt keine Funktion als Motiv. Sie illustriert das schwierige Leben auf einem Bauernhof und steht im Kontext der brüderlichen Konkurrenz um die Autorschaft am Erzählprojekt darüber.

Im fiktiven Dialog in Peter Härtlings Roman Der Gedankenspieler (2018) zwischen einem Kritiker und Hermann Burger, dem Verfasser des Tractatus logico-suicidalis. Über die Selbsttötung (1988) wird Ekel im Sinne einer Lebenskrise von Burger als mögliche Begründung für Selbsttötung angegeben. »Es sind Anfälle von Ekel. Die Ereignisse rundum können Ihnen aufs Gemüt schlagen. Der Erfolg kann Sie anekeln.« Burger – in Härtlings Roman – deutet dies als Positionsbeschreibung »eines Hypochonders« (Härtling 2018, 221).

Schon diese beliebig gewählten Beispiele literarischer Ekelgestaltung zeigen Ekel als Kategorie je unterschiedlicher Programmatik der Unordnung. Für die Protagonisten bzw. Ekelsubjekte geht es um Krisen, Leistungsdefizite, Selbstentfremdung, die sich als Ekel im Sinne eine Abwehrhaltung bemerkbar machen, verbunden mit der Anforderung, sich neu zu positionieren, belastbare Grenzmarkierungen vorzunehmen. Durchgehend erweist sich selbstreferentielles Erzählen bzw. Schreiben als Gegenmittel, weil dabei eine narrative, sozial wirksame Sinnkonstitution als Mitteilung eines Weltauslegungsangebots entsteht. Als Schreibanlass wird Ekel zugleich zum Gegenstand des Reaktionsprozesses.

5.1 Lebensekel in Friedrich Schlegels Roman Lucinde (1799)

Neben Friedrich Schlegels programmatischen Verlautbarungen zum Komplex Ekel als ästhetische Herausforderung ist seine eigene literarische Gestaltung des Ekels im Roman Lucinde nicht zu vernachlässigen. Weil dieser Roman nach der Veröffentlichung seiner programmatischen Äußerungen erscheint, ist er in deren Funktionszusammenhang zu lesen. Auf der Basis seines ästhetiktheoretischen und -praktischen Leitbegriffs das Interessante als »subjektive ästhetische Kraft« und vom »Schönen […] wesentlich verschieden« (Schlegel, Studium 86, 89) lässt er die literarische Darstellung des Ekelhaften zu. Er propagiert die Ablösung des seit der Antike tradierten Konzepts und Begriffs des Schönen.

Das Schöne »ist so wenig das herrschende Prinzip der modernen Poesie, daß viele ihrer trefflichsten Werke ganz offenbar Darstellungen des Häßlichen sind, und man wird es wohl endlich, wenngleich ungern, eingestehen müssen, daß es eine Darstellung der Verwirrung in höchster Fülle, der Verzweiflung im Überfluß aller Kräfte gibt, welche eine gleiche, wo nicht höhere Schöpferkraft und künstlerische Weisheit erfordert, wie die Darstellung der Fülle und Kraft in vollständiger Übereinstimmung« (Schlegel Studium, 93).

Entsprechend diagnostiziert Schlegel »die ästhetische Anarchie unsres Zeitalters […,] ein Chaos alles Erhabnen, Schönen und Reizenden«, das Phänomen der »Mode«, in deren unaufhörlicher Bewegung »das große Urbild selbst so alltäglich und ekelhaft geworden ist«. Denn »auch das feinere Publikum [verlangt] von dem Künstler nichts als interessante Individualität« (Schlegel, Studium, 96-97). Eindeutig geht es um Wirkungs- bzw. Praxis- und Alltagsorientierung der Kunst, die mit jedem neuen Werk der nach oben offenen Überbietungsspirale der Publikumserwartungen ans »Neue, Pikante und Frappante« (Schlegel, Studium, 100) entsprechen muss. Das Interessante ist das Abweichende, Außeralltägliche, auch Pathologische. Auf die Textsorte Roman verdichtet finden sich diese Aspekte im Athenäum-Fragment 124: »Wenn man einmal aus Psychologie Romane schreibt oder Romane liest, so ist es sehr inkonsequent und klein, auch die langsamste und ausführlichste Zergliederung unnatürlicher Lüste, gräßlicher Marter, empörender Infamie, ekelhafter sinnlicher oder geistiger Impotenz scheuen zu wollen« (Schlegel, Fragmente, 40). Demnach sind in Romanen individual- und kollektivpsychologische Probleme zu identifizieren, zu beschreiben, detailliert zu analysieren, Aspekte des Trieblebens (Triebhemmungen, -verzicht, -sublimation, -zulassung usw.) zu benennen und – wenn möglich – zu erklären.

Kurze Zeit bevor der Protagonist Julius seine ideale Partnerin Lucinde kennenlernt, wird er in einem sich intensivierenden »Wechsel von Schwermut und Ausgelassenheit« (Schlegel, Lucinde, 51) vorgestellt, »er handelte nicht und er bildete nichts«. »Aber die Wut der Unbefriedigung zerstückte seine Erinnerung, er hatte nie weniger eine Ansicht vom Ganzen seines Ich« (Schlegel, Lucinde, 60f.), während er sich äußerlich unauffällig verhält, glaubt er, eine »Krankheit des Geistes« diagnostizieren zu müssen, »da eine Verwirrung aller Schmerzen sein Innres wild zerriß« (Schlegel, Lucinde, 62). Offenbar nimmt er die Zersetzung oder Auflösung seiner Persönlichkeit bei laufendem Betrieb wahr. Schließlich kulminiert diese nicht kommunizierte Entwicklung in Handlungshemmung und Erfolglosigkeit, im Scheitern an den selbst gesetzten Zielen, der eigenen Programmatik, in der Fragmentierung seines Ich, im Gedanken an Selbstmord und dessen Verwerfung, »weil er doch nicht hoffen wollte, der Langeweile des Daseins und dem Ekel über das Schicksal auf diesem Wege zu entfliehn. Er verachtete die Welt und alles, und war stolz darauf« (Schlegel, Lucinde, 62/63). Einerseits entfremdet der Affekt des Lebens- bzw. Weltekels den Protagonisten seinem Lebenskontext (Erfahrung der Vergeblichkeit), andererseits eröffnet er ihm die Möglichkeit, seine negative Beziehung zur Welt als Chance zu benutzen, sich über die Welt zu erheben. Alle diese Reflexionen laufen quasi monologisch im Kopf des Protagonisten ab, die Emotion Ekel bleibt privat, sozial ohne Echo, obwohl sie durch die Erfahrung des Sozialen (Einsamkeit) generiert ist. So erlebt das Ekelsubjekt in Gesellschaft nichts Sensationelles, die Sensation sind es selbst und seine Geschichte. Julius leitet sein Selbstbewusstsein aus Lebensekel und Weltverachtung ab, macht daraus ein Alleinstellungsmerkmal: Er braucht die Welt, um sie aus Ekel abzulehnen und um sich dann über sie erheben zu können. Wenn alles dem Ekelverdikt als perspektivelos unterliegt, dann wenigstens dieses Verdikt selbst nicht. Dies erinnert an die Argumentationsfigur im Konzept des Absurden: Die Welt ist absurd mit Ausnahme dieser Diagnose, die eine unbegrenzte künstlerische Produktivität auslöst..Das Ekelsubjekt erkennt neue Lebensmöglichkeiten und Weltauslegungsangebote, indem es sich von der Normalität distanziert, erhebt es die Normativität auf den Prüfstand. Ekel löst das Reflexivwerden des gewohnten Lebenszusammenhangs aus, diese distanzierende Unterbrechung bewirkt besondere Sensibilität und Aufmerksamkeit für die Bedingungen der eigenen Lebenspraxis, für deren Defizite, dafür, dass neue Beziehungen den Lebensvollzug ändern, dessen verlorene Ganzheit wiederherstellen können. So wirkt der Ekel, der Julius in einen Dialog mit sich selbst versetzt, geradezu als Katalysator einer Ordnung.

Für ihn umfasst der Handlungsprozess Ekel erstens die Wahrnehmung der Emotion als Reaktion auf die Fragmentierung seines Ich, zweitens den Übergang zur Phase des Suchens nach einer neuen Ordnung (zahlreiche kurzzeitige Beziehungen), drittens den Entschluss, eine endgültige Beziehung einzugehen. Zu erkennen ist in diesem dreiphasigen Handlungsprozess das Grundmuster des Übergangsrituals, wie Arnold van Gennep (1909) es mit der Trennung von der gewohnten Ordnung (séparation), der Übergangs- als Such- und Erprobungsphase (marge) und der Akzeptanz einer neuen Ordnung (agrégation) entwickelt hat. Julius überwindet seinen Lebensekel mit der Liebe zu Lucinde, die wie er »nicht in der gemeinen Welt [lebte], sondern in einer eigenen selbstgedachten und selbstgebildeten« (Schlegel, Lucinde, 70). Beide überhöhen ihre Lebenspraxis durch eine stark ritualisierte, poetische Lebensform als Verkörperung des Romantischen; endgültig besiegt Julius seinen Ekel, indem er sein Leben zu einem »angewandten Roman« (Schlegel, Roman, 318) gestaltet: Sein »Leben ward ihm, indem er es ihr erzählte, zum erstenmal zu einer gebildeten Geschichte« (Schlegel, Lucinde, 71). Indem Lucinde als Publikum und Therapeutin der Erzählung zuhört und diese als Basis ihrer gemeinsamen Beziehung akzeptiert, anerkennt sie zugleich Julius' Lebenskonzept. Prioritär ist das lebensgeschichtliche Narrativ vor dessen Referenzperson. Die Erzählung formt die Segmente des Lebens zur Ganzheit, der künstlerische Zugriff macht das Leben. Dadurch dass er ihr seine Geschichte erzählt und sie diese akzeptiert, anerkennen sie sich wechselseitig als geeignet zur Praxis der romantischen Gemeinschaft. Ergebnis ihrer wechselseitigen Machung ist ein Leben als »Kunst der Geselligkeit«, als »ein gebildetes Leben«, »so entstand eine freie Gesellschaft, oder vielmehr eine große Familie, die sich durch ihre Bildung immer neu blieb« (Schlegel, Lucinde, 76), das symbolische als rituelles Handeln wirkt geschichtsbildend. Mit dem Bild der dynamischen »großen Familie« im Entwurf ritueller Geselligkeit als Ekeltherapie bekräftigt Schlegel Schleiermachers Position im Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (1799), »daß jede Gesellschaft eine Einheit, ein Ganzes seyn soll« (Schleiermacher 1983, 279). Denn Julius' Ekel führt zur beispielhaften Entfaltung eines um 1800 manifest gewordenen sozialen Bedürfnisses nach Geselligkeit. Im Modus des Erzählens aus therapeutischem und ästhetischem Interesse erfährt Julius die wiederhergestellte Ordnung als Ganzheit seines Lebens – im Rahmen freier, gebildeter Geselligkeit –, wobei das Leben überdies den Rang eines unabschließbaren Kunstwerks (Fragment und Unendlichkeit) erhält. Bei Schleiermacher (1983, 256) heißt es, »das gesellige Leben als ein Kunstwerk [zu] construiren«.

Nahe liegen mag die Frage, ob Lebens-, Welt-, Erkenntnisekel eher als männliche Emotionen gelten. Sind es doch immer wieder männliche Ekelsubjekte, deren Ordnungssysteme bedroht sind; um diese zu heilen, sind sie – zumeist – auf eine Gesprächspartnerin als Therapeutin angewiesen, der sie ihre Anamnese als Weltauslegungsangebot und Therapie erzählen. Lucinde akzeptiert das Narrativ und stellt die Diagnose des Heilungsprozesses. Den Protagonisten schadet die mitgeteilte Ekelerfahrung nicht, sie wirkt als Auszeichnung. Weil es ein Privileg der männlichen Ekelsubjekte bleibt, eine Weltdeutung zu verbreiten, scheint der Ekelkomplex auch die Dimension Macht zu implizieren.

5.2 Thomas Mann: Tonio Krögers »Erkenntnisekel«

Besonders für Thomas Manns Frühphase ist die programmatisch fundierte Erkenntnisform Ekel als Ausdruck einer Schaffens- und Persönlichkeitskrise von zentraler Bedeutung (vgl. Haug 1969). In der Erzählung Tonio Kröger (1903) wird sie entsprechend als »Erkenntnisekel« paradigmatisch präsentiert. Im Lebensabriß (1930) gibt Mann dem Begriff ein autobiographisches Fundament: »Das Wort Erkenntnisekel steht im Tonio Kröger. Es bezeichnet recht eigentlich die Krankheit meiner Jugend« (Mann 1968, 229f.). Inwieweit Manns »Erkenntnisekel« seine frühen Erzählungen, die während des Weltkriegs veröffentlichten Essays und die Betrachtungen eines Unpolitischen beeinflusst hat, kann hier nicht untersucht werden. Noch einmal kommt er im Tagebucheintrag vom 22. Mai 1919 darauf zurück, als die Familie abwesend ist: »Es ist lange her, daß ich so lange allein war. Ich nannte es heute unterwegs meine Tonio Kröger-Einsamkeit. Zu Anfang regte sie mich auf, aber die Umstände begünstigen sie so sehr, daß ich mich rasch in sie eingelebt habe« (Mann 21981, 246). Erwähnt sei nur, dass Mann schon in der Erzählung Der Wille zum Glück (1896) Nietzsches Wendung vom ›Pathos der Distanz‹ als Zitat übernimmt (Mann 1963, 33), um das Bewusstsein der jugendlichen Protagonisten als unverstanden und ›anders als‹, aber eigentlich als elitär zu kennzeichnen. Auch in der Erzählung Der Bajazzo (1897), die Haug (1969, 5ff.) als Vorstufe zu Tonio Kröger deutet, ist der Protagonist der Erfahrung des Lebensekels konfrontiert. Am Beginn der kreisförmig gebauten Lebensgeschichte steht die Diagnose ›Lebensekel‹ mit der Perspektive des möglichen, aber unwahrscheinlichen Suizids. Erzählt wird das Leben eines – nach eigener Auffassung – zur Kunst Berufenen, der aber zum ›normalen‹ Leben als Bürger gezwungen wird und sein Leben daher unter der Prämisse Ekel deutet. Mit den letzten Sätzen schließt sich dieser Kreis der Vergeblichkeit in der Mutmaßung dauernden Weitermachens. »Ein Ende machen: aber wäre das nicht beinahe zu heldenhaft für einen ›Bajazzo‹?« (Mann 1963, 110). Was der Bajazzo nicht schafft, ist dem kleinen Herrn Friedemann (vgl. Haug 1969, 98ff.) möglich. Er befreit sich aus Vergeblichkeit und Demütigung, indem er sich ins Wasser gleiten lässt.

Was ging eigentlich in ihm vor, bei dem, was nun geschah? Vielleicht war es dieser wollüstige Haß, den er empfunden hatte, wenn sie ihn mit ihrem Blicke demütigte, der jetzt, wo er, behandelt von ihr wie ein Hund, am Boden lag, in eine irrsinnige Wut ausartete, die er betätigen mußte, sei es auch gegen sich selbst . . . ein Ekel vielleicht vor sich selbst, der ihn mit einem Durst erfüllte, sich zu vernichten, sich in Stücke zu zerreißen, sich auszulöschen . . . (Mann 1963, 82).

Diese für die Suizidforschung wesentlichen Zusammenhänge sind durch eine Erläuterung der Emotion Enttäuschung in Mannbs gleichnamiger Erzählung zu ergänzen, die auch als Umschreibung des Lebensekels gelten kann: »›Wissen Sie, mein Herr, was das ist: Enttäuschung?‹ fragte er leise. […] ›Nicht im kleinen und einzelnen ein Mißlingen, ein Fehlschlagen, sondern die große, die allgemeine Enttäuschung, die Enttäuschung, die alles, das ganze Leben einem bereitet? Sicherlich, Sie kennen sie nicht. Ich aber bin von Jugend auf mit ihr umhergegangen, und sie hat mich einsam, unglücklich und ein wenig wunderlich gemacht, ich leugne es nicht‹« (Mann 1963, 49). Gemeint ist ein Leben, das »von diesen großen Wörtern für Gut und Böse, Schön und Häßlich« geprägt war, dessen intellektuell beschränkte Lebenspraxis diesem »pathetische[n] Gelehrtenoptimismus« (Mann 1963, 250) nicht entsprach. Schließlich diagnostiziert Aschenbach in Der Tod in Venedig (1911) einen »Geschmack von Ekel« im Zusammenhang der extremen Emotionen »Angst und Lust« (Mann 1963, 409f.). Insgesamt scheint sich aus Manns Werken so etwas wie eine philosophisch-psychologische Theorie des Ekels filtern zu lassen. Auch im Spätwerk Felix Krull findet sich eine Reflexion über den Ekel mit grundsätzlichem Geltungsanspruch: »Unsere Fähigkeit zum Ekel ist, wie ich anmerken möchte, desto größer, je lebhafter unsere Begierde ist, das heißt: je inbrünstiger wir eigentlich der Welt und ihren Darbietungen anhangen. Eine kühle und lieblose Natur wird niemals vom Ekel geschüttelt werden können, wie ich es damals wurde« (Mann 1967, 25).

Ähnlich wie Julius in Lucinde mit Weltekel auf seine Erfolglosigkeit im Leben und Schreiben reagiert, prägt Tonio Kröger den Begriff »Erkenntnisekel« für die Aussichtslosigkeit, Literatur als Basis eines »Leben[s] in seiner verführerischen Banalität« haben zu können, das »das Normale, Wohlanständige und Liebenswürdige, [die] Wonnen der Gewöhnlichkeit« (Mann 1963, 237f.) zulässt. Dem Dichter bleibt nur die Gestaltung der unerfüllten Sehnsucht danach. Sein Publikum bilden die Erfolglosen, »immer nur Leidende und Sehnsüchtige und Arme und niemals jemand von den anderen, den Blauäugigen, […] die den Geist nicht nötig haben« (Mann 1963, 238). Dass der Künstler kein Bürger, dieser kein Künstler sein kann, verdichtet Kröger (»Ich stehe zwischen zwei Welten«, Mann 1963, 265) im Begriff des »Erkenntnisekels«.

Es gibt etwas, was ich Erkenntnisekel nenne, Lisaweta: der Zustand, in dem es dem Menschen genügt, eine Sache zu durchschauen, um sich bereits zum Sterben angewidert (und durchaus nicht versöhnlich gestimmt) zu fühlen, – der Fall Hamlets, des Dänen, dieses typischen Literaten. Er wußte, was das ist: zum Wissen berufen werden, ohne dazu geboren zu sein (Mann 1963, 236).

Ausgelöst wird dieser Ekel von der Erkenntnis, dass es keine sichere Erkenntnis gibt, dass eine Vielzahl von Handlungsalternativen eine verbindliche Entscheidung für oder gegen etwas – Format Bürger – verlangt, die aber letztlich die Zulassung von Alternativen – Format Künstler – aufheben würde. Mit der Ekelerfahrung sieht Kröger sich »haltlos zwischen krassen Extremen, zwischen eisiger Geistigkeit und verzehrender Sinnenglut, […] ein Ekel und Haß gegen die Sinne erfaßte ihn und ein Lechzen nach Reinheit und wohlanständigem Frieden«. Ausschließlich aufgrund eigener Voraussetzungen, aus sich selbst heraus, scheint ihm dieses Ziel erreichbar zu sein. »Denn das Glück, sagte er sich, ist nicht geliebt zu werden; das ist eine mit Ekel gemischte Genugtuung für die Eitelkeit. Das Glück ist zu lieben . . .« (Mann 1963, 226). Demnach macht die Zuwendung von außen abhängig, der/die Geliebte muss sich als determiniert erkennen, während es Glück nur als vollständige Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, als Bewusstsein von Macht geben könne, die keine Kommunikation erfordere, gleichwohl aber Machtausübung auf andere Personen oder sich selbst impliziert.

Als Beispiel für diese Konstellation mag eine Szene des Zauberbergs dienen. Der Patient Wehsal aus Mannheim als aussichtsloser Verehrer Frau Chauchats erwartet »unendliches Glück« von einer »aussichtslose[n] Liebeserklärung«.

Wenn nämlich der Akt des Geständnisses zwar Ekel errege und viel Selbsterniedrigung berge, so stelle er doch für den Augenblick die volle Liebesnähe des begehrten Gegenstandes her, reiße diesen ins Vertrauen, in das Element der eigenen Leidenschaft, und wenn damit freilich alles zu Ende sei, so sei der ewige Verlust mit der Verzweiflungswonne eines Augenblicks nicht überzahlt; denn das Bekenntnis bedeute Gewalt, und je größer der widerstehende Abscheu dagegen sei, desto genußreicher. (Mann 1967, 450)

Wehsals Argumentation führt Krögers Position weiter, er begibt sich gegen den Willen Chauchats mit »Ekel [und] Gewalt« durch sein Bekenntnis in deren Geschichte und holt diese in seine eigene. So markiert der Augenblick größter Nähe zugleich intensivste Distanz. Für beide kann sich diese Erfahrungssituation geschichtsbildend auswirken, indem sie ein entsprechendes Narrativ generiert.

Schon als Jugendlicher erkennt Kröger in der Tanzstunde Anforderungen des ›Anstands‹ als bloß äußerlich gegen Unabhängigkeit und Selbstbestimmung gerichtet, was bei ihm Distanzgefühle auslöst, so »daß man für den Rest seines Lebens einen Ekel vor dieser Haltung bewahrte« (Mann 1963, 222). So reduziert sich das Leben auf den Suchmodus zwischen den Extremen als Existenz in »Einsamkeit«, weil er weder ausschließlich den bürgerlichen »Kreis der Harmlosen« noch die künstlerische »Kenntnis der Seele« ertragen kann. Dass Letztere Ekel erzeugt, macht Mann mit einem Bild der gängigen Ekelmetaphorik, dem Übermaß an Süße, deutlich, denn »mehr und mehr versüßte sich ihm [Kröger] auch die Lust am Worte und der Form« (Mann 1963, 228). Für Krögers Entscheidungssuche ist das Gespräch mit Lisaweta Iwanowna zentral, die gleich anfangs die Rolle der Therapeutin mit Katalysatorfunktion übernimmt: »Nachher gehen wir in den ›Salon‹ und trinken Tee, und Sie sprechen sich aus« (Mann 1963, 231). Nicht nur benutzt Kröger das Wort »Erkenntnisekel« hier erstmals als Rahmen seines »Geständnis[ses]« (Mann 1963, 237), sondern bestätigt damit auch, dass »Erkenntnisekel« diese Form des Sozialen, die Kommunikationsgemeinschaft des an seiner Programmatik leidenden bzw. durch diese ausgezeichneten Ekelsubjekts und der Therapeutin generiert hat. Denn die ekelbedingte Unlust an der Programmatik erweist sich künstlerisch durchaus produktiv, aktiviert sie doch das autoreflexive Narrativ. Veranlasst wird das Ekelsubjekt zur Reflexion auf die eigene Situation und zur Erzählung von deren Genese. Auch hier gilt: Wenn Erkenntnis nur Ekelreaktionen bewirkt, wenn alles vergeblich ist, dann gilt dies offensichtlich nicht für das Narrativ dieses Befunds. Aus der Unlust an der sozial erfolglosen Programmatik wird die Lust an der Selbstdarstellung.

An den Beispielen eines Bankiers und eines Leutnants illustriert Kröger sein Dilemma. Während jener nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe in seiner Freizeit zu schreiben beginnt (»manchmal ganz ausgezeichnet«, Mann 1963, 234), gibt Kröger zu bedenken, dass der Bankier womöglich wegen seiner immer schon drängenden, aber unterdrückten künstlerischen Anlage als Gegenpol zum bürgerlichen Bankwesen kriminell wurde. Künstler und Bankier lassen sich nicht ungestraft mit der je anderen Seite ein. Der Leutnant, der bei »einer Gesellschaft in gutem Hause« (Mann 1963, 239) selbst gefertigte Reime vorträgt, verkörpert den Typus »des Dilettanten, den Lebendigen, der glaubt, obendrein bei Gelegenheit einmal Künstler sein zu können« (Mann 1963, 238). Aber auch die Variante »Literat«, dessen »Glaubensbekenntnis [lautet]: Was ausgesprochen ist, […] ist erledigt«, kommt für Kröger nicht in Betracht. Für den Literaten, der nicht – wie Hofmannsthals Lord Chandos – an der Leistung der Sprache zweifelt, die Welt so abzubilden, wie sie ist, gibt es aus Mangel an lebenspraktischer Erfahrung jeweils nur eine Gestaltungsform, die endgültige Weltauslegung wird möglich. »Ist die ganze Welt ausgesprochen, so ist sie erledigt, erlöst, abgetan« (Mann 1963, 237). Um »aus einem Literaten einen Dichter zu machen, [ist] meine Bürgerliebe zum Menschlichen, Lebendigen und Gewöhnlichen« (Mann 1963, 265) der richtige Weg.

Durch Tonios wiederholte ritualisierte Hinweise auf seine aporetische Situation privilegiert er diese als Überhöhung der eigenen Position, was wiederum deren Erzählung rechtfertigt. So führt Tonios Bekenntnis zu Lisawetas Diagnose, er sei »ein verirrter Bürger«, was Tonio abschließend kommentiert: »Ich bin erledigt« (Mann 1963, 240). Mit gewissem Recht darf dieser Satz als Eingeständnis dafür verstanden werden, dass er selbst von Lisaweta durchschaut sei, ohne dass sie mit »Erkenntnisekel« reagiert. Er selbst bleibt Gegenstand des Erzählens. Mit der nach dem Ersten Weltkrieg einsetzenden politischen Wandlung Manns (1922, Von deutscher Republik) scheinen sich auch die Funktionen von Krankheit und Ekel in seinen literarischen Texten zu ändern: In Der Zauberberg (1924), »in dessen Verlauf sich die Krankheit als Bedingung einer höheren Gesundheit erweisen wird« (Haug 1969, 1), markiert Ekel eine starke, situativ bezogene Missbilligung und Distanzierung, wobei Stereotype der Ekeltradition wie Überdruss, Routine, Mangel, komplementärer Gegensatz von Anziehung und Abwehr aktualisiert werden. Settembrini sagt zwar: »Es ekelt mich, in einem hier [im Sanatorium Berghof) üblichen abscheulichen Wettstreit zu konkurrieren«, nämlich über den bedeutendsten Krankheitszustand, gleichwohl begründet er ausführlich, dass er »bedeutend kränker« (Mann 1967, 263) sei als Castorp und daher eine andere Lebensplanung haben müsse als dieser. In Doktor Faustus (1947) zeigt sich Mann vertraut mit dem Phänomen nicht materieller Ekelreize. Den Privatdozenten Eberhard Schleppfuß lässt er über die magischen Fähigkeiten Heinz Klöpfgeißels ausführen: »Bloßer Gedankenekel konnte die physiologische Wirkung verdorbener Speise hervorbringen, der Anblick eines Tellers mit Erdbeeren die Haut des Allergikers mit Pusteln bedecken, ja Krankheit und Tod konnten die Folge rein seelischer Einwirkungen sein« (Mann 2007, 163).

5.3 Alfred Döblin: Die drei Sprünge des Wang-lun (1915/16)

In seinem »chinesischen Roman« – so der Untertitel – gestaltet Döblin den Aufstand einer nach dem taoistischen Grundsatz des Wu wei – Verzicht auf selbstbestimmtes Handeln und aktiven Widerstand gegen obrigkeitliche Entscheidungen, Bekenntnis zu Gewaltlosigkeit – geprägten Gruppe von Obdachlosen, Arbeitslosen, Kleinkriminellen und Verbrechern gegen die herrschende tatarische Tsing-Dynastie im Jahr 1774, um die chinesische Ming-Dynastie wieder einzuführen. Mit Hilfe des Wu wei versucht der Anführer Wang-lun für sich selbst und seine Gruppe Anerkennung zu erhalten, um in die Gesellschaft reintegriert zu werden und seine Pläne aus einer Position der Zugehörigkeit zu verfolgen. Als diese Strategie endgültig scheitert, beginnt Wang mit seiner Gruppe den bewaffneten Aufstand.

Das Wort Ekel benutzt Döblin, um die existentielle Enttäuschung einer Person über zugesichertes und erwartetes, aber nicht eingehaltenes Verhalten zu bezeichnen, unglaubwürdige Glaubenssysteme werden mit dem Wort markiert und auch Dummheit erregt Ekel. Der ehemalige Offizier Ngoh reagiert mit Ekel, als Wang-lun »ein schmutzstarrendes Mädchen, den Gemeinbesitz dieser Bande, zu sich auf den Schoß nahm« (Döblin 2007, 326), weil er die Reinheit Wangs in Gefahr sieht.

Döblin bestätigt die kognitive Dimension der Reaktionsform Ekel, die eine programmatische Ordnung beim Ekelsubjekt voraussetze, die die Gegenposition als Ekelanlass rechtfertige. So empfindet der Verbrecher Seidenschnur »Ekel« vor jenen »jungen Männern« als Gegnern, die »sich nicht wehrten oder um Schonung bettelten, nachdem er sie gefasst hatte« (Döblin 2007, 62). Weil sie seiner Auffassung von Männlichkeit widersprechen, tötet er sie. Die Ekelreaktion markiert das Andere, Fremde der eigenen Position. Wang ruft seine Gruppe zu moralischer Lebensführung auf, »sie sollten verzeihen, niemandem wehtun«, daraufhin empfinden sie vor ihren früheren Taten »einen Ekel […] wie vor einer Schlangengrube« (Döblin 2007, 85). Dieser selbstreferentielle Ekel zusammen mit der Angst vor den Konsequenzen einer unveränderten Lebenspraxis, für die Wang-lun nicht mehr zur Verfügung steht, bewirkt die Transformation.

Dass das Verhaltensmuster, nach dem Verletzungen der eigenen Moralvorstellungen als Bedrohung nicht nur der subjektiven Ordnung bewertet werden, auch in der ›wirklichen‹ Ekel-Geschichte begegnen, bestätigt Elisabeth Förster-Nietzsche (EFN) in ihrem Brief vom 08. 10. 1906 an Harry Graf Kessler: Sie wirft dem Ehepaar Overbeck »ekelhafte Verunglimpfung« ihres Bruders Friedrich Nietzsche aus »ekelhafte[r] Feigheit« vor, weil die »Angriffe so aus dem Hinterhalt« erfolgten. Gemeint sind Passagen in Franz Overbecks Erinnerungen an Friedrich Nietzsche (Die Neue Rundschau XVII, 1906, vgl. Föhl 641). Für EFN haben sich Overbecks moralisch disqualifiziert, weil sie zu Verleumdungen gegriffen hätten, anstatt offene Auseinandersetzungen zu führen. Zur Rechtfertigung ihrer Position beruft sich EFN z.B. auf Rohde, »eine durch u. durch vornehme u. wache Natur«, zu dessen Lebzeiten »diese ganzen Dinge unmögl. gewesen« (Föhl 2013, 640) wären. Mit ihrer Differenzierung zwischen verwerflichem und vornehmem Verhalten mit Hilfe des Ekelbegriffs entspricht EFN strukturell der Position ihres Bruders, der sich – wie Volz aus Jenseits von Gut und Böse zitiert – mit »Ekel, Überdruss, Mitgefühl, Verdüsterung, Vereinsamung [von] der Menge, den Vielen, den Allermeisten« trennt, so dass – wie Volz resümiert – »Ekel […] hier zum Signum der Vornehmheit« (Volz 2003, 127f.) wird.

Eine zentrale Szene für sein Projekt inszeniert Wang-lun während seines Besuchs bei dem Unternehmer Chen und anderen reichen und angesehenen, ausschließlich männlichen Mitgliedern des systemkritischen Bundes der Weißen Wasserlilie, der Unterschichtangehörige materiell und finanziell unterstützt. Wang möchte »Anerkennung und Brüderschaft« für seine Gruppe erreichen. Vor einer exquisit zusammengestellten Tafel in kostbar eingerichteten Räumen lässt sich Wang, zerlumpt gekleidet, in wenig kultivierten Verhaltensformen und »den beleidigenden Geruch der Landstraße unter die exquisiten Parfüme« (Döblin 2007, 98ff.) verbreitend, zum Genuss ihm unbekannter Delikatessen nötigen, indem er mit der schmutzigen Hand in Schüsseln und Schalen greift, die Herren zur Seite drängt, schmatzend die Schüsseln leert. Außer für Chen ist Wang für die Herren eine exotische Abwechslung, eine zu nichts verpflichtende Unterhaltung, eine Person, die man weder zu beachten noch einer ernsthaften Unterhaltung zu würdigen braucht. Schon seine körperliche Anwesenheit bedeutet für das Selbstverständnis der Herren einen Tabubruch, der letztlich auf eine neue Form der Kultur des Sozialen abzielt.

Weil Wang die Situation offenbar zutreffend deutet, verzichtet er darauf, seine Geschichte, der kaum jemand zugehört hätte, zu erzählen und führt stattdessen ein karnevaleskes Umkehrritual auf. Er bittet den jüngsten Teilnehmer an einen Tisch mit reichem Speisenangebot, trägt diesen Herrn gegen dessen Willen an den Tisch, setzt ihn auf den Schemel, bedroht ihn mit dessen eigenem Messer und lädt ihn »in Fischerplatt« ein »zu fressen«. Nachdem dieser einen besonders süßen »Bonbon« aus den Händen Wangs genommen und gegessen hat, lässt Wang ihn los, »rekelte sich offen und gähnte. Er spuckte einem fettleibigen älteren Herrn […] den halbzerkauten Rest einer Dattel auf die bemalten Schuhe« (Döblin 2007, 99), wirft das Messer in den Raum und verschwindet. Damit kehrt Wang die Machtverteilung und das Erleiden von Macht um: Er kehrt die auf Präsentation des Reichtums und der Überlegenheit der Herren sowie auf Repräsentation ihrer Macht angelegte Situation um zur Demonstration ihres programmatischen Defizits und zur Demütigung ihrer sozialen Ansprüche. Die Herren machen jene Erfahrungen, die für Wang-lun und seine Gruppe alltäglich sind.

Chen hatte »während des Spiels alles erfaßt«, die anderen »wußten etwas Neues, was nicht sich deckte mit ihren Gesprächen«. Der junge Herr fällt ohnmächtig vom Schemel und erbricht sich. »Die reichen Herren stellten, als wären keine Diener im Haus, peinlich die Ordnung im Zimmer wieder her, beseitigten mit seidenem Schal das Erbrochene. Man ging hin und her« (Döblin 2007, 100). Auffällig ist, dass Döblin für die Vorgänge dieser Szene das Wort Ekel nicht verwendet. Offenbar verhindern die soziale Scham und der mutmaßliche Gesichtsverlust vor den Dienern als Verlust an Autorität und Macht, diese zur Reinigung heranzuziehen. Stärker als Ekel erweist sich die drohende Machteinbuße. Damit akzeptieren die Reichen die Lehre, die Wang ihnen durch seine Provokationen erteilt, dass nämlich ihr von ihnen selbst als sozial gedeutetes Engagement bloß ein Freikauf von der Anerkennung der Unterschichtangehörigen als gleichberechtigten Menschen sei, während die Ethik guten Handelns Überwindung des Sozialekels (z.B. Geruch, mangelnde Hygiene, Kleidung, Umgangsformen), Verantwortung für und Nähe zu den Begünstigten einschließe. Für die Mitglieder des Bundes wirkt dieses Ritual geschichtsbildend. Durch sein Erbrechen befreit sich der junge Herr vom Ekel der Berührung durch Wang, von dessen Gewaltanwendung und vom erzwungenen Verzehr der Süßigkeit, die durch Wangs Berührung unrein geworden ist, eine negative Auszeichnung, die der junge Herr sich gleichsam inkorporiert hat. Auch ist die Süßigkeit durch diese Vorgänge ein kulturelles Zeichen mit einer Geschichte geworden. Es steht für die sichtbar gewordene Differenz zwischen Programmatik und Praxis in der kollektiven Identität des Bundes, dessen finanzielles Engagement bloß die traditionelle Stigmatisierung der Begünstigten zu Unberührbaren überdeckt hat, diese selbst haben keine ›menschliche‹ Kontur gewonnen. Begründet erscheinen Wangs Provokationen durch die kognitive Differenz der Reichen, die sich vor sich selbst ekeln müssten.

Indem sie gemeinsam den Raum säubern, reinigen sie sich symbolisch selbst, mit ihrer Demutsgeste übernehmen sie Verantwortung, machen sich gleich, begründen den Bund gleichsam neu und sichern dessen rituell fundierte Kontinuität. Erstmals erfüllen sie ihre Programmatik, Schwache, Arme und Ausgegrenzte als gleichberechtigt anzuerkennen. So verzichten sie auf Verfolgung und Bestrafung Wang-luns, die kultische Reinheit des Ritualraums wird erhalten, Wang-luns Provokation nicht als Grenzüberschreitung sanktioniert. Obwohl er zum Ekelauslöser geworden ist, schadet ihm dies nicht, er gewinnt die Unterstützung der Weißen Wasserlilie für seine Gruppe.

Was tragen literarische Ekelgestaltungen zum Verstehen und zur Erfahrung von Lebensverhältnissen, -formen, allgemein von Welt bei und welche Wirklichkeit bieten sie an? Gemeinsam scheint diesen Weltauslegungsangeboten unterschiedlicher Epochen die Orientierung auf jene Situationen zu sein, in denen den einzelnen Protagonisten bewusst wird, dass – salopp gesagt – in ihrer Lebensführung etwas Grundsätzliches nicht stimmt, dass die Vorstellung von ihrer Position als selbstbestimmte Individuen in der Welt bedroht ist, dass sie auf diese Position überhaupt aufmerksam werden. Sie identifizieren einen Auslöser dieser Bedrohung und reagieren mit Ekel, existentieller Verunsicherung, Abwehr und spielen gedanklich Lösungen durch. In den literarischen Texten wird Ekel nicht nur als reflexive Emotion gezeigt, die Traditionen und gewohnte Prozesse unterbricht, indem sie diese bewusst macht, sondern Ekel wird besonders als eine Erfahrung von ›Körper und Geist‹ in selbstreflexivem Rahmen anschaulich. Allerdings gibt es durchgehend eine Öffnung dieses Rahmens auf spezielle Situationen des Sozialen hin, auf den Austausch mit Partnerinnen als Therapeutinnen sowie auf den Entschluss des Ekelsubjekts, die Ekelhandlung zum Gegenstand einer Erzählung zu machen. Damit bestätigt sich die Bedeutsamkeit von Literatur bzw. narrativem Handeln als Basis für Sinnkonstitutionen. Ekel ist der Preis für die Erkenntnis des Subjekts von seinem Selbstbewusstsein, dafür dass es um einzelne in ihrem Status als Subjekt geht, für den die Dialogizität, das Du konstitutiv ist. Insofern generiert Ekel geradezu Formen des Sozialen, Formen von Erzählgemeinschaft. Zugleich mit der Bedrohung der Handlungsfähigkeit macht Ekel auf die Chance einer Weichenstellung, eines Neuanfangs der Lebensorientierung aufmerksam. Nach den literarischen Vorlagen schützt Ekel das sich selbst bewusst gewordene Subjekt davor, von außen, von Institutionen vereinnahmt zu werden. Narrativ funktionalisierter Ekel muss programmatisch nicht anschlussfähig zu sein. Auch ist zu bedenken, ob für Ekel der Aspekt der Verwesung ohne Zweifel prioritär ist, wie Honneth es für Kolnai im Nachwort zu dessen Ausgabe (2007, 158) nahezulegen scheint.

Literatur

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ANDRES, JAN: Stefan Georges Erinnerungsorte in den Tafeln des Siebenten Rings. In: ders./Wolfgang Braungart/Kai Kauffmann (Hg.): »Nichts als die Schönheit«. Ästhetischer Konservatismus um 1900. Frankfurt am Main 2007, 166-187.
AURNHAMMER, ACHIM: Der Siebente Ring. In: Stefan George – Werkkommentar. Hg. von Jürgen Egyptien. Berlin/Boston 2017, 333-355.
BÄRNTHALER,THOMAS: »Der Schmerz ist eine Tatsache«. Interview mit Hermann Nitsch. In: SZ Magazin Nr. 29, 20. 07. 2018, 26-31.
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DER DUDEN. Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. 5., neu bearbeitete Auflage. Hg. von der Dudenredaktion. Duden Bd. 7. Berlin/Mannheim/Zürich 2014.
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