Renate Solbach: Sarkophag

DOUGLAS MURRAY: Wahnsinn der Massen. Wie Meinungsmache und Hysterie unsere Gesellschaft vergiften, München (FBV, Edition Tichys Einblick) 2019, 346 Seiten

Das Anliegen

»Wir leben in einer verrückten Zeit«… Mit diesem täglich gehörten Seufzer oder Aufschrei beginnt Douglas Murray sein Folgewerk zu Der Selbstmord Europas (deutsche Ausgabe 2018). Der Autor, Jahrgang 1979, Eton-Absolvent, Schriftsteller, investigativer Journalist, Mitherausgeber des bekannten Spectator, hat sich stets streitlustig mit kritischen Themen befasst, seien es die legendären ›Troubles‹ (der Nordirland-Konflikt), der expandierende Islamismus in Großbritannien (›a creed of Islamic fascism‹) oder die traurige Gestalt der EU und das Brexit Desaster.

»Verrückt« erscheint Murray, dass sich Menschen »wie im Fieberwahn, vom Herdentrieb gesteuert«, in einen »Dauerkrieg gegen jeden« begeben hätten, »der auf der falschen Seite zu stehen scheint« ( 11f.). Über die Symptome dieses bitteren Kampfes sei viel geschrieben und es seien Erklärungen angeboten worden, die jedoch alle zu kurz griffen, weil sie die Ursachen des herrschenden Wahnsinns nicht herauspräparierten. Dies zu tun schickt sich der Autor in seinem sehr gut geschriebenen und leicht zu lesenden Buch an.

Da menschliche Wesen ganz offenbar nicht leben können, ohne ihrem Dasein Sinn und Bedeutung zu verleihen, brauchen sie ›Narrative‹, die dies leisten. Das war im 19. Jahrhundert die ›Religion‹, im 20. Jahrhundert waren es politische ›Ideologien‹ und zu Beginn des 21. Jahrhundert lehrten postmoderne Denker, dass die ›großen Erzählungen‹ nicht mehr trügen und daher dekonstruiert werden müssten. Doch der ›horror vacui‹ trieb, mediengestützt, zu immer schnelleren Konstruktionen einer neuen »Metaphysik«, ja »Religion«, in der heiligen Dreifaltigkeit von »sozialer Gerechtigkeit«, »Identitätspolitik« und »Intersektionalität« (13). Im Namen ›sozialer Gerechtigkeit‹ kämpfen Menschen ihr Leben lang um ihre »Ansprüche aufgrund der eigenen Identität« (14), seien es Geschlechtsidentität, ethnische Zugehörigkeit oder sexuelle Präferenzen etc. Murray schreibt aus britischer Perspektive, aber man kann wohl gesichert feststellen, dass auch auf dem Kontinent der »Wahnsinn« zum Mainstream geworden ist. Das reicht von der Entgrenzung und Inflationierung des ›Rassismus‹- Begriffes, der Erfindung ›toxischer Männlichkeit‹ bis zu ›Gendertoiletten‹ und der Herrschaft der ***. Wer nun zufällig die ›Stolperdrähte‹ dieser neuen Metphysik, bzw. Religion, berührt, steht klar auf der falschen Seite und muss sich gefallen lassen, als Ignorant, Homophober, Frauenfeind, Rassist und ›Transphober‹ (!) beschimpft zu werden (19).

Murray exemplifiziert seine Grundthese am Beispiel von vier Themenfeldern: Homosexuelle (S.23ff.), Frauen (S. 89ff.), Rasse (S. 159ff.) und Trans* (S. 241ff.), zwei Mal unterbrochen durch analytische »Zwischenspiele«, die theoretische Hintergründe und treibende Faktoren für die jeweiligen Themenfelder benennen und zuspitzen. Der Leser wird das nicht als störende Unterbrechung empfinden, sondern hilfreiche Erläuterung.

Alles ›homo‹ oder was?

Murray will anhand zahlreicher Beispiele aus der Alltagswelt und den allgegenwärtigen Medien zeigen, wie omnipotent das ›Schwulenthema‹ inzwischen geworden sei. So berechtigt es in der Vergangenheit gewesen sei, das Schwulsein aus dem Raume des Diskriminierten zu befreien, so irritierend sei es, wenn heute jenseits von Freiheit und Legitimation verlangt werde, dass alle Schwulsein ›gut‹ finden müssten. Es scheine so, dass sich der ›Hetero‹ heute dafür rechtfertigen müsse, dass er sei, wie er sei. Noch schlimmer, ja schier unverzeihlich sei es, wenn ein Homo beschließe, doch wieder ›hetero‹ zu leben: »Heute gilt derjenige, der ein einzelnes Mal in die Schwulenwelt hineingeschnuppert und dann wieder kehrtgemacht hat, als derjenige, der eine Lüge lebt« (39). Hier werde ein neues Dogma geschaffen, das die Meinungsfreiheit bedrohe. Dies sei umso problematischer, als es auch nach »jahrzehntelanger Forschung« nicht gelungen sei, abschließend zu klären, »weshalb jemand schwul ist« (41f.). Abgesehen von umstrittenen Zahlen über die tatsächliche Menge der Schwulen in Großbritannien und den USA befinden wir uns offensichtlich seit Jahren in einer Debatte (»…oder soll ich von Krieg sprechen?«, 48) darüber, ob Schwulsein angeboren oder erlernt ist. Gibt es ein ›Schwulen-Gen‹ oder nicht? Die Beantwortung dieser Frage hat schwerwiegende gesellschaftliche Konsequenzen. Denn ist Schwulsein eine angeborene Eigenschaft, so ist schon die leiseste Kritik eine unzulässige Diskriminierung der Betroffenen. Deshalb wagten sich Wissenschaftler nicht in die »zeitgenössischen Gewässer rund um dieses Thema«, weil diese zu »tief und gefährlich« seien (50). Murray zeigt mancherlei Ungereimtheiten der sogenannten ›LGBT‹-Bewegung auf (›Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender‹), die sich nach außen als Einheit darstellt, was sie nicht ist. Zwischen ›Homos‹ und ›Queers‹ z.B. gibt es massive Unterschiede und sehr gegensätzliche Positionen. Lesben und Schwule verstehen sich kaum noch, aber sie erheben in vollster Überzeugung einer gemeinsamen ›Identität‹ überzogene Forderungen, die dem von ihnen immer wieder eingeklagten Grundwert der ›Gleichheit‹ Hohn sprechen. Das ist z.B. der ›Schwulenbonus‹ im Blick auf die Homo-Ehe. Lebenslange Treue? Nicht unbedingt, denn Homos wollen ›offen‹ sein. Murray hält die Behauptung für absurd, gleichgeschlechtliche Eltern seien bessere Eltern, was von ›dubiosen Studien‹ gestützt werde (63). Höhepunkt der Schwulen-Anmaßung sei der Ausspruch des US-amerikanischen Aktivist Robert Rafsky: »Wir sind wichtiger als die Heteros« (64).

Vor diesem Hintergrund fragt Murray, ob und wenn ja wie politisch Schwulsein ist und hier enthüllt er eine ebenso lächerliche wie abenteuerliche Debatte in der selbsternannten ›SchwulenCommunity‹, in der es um die politische Identität der Homosexuellen geht (64-68). Nicht gerade überzeugend diskutiert Murray allerdings die Jahrtausendfrage, was Männer an Frauen anzieht und umgekehrt. Das bleibt für ihn letztlich ebenso ein Rätsel wie die Frage, ob es ›vernünftige Gründe‹ für ›Homophobie‹ geben könne (68-72).

Im ersten ›Zwischenspiel‹ (73-88) beleuchtet Murray die theoretischen Grundlagen »der neuen Ideologie der sozialen Gerechtigkeit« (74), die er als eine Verbindung von altem Marxismus und ›postmarxistischer‹ Anreicherung durch den Dekonstruktivismus Foucaultscher Prägung ortet. Die zahlreichen »Töchtergeschwüre bildenden Sozialwissenschaften« (76) in Form von ›Queer Studies‹, ›Black Studies‹, ›Women Studies‹ etc. zielten darauf ab, glauben zu machen, dass z.B. ›Rasse‹ und ‹Gender‹ bloße soziale und kulturelle ›Konstruktionen‹ seien. An dieser Konstruktionsarbeit, gepaart mit der Aufdeckung von wirklichen oder nur imaginierten Diskriminierungen von Minderheiten, sind zahlreiche Akademiker beteiligt. Das Spektrum reicht von der Gender-Ikone Judith Butler bis zu ›Postmarxisten‹ wie Ernesto Laclau (Ɨ) und Chantal Mouffe, die eifrig mit der Suche nach einem neuen antikapitalistisch- revolutionären Subjekt beschäftigt waren und schließlich die ›neuen sozialen Bewegungen‹ als ein solches identifizierten. Murray bezweifelt, dass das, was da so pompös als ›Wissenschaft‹ daherkommt, tatsächlich im Sinne objektiver Wahrheitssuche eine ist, nicht vielmehr schlicht politische Propaganda in akademischer – möglichst sperrig-unverständlicher – Rhetorik. Judith Butler ist dafür ein typisches Beispiel. Man möchte den Leser sehen, der das manierierte Kauderwelsch des präsentierten Zitats versteht. (84) Es würde zu weit führen, all die Beispiele zu erwähnen, die Murray zum Beleg seiner These anführt, hier sei ein »ideologischer Raum« entstanden, »der voller Widersprüche, Absurditäten und Heucheleien« stecke (82-88). Doch wer es wage, die Wissenschaftlichkeit dieser inzwischen Bibliotheken füllenden Produkte der Konstruktivisten anzuzweifeln, sehe sich – im mildesten Falle – als begriffsstutziger Trottel denunziert, im schlimmsten als Feind der unterdrückten Minderheiten demaskiert und geächtet.

Die Befreiung der Frauen und der Feminismus

Das Kapitel über die Frauen (89-140) eröffnet Murray mit der brisanten Debatte über Geschlechtsunterschiede. Biologische Unterschiede dürfe es offenkundig nach Meinung der akademischen Nachbeter und Anhängerschar von Judith Butler nicht geben und so folge die Gesellschaft »dem Irrglauben.., dass biologische Unterschiede – einschließlich Neigungen und Begabungen – beiseitegeschoben, abgestritten oder ignoriert werden können« (90). Leider lässt es der Autor bei diesem zentralen Thema an einer gründlichen, wissenschaftlich fundierten Auseinandersetzung mit den Verfechtern konstruktivistischer Geschlechtsmodelle fehlen. Er begnügt sich mit – amüsanten und unterhaltsamen – Schilderungen aus Talkshows, der Hollywood-Welt und dem Markt für Frauenkleidung und Accessoires, um deutlich zu machen, wie kompliziert, verwirrend und von widersprüchlichen Signalen geprägt die Beziehungen von Männern und Frauen unter dem Druck von Identitätspolitik und Intersektionalität inzwischen geworden sind: »Eine Frau kann und darf so sexy und sexuell sein, wie es ihr gefällt, aber das bedeutet noch lange nicht, sie zum Sexobjekt machen zu dürfen. Sexy ja, sexualisiert, nein. In meinen Augen ist das ein unmöglicher Anspruch. Er ist nicht nur unzumutbar, sondern verstörend – für Männer« (108). In der Tat zeigt das von Murray als Beispiel präsentierte Video Anaconda der Rapperin Nicki Vinaj aus Trinidad und Tobago aus dem Jahre 2014 diese männliche Verstörung und schuldbewusste Verunsicherung sehr drastisch.

Zu Recht fragt Murray, ob die arrivierten und erfolgreichen Frauen, denen er auf Konferenzen begegnet ist, »bewusst oder unbewusst …alle das Foucaultsche Weltbild verinnerlicht .. haben, in dem Macht das alles entscheidende Prisma ist, mit dem sich alle zwischenmenschlichen Beziehungen erklären lassen« (112). Die alten weißen Männer seien nicht »die einzigen Machthaber«, schließlich besäßen Frauen exklusive Machtformen, z.B. die, »das andere Geschlecht in den Wahnsinn« zu treiben (113). Die neuen Benimmregeln für Männer seien unklar und heuchlerisch. Dessen ungeachtet nimmt der Druck der Anti-Diskriminierungsagenturen vor allem in der Arbeitswelt stetig zu und hat mittels Programmen zur ›positiven Diskriminierung‹ (etwa im Blick auf die Bevorzugung von Farbigen und Frauen in Unternehmen großer Städte) gewissermaßen zur Herrschaft des Konzeptes der ›Intersektionalität‹ geführt. Das hat keineswegs mehr Gleichheit im Sinne von Gerechtigkeit geschaffen, sondern es sind neue ›closed shop‹-Gruppenidentitäten und Hierarchien entstanden.

Die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau und den Kampf um ihre staatsbürgerliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung hatten erfreulicherweise zahlreiche Frauen selbst geführt, die sich als ›Feministinnen‹ begriffen. Das geschah seit dem 18. Jahrhundert in Wellenbewegungen. Murray setzt die erste Welle im 18. Jahrhundert bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts an, die zweite von den 60er Jahren bis in die achtziger Jahre, danach die dritte, eine Phase der Ausdifferenzierung und Zersplitterung der Frauenbewegung, auf die seit 2010 die vierte folgte, jetzt im neuen Format der ›sozialen Medien‹. Leitmotive und Inhalte wandelten sich stetig. Der von Autorinnen wie Susan Faludi (›Backlash, Die Männer schlagen zurück‹) und Marilyn French (›Der Krieg gegen die Frauen‹) Anfang der neunziger Jahre entfachte männerfeindliche Trend gipfelte in aggressiven Slogans wie ›Tötet alle Männer‹ und ›Männer sind Müll‹. Bis in unsere Gegenwart zieht sich dieser Trend mit wechselnder Rhetorik und findet gegenwärtig seinen Höhepunkt in der Begriffskonstruktion ›toxische Männlichkeit‹, die sogar in den Sprachgebrauch seriöser Organisationen und öffentlicher Einrichtungen eingegangen ist. »Toxische Weiblichkeit« dagegen scheint es nicht zu geben. Die renommierte ›American Psychological Association‹ bestimmte »traditionelle Männlichkeit« als ein ideologisches Konzept, nämlich eine »besondere Konstellation von Standards«, bestehend aus: »Antifeminismus, Leistungsdenken, größte Hemmungen, Schwächen zuzugeben, Abenteuerlust, Risikobereitschaft und Gewalttätigkeit« (136). (Siehe die amerikanische Version: »…there is a particular constellation of standards that have held sway over large segments of the population, including: anti-femininity, achievement, eschewal of the appearance of weakness, and adventure, risk, and violence«. (https://www.apa.org/about/policy/boys-men-practice-guidelines.pdf ) (3).

Murray fragt, wie populär die feministischen Bewegungen eigentlich sind. Er teilt das immerhin erstaunliche Ergebnis mit, nach Umfragen der britischen Frauenrechtsorganisation ›Fawcett Society‹ bezeichneten sich nur 9% der Britinnen und 4% der Briten als ›feministisch‹ (2016). In den USA sehe es ähnlich aus: 82% der US-Bürger wünschten sich zwar soziale, politische und wirtschaftliche Gleichstellung der Frauen, aber nur 23% der Frauen und 16% der Männer bezeichneten sich als ›feministisch‹.

Im zweiten ›Zwischenspiel‹ (141-159) trägt Murray im Wesentlichen bekannte Fakten und Bewertungen über die Rolle der »modernen Technologien« vor, in erster Linie natürlich über das Internet und die sozialen Medien. Er beklagt das »Verschwinden des privaten Raumes« in die allgegenwärtige Öffentlichkeit der sozialen Medien und hält diese für ein ›komplexes‹, ja ›totalitäres System‹ (145), weil es ein hohes Risiko beinhalte, sich dort über Privates und/oder die »kontroversesten Dinge« (144) zu äußern. Dass die großen Internet-Konzerne (Google & Co.) nicht politisch neutral sind, dämmert inzwischen jedem einigermaßen informierten Nutzer. Sie vertreten, gerade in Fragen von »Sex, Sexualität, Rasse und Trans…« (146), politisch korrekte Standpunkte und beschäftigen ein Heer von geschulten und entsprechend konditionierten Mitarbeitern (bei Google ca. 10 000, bei Facebook ca. 30 000), um ihre Denkanleitungen und Benimm-Regeln (bei FB: ›Gemeinschaftsstandards‹) rücksichtslos durchzusetzen. Interessant ist die Erwähnung eines Programms, das politische Korrektheit garantieren soll – ›Machine Learning Fairness‹ (MLF) (149ff.). Wie es der Name schon ausdrückt, soll der Computer lernen, Vorurteile und Voreingenommenheiten zu erkennen und zu korrigieren. Murray bietet dafür ein Experiment, das auch jeder Leser dieser Zeilen durchführen kann. Man muss nur das Stichwort ›European Art‹ in Google eingeben und darf sich wundern, schon auf der ersten Seite zahlreiche farbige Gesichter zu sehen.

Mein eigener Test am 8. November, 7.05 Uhr: Das erste Bild ist von Peter Paul Rubens, ›Kopf eines jungen Mannes‹ (17. Jhdt.) und das zweite, erheblich bekanntere, von Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus (1484-1486). Schon das dritte ist ein farbiges Gesicht, das Porträt einer Maurenfrau (Portrait of a moorish woman) (ca. 1550) von Paolo Veronese (1528-1588), einem gewiss bedeutenden Künstler der Spätrenaissance, der aber doch hinter Größen wie Leonardo da Vinci, Michelangelo, Tizian oder Tintoretto deutlich zurücksteht. Der Algorithmus zieht eben das Gesicht einer farbigen Frau des unbekannteren Veronese vor! Es wird gleich zwei Mal gezeigt und weitere folgen. Das ist nicht so dramatisch, wie der Autor es darstellt, aber doch sehr auffällig und enthält mit Sicherheit eine Verzerrung der Geschichte europäischer Kunst. Merkwürdig ist es auch, dass die Suche nach einem ›homosexual couple‹ nur Bilder von sehr gut aussehenden, fröhlichen und glücklichen Menschen erbringt und bei der Suche nach einem ›white couple‹ reihenweise Bilder von farbigen Paaren präsentiert werden…

Murray schlussfolgert, dass Suchmaschinen plus redaktioneller Kontentbearbeitung zunehmend einseitige – eben politisch korrekte – Informationen vermitteln und letztlich dadurch »die Wahrheit für politische Ziele geopfert wird« (157).

Der Rassismus der ›Anti-Rassisten«

Sehr eindrücklich beschreibt der Autor an krassen Beispielen aus amerikanischen Colleges und britischen Universitäten, dass die einst von Gegnern der Rassentrennung erträumte und erhoffte ›Farbenblindheit‹ in den Beziehungen der Menschen einen schweren Rückschlag erlitten hat. Und das in einer politischen und gesellschaftlichen Lage, in der, jedenfalls in den Ländern des demokratischen Westens, ein noch nie dagewesener Stand von Rassengleichheit erreicht worden ist! Während in den USA und Großbritannien linke Akademiker und ihre studentischen Sturmtruppen das ›Weißsein‹ als alleiniges, systemisches Übel identifiziert haben, gibt es auch bei uns inzwischen genügend Beispiele für eine bedrohliche wachsende militante Intoleranz, die totalitäre Züge trägt. (Siehe die ›Fälle‹ Schröter, Baberowski, Münkler, Sarrazin etc.). Was sich da in den USA akademisch als ›Antirassismus‹ spreizt und Meinungsfreiheit zum Erliegen bringt, ist die Besessenheit selbsternannter Wahrheitsprofeten, welche die gesellschaftliche Wirklichkeit als völlig vom Geist des ›Rassismus‹ zersetzt sehen. Und dieser Geist gehöre »ausgemerzt« (164-179). Der Wahnsinn verblieb nicht in den akademischen Milieus, er zog immer weitere Kreise. Ob ein renommiertes Magazin (›National Geographic‹), Filme, Schauspielerbesetzungen in Film, Theater, Musicals und TV-Serien, das fehlerhafte Rezept eines »würzigen Reisgericht nach jamaikanischer Art« (192), ein falsches Wort, der Name eines Lokals, Streaming Dienste wie ›Netflix‹, Unglücksberichterstattung in den Medien, BBC-Programme etc. – überall wurde die ›Rassenfrage‹ zum Hauptthema und Ausgangspunkt üblen Mobbings und Bedrohung. Von ›Farbenblindheit‹ keine Spur mehr.

Murray identifiziert zu Recht die Kulturtheorie ›kultureller Aneignung‹ (cultural appropriation) als einen ›wissenschaftlichen‹ Baustein des Irrsinns, nach dem es für Weiße (und nur für sie!) ›rassistisch‹ sein soll, kulturelle Grenzen zu überschreiten. Das Tragen eines indianischen Federschmucks, wenn auch nur zu Halloween oder Karneval, ist nach dieser verqueren ›Logik‹ verbotene ›kulturelle Aneignung‹. Es gibt offenbar zunehmend einen Rassismus gegen Weiße, der entweder mit akrobatischer Rhetorik entschuldigt wird (wie im ›Fall‹ Sarah Jeong, New York Times), oder die Kritiker werden als Heulsusen verunglimpft, weil sie sich angeblich zu weißen Opfern stilisierten. Im umgekehrten Falle würde ein solches Verhalten vermutlich zu virtuellem Pranger und sofortigem Jobverlust führen. (207-217).

Ein völlig vermintes Gelände ist das Thema der Gleichheit der Bildungschancen und in dem Zusammenhang die Frage nach dem Verhältnis von »soziökonomischer Klasse, Intelligenz und dem Faktor Erbgut« (220). Denn: »Forschungen rund um IQ und Genetik leiden nicht nur unter starker Konkurrenz, sondern dürften zu den gefährlichsten und abgeschottetsten Forschungsgebieten überhaupt zählen« (220). Die Autoren des Buches The Bell Curve (1994), der Politikwissenschaftler Charles Murray und der Psychologe Richard J. Herrnstein, die es gewagt hatten, auch genetische Faktoren bei der Entstehung von Intelligenz anzunehmen, wurden von Kritikern jahrelang mit Schmutz beworfen. Ein Akademikerkollege verstieg sich zu der ungeheuerlichen Aussage, das Buch sei »eine akademische Version von Adolf Hitlers Mein Kampf« (221). Es ist nicht notwendig, eigens darauf hinzuweisen, dass kaum einer der aggressiven Kritiker das Buch gelesen hatte, geschweige denn die Forschungsergebnisse diskutieren wollte. Als Charles Murray 2017 (!) am Middlebury College in Vermont über sein neues Buch reden wollte, wurde er von einem studentischen Mob daran gehindert, bedroht und vom Universitätsgelände gejagt. Wer auch nur einen »respektvollen Umgang« mit Murray pflegte, wurde gewissermaßen in Sippenhaftung genommen. Das erinnert fatal an den ›shitstorm‹, der über Thilo Sarrazin hereinbrach, nachdem er seinen Bestseller ›Deutschland schafft sich ab‹ (2010, 21 Auflagen!) veröffentlicht hatte. Auch hier fokussierte sich die überaus selektive und abwertende Kritik auf seine gut belegte These einer teilweisen Erblichkeit der Intelligenz. Murray und Herrnstein hatte Sarrazin natürlich gelesen. Das Ergebnis der Hetzjagd gegen Sarrazin war (und ist): Über genetische Faktoren der Intelligenzentwicklung darf nicht gesprochen werden. Und noch eine geradezu tödliche Konsequenz für die gesellschaftliche Kommunikation wurde deutlich: Fakten interessieren nicht, sie stören nur die ideologische Verblendung ihrer Feinde nach dem Motto: Wenn die Theorie nicht mit dem Leben übereinstimmt, umso schlimmer für das Leben! Douglas Murray bringt es auf den Punkt: »Die Lehre unserer Zeit besagt, dass alle Menschen gleich sind und dass Rasse und Geschlecht und vieles mehr nicht weiter seien als soziale Konstrukte; und dass jeder werden kann, was immer er sein möchte, vorausgesetzt er bekommt die entsprechende Chance und die richtige Unterstützung, und dass es im Leben um drei Dinge geht: Umfeld, Gelegenheit und Privilegien« (223).

In einem zweiten »Zwischenspiel‹ (227-239) wendet sich Murray unter dem Titel Vergebung dem Internet und den sozialen Medien zu. Da jeder Mensch Fehler macht und sich irren kann, muss ihm auch die Gelegenheit zur Einsicht eröffnet werden, damit er Vergebung empfange. Zum Vergeben gehört das Vergessen, »doch das Internet vergisst nichts« (230). Dies sei der »blanke Wahnsinn«, in Sonderheit, wenn auch ein für Gesellschaften notwendiges »historisches Vergessen« (233) durch das Internet konterkariert werde. Schon ein »persönliches Vergessen« sei faktisch nicht mehr erreichbar, denn Menschen können »von ihren virtuellen Doppelgängern überall hin verfolgt werden. Und selbst nach ihrem Tod geht die Leichenschändung weiter, nicht aus wissenschaftlicher Neugier oder im Zuge der Vergebung, sondern aus Rachegelüsten und Vergeltungssucht« (234). Der gnadenlose Internet-Mob stöbert z.B. in der Vergangenheit von Prominenten, bringt ihre, oft viele Jahre zurückliegende, ›Fehler‹ in Tweets und Posts ans Licht und organisiert weltweit das ›Public Shaming‹ und die ›digitale Steinigung‹ (237), mit oft Existenzen zerstörenden Folgen. Historische Persönlichkeiten können sich ohnehin gegen höchst anmaßende und verleumderische Angriffe im digitalen Raum nicht mehr wehren. Der kollektive virtuelle Zorn trifft allerdings noch die gegenwärtigen Anhänger, die ihre historischen Helden energisch verteidigen. Leider versäumt es Murray an dieser Stelle ausdrücklich, die Ambivalenz des Internets im Blick auf die Historie anzusprechen, denn natürlich kann das Internet auch eine Quelle notwendiger Erinnerungskultur und kritischer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sein. Allerdings nehmen wir zurzeit, darin hat der Autor Recht, eher die negativen Erscheinungen wahr, die sich in einer digitalen ›damnatio memoriae‹ entladen können, wofür die bei uns in Deutschland grassierende Umbennungsmanie akademischer Kreise und linksgrün gestrickter NGOs sowie Behörden ein gutes Beispiel ist.

Transgender und ****

Obwohl Transsexualität nur wenige Menschen betreffe, habe sich »alles rund um das Thema Trans* in Rekordzeit fast schon zu einem Dogma entwickelt« und sei »emotional und brandgefährlich« geworden (243ff). Murray verweist darauf, dass fast jede Kultur die Entgrenzung der Geschlechteridentität praktiziert – vom Transvestismus bis zur Transsexualität. Insofern sei ›Intersexualität‹ ›natürliches Phänomen‹, das ein seit Jahrhunderten bekannt sei, allerdings weitgehend nur den Medizinern (246). 1993 gründeten Intersexuelle die Intersex Society of North America (ISNA) und traten für die Freiheit der Geschlechtsidentität ein. Zu Recht verlangt Murray, dass wir »Intersexuellen eine gehörige Portion Empathie und Verständnis entgegenbringen« sollten (248) und erläutert dies mit viel Sympathie am Beispiel der prominenten walisischen Schriftstellerin Jan Morris (geb. 1926), die 1974 ihr aufsehenerregendes Buch Conundrum über ihre Geschlechtsumwandlung veröffentlichte. (Deutsch: Conundrum. Bericht von meiner Geschlechtsumwandlung, München 1975). Mit der Debatte über Transsexualität betritt der Autor, wie er sagt, ein »höchst spekulatives Terrain« (255), weil es hier um Menschen geht, die zwar biologisch als Mann oder Frau zur Welt gekommen sind, aber meinen, im falschen Körper zu stecken, wofür es keine befriedigende Erklärungen gebe. Die sogenannte ›Autogynophilie‹, also die »paraphile Neigung eines Mannes, sexuelle Erregung durch die Vorstellung von sich selbst als Frau zu erlangen, ist nur ein Erklärungsversuch unter anderen« (256). Ein Hauptvertreter der These, der Psychologieprofessor J. Michael Bailey, sah sich scharfen Angriffen von ›Trans**- Menschen‹ ausgesetzt, die den Erklärungsansatz strikt ablehnten. Diese sprachen lieber von ›Transgender‹ und eine Reihe von ihnen organisierte eine Kampagne gegen den Psychologen, die so weit ging, seine Entlassung von der Northwestern University (Evanston, Illinois) zu fordern. Die ›Transgender‹-Gruppe weist die ›Autogynophilie‹-These zurück und will (wie die Homosexuellen auch) beweisen, dass sie als ›Trans*-Menschen‹ genau so auf die Welt kamen, wie sie aktuell sind. Transsexualität sei biologische ›Hardware‹ und keineswegs ›Software‹, also Denken, Imaginationen Wünsche, ein anderes Geschlecht sein zu wollen, kurz: soziale Konstruktionen. Erbost wird das Faktum der ›Hardware‹ unterstrichen: »Ich bin, was ich sage, dass ich bin, und du kannst mir ja schlecht das Gegenteil beweisen« (318). Dabei bleibe offen, wie in diesem Licht die Entscheidung eines ›Trans*-Menschen‹ für einen weiblichen oder männlichen Phänotyp zu bewerten sei. Seit 2015 entfaltete sich in den USA eine wachsende Transgender-Bewegung mit dem ehemaligen Olympioniken und Reality-TV Star, Bruce Jenner (jetzt: Caitlyn Jenner) als Ikone der neuen Geschlechtsidentität. Die Bewegung forderte massiv die rechtliche, politische und gesellschaftliche Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität als ›Trans*‹. Das sollte mittels einer Fülle praktischer Maßnahmen umgesetzt werden: Änderung der Geschlechtsidentität im Personalausweis nach geschlechtsangleichender Operation, Berücksichtigung der Transsexualität in der Arbeitswelt, Anpassung der Sprache mit ****, Einrichtung von Gendertoiletten u.a.m.

Druck bekamen die Trans*-Menschen allerdings von empörten Feministinnen. Es zeigte sich, wie wenig es sich bei der LGBT-Community um eine homogene Gemeinschaft handelte. Einige sehr bekannte Feministinnen in Großbritannien (Julie Bindel, Suzanne Moore, Julie Burchill) beklagten, in z.T. rüden Tönen, die Bevorzugung von Trans*-Menschen in für Frauen sensiblen Arbeitsfeldern (etwa Hilfe für Vergewaltigungsopfer) und bestritten, dass geschlechtsangleichende Operationen Trans***-Menschen zu Frauen werden ließen. Sie wollten sich nicht »von Schwänzen in Frauenklamotten« oder »einem Haufen Bettnässern mit schlecht sitzenden Perücken« (Burchill) angreifen lassen (276). Damit war ein Krieg eröffnet, in dem die Fetzen flogen und besagte Feministinnen – im mildesten Falle – als reaktionäre transphobe Ignoranten verleumdet wurden. Selbst die Ikone des Feminismus, die australische Publizistin Germaine Greer, die es gewagt hatte, Transsexualität als erlernbares Verhalten zu bezeichnen, wurde als »alte weiße Frau« verunglimpft (279). Letztendlich siegten die Trans*** -Menschen, nicht zuletzt dank Methoden, die heute offenbar zu den akzeptierten Formen einer ›politisch korrekten‹ Streitkultur zählen: Beleidigung, Ächtung, Herabsetzung, Dämonisierung von Andersdenkenden bis hin zum ›De-Platforming‹, d.h. dem Entzug der Plattformen für die Darstellung ihrer Positionen (280). Der dogmatisch-aggressive Feldzug der Trans***-Menschen ist, Murray zufolge, nicht mehr aufzuhalten – dank zahlreicher transsexueller NGOs (z.B. der 1995 gegründeten Eltern-Charity Mermaids), staatlicher Behörden (National Health Service), Kliniken, Schulen, ExpertInnen (wie z.B. Dr. Johanna Olson-Kennedy aus Los Angeles, 289ff.), operationswilliger Ärzte, nicht zuletzt nachhaltig vorangetrieben durch traditionelle und soziale Medien (282-284). Eltern müssen es hinnehmen, wenn ihre minderjährigen Sprößlinge sich für das jeweils andere Geschlecht entscheiden und eine Geschlechtsumwandlung wünschen. Im Weigerungsfall wird ihnen düster verkündet, sie könnten ihr Kind verlieren, z.B. durch Suizid (288). Im Weltbild der Trans***-Menschen gibt es nur schwarz und weiß. Wer nicht für Transgender ist, der ist ein hasserfüllter Feind, den man mundtot machen darf, weil er ›reaktionäre‹, (trans-)menschenfeindliche Ansichten vertritt. Es reicht, die falsche Frage zu stellen, den falschen Begriff zu wählen, um ins geächtete Abseits zu geraten. Was soll man z.B. davon halten, wenn der kanadische Premierminister Justin Trudeau eine junge Frau öffentlich abkanzelt, weil sie von ›mankind‹ (Menschheit!) gesprochen hat, es aber ›people-kind‹ habe heißen müssen, weil dies keinen ausgrenze?

Ein Fazit

Der ›Wahnsinn der Massen‹, so Murray, spaltet die Gesellschaft und führt zu unübersehbar fortschreitenden Spannungen. Die Empathie für Frauen, Homos und Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft hat sich zur »Demonstration von moralischen Ansprüchen und Überzeugungen« zugespitzt und dogmatisiert. Es ist eine ›neue Religion‹ entstanden (299). Wer ihr glaubt, gehört zu den ›Guten‹, die ›Ungläubigen‹ zu den Schlechten. Feindseligkeit und Ängste werden geschürt, die gesamte ›fabric‹ der Gesellschaft ›kritisch‹ in Frage gestellt. Was gilt noch, welche Werte zählen noch?

Das Meinungsklima ist vergiftet, auch und gerade innerhalb der LGBT-Community, zwischen Homos, Lesben und Trans***-Menschen, z.B.:

  • wenn ein Mitarbeiter eines Homo Magazins rassistische Positionen vertritt;

  • Sportlerinnen sich unfair behandelt fühlen und empört gegen siegreiche Transfrauen aufstehen;

  • Frauen bei den ›Mixed Martial Arts‹ (›gemischte Kampfkünste‹) von geschlechtsumgewandelten Menschen (von Mann zu Frau) zusammengeprügelt werden;

  • es in der Filmbranche bei Castings und Besetzungen offenbar nur noch um Hautfarbe und Geschlecht geht (unmöglich, dass ein Homo eine Transfrau spielen darf!).

Die freie, liberale, demokratische Gesellschaft gewährt weltweit beispiellose Freiheiten der sexuellen Orientierung. In 73 Ländern ist Homosexualität gesetzlich verboten, in acht droht Homosexuellen die Todesstrafe. Im Iran werden Homosexuelle öffentlich hingerichtet und an Kränen aufgehängt. In Ländern des Nahen Ostens und Afrika werden Frauen die »grundlegendsten Rechte« verweigert (300). Und doch wird von den Freunden »der sozialen Gerechtigkeit, Identitätspolitik und Intersektionalität‹ behauptet, »wir lebten in einer rassistischen, sexistischen, homophoben und transphoben Gesellschaft« (299). Dies ist, wie Murray treffend darstellt, ein ungerechtes, faktenblindes und feindseliges Zerrbild unserer Gesellschaft, stereotyp lamentierend vorgetragen von Anhängern der »neuen Religion der Gerechtigkeit« (317.).

So sehr Murrays Analyse ausgewählter Beispiele zur Problematik von Rasse und sexueller Orientierung zu überzeugen vermag, so dürftig fällt seine Präsentation von Lösungsmöglichkeiten aus. Es wird nicht reichen, den Anhängern der »neuen Religion der sozialen Gerechtigkeit« , welche die gegenwärtige Gesellschaft verteufeln, mit der Frage: »Im Vergleich womit?« entgegenzutreten. Es ist nicht überzeugend, die Behauptung dieser ›Neureligiösen‹, es habe ein ›prälapsarisches Zeitalter‹ (einen früheren Zustand reinster Tugend) (323) gegeben, zu entkräften, indem wir aufzeigen, dass primitivere, ältere oder frühere Gesellschaften keineswegs »viel toleranter gewesen sind, was sexuelle und biologische Unterschiede anbelangt« (324). Dass es ›damals‹ ggf. genauso schlimm gewesen sei wie heute, ist ein schwaches Argument. Besonders wirkungsvoll scheint mir auch nicht zu sein, den von den ›Neureligiösen‹ stets betonten Opferstatus durch den Hinweis zu relativieren, Opfer angeblicher Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen würden nicht automatisch durch ihr Leiden zu besseren Menschen. Stärker und überzeugender ist die Frage: »Im Vergleich womit?«, wenn wir nach der Realisierbarkeit der Konzeptionen und gesellschaftlichen Utopien fragen, an denen die vermeintlich verderbte Gesellschaft von den ›Neureligiösen‹ gemessen wird. Es ehrt den Autor, wenn er Großmut und »respektvollen Umgang miteinander« empfiehlt, denn falls das nicht funktioniere, bleibe nur noch das Mittel der Gewalt (329). Skepsis ist angebracht, wie sie der Autor ansonsten selbst im gesamten Buch zu erkennen gibt. Wie sollen Großmut und Respekt gegenüber Gruppen funktionieren, die von der absoluten Wahrheit ihrer Position überzeugt sind und lauthals bekunden, Fakten seien für sie irrelevant?

Murray schließt mit einer deutlichen Warnung vor der Politisierung aller gesellschaftlichen Verhältnisse und Problemlagen. In einem »Universum ohne klare Bedeutung« habe dies »eine gewisse Anziehungskraft« weil es unserem Leben Sinn verleihe (331). Es könne aber nicht die Lösung sein, Politik als Sinn des Lebens zu betrachten. Was ist es denn, was zählt? Murrays Antwort ist eine sehr traditionelle, konservative. Es geht ihm um letzte, ja im Grunde genommen ewige Werte: »Für die meisten Menschen ist Liebe das, worum es letzten Endes geht. Liebe zu den Menschen um uns: Freunde, Familie, Partner, aber auch Kultur, Orte und Wunder. Wenn wir wissen, was in unserem Leben zählt und uns zeitlebens daran orientieren, haben wir schon einen Lebenssinn« (331). Das ist eine honorige, transzendent anmutende, Überzeugung, der man, je nach geistiger Orientierung, folgen oder sie verwerfen kann. Doch letztlich bleibt die Frage offen, wie es politisch zu bewerkstelligen ist, den großartigen Appell von Martin Luther King Jr. von 1967 umzusetzen: »Wir wollen erst dann zufrieden sein, wenn eines Tages niemand mehr ›Alle Macht den Weißen‹ fordert, wenn eines Tages niemand mehr ›Alle Macht den Schwarzen‹ fordert, sondern wenn alle von der Macht Gottes und unserer Macht als Menschen sprechen« (329).

Es ist natürlich wohlfeil und vielleicht beckmesserisch, wie es in zahlreichen Rezensionen üblich ist, dem Autor seinen Mangel an konkreten Lösungsvorschlägen vorzuhalten. Murray kennt die Lösungen nicht und wir auch nicht. Er hat in seinem glänzend geschriebenem Buch aber ein erschreckendes gesellschaftliches Szenario aufgezeigt. Allein das verdient Anerkennung und Respekt. Das Buch wird, insofern es die LGBT-Community und ihre medialen Unterstützer überhaupt wahrnehmen, zu kritischen, scharfen, gereizten und wütenden Reaktionen führen. Murray muss sich auf einen ›shitstorm‹ einrichten und tut das bereits in einigen Videos, die anzusehen es sich lohnt. Für seinen Rezensenten William Davies (im Guardian) ist bereits alles klar. Murray ist ein ›Rechter‹ und sein Buch ein einziger ›rightwing diatribe‹. Es ist atemberaubend und bestürzend, welchen abschüssigen Weg zum Totalitarismus manche ›Intellektuelle‹ in vollster Überzeugung von der ›Wahrheit‹ ihrer Überzeugungen beschreiten.

Verweise

American Psychological Association: GUIDELINES for Psychological Practice with Boys and Men(https://www.apa.org/about/policy/boys-men-practice-guidelines.pdf

WILLIAM DAVIES: The Madness of Crowds by Douglas Murray review – a rightwing diatribe https://www.theguardian.com/books/2019/sep/19/the-madness-of-crowds-review-gender-raceidentity-douglas-murray

NICKI VINAJ: Anaconda https://www.youtube.com/watch?v=LDZX4ooRsWs

 

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