Geschrieben von Hans von Storch und Nico Stehr
Während das Klimathema in diesem Sommer das allüberragende Thema in der öffentlichen Diskussion ist, fokussiert sich die politische Wahrnehmung auf unwirksame, symbolische Maßnahmen, die nur bedingt etwas mit Klima zu tun haben: Geschwindigkeitsbegrenzungen, Wegwerftassen, Tierwohl, Dieselverbot, Flugscham, um einige zu nennen. Derweil werden die zwei wirklich relevanten Aspekte ausgeblendet. Einmal, dass das 2 Grad-Ziel nur eingehalten werden kann, wenn in allen Ländern der Welt wirksame, auf die Quantität der globalen Emissionen gezielte Maßnahmen schnell eingeleitet werden. Zum anderen, dass auch im optimistischen Fall die gegenwärtigen Klimaänderungen sich weiter verschärfen werden, und ebenfalls überall auf der Welt, aber regionalspezifisch, Vorsorge zu schaffen ist, wie mit diesen Änderungen umgegangen werden kann.
Eine Gruppe sorgfältiger arbeitender Wissenschaftler hat festgestellt, dass die beiden Hitzewellen Ende Juni und Ende Juli in West- und Zentraleuropa deutlich durch die menschgemachte Erderwärmung verstärkt worden sind. Die internationale Reaktion auf diese wissenschaftliche Leistung war deutlich, etwa bei BBC oder in den USA. Doch die Reaktion in Deutschland war eher leise, vermutlich weil ohnehin jeder zu wissen meinte, dass dies so sei, und die Nachricht daher keine Neuigkeit darstelle.
Man braucht die Wissenschaft anscheinend nicht mehr, denn es ist weithin bekannt, dass nur noch wenige Jahre Zeit bleiben, um die Emissionen von Treibhausgasen entscheidend zu mindern, um das Klima ›zu retten‹. Derweil sind alle Auffälligkeiten auf den Klimawandel zurückzuführen und ›normale‹ extreme Ereignisse wie die Ostseeflut von 1872 oder der Taifun mit hundertausenden Opfern in Bangladesch von 1970 fallen unter den Tisch.
Insofern hat der öffentliche Diskurs keine Probleme mit den aus diesem Verständnis abgeleiteten politischen Erfordernissen: Wir müssen unsere Emissionen von Kohlendioxid in Deutschland schnell und unumkehrbar herunterfahren. Das kann jeder individuell für sich tun, beispielsweise durch den Verzicht auf Konsum von Fleisch und Plastikbechern, durch das Umsteigen vom Auto auf das Fahrrad, und vom Flugzeug auf die Bahn. Wir mindern den Einsatz unserer Elektrogeräte – und setzen kollektiv durch, dass Kohle und später andere fossile Brennstoffe nicht mehr zur Erzeugung von Nutzenergie eingesetzt werden. Wer sich diesem wachsenden Konsens entzieht, ist ein die Zukunft der Zivilisation gefährdender Mensch.
Der öffentliche Diskurs engt die Thematik in dramatischer Weise ein. Bedauerlich ist dies in mehrfacher Hinsicht. Das gesellschaftliche Verständnis des Klimawandels gerät in eine Schieflage. Es kommt zu einer massiven Einschränkung der gesellschaftlichen Optionen; und zwar zuungunsten von Maßnahmen mit langfristiger Wirksamkeit. Es fehlt der Blick auf global wirksame technische Umsetzung der politisch beschlossenen Maßnahmen, etwa durch die Elektrifizierung vieler industrieller Produktionsprozesse, sowie die Verbesserung der Anpassung der vielen Gesellschaften der Welt an die nicht-vermeidbaren oder nicht-vermiedenen Klimaänderungen. Dabei geht es um den Schutz dieser Gesellschaften in ihren diversen regionalen Ausprägungen.
Die Diskussion über den menschgemachten Klimawandel ist zu einem wohlfeilen Mittel geworden, jede Art von Partikularinteressen in die Arena öffentlicher Aufmerksamkeit zu schieben. Beispiele wären hier etwa Teile der Versicherungswirtschaft oder der Landwirtschaft, die Luftqualität in Ballungsräumen oder, jetzt gerade: die Forstwirtschaft oder das Tierwohl.
Die gut gemeinten Aufforderungen zur Konsumdisziplinierung und einer generellen Moralisierung der Lebensverhältnisse liefern kaum einen nennenswerten Beitrag zur Minderung der Emissionen. Immerhin deuten sie auf die Dringlichkeit des Problems und die Chance, doch wirksame Maßnahmen zur globalen Minderung der Emissionen und lokale Anpassungen zu den nicht vermiedenen Veränderungen politisch zu legitimieren. Die implizite Alternative zu individuellem Minderungshandeln, so wird suggeriert, ist dagegen das Nichtstun, was aber wohl mehr ein Hinweis auf akute Denkfaulheit ist.
Die eigentliche Herausforderung, der wir gegenüberstehen, ist die fortgesetzte und in vielen Fällen ansteigende Freisetzung von Treibhausgasen überall auf der Welt im Zuge von Verkehr, Heizung und Kühlung, industrieller Fertigung und landwirtschaftlicher Produktion, die die Strahlungseigenschaften der Atmosphäre verändern. Von der unveränderten Einstrahlung der Sonne verbleibt ein höherer Anteil an Energie im Klimasystem, oder in anderen Worten es wird wärmer, je mehr Treibhausgase in der Atmosphäre sind.
Einmal freigesetzte Treibhausgase verbleiben für mindestens viele Jahrzehnte in der Atmosphäre. Die Konzentration der Treibhausgase und die Lufttemperatur steigen nicht weiter, sobald die Emissionen zum Ende kommen. Ein Stagnieren der Emissionen wäre zwar schon ein Erfolg, aber es führt nicht zu einem Ende des Klimawandels. Dies tritt erst ein, nach einer gewissen Nachlaufzeit, wenn die Netto-Emissionen ganz aufhören. Um das politische Ziel von einer maximalen Erwärmung von höchstens 2 Grad, besser noch 1.5 Grad zu erreichen, muss dieses Aufhören bis 2050 oder 2060 geschehen.
Um die weltweiten Emissionen in circa dreißig Jahren bis 2050 auf Null zu bringen, muss in allen Ländern dieser Welt das Verbrennen fossiler Brennstoffe beendet werden. Um dieses anspruchsvolle Ziel zu erreichen, müssen ausnahmelos alle Länder mitziehen. Dabei ist es moralisch, politisch und wirtschaftlich zu begrüßen, wenn einzelne Länder und Regionen der Welt Vorreiter in der notwendigen Minderung sind. Deutschland als Teil der EU erklärt, zu diesen Vorreitern gehören zu wollen. Allerdings machen die Emissionen Europas nur circa 4 Gigatonnen (Gt) CO2 pro Jahr aus. Der realistisch betrachtet weiter ansteigende globale Wert beläuft sich aber schon heute auf 38 Gt CO2 pro Jahr. Allerdings ist Europa für eine größere Menge der Emissionen verantwortlich. Die Fertigung für den europäischen Konsum außerhalb Europas ist mit nennenswerten Emissionen verbunden. Selbst wenn wir annehmen, dass diese ›ausgelagerten‹ Emissionen zu einer Verdopplung der Bilanz der Emissionen Europas führen, und auch diese von erfolgreichen Minderungsmaßnahmen Europas erfasst werden, so verblieben weiterhin etwa 30Gt CO2 pro Jahr. Auf diesen verbleibenden Haushalt hat Europa keinen unmittelbaren Einfluss, ebensowenig auf den Erfolg oder den Misserfolg von Minderungsanstrengungen im Rest der Welt. Die entscheidende Frage schließt sich an: Gelingt es die verbleibenden Emissionen ebenfalls in der durch das 2 Grad-Ziel gebotenen Zeit abzuschmelzen?
Zweifellos gibt es oder wird es ein Interesse in den anderen Ländern der Welt geben, politisch und wirtschaftlich massiv in Minderungsmaßnahmen zu investieren. Allerdings konkurriert das klimapolitische Ziel in vielen Fällen mit prioritären Erwartungen, insbesondere dem wirtschaftlichen Wohlergehen der Menschen, der Versorgung mit Energie, dem Zugang zu sauberem Wasser, der Gesundheit, der Luftqualität, der Ernährung, der Wohnung und der Sicherheit. Wird die Klimapolitik in vielen Ländern der Welt erst dann die Aufmerksamkeit erreichen, die in Europa zu beobachten ist, wenn der Lebensstandard der dortigen Menschen ein ähnliches Niveau erreicht hat? Dieses fundamentale Dilemma ist die große Herausforderung.
Die Vorreiterrolle muss auf einer mit Minderungs- und Anpassungszielen kongruenten gesellschaftlichen Motivation basieren, und den globalen Charakter der Klimakrise anerkennen. Es bedarf der verbesserten Förderung von Forschung und Entwicklung von Technologien, deren Erträge diese Klimaziele erreichbar machen.
Die europäische Leistung könnte darin bestehen, einen wesentlich umfassenderen Beitrag zur Entwicklung von Klimaschutztechnologien zu leisten – mit einer altruistischen Finanzierung etwa über eine Abgabe der Besserverdienenden – um einen Hebel zu bekommen, mit den 30 Gt CO2 pro Jahr umzugehen. Eine CO2-Steuer würde nicht wirken, weil sie nur darauf abhebt, die persönlich zuzuordnende Emission zu mindern, also die deutschen Emissionen von weniger als 1 Gt CO2 pro Jahr.
Andererseits ist es durchaus realistisch anzunehmen, dass es nicht gelingt, weder in Europa noch im Rest der Welt, die Emissionen im erhofften Maß zu verringern. Die Erderwärmung verstärkt sich in einem solchen Gedankenexperiment. Die Klimafolgen intensivieren sich. Relativ kurzfristige Anpassungsmaßnahmen werden immer dringender. Sie müssen in allen Handlungsfeldern der Gesellschaft umgesetzt werden. Tatsächlich ist das Thema der Anpassung allgegenwärtig bei den Ingenieuren in den technischen Abteilungen von Unternehmen und Verwaltung, wenn es um Modernisierungen und Neuinstallation geht. Insofern macht der Klimanotstand, wie er in vielen Kommunen festgestellt wurde, Sinn. Die schleswig-holsteinischen ›Klimadeich‹-Maßnahmen sind ein gutes Beispiel. Aber diese Aktivitäten nehmen keinen Platz ein im öffentlichen Diskurs. Vielmehr wird nach Schadensereignissen nur festgestellt, der Klimawandel sei verantwortlich. Es wird selten gefragt, ob schon umgesetzte Anpassungen ausreichend waren, ob sie geeignet sind, sie weiter zu verbessern oder ob es neuartige Anpassungsformen geben muss.
Dies gilt insbesondere in der Dritten Welt. In den ›least developed countries‹ fehlen massive Investitionen, die nötig sind, um sich an die Folgen der Erderwärmung anzupassen, die in diesen Gesellschaften oft gravierender sein werden als in Europa. Dabei geht es etwa um Küstenschutz, Energieversorgung, Gesundheitswesen, Landwirtschaft, Wasserwirtschaft oder urbane Lebensräume.
In der Zusammenschau ergibt sich so eine signifikante Schieflage der öffentlichen Diskussion über den menschgemachten Klimawandel. Zunächst werden praktisch alle negativen Entwicklungen, sei es Plastik im Meer, seien es Tsunamis, dem Klimawandel zugeschrieben, während man behauptet, durch Umstellung des Lebensstils könne man solche Entwicklung zurückdrehen. Dabei wird die Größenordnung des Problems massiv unterschätzt, und keine realistischen Vorstellungen entwickelt, wie denn das politische 2 Grad-Ziel zu erreichen sein könnte. Stattdessen wird das schon fast unerreichbare Ziel von 2 Grad auf 1,5 Grad reduziert, dessen Erreichen noch unwahrscheinlicher ist, und vergisst ganz einfach den Schutz der Gesellschaft.
Die erforderliche Hilfe für, zum Beispiel, die ›least developed countries‹, etwa durch die kostenlose Bereitstellung von robuster Energietechnik, wozu moderne Kernenergie durchaus gezählt werden könnte, und die Investitionen in resistente Infrastruktur unterbleiben. Die angebliche Solidarität mit diesen Ländern manifestiert sich derzeit durch den Verzicht auf die Nutzung von Flugzeugen und in Tempolimits auf den Autobahnen in Deutschland, die sich schlussendlich in minimalen Minderungen der deutschen Emissionen widerspiegeln.