Du hast den Auftrag bekommen, einen Menschen niederzuschreiben. Welchen Menschen? Irgendeinen. Du stempelst ihn zum Primitiven, verunglimpfst ihn als Idioten, Halb-Analphabeten, Ignoranten und Phrasendrescher, als Lügner, Rassisten, Frauenhasser und Betrüger, dazu als Narzissten und Psychopathen, als Sonderling, sexbesessen und ehrgeizzerfressen, als Widerling alter Schule (warum ›alter‹? – darauf kommen wir später), als alten weißen Mann unklarer Herkunft, xenophob, übergewichtig und geschmacklos, ohne Manieren und ohne Moral… Das alles geht in einem dahin, es liegt auf der Linie dessen, was das Schreibprogramm vorgibt. Es verlangt weder Recherche noch Kontrolle noch Gedankenarbeit, für welche dich ohnehin niemand bezahlt, vor allem nicht nachts. Du hechelst förmlich den vorgeschlagenen Wörtern nach. Sei versichert, das kommt an kein Ende. Ein Thesaurus ist unbezahlbar. Dann schnappst du dir eine Aufnahme, die sein Publikum zeigt, isolierst den Glatzkopf aus Reihe 25, zwölfter von links, in der Pranke ein selbstgebasteltes Pappschild mit übler Parole, die verquollenste Fratze auf hundert Hektar im Umkreis, ein Prachtexemplar von einem Versager –: Genau der muss es sein, Vergrößerung bis zum Anschlag, immer wieder, auf und nieder, lass die Ideenverbindungen strömen, frei, wie das Auge sie aufruft. In diesem Augenblick bist du jedermann, verschmolzen mit jedem kommenden Publikum … was will der Chef mehr. Was will er mehr? Nebenbei bemerkt: Warum will er gerade das? Das zu ergründen musst du leider passen, denn so ein Auftrag… Vielleicht nennst du dich Unternehmer, vielleicht Subunternehmer, vielleicht Subsub … alles gestattet, vielleicht führst du aus Überzeugung dein Unternehmen in solche Kämpfe oder du verkaufst Überzeugungen und das Wasser steht dir bis zum Hals … alles gestattet.

Das Leben gestattet viel. Vielleicht bist du ein schmächtiger Schreiberling mit gewaltigem Ehrgeiz, ein Heimarbeiter, der zwischen zwei Windelwechseln sein verschmiertes Tablet bearbeitet, vielleicht bist du bereits weiter, viel weiter, ein Redakteur in einem eleganten Hauptstadtbüro … alles möglich, alles gestattet, keine Frage. Aber ist es auch von Belang? Nein, das ist es nicht. Du bist und bleibst ein Rädchen. Es ist der Auftrag, der dich am Laufen hält. Der Chef … vielleicht will er mehr? Soll er kriegen. Er wird seine Gründe haben. Was geht’s dich an? Täglich führt dich dein Weg an der Fassade deiner Firma vorbei und sobald ihr Logo ins Bild kommt, empfindest du diesen seltsamen Stolz in der Brust. Du fühlst dich in der Pflicht, zu Recht, schließlich hast du dich ihr verpflichtet. Die Wahrheit ist: Das ist die Wahrheit, nichts als die Wahrheit, die blanke Wahrheit.

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