Ulrich Schödlbauer

Hand aufs Herz – oder auf die gut verwahrte Brieftasche –: welcher der beiden Schlüsse hört sich infamer an? Der erste, der sich gegen eine Person richtet, oder der zweite, der sich gegen ein Personal richtet, eine Meute, um genau zu sein, denn wenn patentierte Einzelgänger in einer Sache wie dieser nach einer Pfeife tanzen, dann handelt es sich um eine Meute, gleichgültig, was der Dompropst oder seine irdische Domina darüber zu berichten weiß. Es ist leichter, eine Person herunterzumachen als eine Meute. Eine Meute ist immer gefährlich und ein Einzelner immer gefährdet. Was folgt daraus? Die Meute hat immer recht und der Einzelne immer unrecht. Selbstverständlich gilt das nur in der Situation und für die Dauer der Situation. Meist kehrt die Wertung sich irgendwann um und der Einzelne, der widerständige Geist, der Rufer in der Wüste, der aufrechte Kämpfer trägt den moralischen Sieg davon, soweit er dann noch zu laufen imstande ist. Darauf schwören, dass es soweit kommt, sollte man nicht. Zuvor könnte die Sendeleitung der glorreichen Idee Raum geben, die Situation auf Dauer zu stellen und den Umschlag um jeden Preis zu verhindern – wir sind gerade wieder Zeugen so eines Versuchs –: Ob das gelingt, hängt davon ab, wie überzeugend die Meute es schafft, sich der Allgemeinheit als eine Ansammlung aufrechter Einzelner zu verkaufen und ihr Opfer als Rattenfänger oder zumindest als Teil einer alle bedrohenden Gegen-Meute. Immerhin, es soll sie ja geben, die Allgemeinheit, in der zusammengezählt und abgewogen wird, bis das Urteil stimmt.

Das ist natürlich Illusion. Die Allgemeinheit – oder was man dafür hält – spukt in den Köpfen Einzelner, die sich ihr ganz persönliches Urteil nur vernünftig, also allgemein akzeptiert denken können. Der Nachbar, der sich ihrer Meinung partout nicht anschließen will, ist aus dieser Sicht nichts weiter ein verirrtes Schaf, das zur Herde zurückgebracht werden muss. Anders ausgedrückt: Allgemeinheit ist die eingebildete Gesamtheit all derer, die sich ihr gesundes Urteil bewahrt haben, in der Gedankenwelt von Leuten, die ihre Ansichten instinktiv vor dem Schicksal schützen wollen, außerhalb ihres Kopfes nicht mehr zu gelten als die von ihnen als falsch erachteten Ansichten ihrer Mitwelt.

Um auf meine Ausgangsfrage zurückzukommen: Die erste Infamie besteht darin, dem intellektuellen Pöbel Recht, die zweite, ihm Unrecht zu geben – nicht ohne Grund, denn jede Form des undifferenzierten Rechthabens mündet in Pöbelei – und damit selbst zu pöbeln, also mehr oder minder kräftig unter sich zu greifen, je nachdem, wie hoch man sich vorher aufgeschwungen hat. Ist Recht geben infamer als Unrecht geben? Nicht unbedingt, außer es handelt sich, wie im vorliegenden Fall, um Pöbel. Dann allerdings gehört das Unrechtgeben zur intellektuellen Hygiene. Und dennoch… Es bleibt eine Infamie.

»Erklären Sie’s mir.«

In jeder Pöbelei kann ein Körnchen Wahrheit stecken. Gäbe es nicht den Pöbel, so gäbe es keine Pöbelei. Es gibt ihn aber und er behauptet sein Recht, da zu sein und sich zu artikulieren, wie andere Bevölkerungskreise auch. Infam ist es, das Recht des anderen auf seine Wahrnehmung zu leugnen. Es kommt auch nichts dabei heraus, es sei denn eine vergiftete Atmosphäre.

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