Mattias Desmet, The Psychology of Totalitarianism, Vermont - London 2022, orig. De Psychologie von Totalitarisme, Pelckmans Publishers, Belgien

Zweifellos eine der anspruchsvolleren Verarbeitungen der Covid 19-Ereignisse.

Desmet ist sich sicher:

Der Totalitarismus ist das Endprodukt des Szientismus, der aus den empirischen Wissenschaften eine Weltanschauung gezimmert hat. 

Der Massenglaube an das alleinseligmachende Wissen einer aufs Registrieren, Zählen und Messen fokussierten Welt von Experten, an objektives Wissen überhaupt im Gegensatz zur subjektiven Alltagserfahrung und zur Weisheit von Religion und Kunst führt zu einem Verlust an Menschlichkeit, zu Sinnverlust und kompensatorischer säkularer Heilserwartung samt Führerwahn.

In den Kapiteln über Massenwahn und Verschwörungstheorie orientiert sich Desmet an Le Bon und Hannah Arendt. Wenig überzeugend der Kurzschluss der über die digitalen Medien zu Erregungsgemeinschaften verbundenen ›Diskursteilnehmer‹ mit Le Bons ›Masse‹ samt Massenseele. Hier fehlt es sichtlich an medienanalytischem Besteck.

René Girards Theorie des Sündenbocks scheint dem Verfasser nicht geläufig zu sein. Das macht sich störend noch einmal im letzten Teil bemerkbar, der der Überwindung des Szientismus gewidmet ist und der Wissenschaft als solcher einen seelischen Reifeprozess verordnet: Am Ende triumphiert die Psychologie als Grundlagenwissenschaft vor der Physik.

Trotzdem: lesenswert.