(9) Speckfänger
»Ein Speckfänger ist ein –« »Das weiß doch jeder, sparen Sie Ihre Worte, sie werden noch anderweitig gebraucht. Ich selbst bin die Mutter aller Speckfänger, das stinkt Ihnen gewaltig, wenn ich’s Ihnen sage. Eine Frau kommt mir hier nicht herein. Eine Frau, kaum dass sie die Schwelle überschreitet – die berühmte Schwelle, Sie wissen schon, Ihnen muss ich nichts darüber erzählen –, macht bereits Jagd auf Speckfänger, sie befindet sich im Jagdmodus, sobald sie eines Exemplars ansichtig wird, das Wort Schonzeit ist ihr wesensfremd. Warum? Da fragen Sie mich? Ich bin auch eine Frau, was weiß ich. Meine erste Liebe zum Speckfänger entdeckte ich mit dreizehn. Sie haben recht gehört, ja, ich habe sie damals entdeckt, denn geschlummert haben muss sie in mir schon länger. Ein süßes Exemplar, ich sage es Ihnen! Ich sehe ihn noch wie heute: klein, ranzig, unverzichtbar. Wie? Alternativlos? Das Wort gab’s damals nicht, aber meinetwegen. Ja, er war alternativlos, es gab nur den einen, es gab immer nur den einen, sie summieren sich im Laufe der Jahre, aber im Prinzip bleibt es sich gleich. Selbstverständlich bin auch ich für sie alternativlos – wissen Sie, ich habe es gar nicht nötig, meine Krallen auszufahren, ich werde mich davor sogar hüten, so wie ich mich immer gehütet habe, gerade über sie könnte man Vergleiche anstellen, und wohin Vergleiche, erst einmal ins Spiel gebracht, führen können, das, lieber Egon, wissen Sie am besten. Dazu will ich erst gar nichts sagen. Oder doch, ein bisschen: Vergleichen Sie nicht mich, vergleichen Sie sich! Mit wem auch immer. Ihnen steht der Vergleich, sie kommen aus jedem mit einem kleinen Vorteil davon. Das summiert sich. Keiner schelte mir den Vergleich. Gegen mich zum Beispiel kann jeder Bauernlümmel antreten, zu jeder Zeit, ich lasse ihn sogar mitfahren, in meinem Fond ist immer ein Plätzchen frei, der Fahrer freut sich, denn er weiß, was kommt, und nimmt sich im voraus einen Tag frei. Die Freiheit! Gäbe es sie nicht, hätte ich sie erfunden. Ich habe sie doch erfunden oder vielleicht nicht? Geben Sie zu, dass ich sie erfunden habe. Darin bin ich irgendwie alternativlos.«
So spricht sie, die Herrin des Yagir, aber nur zu Eingeweihten. Wer eingeweiht ist, entscheidet sie ganz allein, da lässt sie sich von niemandem dreinreden. Oder doch? Hat sie erst einmal die Freiheit des Andersdenkenden entdeckt, ist kein Halten mehr. Auch deshalb ist sie stets auf der Hut: An dem Tag, an dem sie anders zu denken beginnt, lässt sie nur noch Andersdenkende gelten. »Denken Sie anders!« ruft sie ihren Speckfängern zu und wehe, einer überhört den Ruf.