Ulrich Schödlbauer: Als das Wünschen noch geholfen hat. Vom Niedergang des europäischen Projekts und dem Aufstieg des Populismus
1.
Als das Wünschen noch geholfen hat, da öffnete sich die Realität einen Spalt breit und entließ aus sich die Europäische Union, jenen Verbund aus Staaten, die beschlossen hatten, ihre staatliche Existenz gleichzeitig miteinander zu teilen und zu behalten, bis dass eines fernen, sehr fernen, vielleicht unendlich fernen Tages der gemeinsame Staat Europa sie aus dieser Zwickmühle befreien werde. – Als das Wünschen noch geholfen hat, da öffnete sich der Spalt ein zweites Mal und es erfüllte sich für einen historischen Augenblick die Vision einer grenzenlosen Welt, in der die Verhältnisse flieht, wer fliehen kann, um sich dort niederzulassen, wo es ihm behagt oder wohin das Verlangen nach einem anderen Leben ihn treibt – nicht überall, sondern, wo sonst, in jenem Teil Wunsch-Europas, in dem der Wunsch seit jeher ›Vater des Gedankens‹ genannt wird und darauf hofft, eine mütterlich gestimmte Seele zu finden, die ihn austrägt. – Als das Wünschen noch geholfen hat, da öffnete sich der Spalt ein weiteres Mal und er gebar als sichtbares Zeichen, dass es nunmehr ›hier und heute‹ mit den alten Diskriminierungen ein Ende habe und ab jetzt geht, was geht, die ›Ehe für alle‹.
2.
Die Liste ließe sich verlängern. Allein diese drei Entscheidungen lassen ein Muster durchscheinen, in dem Elemente sichtbar zusammenkommen, die einander ansonsten nicht viel zu sagen haben: erstens jener berühmte ›Geist der Utopie‹, der im vergangenen Jahrhundert einen Großteil der Intellektuellen beseelte und sie dazu anhielt, das nicht – oder nur – Denkbare zu denken, ›als sei es machbar‹, zweitens die Überzeugung von der prinzipiellen politischen Gestaltbarkeit der ›globalisierten‹ Welt aus Technologie, Information und frei flottierendem Kapital, die ihren Schülern und Nachfolgern in den akademischen Fächern den Weg weist, aus denen der Staat seine leitende Beamtenschaft und ihre Zulieferer rekrutiert, schließlich eine konzentrierte Medienmacht, deren unbedeutendster journalistischer Wasserträger sich als legitimer Träger des intellektuellen Erbes und Verbündeter von Denkfabriken und Nichtregierungsorganisationen betrachtet, die ihre eigenen Reißbrett-Versionen gegenwärtiger und kommender Wirklichkeiten unter die Leute bringen –: und auf der anderen Seite die gestaltungsbesessene Spontaneität einer Politikerkaste, die Europas Bedeutungsverlust nach dem Zweiten Weltkrieg durch Konstruktionen supranationaler Macht seit einem halben Jahrhundert zu konterkarieren und zu überwinden unternimmt.
3.
Unter diesen Konstruktionen steht bekanntlich die aus der EWG hervorgegangene Europäische Union obenan. Ihre utopiegestützten Hebel sind die gemeinsame Währung als Vorgriff auf den gemeinsamen Staat, die werteorientierte Verordnungspraxis als Mittel der europaweiten Umgestaltung von Staat und Gesellschaft und nicht zuletzt eine auf Hilfsfonds und Lobbyismus gründende Weltinnenpolitik, deren sakrosankter Zweck in der globalen Verbreitung der Menschenrechte besteht. Ihr Einsatz hat allerdings auch jene gesellschaftlichen Gegenkräfte auf den Plan gerufen, deren politische Repräsentanzen als ›populistisch‹ in Verruf stehen, obwohl sie mit dem Populismus US-amerikanischer Provenienz, abgesehen von ein paar oberflächlichen Gemeinsamkeiten, eher wenig verbindet. Seit wann gilt Frankreichs rechtsnationalistischer Front National als ›populistisch‹? Zweifelsohne erst, seit man einen Popanz benötigt, um gefährlich wachsende Wähleranteile zu bändigen, die sich von Parteien wie der niederländischen Ein-Mann-Partei voor de Vrijheid eines Geert Wilders oder der deutschen AfD angezogen fühlen. Populistisch ist, wer sich nicht ins herkömmliche Parteiengefüge einschmiegt. Die Programme der – relativen – Newcomer entstammen nicht dem traditionell nationalstaatlichen Rechts-Links-Schematismus, sondern verdanken sich teils genuin kritischen, teils alarmistischen Folgenabschätzungen des utopiegepufferten Bürokratismus, der sich im Lauf der vergangenen Jahrzehnte im EU-Behördendschungel ein komfortables Zuhause zu schaffen wusste und sich anschickt, die Lebenswelt der Bürger Europas drastisch und nachhaltig zu verändern.
4.
Man könnte, was sich hier zu Wort gemeldet hat, die Front der Utopieverweigerer nennen. Die Verweigerung zielt auf das ›Projekt Europa‹, dem sich die politischen ›Eliten‹ der führenden Mitgliedstaaten, vor allem im Norden und Westen des Kontinents, noch immer mehrheitlich verpflichtet fühlen. Noch immer – zweifellos hat hier eine Absetzbewegung begonnen, deren Effekte sich schwer überblicken lassen, vor allem dann, wenn man die politische Psychologie Deutschlands mit seinem ungestillten Verlangen nach einer ›irgendwie europäisch‹ gearteten postnationalen Identität gesondert in Rechnung stellt. Typischerweise spielt das Europaparlament – das frei gewählte Parlament aller EU-Europäer – im ›populistischen Diskurs‹ kaum eine Rolle. Eher fungiert es als Bühne für die Inszenierung der eigenen Weltanschauung und als Versorgungsinstitution für verdiente Frontleute der nationalen Politik. Die Kritik, wie sie geht und steht, konzentriert sich auf die Tätigkeit von Kommission und Ministerrat. Nicht ohne Grund, denn in ihr liegt die Ursache für die Entwertung der nationalen Parlamente zu nachrangigen Akklamationsorganen der europäischen Elitenpolitik und die daraus entspringende Störung der demokratischen Machtbalance in den Mitgliederstaaten. Dass diese Störung verstanden wird, dafür legt der langjährige, in den Brexit mündende britische Sonderweg ein ebenso beredtes Zeugnis ab wie der seit 2015 manifest werdende Widerstand der Visegrád-Staatengruppe gegen das ›Diktat‹ der sogenannten Brüsseler ›Gutmenschen‹-Fraktion. Die Kritik an den Organen der EU ist nicht neu, neu ist die Vehemenz, mit der sie bekämpft wird. Substanzlos wird die Kritik dadurch nicht. Auch ist sie nicht bereits deshalb heuchlerisch zu nennen, weil ›man‹ ja alles selbst beschlossen hat. Gerade an diesem sich der parlamentarischen Kontrolle tendenziell entziehenden, in Brüssel seine Pirouetten drehenden ›man‹ der nationalen Regierungen und einer mehr oder weniger gesichtslosen Kommission entzündet sich schließlich die Kritik. Heuchlerisch erscheint es da eher, jahrzehntelang das ›Brüsseler Demokratiedefizit‹ zu beklagen und anschließend diejenigen, die dagegen zu Felde ziehen, als Populisten zu schmähen, ohne sich selbst in der Sache zu bewegen.
5.
In der deutschen Öffentlichkeit wurde die AfD bereits konsequent als deutscher Front National aufgebaut, als sie kaum mehr als eine von Ökonomieprofessoren unterstützte Euro-Protestpartei war. Später bemühte man eine Zeitlang den gescheiterten Vorsitzenden als Kronzeugen, um dieselbe Sicht auf eine zusehends nationaler auftretende Partei unverdrossen weiter zu verbreiten und zu intensivieren. Vergessen bleibt, dass im Zuge der Banken- und Euro-Rettung die transnationale Vergleichgültigung der europäischen Parlamente zum ersten Mal drastisch sichtbar Gestalt annahm. Das ›Machtkartell der etablierten Parteien‹, über Jahrzehnte eine linksliberale Kritikfigur, wurde über Nacht sakrosankt, als die AfD sich dieses Themas annahm. Eine Partei der linken Mitte wie die SPD muss die Selbstvergessenheit schon sehr weit treiben, um zu vergessen und vergessen zu machen, dass bis vor wenigen Jahren die gleiche Kritik noch in ihren eigenen Reihen erhoben wurde. Was immer aus der AfD seither entstand – kaum zu bestreiten bleibt, dass sie sich konsequent von Themen nährte, die bei den ›im Bundestag vertretenen Parteien‹ unter den Tisch fielen, bis die unkontrollierte Öffnung der deutschen Grenzen im Zuge der Flüchtlingskrise ihr einen Popularitätsschub bescherte, der sie fast über Nacht zu einem wirklichen Machtfaktor werden ließ. Auch hier blüht Heuchelei: Noch immer sonnt sich die Kanzlerin im Glanz universalistischer Werte, während die CDU sich längst mehr oder weniger den Forderungskatalog der allseits geächteten Pegida zu eigen gemacht hat. Und es blüht Wunschdenken: das Phantasma des Euro-Islam hat die Öffentlichkeit zurückerobert und die etablierten Parteien spielen, unter dem Stichwort ›Diversität‹, einmal mehr das Spiel ›Der Islam gehört zu Europa‹, während sie die weit wichtigere öffentliche Erörterung der Frage, wieviel Islam, wieviel Religion überhaupt sich mit einer republikanischen Verfassung europäischen Zuschnitts verträgt, dem Schmuddelkind am rechten Wegrand und seinen wirklichen oder eingebildeten geistigen Zuträgern überlassen (und selbstredend den Verfassungsämtern). Zu den Grundübeln EU-Europas und seiner tragenden Parteien scheint es zu gehören, nach dem Motto ›Kommt Zeit, kommt Rat‹ Sachfragen in Zeitfragen zu verwandeln, um jeden noch so klugen Einwand gegen eine bestehende Praxis und jede noch so berechtigte Klage aus der Bevölkerung mit dem Hinweis auf das ›Projekt Europa‹ und seine kommende Herrlichkeit abschmettern zu können.
6.
Der Spalt der Utopie pflegt sich in der Politik nur selten zu öffnen – und dann nur für kurze Zeit. Die größere Zeit – und das größere Arbeitsvolumen – nimmt die Aufarbeitung der Folgen, vor allem der Folgekosten in Anspruch. Das gilt für die Einführung des Euro, das gilt für die durch ihn so nachhaltig veränderte EU insgesamt, das gilt für die von manchen historisierend ›Völkerwanderung‹ genannte Masseneinwanderung auf der porösen Basis des UN- und EU-Flüchtlingsstatuts, es gilt für den von Euphorie getragenen Beitritt der Staaten des östlichen Mitteleuropa zur EU und das gegenwärtige Fremdeln der Partner untereinander. Utopie bringt Arbeit. Ein Lehrstück liefert die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951/54 samt ihren späteren Ergänzungen: Was einst zum Schutz realer Flüchtlinge ersonnen wurde, hat eine Dynamik aus ökonomischer Lockung und moralischer Erpressung, aus zivilgesellschaftlicher Erzwingung und staatlicher Instrumentalisierung, aus irreführender Migrationsetikettierung und realer -intensivierung entfesselt, an deren Ende ungeheure, durch keine gesicherte Staatlichkeit zu bewältigende Flüchtlingszahlen und eine gut geschmierte, immer ausschließlicher ihren eigenen Gesetzen folgende Flüchtlingsindustrie stehen, gegen die nur eines zu helfen scheint – Schmiergeldzahlungen an Staaten und Staatsderivate, die es mit Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechten nicht allzu genau nehmen. Einer gewissen ›menschengemachten‹ Dynamik unterliegt auch die Auslegung der Menschenrechte. Hier wirkt vielleicht der stärkste Impuls zur Ausbildung gesellschaftlicher Einstellungen und politischer Positionen, deren Pointe in der konsequenten Utopieverweigerung zu suchen ist. Die Bevölkerungen Europas, das sollte nicht vergessen werden, haben im Lauf des vergangenen Jahrhunderts sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Versuchen sammeln dürfen, utopisches Denken zur Grundlage politischen Handelns zu erheben. Die Frage ist, ob sie diese Erfahrungen zu bündeln verstehen oder es zulassen werden, dass sie sich gegenseitig neutralisieren, um nicht zu sagen: massakrieren.
7.
Heuchelei allerorten … reine Polemik ist die Entgegensetzung von Globalisierung und Populismus, so als seien Populisten all jene, die dem Etikett ›Globalisierung‹ misstrauten und sich willens zeigten, alles zurückzuweisen, was darunter fällt. Polemik schon deshalb, weil Globalisierung als Prozess der fortschreitenden weltweiten Verflechtung auf ökonomischem, kulturellem und schließlich auch sozialem Feld die elementare Gewalt eines Naturphänomens besitzt und von niemandem zurückgewiesen werden kann, es sei denn in Form von Aussagen, die vor allem eines sind: lächerlich. Anders steht es um strategiegesteuerte globale Aktivitäten, sei es einzelner Unternehmen oder Unternehmensverbünde, sei es einzelner Staaten und Staatengruppen, die ihre Interessen, ihre Macht und ihren Einfluss weltweit zur Geltung bringen: Wer hier nicht misstrauisch auf Ziele und Mittel blickte und seinen eigenen Vorteil, sei es als Privatperson, sei es als Gesellschaft oder als Staat, sorgfältig und entschieden zur Geltung brächte, könnte nur als töricht bezeichnet werden. Insofern ist das Wort ›Globalisierungsgegner‹ kaum mehr als ein Totschläger in den Händen mächtiger Interessenträger, geeignet, jeden Akteur einzuschüchtern, der sich ihnen in den Weg stellt, gleichgültig, ob seine Gründe etwas taugen oder nicht. Wer glaubt, Globalisierung als eine Frage der Moral, vielleicht sogar der Menschenrechte ansehen zu müssen, der sollte lernen, sich als erstes Kampagnen-Opfer zu begreifen, und seine Begriffe klären. Eine Globalisierungsmoral gibt es nicht.
8.
Eine Politik ohne Sachzwänge gibt es nicht. Dass alle Menschen gleiche Rechte haben, bedeutet nicht zwangsläufig, dass alle gleiche Rechte an gleichen Orten haben – einfach deshalb, weil es nicht geht. Es bedeutet aber, dass Grundrechte überall gelten und deshalb überall zur Geltung gebracht werden können sollen. Gelingen kann das nur dadurch, dass alle Staaten sie in ihr Rechtssystem integrieren und für ihre Durchsetzung Sorge tragen. Keineswegs handeln Staaten moralisch, die aus rechtlich und sozial desolaten Zuständen näherer oder fernerer Nachbarstaaten Gewinn zu ziehen versuchen, und sei es der höchst zweifelhafte eines Ausgleichs der eigenen Bevölkerungszahlen. Im Ernstfall verstoßen gerade sie gegen die Menschenrechte, weil sie den Druck auf solche Staaten mindern, auf ihrem Territorium geordnete, rechtliche, sozial befriedigende und menschenwürdige Verhältnisse herzustellen, und dadurch Rechtlosigkeit befördern. Weniges ist daher mit größerem Misstrauen zu betrachten als die ›humanitäre‹ Ausweitung des Flüchtlingsbegriffs: Die Aggression gegen staatliche Ordnung jeglicher Art, die darin steckt, sollte man nicht allzu generös mit dem Hinweis auf existierende Unrechtsregime und das Glücksbedürfnis des Einzelnen beiseiteschieben. Wenn etwas, dann muss staatliche, das heißt auch zivile Ordnung in Freiheit erkämpft werden – sie fällt nicht vom Himmel und gewinnt nichts, wenn eine wachsende Zahl von Staaten von Schwindsucht befallen wird.
9.
Die klare Trennung von – legaler – Einwanderung und – erschlichenem oder rechtens gewährtem – Asyl sowie der verschiedenen Formen der ›Duldung‹ befriedigt nicht nur den Sinn für begriffliche Distinktionen und empfiehlt sich nicht allein im Hinblick auf die Lage der arbeitenden Bevölkerung und der ›Abgehängten‹ im eigenen Lande. Sie zählt zu den Voraussetzungen jeder als rational gelten könnenden Einwanderungspolitik und bietet die einzige Möglichkeit, das Vertrauen eines misstrauisch gewordenen Staatsvolks in das Handeln derer, die es regieren, zurückzugewinnen. Dieses Vertrauen lässt sich nicht anhand der Zustimmung zu oder Ablehnung von Beschlüssen ermessen, selbstdeklarierte Flüchtlinge in begrenzter oder unbegrenzter Zahl aufzunehmen oder abzuweisen. Es wäre ein Irrtum anzunehmen, der Vertrauensverlust sei in erster Linie sozial motiviert. So zu denken hieße, der Bevölkerung den Sinn für die rechtlichen und mentalen Fundamente des eigenen Staates abzusprechen. Die Entscheidung darüber, »wer ins Land darf«, wie lange und mit welchen Rechten, rührt an das elementare menschliche Bedürfnis, in menschlich, sozial und rechtlich angemessenen Grenzen darüber bestimmen zu können, mit wem man leben will. In demokratisch verfassten Gemeinwesen ist dieser Anspruch an den Staat delegiert: Er hat – im geltenden Rechtsrahmen – den Bedürfnissen seiner Bürger Rechnung zu tragen. Das bedeutet: auch auf diesem Feld müssen staatliche Entscheidungen auf transparente Weise begründbar sein und begründet werden – und sie müssen mehrheitsfähig sein. Wird das geflissentlich übersehen oder verdrängt, leidet das Vertrauen der Bürger in die Rechtlichkeit allen staatlichen Handelns.
10.
Die guten Leute verlieren ohne Murren ihr Geld an der Börse, aber den Betrüger, der sie um einen weit geringeren Betrag prellt, zeigen sie an und empören sich über den Staat, sollte er ihnen vorenthalten, worauf sie bestehen: Gerechtigkeit. Der bei der ›breiten Bevölkerung‹ grassierende Eindruck, eine von interessierter Seite aus ökonomischen und bevölkerungspolitischen Gründen gewollte Einwanderung werde durch Umetikettierung von Arbeitsmigranten in ›Flüchtlinge‹ ohne Hoffnung auf rechtliche Anerkennung im Vertrauen auf einen sicheren Bleibestatus erschlichen, und zwar durch Staat und ›Flüchtlinge‹ gleichermaßen, beschädigt das Gemeinwesen an seiner empfindlichsten Stelle: am Kreuzungspunkt von staatlicher Macht, individueller Freiheit und jenem Minimum an Vertrauen in die Gesinnungen und das Handeln der jeweils anderen Seite, unterhalb dessen der Zerfall der Institutionen beginnt. Er ist geeignet, Demokraten in Zyniker, Journalisten in Heuchler, Juristen in Gesinnungsmarionetten, Idealisten in Fanatiker und verantwortlich denkende Staatsbürger in ›Wutbürger‹ zu verwandeln – ohne Aussicht, den entstandenen Schaden angemessen und rechtzeitig vor der nächsten Flut reparieren zu können. Gerechtigkeit beginnt beim Wort: sein richtiger, sein rechtmäßiger Gebrauch entscheidet darüber, ob man miteinander im Gespräch bleibt oder an der Überzeugung, die jeweils andere Seite führe überwältigendes Unrecht im Schilde, erstickt.