Ulrich Schödlbauer

Der alte Mann auf dem Weg zur Macht hat ein Motiv. Das Motiv lautet: Machtverfall. Der alte Mann ist in seinem Leben zu oft von der Macht berührt worden, um noch von ihr verführt zu werden. Nicht die Erotik der Macht zieht ihn an, sondern ein unabweisbar gewordenes Bewusstsein von etwas, das getan werden muss. Er hat lange und oft darüber geredet, meist im kleinen Kreis oder unter vier Augen, gelegentlich auch vor laufender Kamera: Das Land benötigt dies und das, das und das muss geschehen – und nichts hat sich getan. Angenommen, der alte Mann ist einer, dem man – nicht erst seit gestern! – zuhört, angenommen, er weiß sich ebenso schlicht wie vernehmlich auszudrücken und sein Befund wird von vielen geteilt, angenommen schließlich, er scheint noch Reserven zu besitzen – ich meine jetzt nicht pekuniär, sondern mental und physisch (auch dieser Punkt will bedacht sein): Dann wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Frage an ihn herantritt, ob er selbst bereit sei, sich ›der Verantwortung zu stellen‹, also den Schritt zu gehen, dessen Verweigerung er den Regierenden vorwirft: »Warum nicht du?« Der Grund ist so einfach wie zwingend: Was getan werden muss, muss getan werden. Viele sehen darin eine Lizenz zur Grausamkeit und spalten sich in Realisten und Moralisten der Macht. Beides ist falsch: Es ist eine Frage der Logik, nichts weiter. Der Weg geht vom Schluss zum Entschluss. Der alte Mann ist kein Aktivist. Er geht den ersten Schritt erst, nachdem er den letzten durchdacht hat. Er kann sich ausmalen – und bekommt es auf der Stelle bestätigt –, dass bereits hier das Netz der Verdächtigungen ausfährt: »Woran denkt der Alte? Was hat er vor? Ist er verrückt geworden? Meldet sich da eine kleine Demenz? Leidet er an Realitätsverlust? An altersbedingter Selbstüberschätzung? Weiß er überhaupt, was er den Seinen antut? Denkt er, er könne sich alles kaufen? Glaubt er, er könnte mal eben…?« Der Fluch des ›mal eben‹ hängt sich an den am längsten erwogenen Entschluss, als sei er just zu diesem Zweck in die Welt gekommen. Nichts an einem solchen Entschluss ist ›mal eben‹ – gerade deshalb wird dieser Kübel darüber geleert. Dabei liegt speziell im Wohlerwogensein kein Verdienst. Das Alter denkt für den alten Mann. Wenn er lebensklug ist, dann weiß er, dass mit dem ersten Schritt, den er geht, seine Welt sich dreht und ab sofort Dinge geschehen werden, die er nicht kontrollieren kann. Er ist nicht der Meister aller Wirkungen. Er ist Meister in seinem Repertoire. Er wird es in die neue Funktion mitnehmen. Das heißt aber: Nicht er wird lernen, was die Welt – oder das Amt dort draußen – von ihm erwartet. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Welt wird gemeinsam mit ihm erfahren, wie weit er auf seine Weise kommt.

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