(31) Yagiatentum
Ein Yagirit lebt von der Schuld seiner Vorfahren. Das geschieht mit annähernd der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der ein Millionenerbe die angehäuften Vermögenswerte seines Vaters oder seiner Tante verprasst. Wahr ist, dass hier wie dort Untaten die Akkumulation bewirkten. Der Millionenerbe will nichts davon wissen, holt ihn das Wissen ein, gründet er einen Fonds. Der Yagirit glaubt, er wisse genug, und kapselt sich darin ein. Der Millionenerbe weiß selbst, was getan werden muss, damit Vermögen sich lohnt, wie es so süffisant in der Presse heißt. Der Lebenswandel des Yagiriten schließt eine intime Kenntnis der seit altersher auf ihm lastenden Untaten aus. Folglich attestiert er sie, rein geschäftsmäßig, Leuten, die er zufällig kennt. Vorsicht! Kennt er sie denn? Ein rechter Yagirit sucht nicht lange, er findet, wo Leute, die lange suchen, nicht fündig würden. Wäre er auf eigene Faust schuldig geworden, die Untaten blieben, solange er sich auch drehte und wände, stets die seinen. Nein, so sieht er sich nicht. Er benötigt, schon um sich auszuweisen, den gemeinen Bannfluch, folglich zückt er ihn allerorten und bei jeder Gelegenheit, die ihm andere bieten. Er lässt einen Namen fallen und schon verstummt ein Gespräch. Er zischt ein Wort und Angst kriecht über den Tisch. Er erlaubt sich, was keinem Anständigen erlaubt ist und kommt damit durch, denn er ist der Gezeichnete. »Ererbte Schuld«, sagt er und lacht, »wer darf sich mit mir messen?« Keiner natürlich, das versteht sich von selbst. Kein Yagirit kann sich mit einem messen, der als Yagirit spricht, die Verwandlung ist absolut und verbietet das sonst übliche Miteinander. Man nennt es die Yagir-Krankheit: eine Armlänge Abstand von dem, den sie überkommt, ist durch Natur und Gesetze vorgeschrieben und wird in der Regel peinlich eingehalten. Vieles im Yagir wird peinlich eingehalten. ›Ohne Pein kein Sein‹ lautet das Hohelied des Yagiatentums (nicht zu verwechseln mit dem üblichen Yagiismus), das an den Feiertagen des Staates stehend gesungen wird, von geübten Sängern mehrmals in wechselnder Umgebung. Yagir-Kranke sind übrigens vogelfrei: die Vögel, die jeden Yagiriten sonst plagen, scheinen sich nicht für sie zu interessieren und fliegen im Bogen um sie herum.