(47) Nichtbeachtung
Um die Wahrheit zu sagen: Yagir wäre nicht Yagir, wenn es bei ihm bliebe. Der Yagir ist eine Landkarte, seine Bewohner kommen und gehen, einige bleiben etwas länger, manche verpissen sich, wie sie gekommen sind, wieder andere werden von Staats wegen ausgeflogen und einige haben es einfach eilig, wieder wegzukommen, zum Beispiel weil ihnen das Klima nicht behagt und ihnen das Rheuma zusetzt oder weil das Gehalt nicht reicht oder ihre Firma sie in einen anderen Landstrich beordert oder weil ihnen die Sprache nicht gefällt. Man findet Yagiriten mit einer Ausstrahlung, als wären sie gerade vom Himmel gefallen oder als wollten sie dorthin entschweben, ganze Abteilungen erwecken den Eindruck, das Land selbst habe sie gezeugt und mit Fudern von Heu aufgezogen, die sie jetzt nach und nach in Mist zu verwandeln hätten. Der Yagir, behaupten seine Gelehrten, besitzt eine Kultur, manche behaupten auch, er besitze deren zwei oder drei, rechte Schlaumeier merken an, das beruhe auf einem Missverständnis, die Kultur des Yagir erschöpfe sich vorwiegend in der Ignoranz, mit der er Schmarotzer aus aller Herren Länder aufnehme und mit Sozialleistungen verwöhne. Im Kreise der bleichen Chefin und ihrer Paladine vernimmt man dergleichen Sprüche ungern, nicht zum Schaden ihrer Verbreiter, die ein Vermögen scheffeln, weil der gemeine Yagirit alles glaubt, was die Chefin schlecht macht. Das Wort vom Schmarotzer übrigens, das unter Marktjüngern lange en vogue war, gilt als Unwort, es wurde aus dem Portfolio der staatstragenden Parteien gestrichen, nachdem das arbeitende Volk begann, es ihren Postenjägern entgegenzudonnern. Ob’s stimmt? Die Auszeichnung ›Unwort‹ jedenfalls, soviel steht fest, hat sich zum festen Bestandteil der Kultur gemausert. Es existiert sogar, einmalig in der Galaxie, eine Gesellschaft einzig zu dem Zweck, das ›Unwort des Jahres‹ zu küren. Unter den abgelehnten Unwörtern findet sich alle Jahre wieder neben dem ›Unwort‹ auch die ›Gesellschaft‹ – viel Ehr’ für nix, nichts fürchtet die Gesellschaft so sehr wie Nichtbeachtung seitens ihrer Verächter. ›Die Gesellschaft weiß‹, ›die Gesellschaft will‹, ›die Gesellschaft sollte‹, ›die Gesellschaft träumt‹ – derlei Phrasen liest jeder gern und stellt sich darunter etwas vor, das seine Vorstellung übersteigt. Der größte Feind der Gesellschaft sind bekanntlich Leute, denen die Sprachregelungen am A... vorbeigehen und die deshalb nicht begreifen können, dass die Gesellschaft nur existiert, um die Manieren von ihresgleichen zu verbessern und dadurch das Ansehen des Landes im In- und Ausland zu steigern. »Wieso?«, fragen sie, »der Yagir ist altes Kulturland und wer es nicht glaubt, möge es selbst herausfinden.« Da lachen die Kulturforscher und nehmen den nächsten Flieger nach Seattle, wo sie sich besser verständigen können.