(65) Klassenfrage
Als die Klassenfrage, nachdem sie lange geruht hatte, sich im Yagir wieder einmal zu Wort meldete, beschloss die bleiche Chefin, sie neu zu sortieren und das Land in drei Klassen zu unterteilen: in diejenigen, die schon länger hier sind, diejenigen, die noch nicht so lange hier sind und diejenigen, die nicht mehr ganz hier sind. An jede Klasse wandte sie sich mit einer gesonderten Grußbotschaft und Glückwünschen, dass sie es nunmehr geschafft hätte, sich zu konstituieren. Das hört sich großartig an und ist auch so gemeint. Nichts hindert die Klassen daran, ihre ganz besonderen Fähigkeiten zu entfalten und auf diese Weise dem Staat einen wertvollen Gefallen zu leisten. »Unser Staat«, so belehrte sie die drei aufmerksam lauschenden Klassen, »nimmt durchaus Interesse an Menschen, die sich in seinem Hoheitsgebiet aufhalten, vor allem, insofern es in seinem ureigenen Interesse liegt. Letzteres wird durch eine kluge Politik, die Sie von meiner Regierung auch in Zukunft erwarten dürfen, stetig gemehrt. Es ist unser gemeinsames Ziel, dass sich künftige Generationen nicht mehr den Kopf über Art und Umfang der Staatsinteressen zerbrechen müssen, da dann alles Staatsinteresse geworden sein wird. Bis dahin bitte ich Sie um Gelassenheit. Inzwischen können wir uns nicht um alles kümmern. Aber seien Sie unbesorgt, da kommt noch einiges nach.« Nach diesem etwas verzwickten Ausflug in die Zukunft wandte sie sich jeder Klasse einzeln und allen gemeinsam zu. Zum Abschluss richtete sie einen eindringlichen Appell an diejenigen, die nicht mehr ganz hier sind. »Ihr«, las sie vom Blatt, das ein Luftzug an dieser Stelle leicht anhob, »ihr, die ihr uns verlassen wollt, teils, weil ihr nicht mehr wollt, teils, weil ihr nicht mehr dürft, teils, weil ihr nicht mehr weiter wisst, teils, weil sich jemand um eure Abschiebung kümmern konnte, teils, weil ihr nie ganz da wart oder aus anderen, hier nicht zu diskutierenden Gründen, ihr seid die, mit denen mich zu identifizieren mir nicht ganz leicht, aber auch nicht richtig schwer fällt. Was ihr für dieses Land leistet, ist nicht leicht mit Worten zu beschreiben. Versuche ich es trotzdem, dann fallen mir nur Worte ein wie: Ihr seid die Zukunft dieses Landes. Wer sonst sollte sich um die Rendite kümmern, die es abwirft, wenn nicht ihr? Euch, die ihr euch den Abschied schwer und uns leicht macht, rufe ich zu: unser Land ist euretwegen. Nehmt, was ihr tragen könnte, es ist euer, teils, weil ihr es erst liebenswert gemacht habt, teils, weil ihr es frei genießt, wie unser Gesetz es vorschreibt. Es ist schön, wenn ihr gelegentlich unsere Gesetze befolgt, für wen wären sie da, wenn nicht für euch? Nein, wir werden euch nicht allein lassen, wenn ihr ab jetzt immer weniger ganz hier sein werdet. Wir werden mit euch sein, dessen seid immer und überall gewärtig. Was wären das Hier und das Jetzt, wenn sie alles wären? Jedenfalls nicht das, was sie sind. Ich nehme an, das ist gut so. Ich liebe euch doch alle. Mehr weiß ich auch nicht.«