Auf der irakischen Seite war der Zustand des Highways unverändert. Die »Route 10« hieß nun Al-Rutba, nach einer irakischen Stadt, die zwischen der Grenze und Bagdad liegt. Auf der irakischen Seite veränderte sich jedoch die Atmosphäre schlagartig. Je weiter in Richtung Bagdad, umso präsenter das Militär und umso vorsichtiger der Fahrer. Das Militär war der Repräsentant der Macht. Es konnte Fahrzeuge anhalten, kontrollieren, enteignen, rammen oder willkürliche Verhaftungen vornehmen. Trotz dieser Realitäten mussten alle gewollt oder auch zögernd brav anhalten, wenn ein Hirte mit seinen Schafen die Straße überquerte. Dem Gesetz der Natur gehorchten alle. Möglicherweise wegen der Gleichzeitigkeit des Ungleichen, oder dem Respekt gegenüber dem Hirten, der seine Autonomie und Freiheit eher behalten hat als die abhängigen Städter, denn woher sie auch kamen und welche Interessen sie auch verfolgten - sie gerieten in Bagdad unter das Joch des urbanen Terrors.

Urban meint nicht die zivile Errungenschaft der »Citoyens«, sondern die orientalische Variante des städtischen Lebens im Sinne von Max Weber. Der Verbandscharakter fehlt. Erst er ermöglicht die Gleichheit des Individuums in der Stadt, da neutrale Verwaltungsorgane existieren. Außereuropäische Traditionen kennen diese städtischen Organisationsformen weniger. So gesehen haben diese Städte wenig Luft, die frei macht. In der idealtypischen orientalisch-islamischen Stadt herrschen die »Uma«, die islamische Gemeinschaft, und die Gesetzmäßigkeiten der Stämme. Bagdad wurde zu dieser Zeit durch den Stamm des Präsidenten, dem »Begat« aus Tikrit dominiert. Alle strategisch wichtigen staatlichen und städtischen Organe des Landes wurden an die Loyalen vergeben - an die »Begat«. Die Loyalität muss im Sinne von Potlatch verstanden werden - eine ökonomische Beziehung. Fehlt sie, so verschwindet auch die Loyalität.

Letztendlich ging die Fahrt nicht in Richtung einer Stadt im europäischen Sinn, auch nicht in Richtung einer orientalisch-islamischen Stadt. Es ging nach Bagdad. Eine Stadt, die von den Tikrities beherrscht und dominiert wurde. Zugleich gab es doch Reste traditioneller Quartiersaneignung. Baulich-räumliche Segregation durch eine bestimmte sozial-ethnische Gruppierung gab es auch in dieser extrem kontrollierten Stadt.

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